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02.11.2010

Finanzgericht Köln: Urteil vom 14.01.2010 – 13 K 1287/09

1) Das Solidaritätszuschlagsgesetz ist formell verfassungsgemäß zu Stande gekommen, insbesondere hatte der Bund gem. Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 1 Nr. 6 GG die Gesetzgebungskompetenz, da der Solidaritätszuschlag eine Steuer ist.

2) Es handelt sich bei der Bezeichnung des Solidaritätszuschlags um keine verfassungsrechtlich bedeutsame Täuschung, die zu einer Verfassungswidrigkeit führen könnte.

3) Eine Dauer der Erhebung von mehr als 10 Jahren ist für eine Ergänzungsabgabe mit den Grundsätzen einer geordneten föderalen Finanzverfassung noch vereinbar, a.A. FG Niedersachsen v. 25.9.2009 - 7 K 143/08. Der Begriff der Ergänzungsabgabe besagt lediglich, dass die Abgabe in einer gewissen Akzessorietät zu den auf Dauer angelegten Steuern stehen soll. Wegen der erheblichen wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern können weitaus längere Laufzeiten vorgesehen werden als 10 Jahre. Diese Grenze ist nicht sachlich begründet.

4) Eine offene Einbeziehung des Solidaritätszuschlags in die regulären Steuern ist politisch zwar wünschenswert, aber nicht justiziabel.

5) In der Erhebung des Solidaritätszuschlags zugunsten allein des Bundes liegt keine unzulässge Verschiebung der Finanzordnung.

6) Der Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5% überschreitet auch nicht die zulässige Höhe einer Ergänzungsabgabe.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlages für das Jahr 2007.

Die Klägerin gab im Dezember 2008 ihre Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr 2007 beim Beklagten ab und wurde mit Bescheid vom 20. Januar 2009 erklärungsgemäß zur Körperschaftsteuer und zum Solidaritätszuschlag veranlagt. Die Körperschaftsteuer betrug … EUR, der Solidaritätszuschlag … EUR.

Die Klägerin wandte sich mit fristgerechtem Einspruch vom 18. Februar 2009 ausschließlich gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlages. Zur Begründung trug sie vor, dass der Solidaritätszuschlag spätestens seit dem Veranlagungszeitraum 2002 eine verfassungswidrige Sondersteuer darstelle. Unter Bezugnahme auf das Klageverfahren beim Niedersächsischen Finanzgericht unter dem Aktenzeichen – Az. – 7 K 143/08, das ebenfalls das Jahr 2007 betrifft, beantragte die Klägerin das Ruhen des Einspruchsverfahrens.

Der Beklagte lehnte unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 11. Februar 2008 zu Az. 2 BvR 1708/06 zum Solidaritätszuschlag für den Veranlagungszeitraum 2002 und unter Auseinandersetzung mit den anhängigen Verfahren beim Niedersächsischen Finanzgericht und beim Bundesfinanzhof – BFH – ein Ruhen des Verfahrens ab (Schreiben vom 24. Februar 2009).

Mit Einspruchsentscheidung vom 20. März 2009 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Im Hinblick auf die erklärungsgemäße Veranlagung befasst sich die Einspruchsentscheidung nahezu ausschließlich mit der Frage, ob ein Ruhen des Einspruchsverfahrens gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung – AO – gesetzlich angeordnet oder nach anderen Regelungen des § 363 AO zweckmäßig sei. Der Beklagte verneinte dies. Wegen der Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der am 23. April 2009 erhobenen Klage. Mit ihr verfolgt sie primär das Ziel der Aufhebung der Festsetzung des Solidaritätszuschlages. Hilfsweise verfolgte sie zunächst die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung in dem Verfahren vor dem Niedersächsischen Finanzgericht.

Zu Begründung führt die Klägerin aus, dass es sich bei dem Solidaritätszuschlag um eine normale Steuer handele, was bedeute, dass alle Argumente gegen den Solidaritätszuschlag, die auf seiner angeblichen Eigenschaft als Sonderabgabe beruhten, keinen Erfolg haben könnten. Unter Darstellung der Gesetzgebungsgeschichte und der bisherigen Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlages kommt die Klägerin zu der Feststellung, dass das BVerfG sich bisher sachlich und inhaltlich nicht mit der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 – SolzG – befasst habe.

Die Klägerin bestreitet nicht, dass das SolzG in formell verfassungsgemäßer Weise durch Beteiligung von Bundestag und Bundesrat zustande gekommen ist. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BVerfG zur Vermögensteuer (Halbteilungsgrundsatz) und eine frühere Entscheidung des BVerfG, wonach eine Ergänzungsabgabe in Höhe von 3% keine verfassungsrechtlichen Bedenken auslöse, vertritt sie die Auffassung, dass der Solidaritätszuschlag in seiner aktuellen Höhe von 5,5% die Unbedenklichkeitsgrenze überschritten habe. Der Staat habe in verfassungsrechtlich relevanter Weise seine Bürger über den eigentlichen Charakter des Solidaritätszuschlages als allgemeine Steuer getäuscht, indem er den Solidaritätszuschlag mit dieser irreführenden Bezeichnung eingeführt habe. Gleichzeitig habe er tendenziell durch den Solidaritätszuschlag eine Änderung der Wirtschaftsordnung durch übermäßige Ausdehnung des öffentlichen Sektors eingeleitet. Die Täuschung des Wählers und die zeitlich unbefristete Verschiebung von Einnahmen zu Gunsten des Bundes berühre zudem die verfassungsrechtliche föderale Grundordnung.

Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 1972 zu Az. 1 BvL 16/1969 vertritt die Klägerin die Auffassung, dass die Bundesrepublik nicht berechtigt sei, unter der Bezeichnung Ergänzungsabgabe eine Steuer einzuführen, die den Vorstellungen widerspreche, die der Verfassungsgeber erkennbar mit dem Charakter einer solchen Abgabe verbunden habe. Zu den Beschränkungen einer Ergänzungsabgabe gehöre auch die Höhe. 5,5% überschreite die maximale Höhe für eine Ergänzungsabgabe.

Auch die fehlende Befristung widerspreche dem Zweck der Vorschrift. Bei einer dauerhaften Verschiebung des Finanzbedarfs von den Ländern auf den Bund müsse irgendwann die Änderung der Aufteilung bei den normalen Steuern erfolgen. Die Erhebung einer Ergänzungsabgabe gemäß Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes – GG –, die für nicht absehbare Bedarfsspitzen gedacht gewesen sei, sei jedenfalls maximal zehn Jahre mit den Grundsätzen einer geordneten Finanzverfassung vereinbar; danach werde sie verfassungswidrig. Dies führe dazu, dass der Solidaritätszuschlag jedenfalls für das Streitjahr 2007 nicht mehr verfassungsgemäß erhoben werden könne.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Festsetzung des Solidaritätszuschlages i. H. v. … EUR aufzuheben,

hilfsweise, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem BVerfG vorzulegen,

weiter hilfsweise, die Revision zuzulassen und dem Beklagten unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreites die Kosten aufzuerlegen, da er bei einer sachgerechten Entscheidung über ihren Antrag, das Ruhen des Einspruchsverfahrens hätte anordnen müssen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 12. und 13. Oktober 2009 (Blatt 36 und 38 d. A.) im Hinblick auf die reine Rechtsproblematik auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid über den Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).

Der festgesetzte Solidaritätszuschlag von … EUR basiert auf der zutreffenden Anwendung des SolzG, an das das erkennende Gericht nach Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Die Höhe des Solidaritätszuschlages beträgt entsprechend § 4 SolzG 5,5% der Bemessungsgrundlage im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG, also der festgesetzten Körperschaftsteuer von … EUR. Insoweit besteht in der Sache auch kein Streit zwischen den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens.

Der Senat kann auch in der Sache entscheiden. Insbesondere ist das Verfahren nicht wegen möglicher Verfassungswidrigkeit des SolzG im Hinblick auf die Behauptung der Klägerin, dass,

das SolzG in formell verfassungswidriger Weise zu Stande gekommen wäre,

der Staat die Bürger durch die Benennung über den Charakter des Solidaritätszuschlages getäuscht habe,

der Solidaritätszuschlag über einen Zeitraum von zehn Jahren erhoben worden ist und deshalb mit den Grundsätzen einer geordneten föderale Finanzverfassung unvereinbar sei und

der Solidaritätszuschlag die zulässige Höhe einer Ergänzungsabgabe übersteige,

entsprechend Art. 100 Abs. 1 GG i.V.m. § 80 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes – BVerfGG – auszusetzen.

Nach Art. 100 Abs. 1 GG ist ein Gerichtsverfahren dann auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn das Gericht das Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Voraussetzung für eine derartige Vorlage an das BVerfG ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Beschlüsse des BVerfG vom 19. Februar 1957 1 BvL 13/54, BVerfGE 6, 222, 239; vom 31. Mai 1983 1 BvL 11/80, BVerfGE 64, 180, 187; weitere Nachweise bei Jarass/Pieroth, GG, Art. 100 Tz. 10), dass das vorlegende Gericht selbst von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm überzeugt ist. Wenn das Gericht auch nur die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung sieht, darf die Vorlage nicht erfolgen.

Danach ist das vorliegende Verfahren nicht auszusetzen, da das erkennende Gericht nicht von der Verfassungswidrigkeit des SolzG 1995 in der Neufassung durch die Bekanntgabe vom 15. Oktober 2002, BGBl I 2002, 4130 überzeugt ist.

1. Der Senat geht in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung der Finanzgerichte (vgl. z. B. Finanzgericht Münster, Urt. vom 27. September 2005 12 K 6263/03 E, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2006, 371; bestätigt durch BFH-Beschluss vom 28. Juni 2006 VII B 394/05, BFHE 213, 573, BStBl II 2006, 692; BFH-Beschluss vom 28. April 2009 I B 199/08, nicht veröffentlicht; Finanzgericht München, Urt. vom 18. August 2009 2 K 108/08, EFG 2010, 166; Finanzgericht Münster, Urteil vom 8. Dezember 2009 1 K 4077/08 E, juris; teilweise zu anderen Streitjahren) und wohl auch den Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreites davon aus, dass das SolzG 1995 vom 23. Juni 1993 (Bundesgesetzblatt – BGBl – I 1993, 944, 975 f.), neugefasst durch die Bekanntgabe vom 15. Oktober 2002 (BGBl I 2002, 4130) in der im Streitjahr 2007 geltenden Fassung (entsprechend Art. 14 des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006, BGBl I 2006, 2878) formell verfassungsgemäß zu Stande gekommen ist.

Der Bund hat das SolzG im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 1 Nr. 6 GG erlassen.

Die Gesetzgebungskompetenz für Steuern bestimmt sich nach den Artikeln 105 ff. des GG. Diese Regelungen über die Gesetzgebungskompetenz für Steuern finden auf den Solidaritätszuschlag Anwendung, weil der Solidaritätszuschlag alle Merkmale des verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs erfüllt.

Mangels Legaldefinition im GG bestimmt sich der verfassungsrechtliche Begriff einer Steuer unter Rückgriff auf die einfachgesetzliche Vorschrift des § 3 Abs. 1 AO (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 2. Oktober 1973 1 BvR 345/73, BVerfGE 36, 66 und vom 6. November 1984 2 BvL 19, 20/83, 3 BvR 363, 491/83, BVerfGE 67, 257; vgl. auch BFH-Urteil vom 28. Februar 1996 XI R 83, 84/94, BFH/NV 1996, 712).

Der Solidaritätszuschlag ist eine von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen mit dem Zweck der Einnahmeerzielung auferlegte Geldleistung, zu der nach § 2 SolzG alle unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen und erweitert beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen sowie alle körperschaftsteuerpflichtigen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen abgabepflichtig sind. Des Weiteren stellt der Solidaritätszuschlag keine Gegenleistung für eine besondere Leistung dar. Für die Qualifizierung des Solidaritätszuschlages als Steuer ist es bedeutungslos, dass der Gesetzgeber die Erhebung des Solidaritätszuschlags mit dem politischen Ziel der Finanzierung der Kosten für die Wiedervereinigung Deutschlands verknüpft hat (vgl. die allgemeine Begründung in dem Gesetzentwurf zum Gesetz zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms – FKPG – Bundestags-Drucksache 12/4401, Seite 1 bis 5). Zunächst liegt eine zwingende Verknüpfung schon deshalb nicht vor, weil sich aus dem Gesetzentwurf zum FKPG deutlich die vielfältige Zielsetzung des Gesetzes ergibt. Unter anderem ist ausdrücklich die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte als Ziel formuliert (vgl. Bundestags-Drucksache 12/4401, Seite 1). Auch ergibt sich aus der Einzelbegründung zu § 1 des SolzG klar, dass der Gesetzgeber von der Einführung einer weiteren selbstständigen, gesondert von der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer zu erhebenden Steuer ausgegangen ist. Es ergibt sich daher bereits aus der Begründung des Gesetzes, dass das Aufkommen des Solidaritätszuschlages der Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs dienen sollte. Im Übrigen wäre selbst eine rechtliche – also nicht nur politische – Zweckbindung von Einnahmen, die stets eine Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers bedeutet, verfassungsrechtlich erst dann bedenklich, wenn die Zweckbindung ein vertretbares Ausmaß überstiege (vgl. dazu die Ausführungen des BVerfG in der Entscheidung zur Einführung der so genannten Ökosteuer vom 20. April 2004 1 BvR 1748/99, 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 unter C. II. 1.).

Da nach § 2 des SolzG grundsätzlich alle einkommen- und körperschaftsteuerpflichtigen Steuersubjekte abgabepflichtig sind und das Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlagsgesetz in den allgemeinen Haushalt des Bundes fließt, stellt der Solidaritätszuschlag auch keine Sonderabgabe dar. Er unterfällt daher den Kompetenzregelungen des Grundgesetzes für den Erlass von Steuergesetzen.

Der Bund hat gemäß Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 1 Nr. 6 GG die konkurrierende Gesetzgebung über die Steuern mit Ausnahme von Zöllen und Finanzmonopolen, wenn ihm das gesamte Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht. Dies ist bei dem als Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und zur Körperschaftsteuer ausgestalteten Solidaritätszuschlag der Fall (vgl. § 1 Abs. 1 SolzG), weil der Ertrag dieser Abgabe gemäß Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG ausschließlich dem Bund zufließt.

Anhaltspunkte für relevante Fehler im Gesetzgebungsverfahren sind für den erkennenden Senat nicht ersichtlich. Bundestag und Bundesrat haben sowohl dem FKPG als auch dem Steueränderungsgesetz 2001, das der Neubekanntmachung vom 15. Oktober 2002 zugrunde liegt, zugestimmt (vgl. Bundesrats-Drucksachen 350/93 und 891/01).

2. Der erkennende Senat teilt auch nicht die Auffassung der Klägerin, dass der Staat die Bürger durch die Benennung über den Charakter des Solidaritätszuschlages getäuscht habe und dass eine derartige Täuschung zu einer Verfassungswidrigkeit des Gesetzes führen könnte.

Das SolzG 1995 ist im Rahmen des FKPG erlassen worden. Bereits der Langtext des Gesetzesentwurfs „Gesetz über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte” macht deutlich, dass das SolzG Bestandteil einer weit gehenden Umgestaltung der öffentlichen Finanzierung im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands war und gleichzeitig eine Regelung der Bundesergänzungszuweisungen für die Bundesländer Bremen und Saarland enthielt, die vom BVerfG gefordert worden war.

Allein aus den Begründung des Gesetzesentwurfes (Bundestags-Drucksache 12/4401) oder der umfangreichen Dokumentation der Stellungnahmen des Bundesrates sowie der Ergebnisse der Klausurtagung beim Bundeskanzler vom 11. bis 13. März 1993 (vgl. Bundestags-Drucksache 12/4748) ist zu erkennen, dass eine in den allgemeinen Haushalt fließende Ergänzungsabgabe eingeführt wurde. Dass es sich nicht um eine reine Transferleistung von West- nach Ostdeutschland handelt, ergab sich bereits aus der Tatsache, dass alle deutschen Steuerpflichtigen zur Zahlung des Solidaritätszuschlages nach Maßgabe des Gesetzes verpflichtet waren, also auch die Bürger und Unternehmen, die in Ostdeutschland zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer herangezogen wurden.

Im Übrigen kann hier auf die Begründung des BVerfG in der Entscheidung zum Solidaritätszuschlaggesetz 1991 (BVerfG-Beschluss vom 19. November 1999 2 BvR 1167/96, Neue juristische Wochenschrift – NJW – 2000, 797 unter III. 1. b. cc.) Bezug genommen werden, in der das Gericht ausgeführt hat, dass die Bezeichnung als Zuschlag schon deshalb nicht irreführend gewesen sei, weil der Gesetzgeber – wie auch beim hier betroffenen SolzG 1995 – mit dem Begriff der Ergänzungsabgabe auf Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG Bezug genommen habe und damit kein Zweifel an der Rechtsqualität des Solidaritätszuschlages bestanden habe.

3. Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass die Tatsache, dass der Solidaritätszuschlag im Streitjahr über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren erhoben worden ist, zu einer Verfassungswidrigkeit führt, weil eine derartig lang erhobene Ergänzungsabgabe mit den Grundsätzen einer geordneten föderale Finanzverfassung unvereinbar ist.

Der Gesetzgeber hat nach Auffassung des erkennenden Senats durch den Erlass des zeitlich unbefristeten SolzG 1995 die Grenzen des ihm eingeräumten Gestaltungsspielraums zur Einführung von Ergänzungsabgaben nicht überschritten.

Das Grundgesetz sieht keine spezifischen Voraussetzungen für eine Ergänzungsabgabe vor. Die Einführung einer unbefristeten Ergänzungsabgabe begründet keine Zweifel an deren materieller Verfassungsmäßigkeit. Unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG (vgl. BVerfG-Beschluss vom 9. Februar 1972 1 BvL 16/69, BVerfGE 32, 333, BStBl II 1972, 408; BVerfG-Beschluss vom 19. November 1999 2 BvR 1167/96, NJW 2000, 797) sind keine Umstände zu erkennen, die den Schluss zuließen, nur die befristete Erhebung eines als Ergänzungsabgabe ausgestalteten Solidaritätszuschlags sei erlaubt. Vielmehr enthält das Grundgesetz nach der Auslegung durch das BVerfG kein Gebot, nur befristete Ergänzungsabgaben zu erheben. Dieser Interpretation des Grundgesetzes folgt die bisherige Rechtsprechung der Finanzgerichte (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 28. Februar 1996 XI R 83, 84/94, BFH/NV 1996, 712: Finanzgerichte München und Münster jeweils a. a. O.). Eine zeitliche Befristung gehört nicht zum Wesen der Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 Grundgesetz. Der Begriff der Ergänzungsabgabe besagt lediglich, dass diese Abgabe die Einkommen- und die Körperschaftsteuer, also auf Dauer angelegte Steuern, ergänzen, d. h. in einer gewissen Akzessorietät zu ihnen stehen soll (BFH, BStBl II 2006, 692). Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass der Solidaritätszuschlag im Hinblick auf die Länge seiner Erhebungsdauer im Streitjahr 2007, das heißt im 13. Jahr seiner Erhebung nicht mehr verfassungsgemäß war.

Die Auffassung der Klägerin, die Erhebung des Solidaritätszuschlags über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren sei verfassungswidrig, weil bei einer dauerhaften Verschiebung des Finanzbedarfs von den Ländern auf dem Bund irgendwann die Änderung der Aufteilung bei den „normalen” Steuern erfolgen müssen, weil ansonsten die Grundsätze einer geordneten Finanzverfassung beeinträchtigt würden, findet nach Überzeugung des erkennenden Senats im Grundgesetz keine Stütze. Anders als bei Sonderabgaben, bei denen eine zeitliche Befristung, zumindest aber eine kontinuierliche Überprüfung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderlich ist (vgl. BVerfG-Beschluss vom 18. Mai 2004 2 BvR 2374/99, BVerfGE 110, 370, 389; weitere Nachweise bei Jarass/Pieroth, GG, Art. 105 Rdnrn. 9 bis 11), bestehen derartige Begrenzungen bei der als Steuer zu qualifizierenden Ergänzungsabgabe nicht.

Weder aus dem Begriff der Ergänzungsabgabe in Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG noch aus einer systematischen Betrachtung der Vorschriften der Finanzverfassung lässt sich ableiten, dass Ergänzungsabgaben nur kurzfristig erhoben werden dürfen. Vielmehr darf im Gegenteil nach der zitierten Rechtsprechung des BVerfG eine Ergänzungsabgabe nicht nur für einen ganz kurzen Zeitraum erhoben werden (BVerfG, NJW 2000, 797; BVerfG, BStBl. II 1972, 408).

Selbst wenn man mit der Klägerin (zweifelnd auch Lindberg in Blümich, EStG und Nebengesetze, § 1 SolzG 1995 Rdnr. 10) die unbefristete Erhebung einer Ergänzungsabgabe als verfassungsrechtlich problematisch einstufen würde, ist doch eine Begründung für das Eintreten der Verfassungswidrigkeit nach Ablauf von zehn Jahren in Anbetracht der Aufgabenstellung – Finanzierung der vereinigungsbedingten Lasten für die öffentlichen Haushalte – nach Überzeugung des erkennenden Senates nicht ersichtlich. Der Erblastentilgungsfond soll über einen Zeitraum von 30 Jahren getilgt werden (d. h. bis 2025). Die erheblichen wirtschaftlichen Unterschiede in der Produktivität der Unternehmen und der Leistungsfähigkeit der westdeutschen und der ostdeutschen Bundesländer hat dazu geführt, dass die Gesetzgebungsorgane Transferleistungen zunächst bis 2019 beschlossen haben (vgl. auch die näheren Ausführungen bei FG Münster vom 8. Dezember 2009, juris).

Einen sachlichen Grund, warum die Erhebung des Solidaritätszuschlages gerade nach Ablauf von zehn Jahren verfassungswidrig werden soll, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Ein solcher Grund ist für den erkennenden Senats auch nicht ersichtlich. Vielmehr spricht die bereits im Gesetzgebungsverfahren deutlich gewordene außergewöhnliche Aufgabenstellung, die Kosten der Finanzierung der Wiedervereinigung aufzubringen, für die Verfassungsmäßigkeit der Ergänzungsabgabe bis zum Abschluss der historisch einmaligen Finanzierungsaufgabe (vgl. dazu die Ausführungen des FG Münster, EFG 2006, 371 zum Solidaritätszuschlag im Jahr 2002; des FG München, EFG 2010, 166 zum Solidaritätszuschlag im Jahr 2005 mit Anm. von Bartone in Juris PraxisReport und des FG Münster vom 8. Dezember 2009, juris zum Solidaritätszuschlag im Jahr 2007; in der Sache ebenso von Reden in Littmann/ Bitz/ Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 1 – 5 SolzG Rdnr. 2).

Die von der Klägerin als verfassungsrechtliche Notwendigkeit eingeforderte Einbeziehung des Solidaritätszuschlages in die regulären Steuern, d. h. also hier die Einkommen- und Körperschaftsteuer, ist nach Überzeugung des Senats letztlich eine politische Forderung nach dem ehrlichen, offenen Ausweis der tatsächlichen tariflichen Belastung der Zahler von Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer. Derartige politische Entscheidungen sind aber dem Gesetzgeber vorbehalten. Die – politischen – Entscheidungen des Gesetzgebers, welche staatlichen Zwecke er verfolgen will und wie er diese finanziert, sind aber grundsätzlich nicht justiziabel (vgl. FG Münster, EFG 2006, 371 m. w. N.).

Auch eine verfassungsrechtliche unzulässige Verschiebung der Finanzordnung durch die andauernde Erhebung der allein dem Bund zustehenden Ergänzungsabgabe vermag der Senat nicht zu erkennen.

Der Bundesrat und damit die nach Auffassung der Klägerin benachteiligten Länder haben dem Gesetz zugestimmt. Sie haben ausdrücklich die den föderalistischen Grundprinzipien entsprechenden Regelungen des Finanzausgleichs hervorgehoben (vgl. Bundestags-Drucksache 12/4748, Seite 144). Parallel zu dem hier streitbefangenen SolzG ist das Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern – FAG – geändert worden (Art. 33 FKPG). Die Länder erhielten wesentlich höhere Anteile an der Umsatzsteuer (§ 1 Abs. 1 des FAG für 1994 sah einen Bundesanteil von 63% und einen Länderanteil von 37% vor; 1995 betrugen die Anteile 56% für den Bund und 44% für die Länder). Auch unter Berücksichtigung der umfangreichen Sonderregelungen in den verschiedenen Fassungen des FAG ist doch offensichtlich, dass keine einseitige Verlagerung des Steueraufkommens auf den Bund erfolgt ist. Unter Berücksichtigung der vielfältigen Regelungen des FKPG hält der erkennende Senat daher eine isolierte Betrachtung des SolzG für grundsätzlich verfehlt.

Letztlich liegt im Streitjahr 2007 auch keine verfassungsrechtliche relevante Ausdehnung des öffentlichen Sektors durch den Solidaritätszuschlag vor. Das ergibt sich bereits daraus, dass seit Einführung des Solidaritätszuschlages nicht nur der Solidaritätszuschlag selbst von 7,5% auf 5,5% herabgesetzt wurde (1998), sondern auch die Bemessungsgrundlagen bei den Ertragsteuern durch erhebliche Herabsetzung der Grenzsteuersätze (bei der Einkommensteuer z. B. von 51% im Jahr 2000 auf 42% beziehungsweise 45% im Jahr 2007; bei der Körperschaftsteuer z. B. von 40% im Jahr 2000 auf 25% im Jahr 2007 und 15% im Jahr 2008) reduziert wurden. Bei dieser Ausgangslage und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das BVerfG (Beschluss vom 19. November 1999 2 BvR 1167/96, NJW 2000, 797) keine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlagsgesetzes 1991 im Hinblick auf eine übermäßige Ausdehnung des öffentlichen Sektors und damit der Verhältnismäßigkeit geäußert hat, sieht der Senat insoweit keinen weiteren Begründungsbedarf.

Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass das SolzG deshalb verfassungswidrig ist, weil der Solidaritätszuschlag die zulässige Höhe einer Ergänzungsabgabe übersteigt.

Das BVerfG hat ausgeführt, dass der Bund nicht berechtigt sei, unter der Bezeichnung „Ergänzungsabgabe” eine Steuer einzuführen, die den Vorstellungen widerspreche, die der Verfassungsgeber erkennbar mit dem Charakter einer solchen Abgabe verbunden habe. Das Funktionieren des bundesstaatlichen Systems erfordere eine Finanzordnung, die sicherstelle, dass der Gesamtstaat und die Gliedstaaten am Gesamtertrag der nationalen Leistungen sachgerecht beteiligt werden; Bund und Länder müssten im Rahmen der verfügbaren Gesamteinnahmen so ausgestattet werden, dass sie die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Ausgaben leisten könnten. Gegen die diesem Ziel dienende Finanzordnung des Grundgesetzes könne verstoßen werden, wenn der Gesetzgeber bei der Einführung einer dem Bund zukommenden Steuer von den Vorstellungen des Grundgesetzes über eine derartige Steuer abweichen und damit das finanzielle Ausgleichssystem zu Lasten der Länder ändern würde. So dürfe der Bund z. B. keine Ergänzungsabgabe einführen, die wegen ihrer Ausgestaltung, insbesondere wegen ihrer Höhe die Bund und Ländern gemeinschaftlich zustehende Einkommen- und Körperschaftsteuer oder die den Ländern zustehende Vermögensteuer aushöhlen würde (BVerfGE 32, 333 unter C. I. 2.).

Anhaltspunkte für eine derartige Änderung des finanziellen Ausgleichsystems zu Lasten der Länder im Rahmen des FKPG, insbesondere des SolzG 1995 sind nach Überzeugung des erkennenden Senats nicht ersichtlich. Insoweit wird auf die bereits oben dargestellten kompensatorischen anderen Regelungen des FKPG verwiesen.

Eine Aushöhlung der Einkommen- oder Körperschaftsteuer durch den Solidaritätszuschlag ist nicht erkennbar. Das Finanzgericht München (EFG 2010, 166) hat überzeugend ausgeführt, dass eine Aushöhlung des vom GG geforderten Systems durch das SolzG nicht erkennbar sei. Bei einem Zuschlagssatz von 5,5% der Bemessungsgrundlage stehe die sich daraus ergebende Steuerbelastung nicht völlig außer Verhältnis zu der sich aus der Festsetzung der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer ergebenden Belastung. Unter Darstellung der Höhe der verschiedenen Steuern im Jahr 2005 hat das Finanzgericht dargelegt, dass sich der Solidaritätszuschlag nicht in einer Größenordnung bewege, welche eine Aushöhlung der dem Bund und den Ländern gemeinschaftlich zustehenden Steuern befürchten ließe.

Dieser grundsätzlichen Einschätzung schließt sich der erkennende Senat an. Sie gilt unverändert für das Streitjahr 2007. Wie sich aus dem Monatsbericht Juli 2009 des Bundesfinanzministeriums – BMF – bezüglich der Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden im Haushaltsjahr 2008 (vgl. Internetauftritt des BMF, Monatsbericht digital) ersehen lässt, betrugen die gemeinschaftlichen Steuern im Jahr 2007 381.309 Millionen EUR, die Bundessteuern 85.690 Millionen EUR und die Ländersteuern 22.836 Millionen EUR. Die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag betrugen insgesamt 12.349 Millionen EUR. Eine Aushöhlung der Einkommen- oder Körperschaftsteuer ist danach weiterhin nicht zu befürchten.

Aus der Grundsatzentscheidung des BVerfG (BVerfGE 32, 333) ergibt sich nichts anderes. Das BVerfG hat unter Darstellung der Gesetzgebungsgeschichte mit dem Versuch einer Begrenzung auf 5% eine Ergänzungsabgabe von 3% als offensichtlich unproblematisch qualifiziert. Daraus lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass eine Ergänzungsabgabe mit einem Zuschlagssatz von 5,5% die vom Grundgesetz gezogene Grenze überschreitet. Vielmehr ist auch insoweit auf die grundsätzliche Überlegungen des BVerfG abzustellen, ob eine Aushöhlung der dem Bund und den Ländern gemeinschaftlich zustehenden Ertragssteuer zu befürchten ist. Dies ist im Hinblick auf die absoluten Zahlen nach Überzeugung des Senats nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Der Senat sieht keine Veranlassung dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen. Der Beklagte ist nicht gehalten im Hinblick auf jedwedes Musterverfahren vor einem Finanzgericht Einspruchsverfahren mit vergleichbaren Streitgegenständen ruhend zu stellen. Er ist vielmehr berechtigt insoweit eine Ermessensentscheidung zu treffen. Eine derartige Ermessensentscheidung hat der Beklagte im Streitfall getroffen und unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Februar 2008 (2 BvR 1708/06) in der Einspruchsentscheidung im Einzelnen begründet. Konkrete Gründe diese Entscheidung zu beanstanden hat die Klägerin nicht vorgetragen. Der erkennende Senat sieht auch keine derartigen Gründe.

Der Senat hat die Revision im Hinblick auf die Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts, in dem Verfahren 7 K 143/08 das BVerfG anzurufen, zugelassen.

VorschriftenGG Art 106 Abs 1 Nr 6, GG Art 105 Abs 2

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