Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

25.02.2011 · IWW-Abrufnummer 110539

Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Urteil vom 09.12.2010 – 4 U 161/10

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


4 U 161/10
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt/Main – 27. Zivilkammer – vom 14.06.2010 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 105 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Rückabwicklung des mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrages über einen PKW Marke X.
Wegen des erstinstanzlich Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14.06.2010 Bezug genommen.
Das Landgericht hat dem nach Teilrücknahme reduzierten Zahlungsantrag von 36.381,17 € in vollem Umfang stattgegeben, daneben festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet und außerdem die Beklagte verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.286, 20 € zu zahlen. Zur Begründung des auf die §§ 437 Nr. 2, 323 BGB gestützten Rückabwicklungsanspruchs hat das Landgericht ausgeführt, dass nach den Feststellungen des eingeholten Sachverständigengutachtens das Fahrzeug mangelhaft sei. Die bei einer Geschwindigkeit von über 220 km/h entstehenden Windgeräusche entsprächen nicht dem Stand der Technik. Dieser Mangel sei auch erheblich. Bei einem Fahrzeug des gehobenen Preissegments sei das vom Sachverständigen anschaulich beschriebene Windgeräusch nicht mehr zu tolerieren.
Gegen die ihr am 17.06.2010 zugestellte Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der am 19.07.2010 (einem Montag) eingelegten und binnen verlängerter Frist am 31.08.2010 begründeten Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter verfolgt.
Die Beklagte rügt, dass auf der Basis des eingeholten Sachverständigengutachtens in der Windgeräuschentwicklung kein Sachmangel erkannt werden könne. Da der Sachverständige keine dem hier maßgeblichen PKW entsprechenden Vergleichsfahrzeuge getestet habe, sei seine Aussage zum „Stand der Technik“ nicht nachvollziehbar. Zu dem erfordere die Beurteilung der Frage, ob ein zum Rücktritt berechtigter Mangel vorliege, regelmäßig die Kenntnis der Mangelursache. Hierzu habe der Sachverständige jedoch keinerlei Feststellungen getroffen. Schließlich habe das Landgericht nicht ohne Durchführung der von ihr erstinstanzlich beantragten mündlichen Gutachtenserläuterung entscheiden dürfen.
Unabhängig von der Frage des Vorliegens eines Mangels sei das vom Sachverständigen festgestellte Windgeräusch unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB und rechtfertige nicht die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Eine Geschwindigkeit von über 220 km/h könne nur kurzzeitig und selten auf den deutschen und europäischen Straßen erreicht werden.
Der Kläger hat unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen die landgerichtliche Entscheidung verteidigt und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Ergänzend führt er aus, dass zur Feststellung eines Mangels der Sachverständige einen Test mit Vergleichsfahrzeugen nicht habe durchführen müssen, weil die Frage, ob ein Fabrikations- oder ein Konstruktionsmangel vorliege für die hier maßgebliche Feststellung des Vorliegens eines Mangels unerheblich sei. Der festgestellte Mangel sei auf jeden Fall erheblich. Er fahre mit dem PKW zu 90 % auf Autobahnen. So fahre er ca. 10 – 15mal jährlich mit dem PKW in das Ferienhaus der Schwiegereltern im …/Österreich. Auch bei den regelmäßigen Fahrten zum Schreibwarengroßhändler in O1 erreiche er ohne Weiteres Geschwindigkeiten von über 220 km/h.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat die Berufung Erfolg. In Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung ist die Klage abzuweisen. Der Kläger ist wegen des auftretenden Windgeräusches bei einer Geschwindigkeit von über 220 km/h nicht zum Rücktritt vom Kaufvertrag gemäß den §§ 433, 434 Abs. 1 Nr. 2, 437, 440, 323 Abs. 5 Satz 2 BGB berechtigt, weil der Sachmangel unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ist.
Es ist bereits zweifelhaft, ob das Windgeräusch überhaupt einen Mangel im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB darstellt. Mangels einer Beschaffenheitsvereinbarung und einer vertraglich vorausgesetzten Verwendung ist hinsichtlich der Mangelhaftigkeit des Fahrzeuges auf dessen Eignung zur gewöhnlichen Verwendung und eine bei Sachen der gleichen Art übliche und vom Käufer zu erwartende Beschaffenheit abzustellen (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 2 BGB). Vergleichsmaßstab ist die übliche Beschaffenheit bei Sachen gleicher Art, insbesondere gleichen Qualitätsstandards. Hinsichtlich der berechtigten Erwartungen des Käufers ist auf den Durchschnittskäufer abzustellen, nicht jedoch auf im Einzelfall überzogene Ansprüche des jeweiligen einzelnen Käufers, auch wenn sie vor dem Kaufvertragsabschluss für den Verkäufer erkennbar waren. Dabei ist für das, was der Käufer berechtigterweise erwarten darf, auch der vereinbarte Kaufpreis von Bedeutung.
Nach der bisherigen Beweisaufnahme lässt sich auf der Basis vorstehender Grundsätze ein Mangel nicht hinreichend sicher feststellen. Der Sachverständige hat im schriftlichen Gutachten das von ihm deutlich wahrgenommene und störend empfundene Windgeräusch bei einer Geschwindigkeit von über 220 km/h nachvollziehbar und vorstellbar dahingehend beschrieben, dass dieses Geräusch mit Windgeräuschen, wie sie sich im Fahrzeuginnenraum einstellen, wenn während der Fahrt im höheren Geschwindigkeitsniveau eine Seitenscheibe um eine Spalt geöffnet wird, vergleichbar ist. Ob es sich dabei aber um ein „abnormes“, nicht dem „Stand der Technik“ entsprechendes Fahrgeräusch handelt, lässt sich seinen Ausführungen im schriftlichen Gutachten nicht entnehmen. Der Sachverständige hätte sich insbesondere mit dem Einwand der Beklagten, dass SUV-Fahrzeuge nicht zum „rasen“ konstruiert seien, bauartbedingt infolge des erheblich höheren Luftwiderstandes zwangsläufig höhere Windgeräusche erzeugten, auseinandersetzen müssen. Zur Objektivierung der Aussage zum „Stand der Technik“ wären sicherlich auch Ausführungen des Sachverständigen zu Windgeräusche bei Vergleichsfahrzeugen hilfreich gewesen.
Zu der Beschaffenheit im Sinne von § 434 I Nr. 2 BGB gehören zwar auch Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Herstellers, insbesondere in der Werbung erwarten kann. Insoweit fehlt es aber an konkretem Vorbringen des Klägers zu der von der Beklagten erfolgten Werbung für den PKW Marke X. Es sind weder Prospekte noch sonstige Werbematerialien vorgelegt worden, denen konkrete Versprechen und Angaben zur Geräuschentwicklung des PKW zu entnehmen sind; entsprechende Aussagen via Internet sind ebenfalls nicht vorgetragen worden.
Die von der Beklagten bereits erstinstanzlich beantragte und vom Landgericht verfahrensfehlerhaft übergangene mündliche Gutachtenserläuterung war jedoch entbehrlich, weil das vom Sachverständigen beschriebene Windgeräusch ab einer Geschwindigkeit von 220 km/h als unerheblicher Mangel im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB einzustufen ist. Es handelt sich bei den festgestellten Windgeräuschen, da eine Funktionsbeeinträchtigung des PKW in keiner Weise vom Kläger vorgetragen worden ist, um einen sogenannten Komfortmangel. Die in den beschriebenen Windgeräuschen ab einer Geschwindigkeit von 220 km/h begründete Komforteinbuße stellt einen unerheblichen Mangel dar.
Für die Beurteilung, ob es sich nur um einen unerheblichen Mangel handelt, der den Rücktritt nicht rechtfertigen würde, ist eine umfassende Interessenabwägung nach der Verkehrsanschauung und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Die Frage der Erheblichkeit ist objektiv an der Beschaffenheit, Verwendung und Eignung für den Gebrauch sowie nach dem Wert der Sache zu bemessen. Zu berücksichtigen sind dabei u. a. der für eine etwaige Mängelbeseitigung erforderliche Aufwand bzw. die mit dem Mangel verbundenen funktionellen, ästhetischen oder sonstigen Beeinträchtigung. Ist der Mangelbeseitigungsaufwand nicht festgestellt worden oder - wie hier nach der nach Vorbringen des Klägers dreimal fehlgeschlagenen Nachbesserung des Mangels naheliegend - der Mangel als nicht behebbar einzustufen, weil eine wirksame Möglichkeit zur endgültigen Behebung der Windgeräusche auch nicht dargelegt worden ist, kommt es auf die mit dem Mangel verbundenen konkreten Beeinträchtigungen an. Diese sind nicht so beträchtlich, dass der Mangel als erheblich einzustufen ist.
Das Windgeräusch ist vom Sachverständigen zwar als deutlich wahrnehmbar beschrieben und als störend empfunden worden. Keineswegs hat der Sachverständige aber von einer „abnorment“ Geräuschentwicklung gesprochen. Die Windgeräusche treten erst bei einer Geschwindigkeit von über 220 km/h auf, die auf deutschen Autobahnen nur selten (in den späten Abendstunden bzw. nachts) und auf relativ kurzen Streckenabschnitten erreicht werden kann. In den europäischen Nachbarländer (z.B. Österreich, Schweiz, Frankreich, Polen) gelten weit darunter liegende Geschwindigkeitsbegrenzungen bzw. Richtgeschwindigkeiten. Bezeichnenderweise hat der Sachverständige in seinem Gutachten festgehalten, dass aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens es bei Tag ihm kaum möglich gewesen war länger als ca. 1 Minute eine Geschwindigkeit von über 220 km/h zu erzielen. Daher hat er die im Gutachten aufgelisteten Testergebnisse im Wesentlichen in dem Zeitkorridor von 22 Uhr – 1 Uhr erzielt.
Außerdem beeinträchtigt die Geräuschentwicklung den Fahrkomfort lediglich in dem relativ schmalen Spitzengeschwindigkeitskorridor von 220 km/h bis zur zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 240 km/h. Das Fahren in diesem Spitzenbereich für einen längeren Zeitraum ist nach der unwidersprochen gebliebenen Erfahrung der Beklagten keine die Kaufentscheidung des Durchschnittskäufers dieser Fahrzeugmodelle prägende Erwartung. Es handelt sich bei den SUV-Fahrzeugen gerade nicht um Komfortlimousinen wie z. B. einen 7-er BMW. Der Allradantrieb, die „fiktive“ Geländetauglichkeit, das Durchzugsvermögen und die höhere Sitzposition sind die für den Durchschnittskäufer von SUV-Modellen maßgeblicheren Kaufkriterien. Da hinsichtlich der berechtigten Erwartungen des Käufers – wie bereits dargelegt - auf den Durchschnittskäufer abzustellen ist, nicht jedoch auf im Einzelfall überzogene Ansprüche des jeweiligen einzelnen Käufers, ist das Vorbringen des Klägers, für ihn sei die mit dem Fahrzeug nach Herstellerangaben zu erreichende Höchstgeschwindigkeit von 240 km/h ein ganz wesentliches Kaufkriterium gewesen, ohne durchschlagende Relevanz. Daher kann auch dahingestellt bleiben, ob der Kläger – wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anschaulich dargestellt - relativ häufig und auch über längere Strecken das Fahrzeug im Höchstgeschwindigkeitsbereich fährt. Gleichwohl ist anzumerken, dass Zweifel an diesem Vorbringen angebracht sind. Die Zweifel gründen darin, dass der Kläger nach eigenen Angaben erstmals im April 2007 nach ca. 3900 km eine Geschwindigkeit von über 220 km/h gefahren war. Auch indiziert der relativ lange Zeitraum zwischen dem zweiten Werkstattaufenthalt am 29.05.2007 mit einem Kilometerstand von 5.216 und dem dritten Werkstattaufenthalt am 28.02.2008 (Kilometerstand: 16308) das der Kläger in dieser Zeit entweder nur relativ selten eine Geschwindigkeit von über 220 km/h gefahren war oder aber die – nach seinem Vorbringen – dabei entstehenden Windgeräusche nicht als sonderlich störend empfunden hatte.
Der hier vertretenen Bewertung steht die vom Kläger in Bezug genommene Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 18.08.2008 – 1 U 238/07 – nicht entgegen. In dem dort zugrunde liegenden Fall trat das Windgeräusch bereits in einem Geschwindigkeitsbereich ab 130 km/h auf. Trotz dieses für Autobahnfahrten ungemein relevanten Geschwindigkeitsbereiches hat das Oberlandesgericht die Frage, ob die Geräuschentwicklung bereits für sich allein genommen im Grenzbereich der Rücktrittserheblichkeit liegt, ausdrücklich offen gelassen. In einem anderen, vom Landgericht Coburg, DAR 2009, 529 entschiedenen Fall zeigt sich ein „pfeifendes, surrendes Geräusch“ bereits im Geschwindigkeitsbereich von 60 – 130 km/h, dem regelmäßig am häufigsten genutzten Geschwindigkeitskorridor.
War die Berufung der Beklagten nach alledem erfolgreich, hat der Kläger gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Einheitlichkeit der Rechsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

RechtsgebieteKfz-Handel, Kaufvertrag, RückabwicklungVorschriften§§ 323 Abs. 5 Satz 2 BGB, 433, 434 Abs. 1 Nr. 2, 437, 440

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr