Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

02.11.2010

Finanzgericht Hamburg: Gerichtsbescheid vom 26.10.2009 – 6 K 123/09

Die gesetzlichen Regelungen zur Gewährung von Kinderbetreuungskosten sind nicht verfassungswidrig


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die einkommensteuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten.

Die Kläger sind miteinander verheiratet und werden zusammen zur Einkommen-

steuer veranlagt. Sie sind leibliche Eltern der am ..... 2004 und ..... 2006 geborenen Kinder A und B.

Der Kläger ist als selbstständiger Rechtsanwalt niedergelassen. Die Klägerin absolvierte bis zu der Geburt von A an der staatlichen Schule für Sozialpädagogik eine Ausbildung zur Erzieherin. Seit der Geburt von A ist die Ausbildung hingegen unterbrochen.

Im Streitjahr 2006 wendeten die Kläger 2.063,79 € für die Betreuung ihrer Kinder auf und machten den Aufwand als Kinderbetreuungskosten steuerlich geltend.

Mit Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 06.02.2008 versagte der Beklagte die Anerkennung der geltend gemachten Aufwendungen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Abzug des Betreuungsaufwands seien nicht erfüllt.

Hiergegen richtete sich der Einspruch der Kläger vom 03.03.2008, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 08.05.2009 zurückwies.

Die Kläger haben am 02.06.2009 Klage erhoben.

Die Kläger tragen vor: Die gesetzlichen Regelungen, die zur Versagung der geltend gemachten Kinderbetreuungskosten führen, seien verfassungswidrig. Die Regelungen verstießen gegen ihre --der Kläger-- Grundrechte aus Art. 1, 3, 6 und 12 GG. Die familiäre Situation eines berufstätigen und eines in der Kindererziehung tätigen Ehegatten sei mit den von den Vorschriften über den Betriebsausgaben-, Werbungskosten- und Sonderausgabenabzug vorausgesetzten Situationen der Erwerbs- und Ausbildungstätigkeit vergleichbar. Zudem seien die Zeiten der Schwangerschaft und des Mutterschutzes mit der für den Sonderausgabenabzug erforderlichen Krankheitssituation vergleichbar. Ferner stelle die Nichtberücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen auch im Vergleich zu Arbeitnehmern, die von ihrem Arbeitgeber Kinderbetreuungskosten steuerfrei erstattet erhielten, ohne dass die Arbeitnehmer weitere Voraussetzungen erfüllen müssten, eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. Die Verfassungswidrigkeit der Vorschriften müsse im Wege einer verfassungskonformen Auslegung geheilt und der Abzug der geltend gemachten Aufwendungen zugelassen werden. Schließlich sei die Einspruchsentscheidung auch formal rechtswidrig, weil sich der Beklagte in der Begründung der Entscheidung nicht mit den verfassungsrechtlichen Aspekten auseinandergesetzt habe.

Die Kläger beantragen (sinngemäß),

die Einspruchsentscheidung vom 08.05.2009 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 06.02.2008 dahingehend zu ändern, dass Kinderbetreuungskosten in Höhe von 2.064 € bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens abgezogen werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor: Die verfassungsrechtlichen Bedenken würden nicht geteilt. Der angefochtene Bescheid sei nach Maßgabe der geltenden gesetzlichen Bestimmungen der §§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1, 10 Abs. 1 Nr. 5 und 8 und 35a EStG, welche die einkommensteuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten abschließend regelten, ergangen. Gemäß §§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1 EStG könnten die Kinderbetreuungskosten weder als Betriebsausgabe noch als Werbungskosten abgezogen werden, weil nicht beide Kläger im Streitjahr erwerbstätig gewesen seien. Der Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 und 8 EStG scheitere daran, dass sich die Klägerin im Streitjahr 2006 nicht in Ausbildung befunden habe und auch nicht krank gewesen sei. Ein Abzug der Kosten nach § 35a EStG sei schließlich nicht möglich, weil der geltend gemachte Betreuungsaufwand geringer gewesen sei als das Kindergeld bzw. die Kinderfreibeträge.

Dem Gericht haben je 1 Bd. Einkommensteuer- und Rechtsbehelfsakten zu der Steuernummer .../.../... vorgelegen.

Gründe

Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid,

§ 90a FGO.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind formell und materiell rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Der formellen Rechtmäßigkeit der Einspruchsentscheidung steht nicht entgegen, dass der Beklagte im Rahmen seiner Einspruchsentscheidung nicht näher auf die verfassungsrechtlichen Bedenken der Kläger eingegangen ist. Sofern dies als Begründungsmangel der Einspruchsentscheidung gesehen wird, ist dieser Mangel jedenfalls nach § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und § 127 AO unbeachtlich.

Die angefochtenen Bescheide sind auch materiell rechtmäßig. Die Versagung des Abzugs der geltend gemachten Kinderbetreuungskosten entspricht den Vorschriften der §§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1, 10 Abs. 1 Nr. 5 und 8 sowie 35a EStG 2006. Das ist unstreitig.

Die Regelungen sind nach Auffassung des erkennenden Senats nicht verfassungswidrig. Die Vorschriften verstoßen insbesondere nicht gegen die von den Klägern ins Feld geführten Grundrechte.

a. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, wesentlich Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln, es sei denn, ein abweichendes Vorgehen wäre sachlich gerechtfertigt (vgl. BVerfG-Urteil vom 09.12.2008, BGBl I 2008, 2888; stRspr.).

Der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG gebietet es, Ehe und Familie vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte zu bewahren und durch geeignete Maßnahmen zu fördern (BVerfG-Urteil vom 17.07.2002, BVerfGE 105, 313). Die Pflicht zur Förderung der Familie bezieht sich auf den wirtschaftlichen Zusammenhalt der Familie (BVerfG-Urteil vom 23.06.1982, BVerfGE 61, 18), auf die Kinderbetreuung (BVerfG-Beschluss vom 10.11.1998, BVerfGE 99, 216) und auf die Förderung der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbstätigkeit (BVerfG-Beschluss vom 09.11.2004, BVerfGE 112, 50). Zu der Förderungspflicht von Ehe und Familie gehört spiegelbildlich ein Benachteiligungsverbot für Ehe und Familie im Verhältnis zu Nicht-Verheirateten und Nicht-Familien (BVerfG-Beschluss vom 14.04.1959, BVerfGE 9, 237; BVerfG-Urteil vom 12.02.2003, BVerfGE 107, 205); Eltern oder allein erziehende Elternteile dürfen hiernach gegenüber Kinderlosen grundsätzlich nicht schlechter gestellt werden (BVerfG-Beschluss vom 16.03.2005, BVerfGE 112, 268). Der Staat ist aber im Rahmen seiner Förderungspflicht nicht verpflichtet, jegliche die Familie treffende finanzielle Belastung auszugleichen (BVerfG-Urteil vom 21.10.1980, BVerfGE 55, 114; BVerfG-Beschluss vom 08.06.2004, BVerfGE 110, 412).

Aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip folgt das Gebot der steuerrechtlichen Verschonung des Existenzminimums, das als Mindestvoraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird (BVerfG-Beschlüsse vom 29.05.1990, BVerfGE 82, 60; vom 08.06.2004, BVerfGE 110, 412). Geht es um die Besteuerung von Familien, bezieht sich das Gebot der Steuerfreistellung des Existenzminimums auf den Lebensbedarf aller Familienangehörigen (BVerfG-Beschlüsse vom 29.05.1990, BVerfGE 82, 60; vom 13.02.2008, BVerfGE 120, 125).

Der Schutz des Grundrechts der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 GG ist einerseits umfassend angelegt, schützt aber andererseits nur vor solchen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Beeinträchtigung bezogen sind. Der Schutzbereich ist daher nicht schon dann eröffnet, wenn eine Rechtsnorm, ihre Anwendung oder andere hoheitliche Maßnahmen unter bestimmten Umständen Rückwirkung auf die Berufsfreiheit entfalten. Die Berufsfreiheit ist aber dann berührt, wenn sich die Maßnahmen zwar nicht auf die Berufstätigkeit selbst beziehen, aber die Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern und infolge ihrer Gestaltung in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen, dass sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben (vgl. BVerfG-Beschluss vom 31.08.2009, Juris).

b. Ein Verstoß gegen diese Prinzipien liegt nicht vor.

Das Existenzminimum von Eltern und Kindern wird durch die Grundfreibeträge nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG und durch das Kindergeld oder die kinderbezogenen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG einkommensteuerrechtlich verschont.

Hinsichtlich einer darüber hinausgehenden Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten hat der Gesetzgeber die Befugnis, die Vielzahl von Einzelfällen in einem Gesamtbild, das nach seinen Erkenntnissen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt, generalisierend, typisierend und pauschalierend zu erfassen. Dabei steht es dem Gesetzgeber frei, ob er solche Aufwendungen wegen einer vornehmlichen Veranlassung durch die Erwerbstätigkeit den Erwerbsaufwendungen oder als Privataufwendungen der Ebene der Einkommensverwendung und damit den Sonderausgaben bzw. außergewöhnlichen Belastungen zuordnet (vgl. BVerfG-Beschluss vom 16.08.2005, BVerfGE 112, 268). Die mit derartigen Verallgemeinerungen unvermeidlich verbundenen Härten verstoßen für sich nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.

Mit dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26.04.2006 (BGBl I 2006, 1091) und dem Steueränderungsgesetz vom 19.07.2006 (BGBl I 2006, 1652) hatte der Gesetzgeber die einkommensteuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten neu geordnet und die Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten unter den in den § 4f, § 9 Abs. 5 Satz 1 und

§ 10 Abs. 1 Nr. 8 und 5 EStG a. F. genannten Voraussetzungen zugelassen.

Ausweislich der Gesetzesbegründung wollte der Gesetzgeber mit den Vorschriften der §§ 4f und 9 Abs. 5 EStG a. F. die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit verbessern (BT-Drucks. 16/643). Es ist deshalb vor allem unter gleichheitsrechtlichen Aspekten nicht zu beanstanden, wenn nur Eltern, die beide berufstätig sind, die Aufwendungen geltend machen können. Dies gilt selbst dann, wenn der Gesetzgeber in anderen Rechtsgebieten --wie im Familienrecht-- die Kindeserziehung der Erwerbstätigkeit (faktisch) gleich stellt. Der Steuergesetzgeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, Regelungen anderer Rechtsgebiete in das --eigenständige--Steuerrecht zu übernehmen (vgl. BVerfG-Urteil vom 03.11.1982, BVerfGE 61, 319; BVerfG-Beschluss vom 29.05.1990, BVerfGE 82, 60).

Gleiches gilt im Ergebnis für die Regelung zur Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG a. F. Insbesondere ist es nicht gleichheitswidrig, den Sonderausgabenabzug davon abhängig zu machen, dass sich der Steuerpflichtige in Ausbildung befindet oder erkrankt ist. Von diesen zulässigen Merkmalen gesetzlicher Typisierung unterscheidet sich die Situation der Klägerin erheblich. Weder ist eine Schwangerschaft eine Krankheit noch ist die Situation in einer Ausbildung vergleichbar mit der Situation einer unterbrochenen Ausbildung. Die Lebensumstände sind jeweils andere und den gesetzlichen Sachverhalten nicht „gleich” i. S. d. Art. 3 GG.

Auch die Regelung des § 10 Nr. 5 EStG verstößt nicht gegen das Gleichheitsgrundrecht. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber von einem besonderen Betreuungsaufwand --wie Kindergartenbeiträge-- für Kinder der genannten Altersgruppe ausgeht und deshalb insoweit den Sonderausgabenauszug unabhängig von weiteren Voraussetzungen --wie Erwerbstätigkeit, Behinderung, Krankheit oder Ausbildung der Eltern-- zulässt. Auch von dieser Vergleichsgruppe unterscheidet sich die Situation der Kläger entscheidend.

Zudem bewirken die §§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1, 10 Abs. 1 Nr. 5 und 8 EStG keinen Verstoß gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG. Dieses wird weder durch die in § 3 Nr. 33 EStG geregelte Steuerfreiheit von Arbeitgeberleistungen im Zusammenhang mit Kinderbetreuungskosten berührt noch ist sonst ersichtlich, inwieweit den Vorschriften über die einkommensteuerliche Anerkennung von Kinderbetreuungskosten eine objektiv berufsregelnde Tendenz zukommen kann.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 135 Abs. 1, § 115 Abs. 2 FGO.

VorschriftenGG Art. 1 Abs. 1, GG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 6 Abs. 1, EStG § 10

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr