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16.11.2010 · IWW-Abrufnummer 103748

BGH: Beschluss vom 23.09.2010 – VII ZB 23/09

Eine Reduzierung der in § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO genannten Pauschalbeträge auf den tatsächlich geleisteten Unterhaltsbetrag kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Inanspruchnahme dieser Freibeträge durch den Schuldner als unbillig erweist und deshalb die Verwirklichung des mit der Einführung von Pauschalbeträgen verfolgten Zwecks ausnahmsweise hinter dem Vollstreckungsinteresse des Gläubigers zurücktreten muss.


Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 23. September 2010
durch
den Richter Dr. Kuffer,
den Richter Bauner,
die Richterin Safari Chabestari,
den Richter Halfmeier und
den Richter Leupertz
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Gläubigers gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 10. Februar 2009 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Gläubiger.

Streitwert: bis 300 €

Gründe

I.

1

Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung. Auf seinen Antrag hat das Amtsgericht einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem das Arbeitseinkommen des Schuldners gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen wurde. Der Schuldner hat eine unterhaltsberechtigte Tochter, die bei einer Pflegefamilie lebt. Für ihre Pflege zahlt er einen monatlichen Zuschuss von 26 €; weitere Unterhaltsleistungen erbringt er für seine Tochter nicht.

2

Im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist bestimmt, dass sich der pfändbare Betrag unter Berücksichtigung der in § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO genannten Freibeträge für Unterhaltsberechtigte ergibt, denen der Schuldner aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung Unterhalt gewährt. Den Antrag des Gläubigers, die Unterhaltsverpflichtung des Schuldners gegenüber seiner Tochter bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens nur mit dem tatsächlich geleisteten Pflegezuschuss von 26 € zu berücksichtigen, hat das Amtsgericht - Rechtspfleger - als unzulässig und unbegründet zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Gläubigers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Begehren weiter, den gemäß § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO pfändungsfreien Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners wegen der Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Tochter nur um 26 € zu erhöhen.

II.

3

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

4

1.

Das Beschwerdegericht führt aus, dem Schuldner stehe der gemäß § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO vorgesehene Freibeitrag für seine Tochter in voller Höhe zu, weil er ihr Unterhalt zahle. Wegen der durch § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO vorgegebenen Pauschalierung der für den unterhaltsverpflichteten Schuldner pfandfreien Freibeträge komme es auf die Höhe der Unterhaltszahlungen nicht an. Etwas anderes könne angesichts des klaren Wortlauts der Regelung allenfalls für Missbrauchsfälle gelten. Ein solcher Missbrauchsfall liege nicht schon deshalb vor, weil der Schuldner hier lediglich 10 % des gesetzlichen Unterhalts leiste.

5

2.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

6

Der Gläubiger hat keinen Anspruch darauf, dass der dem Schuldner gemäß § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO pfandfrei zu belassende Pauschalbetrag auf 26 € reduziert wird, weil der Schuldner nur in dieser Höhe Unterhalt in Form eines Pflegezuschusses an seine Tochter zahlt.

7

a)

Nach der Rechtsprechung des Senats ist es für die Gewährung der

gemäß § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO vorgesehenen Freibeträge ohne Belang, ob die Unterhaltsleistungen, die der Schuldner auf Grund seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht erbringt, den jeweiligen Pauschalbetrag erreichen oder übersteigen. Eine Reduzierung der in § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO genannten Pauschalbeträge auf den tatsächlich geleisteten Unterhaltsbetrag kommt danach grundsätzlich auch dann nicht in Betracht, wenn der Schuldner seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht in vollem Umfang genügt (BGH, Beschluss vom 28. März 2007 - VII ZB 94/06, NJW-RR 2007, 938 m.w.N.). Diese Grundsätze stellt auch die Rechtsbeschwerde nicht in Frage.

8

b)

Der Senat hat in der oben genannten Entscheidung ausdrücklich offengelassen, ob in besonders gelagerten Fällen, in denen der Schuldner seine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung nur in geringfügigem Umfang erfüllt, ausnahmsweise unter engen Voraussetzungen eine Reduzierung der in § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO festgelegten Beträge in Betracht kommt. Jedenfalls im vorliegenden Fall ist eine solche Beschränkung des dem Schuldner zuzubilligenden Freibetrages nicht gerechtfertigt.

9

(1)

Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts handelt es sich bei den Pflegezuschüssen von 26 €, die der Schuldner für seine Tochter monatlich zahlt, um Unterhaltsleistungen im Sinne des § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO. Davon geht offenbar auch die Rechtsbeschwerde aus, mit der der Gläubiger folgerichtig nicht die Versagung eines nach jener Vorschrift an Unterhaltsleistungen geknüpften Freibetrages, sondern in Anwendung der vom Senat hierzu entwickelten Grundsätze lediglich seine Reduzierung auf den tatsächlich geleisteten Unterhalt begehrt.

10

(2)

Entgegen der Auffassung des Gläubigers ist es für die Entscheidung ohne Belang, dass der Schuldner eigenen Angaben zufolge den Wohnort seiner Tochter nicht kennt und folglich keinen Kontakt zu ihr hat. Daraus folgt weder, dass die vom Schuldner - möglicherweise an den Sozialhilfeträger - gezahlten Pflegezuschüsse keine Unterhaltsleistungen im Sinne des § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO sind, noch lassen entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde allein diese Umstände den Schluss zu, dass der Schuldner auch in Zukunft keinen weitergehenden Unterhalt für seine Tochter erbringen wird.

11

(3)

Eine Reduzierung des pauschalen Freibetrages nach § 850c Abs. 1

Satz 2 ZPO ist nicht deshalb veranlasst, weil der Schuldner durch die Zahlung eines Pflegezuschusses von 26 € weniger als 10 % des Betrages erbringt, den er nach der Düsseldorfer Tabelle als Unterhalt für sein Kind leisten müsste. Insoweit kann dahin stehen, ob er mit Rücksicht auf die besonderen Lebensumstände seiner behinderten, in einer Pflegefamilie untergebrachten Tochter tatsächlich zu Unterhaltsleistungen in Höhe des vom Gläubiger mit 288 € ermittelten Tabellenwertes verpflichtet ist, wozu keine Feststellungen getroffen sind. Selbst wenn man mit dem Gläubiger und dem Beschwerdegericht von einer Unterhaltsverpflichtung in nämlicher Höhe ausgeht, führt die dann erhebliche Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem geschuldeten Unterhalt nicht zu einer Verringerung des nach § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO pfandfreien Pauschalbetrages. Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber im Interesse einer praktikablen Gestaltung der Zwangsvollstreckung bewusst davon abgesehen hat, die Zubilligung der unterhaltsbedingten Freibeträge von einzelfallbezogenen Feststellungen zur Höhe der Unterhaltsverpflichtung abhängig zu machen (BGH, Beschluss vom 28. März 2007 - VII ZB 94/06, NJW-RR 2007, 938 Rn. 12). Dieser, durch die Festlegung von Pauschalbeträgen verwirklichte Zweck der Vorschrift des § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO würde folglich auch dann verfehlt, wenn es für die Gewährung jener pauschalierten Freibeträge überhaupt darauf ankäme, in welchem Umfang der Schuldner seinen Unterhaltsverpflichtungen nachkommt. Zu einer Herabsetzung der Freibeträge kann es deshalb allenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen kommen, in denen sich die Inanspruchnahme des dem unterhaltsverpflichteten Schuldner gemäß § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO bewusst eingeräumten Vollstreckungsfreiraums als unbillig erweist und deshalb die Verwirklichung des mit der Einführung von Pauschalbeträgen verfolgten Zwecks ausnahmsweise hinter dem Vollstreckungsinteresse des Gläubigers zurücktreten muss. Eine solche Fallkonstellation liegt nicht vor. Sie ist jedenfalls nicht bereits durch die vom Gläubiger aufgezeigte Differenz zwischen dem geschuldeten und dem tatsächlich geleisteten Unterhalt entstanden. Andere tatsächliche Umstände, nach denen die Gewährung des gesetzlich vorgesehenen Freibetrages im obigen Sinne unbillig sein könnte, sind weder festgestellt, noch vorgetragen.

III.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Kuffer
Bauner
Safari Chabestari
Halfmeier
Leupertz

VorschriftenZPO § 850c Abs. 1 Satz 2, ZPO § 850c Abs. 1 Satz 2, Eine Reduzierung der in § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO genannten Pauschalbeträge auf

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