Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

02.11.2010

Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 06.07.2010 – 10 K 10288/08

Muss das volljährige Kind seine Berufsausbildung unterbrechen, weil es sich wegen einer vorsätzlichen schweren Straftat zuerst in Untersuchungshaft und anschließend infolge seiner Verurteilung in Strafhaft befindet, befindet es sich weder in Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG noch kann es als ausbildungswilliges Kind nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG berücksichtigt werden (im Streitfall: kein Kindergeldanspruch für volljährigen, an der Universität immatrikulierten, aber beurlaubten Sohn bei Unterbrechung des Studiums wegen Inhaftierung infolge Drogenhandels; Abgrenzung zum BFH v. 20.7.2006, III R 69/04; Anschluss an FG Sachsen-Anhalt v. 12.2.2008, 4 K 435/06).


IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 10. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 6. Juli 2010 durch den Vizepräsidenten des Finanzgerichts …, die Richterin am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht …, sowie die ehrenamtlichen Richter Herr …und Frau …

für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Tatbestand:

Der am X.X. 1982 geborene Sohn der Klägerin A war seit dem Wintersemester 2002 an der Universität … zum Studium der Rechtswissenschaften immatrikuliert. Er war vom Wintersemester 2003/2004 bis zum Sommersemester 2005 beurlaubt. Nach Mitteilung der Klägerin vom 4. April 2007 befand sich ihr Sohn während des Beurlaubungszeitraums in Untersuchungshaft bzw. in Haft. Seit dem Wintersemester 2005/2006 ist der Sohn nicht mehr beurlaubt und hat sein Studium fortgesetzt.

Der Sohn der Klägerin wurde am 12. August 2004 wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Ausweislich der Urteilsgründe war er in den Drogenhandel mit Haschisch eingebunden und hatte am 26. Juni 2003 konspirativ und professionell Haschisch und Ectasytabletten mit einem Marktwert von 100.000 EUR transportiert. Der Sohn der Klägerin war am 26. Juni 2003 festgenommen worden, befand sich zunächst in Untersuchungshaft und ab dem 26. Januar 2005 in Strafhaft. Ab August 2005 befand er sich in offenem Vollzug. Das Landgericht … setzte mit Beschluss vom 17. Januar 2006 den Strafrest vorzeitig zur Bewährung aus, weil der Verurteilte erstmalig eine Freiheitsstrafe verbüßte und nach dem Eindruck der Kammer beeindruckt und bemüht war, sein Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Er habe die Haftzeit dazu genutzt, sich bereits in der Untersuchungshaft beruflich zu orientieren. Mit der Aufnahme seines Jurastudiums habe er die Möglichkeiten des Freigangs genutzt und eine tragfähige Perspektive für die Entlassung geschaffen. Mit Beschluss vom 5. Februar 2009 wurde die ausgesetzte Reststrafe erlassen.

Die Beklagte hob die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 19. April 2007 für den Zeitraum Juli 2003 bis September 2005 nach § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) auf und forderte überzahltes Kindergeld in Höhe von 4.158 EUR von der Klägerin zurück. Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2008).

Mit der dagegen erhobenen Klage verweist die Klägerin auf die durchgehende Immatrikulation des Sohnes an der Universität …. Dieser sei studierwillig geblieben und lediglich aus objektiven Gründen gehindert gewesen, sein Studium fortzusetzen. Der Antrag auf Beurlaubung sei aus formellen Gründen erfolgt, da der Sohn nicht an den Ausbildungsmaßnahmen habe teilnehmen können. Damit sei er ebenso zu behandeln, wie ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, aber keinen findet oder nach den Erwägungen des Bundesfinanzhofs im Urteil vom 20. Juli 2007 (III R 69/04) sowohl für die Dauer der Untersuchungshaft als auch der Strafhaft weiterhin als in Ausbildung befindlich zu behandeln. Nach den Gründen dieses Urteils sei es irrelevant, ob der Sohn die Untersuchungshaft/Strafhaft letztlich zu vertreten habe. Der Sohn sei zum Zeitpunkt der Tat gerade mal 20 Jahre alt gewesen und die schwerwiegenden Folgen – auch im Hinblick auf seine Ausbildung – seien ihm nicht bewusst gewesen. Die Eltern hätten dem Sohn während der gesamten Zeit beigestanden, insbesondere den sozialen Kontakt nicht abgebrochen und ihn regelmäßig besucht. Wegen der finanziellen Aufwendungen werde auf die beigefügte Aufstellung verwiesen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 19. April 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2008 aufzuheben; hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Sohn der Klägerin habe sich beurlauben lassen und damit seine Ausbildung formal unterbrochen. Diese Unterbrechung habe er selbst zu vertreten. An die Untersuchungshaft hätten sich noch einige Monate Haft angeschlossen. Anders als in dem vom BFH entschiedenen Fall sei er nicht vom Schuldvorwurf freigesprochen worden.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 19. April 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs.1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Die Klägerin hat mangels Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen für den streitigen Zeitraum Juli 2003 bis September 2005 keinen Anspruch auf Kindergeld für den Sohn A.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen beim Kindergeldberechtigten berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Das war vorliegend für die Dauer der Beurlaubung vom Studium bzw. ab dem Zeitpunkt der Inhaftierung des Sohnes der Klägerin nicht der Fall.

Der Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG stellt nicht auf das formale Weiterbestehen eines Ausbildungsverhältnisses ab, sondern darauf, dass auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden (BFH, Urteil vom 15. Juli 2003, VIII R 47/02, BStBl II 2003, 848). Allein die fortbestehende Immatrikulation mit einer Verlängerung der Ausbildungszeit wegen der Haft im Rahmen zulässiger Beurlaubung genügt daher nicht, das Kind als weiterhin in Ausbildung befindlich anzusehen. Grundsätzlich tritt eine Unterbrechung der Ausbildung ein, sobald es an Maßnahmen fehlt, die geeignet sind, dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen im Hinblick auf die Ausübung eines angestrebten Berufs zu dienen.

Der vorliegende Sachverhalt ist auch nicht mit den vom Bundesfinanzhof in der Entscheidung vom 20. Juli 2006 (III R 69/04, BFH/NV 2006, 2067) für die Beurteilung der dort in Rede stehenden Inhaftierung herangezogenen Fällen der Unterbrechung der Ausbildung infolge Erkrankung oder Mutterschaft zu vergleichen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass das Kind in solchen Fällen den Willen hat, sich der Ausbildung zu unterziehen, aber aus objektiven Gründen – wegen Erkrankung oder wegen des Beschäftigungsverbots nach dem Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter – daran gehindert ist, weil ihm die Durchführung der Ausbildungsmaßnahme nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Hat ein Kind einen Ausbildungsplatz und ist ausbildungswillig, aus objektiven Gründen aber zeitweise nicht in der Lage, die Ausbildung fortzusetzen, ist es ebenso zu behandeln wie ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, einen solchen aber nicht findet und deshalb nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen ist. Diese Erwägungen rechtfertigten es nach Auffassung des BFH auch, ein Kind – ebenso wie im Falle einer Erkrankung (Abschnitt 63.3.2.7 Abs. 1 DA-FamEStG) – weiterhin als in Ausbildung befindlich i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu behandeln, wenn es in Untersuchungshaft genommen oder wegen eines laufenden Strafverfahrens im Ausland nicht ausreisen darf und deshalb eine begonnene Ausbildung nicht fortsetzen kann. Auch in solchen Fällen beruhe der Umstand, dass die Ausbildung vorübergehend unterbrochen ist, nicht auf dem Willen des Kindes. Denn unabhängig davon, ob das Kind die ihm zur Last gelegten Straftaten tatsächlich begangen oder zu verantworten hat, habe es nicht in dem Bewusstsein gehandelt, dass diese Taten eine Unterbrechung oder einen Abbruch seiner Ausbildung zur Folge haben können (BFH, Urteil vom 20. Juli 2006 III R 69/04 a.a.O).

Dem vermag der Senat für den vorliegenden Fall nicht zu folgen. Wird, wie im vorliegenden Fall, das Kind für die vorsätzliche Begehung einer schwerwiegenden Straftat verurteilt, ist nicht erst die Anordnung der Untersuchungshaft oder die Vollziehung der Strafhaft ursächlich für die Unterbrechung der Ausbildung. Vielmehr setzt das Kind selbst durch die Begehung der ihm zur Last gelegten Tat die Ursachen für die Unmöglichkeit der Fortsetzung der Ausbildung und nimmt diese damit jedenfalls billigend in Kauf. Ein solches Verhalten entspricht gerade nicht der Unterbrechung der Ausbildung aufgrund einer Erkrankung. Es erscheint auch wenig überzeugend, straffällige Jugendliche oder Erwachsene mit solchen, die krankheitsbedingt oder für den Zeitraum des Mutterschutzes ihre Ausbildung nicht fortsetzen können, für die Beurteilung ihrer Ausbildungswilligkeit gleichzustellen. Das gilt um so mehr, als auch Mütter nach Ablauf des Mutterschutzes nur dann weiter als in Ausbildung befindlich anzusehen sind, wenn sie die Ausbildung tatsächlich wieder aufnehmen bzw. für die Annahme der Ausbildungswilligkeit sich tatsächlich um einen Ausbildungsplatz zum nächstmöglichen Zeitpunkt bemühen.

Der vom Bundesfinanzhof mit Urteil vom 20. Juli 2006 (III R 69/04 a.a.O) entschiedene Fall unterscheidet sich insoweit wesentlich von dem hier vorliegenden, da dort das Kind freigesprochen wurde und für die Dauer des Strafverfahrens nicht ausreisen durfte. Die gleichwohl getroffene generelle Aussage, es käme nicht darauf an, ob das Kind die ihm zur Lasten gelegten Taten begangen und zu verantworten habe, trägt nach Auffassung des Gerichts so allgemein, insbesondere bei vorsätzlichen Straftaten, nicht.

Mit den gleichen Erwägungen hat das Finanzgericht Sachsen-Anhalt mit Urteil vom 12. Februar 2008 (4 K 435/06, EFG 2008, 1393) entschieden, dass kein Anspruch auf Kindergeld besteht, wenn die Ausbildung eines Kindes durch dessen Inhaftierung für die Dauer von 17 Monaten aufgrund einer Straftat unterbrochen wird, die während der Bewährungszeit für die vorangegangene Straftat begangen wurde. Etwas anders gelte, wenn das Kind in der Haft an einer berufsvorbereitenden Maßnahme teilnimmt. Auch das Finanzgericht Nürnberg hat mit Urteil vom 20. Januar 2006 (V 114/2005 – nicht veröffentlicht –) ein Kind in Haft nicht als ausbildungswilliges Kind angesehen. Dass das Kind während seiner Inhaftierung keine Ausbildung aufnehmen konnte, liege nicht an einem Mangel eines Ausbildungsplatzes, sondern in erster Linie an der abzuleistenden Haftstrafe.

Der Prozessbevollmächtigte und Vater des Kindes hat sich in der mündlichen Verhandlung nicht mit Erfolg darauf berufen können, dass sein Sohn spontan und unüberlegt als Drogenkurier missbraucht worden sei. Denn die Tatsachenfeststellungen des rechtskräftigen Strafurteils lassen diesen Schluss nicht zu. Der Sohn wurde offensichtlich aufgrund bereits bestehender Kontakte zum Drogenmilieu angesprochen, ging sodann planvoll vor und musste angesichts der Menge und des Wertes der Drogen auch das Bewusstsein haben, im Fall der Entdeckung der Straftat für längere Zeit inhaftiert zu sein.

Die Beklagte war hiernach berechtigt, die Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG wegen des Wegfalls der Anspruchsvoraussetzungen mit dem der Inhaftierung folgenden Monat aufzuheben und das insoweit – bis zum Monat vor der Wiederaufnahme des Studiums – rechtsgrundlos gezahlte Kindergeld zurückzufordern (§ 37 Abs.2 der Abgabenordnung).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

VorschriftenEStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c, EStG § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr