Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

13.10.2010 · IWW-Abrufnummer 103295

Oberlandesgericht Hamburg: Beschluss vom 04.06.2010 – 12 UF 224/09

Im Abstammungsverfahren der Mutter gegen den Ehemann ist dem beteiligtem Kind ein Ergänzungspfleger zu bestellen.


Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg
3. Senat für Familiensachen

Beschluss vom 04.06.2010

12 UF 224/09

Tenor

Die Beschwerde vom 16.11.2009 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg, Familiengericht, vom 11.11.2009 (Geschäftsnummer 631 F 349/09) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Wirkungskreis der eingerichteten Ergänzungspflegschaft lautet „Vertretung des Kindes im Abstammungsverfahren“.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Geschäftswert beträgt 3000 €.

Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.

Gründe

1. Die Beteiligte zu 1) und der Beteiligte zu 2) sind verheiratet, leben jedoch bereits seit Oktober 2008 voneinander getrennt. Die Beteiligte zu 1) nahm ein Verhältnis zu dem Beteiligten zu 3) auf. Am 19.7.2009 wurde die Beteiligte zu 4) geboren.

Mit ihrem im Oktober 2009 beim Familiengericht eingegangenen, als Klage gegen die Beteiligten zu 2) und 3) bezeichneten Antrag erstrebt die Beteiligte zu 1) – der aufgrund einer familiengerichtlichen Entscheidung vom 31.7.2009 die elterliche Sorge für die Beteiligte zu 4) allein zusteht - die Feststellung, dass nicht der Beteiligte zu 2), sondern der Beteiligte zu 3) der Vater der Beteiligten zu 4) ist; diesem Antrag schließt sich der Beteiligte zu 2) an. Das Familiengericht hat durch Beschluss vom 11.11.2009 für die Beteiligte zu 4) eine Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis „Vertretung des Kindes in Statusangelegenheiten, Ehelichkeitsanfechtung“ eingerichtet und das Jugendamt zum Pfleger bestimmt. Hiergegen hat das Jugendamt mit Schriftsatz vom 16.11.2009, eingegangen am 18.11.2009, Beschwerde eingelegt.

Das Jugendamt ist der Auffassung, einer Ergänzungspflegschaft bedürfe es nach neuem Recht grundsätzlich nicht mehr. Ein etwaiger Interessenkonflikt zwischen dem Kind und seiner Mutter als gesetzlicher Vertreterin sei im Einzelfall zu prüfen und gegebenenfalls durch Bestellung eines Verfahrensbeistands für das Kind zu lösen. Hier sei ein solcher Interessenkonflikt nicht ersichtlich, die allein sorgeberechtigte Beteiligte zu 1) könne die Beteiligte zu 4) allein vertreten. Ferner wird beanstandet, der Wirkungskreis der eingerichteten Pflegschaft sei unzutreffend bezeichnet.

Die Beteiligte zu 1) hält die Einrichtung der Ergänzungspflegschaft für gerechtfertigt.

2. Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

2.1. Das Rechtsmittel ist zulässig.

Ebenso wie das Abstammungsverfahren richtet sich auch das Verfahren betreffend die Einrichtung der Ergänzungspflegschaft nach den am 1.9.2009 in Kraft getretenen Bestimmungen des FamFG, weil es nach diesem Stichtag eingeleitet worden ist (Art. 111 Abs. 1 FGG-RG).

Bei der Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft handelt es sich um eine Kindschaftssache i. S. v. § 159 Nr. 5 FamFG, die insoweit eine Endentscheidung darstellt und der Beschwerde gem. §§ 58ff FamFG unterliegt. Das Rechtsmittel ist also statthaft und wurde auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet (§§ 63, 64 FamFG). Die erforderliche Beschwerdeberechtigung (§ 59 FamFG) ist ebenfalls gegeben. Wie mit Schriftsatz vom 22.2.2010 zweifelsfrei klargestellt wurde, handelt das Jugendamt in seiner Funktion als eingesetzte Vertretung der Beteiligten zu 4). Die vom Jugendamt vertretene Beteiligte zu 4) wird durch den Eingriff in das elterliche Sorgerecht in eigenen Rechten betroffen und ist gem. §§ 7 Abs. 2 Nr. 1, 59 FamFG beschwerdeberechtigt (vergl. zur Beteiligtenstellung des Kindes im Verfahren betreffend die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft ausführlich OLG Oldenburg FamRZ 2010, 660ff m.w.N.).

2.2. Im Ergebnis bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Familiengericht für die Beteiligte zu 4) eine Ergänzungspflegschaft eingerichtet und das Jugendamt zum Pfleger bestellt. Das Familiengericht hat seine Entscheidung auf §§ 1629 Abs. 2, Satz 1, 1795 Abs. 1 Nr. 3, 1909 BGB gestützt; dem folgt der Senat.

Zwar wird in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beurteilt, in welchen Fällen dem minderjährigen Kind nach Inkrafttreten des FamFG ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist. Nach Auffassung des Senats sind hier jedenfalls die Voraussetzungen für die angeordnete Ergänzungspflegschaft gegeben.

§ 1909 Abs. 1 BGB bestimmt, dass einem minderjährigen Kind ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist für Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern gehindert sind. Die Beteiligte zu 4) kann sich im Abstammungsverfahren weder selbst vertreten noch durch einen Verfahrensbeistand oder durch die hier allein sorgeberechtigte Mutter vertreten werden.

a) Nach dem Inkrafttreten des FamFG sind in Abstammungssachen – um eine solche handelt es sich bei dem Verfahren zur Klärung der Vaterschaft (§ 169 Nr.1 und 4 FamFG) - sowohl die Eltern als auch das Kind stets formell Beteiligte (§ 172 FamFG). Die Stellung des Kindes ist dadurch im Vergleich zum früheren Recht - welches lediglich eine Beiladung vorgesehen hatte, wenn das Kind nicht selbst Partei war - maßgeblich gestärkt worden vor dem Hintergrund, dass im Abstammungsverfahren die Rechte des Kindes in besonderer Weise auf dem Prüfstand stehen. Das unter 14 Jahre alte Kind ist selbst nicht verfahrensfähig (§ 9 FamFG). Die am 19.7.2009 geborene Beteiligte zu 4) bedarf deshalb der gesetzlichen Vertretung, um die ihr eingeräumte Verfahrensposition auch wahrnehmen zu können.

b) Gem. § 9 Abs. 2 FamFG handeln für das nicht verfahrensfähige minderjährige Kind die dazu nach bürgerlichem Recht befugten Personen, also in der Regel die Eltern bzw. der sorgeberechtigte Elternteil (§ 1629 BGB).

An der notwendigen gesetzlichen Vertretung vermag es nichts zu ändern, dass einem minderjährigen Beteiligten in Abstammungssachen gem. § 174 FamFG ein Verfahrensbeistand zu bestellen ist, sofern dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist (ebenso OLG Oldenburg FamRZ 2010,660ff m.w.N.; anderer Ansicht für Verfahren wegen Entziehung der elterlichen Sorge gem. § 1666 BGB OLG Stuttgart JAmt 2009, 570). Der Verfahrensbeistand ist nämlich ausdrücklich nicht zur gesetzlichen Vertretung des Kindes berechtigt (§ 174 Satz 2 i.V.m. § 158 Abs. 4 FamFG) und damit auch nicht i.S.v. § 9 Abs. 2 FamFG nach bürgerlichem Recht zur Vertretung befugt.

c) Die Mutter und der Vater können gem. § 1629 Abs.2 Satz 1 BGB das Kind insoweit nicht vertreten, als nach § 1795 BGB ein Vormund von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen ist. Aus § 1795 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Nr. 1 BGB ergibt sich ein Vertretungsverbot im Falle eines Rechtsstreits zwischen dem Mündel und dem Ehegatten des Vormunds, wobei das Vertretungsverbot nach allgemeiner Auffassung erst recht gilt im Fall eines Rechtsstreits zwischen dem Mündel und dem Vormund selbst. Dieses auch im Verhältnis von Eltern und Kind maßgebliche Vertretungsverbot beruht auf der Annahme des Gesetzgebers, dass in den genannten Fällen ein Interessenkonflikt zu vermuten ist, welcher eine anderweitige, eigenständige Vertretung der Kindesinteressen gebietet. § 1795 BGB muss nach der Überzeugung des Senats auch dann entsprechend angewendet werden, wenn es um die Vertretung des Kindes im Abstammungsverfahren nach dem FamFG geht. Auch hier liegt ein „Rechtsstreit“ vor, in welchem sich die sorgeberechtigte Mutter, ihr Ehemann und das Kind mit jeweils eigenen Interessen gegenüberstehen (für die Anwendung von § 1795 BGB auch Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Auflage 2010, § 1795 Rz. 6).

Als Rechtsstreitigkeiten i. S. v. § 1795 Nr. 1 BGB wurden bislang Zivilprozesse und echte Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit verstanden, also Verfahren, in denen das Gericht abschließend über subjektive Rechte von Verfahrensbeteiligten mit entgegengesetzten Interessen, vergleichbar einem Zivilprozess, zu entscheiden hat.

Die Tatsache, dass Verfahren in Familiensachen nach dem FamFG nicht als Rechtsstreit zu bezeichnen sind (§ 113 FamFG) und dass das Abstammungsverfahren nicht mehr als kontradiktorischer Prozess nach den Regeln der ZPO ausgestaltet ist, steht der Anwendung von § 1795 Nr. 1 und 3 BGB nicht entgegen (a.A. DIJuF-Rechtsgutachten vom 11.11.2009, JAmt 2009, 595f). Auch wenn es im Abstammungsverfahren keinen Kläger und keinen Beklagten gibt, wird gleichwohl das Verfahren nur auf Antrag eingeleitet (§ 171 FamFG), es gilt der Strengbeweis (§ 177 FamFG), und die Entscheidung wirkt für und gegen alle (§ 184 Abs. 2 FamFG). Die Feststellung der Abstammung ist sowohl für die Rechtsstellung der Elternteile als auch für diejenige des Kindes von elementarer Bedeutung, wobei die Interessenlage der einzelnen Beteiligten durchaus unterschiedlich sein kann. Es handelt sich um eine rechtliche Streitigkeit mit eingeschränkter Amtsermittlung, in welcher das verfahrensmäßige Verhalten der Beteiligten eine nicht unerhebliche Rolle spielt (§ 177 Abs. 1 FamFG). Da an dieser rechtlichen Auseinandersetzung sowohl die Elternteile als auch das Kind mit jeweils eigenständiger Position formell beteiligt sind, liegt (anders als bei der Vaterschaftsanfechtung durch die Behörde nach dem früherem Recht, vergl. dazu die Entscheidung des Senats vom 28.10.2009 - 12 UF 110/09) der Sache nach diejenige Konstellation vor, welche der Gesetzgeber in § 1795 Nr.1 und 3 BGB in der Weise geregelt hat, dass die Eltern mit Rücksicht auf mögliche Interessenkonflikte von vornherein, d. h. unabhängig von einer Einzelfallprüfung, kraft Gesetzes von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen sind. Diese Regelung hat auch ihren guten Sinn, weil Interessenkonflikte in einer solchen Konstellation sehr nahe liegen und durch den Ausschluss des elterlichen Vertretungsrechts Verzögerungen weitestgehend vermieden werden. Solche Verzögerungen treten unweigerlich ein, wenn vor der Durchführung des Abstammungsverfahrens in einem möglicherweise aufwändigen kindschaftsrechtlichen Verfahren die Vertretungsbefugnis der Eltern individuell geklärt und festgestellt werden muss, ob im konkreten Fall ein Interessenkonflikt i.S.v. §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB vorliegt oder nicht.

Soweit demgegenüber § 1795 BGB in diesem Zusammenhang für unanwendbar gehalten und die Anwendung von §§ 1629 Abs.2 Satz 3, 1796 BGB befürwortet wird (DIJuF-Rechtsgutachten a.a.O. m.w.N.), so wird auch dort davon ausgegangen, dass die sorgeberechtigten Eltern bzw. ein sorgeberechtigter Elternteil als Beteiligte in der Regel nicht zugleich im selben Verfahren als gesetzliche Vertreter des beteiligten minderjährigen Kindes auftreten können, ein erheblicher Interessenkonflikt i.S.v. § 1796 BGB sei hier regelmäßig gegeben.

Nachdem der Gesetzgeber des FamFG die Beteiligung des Kindes (und der Eltern) im Abstammungsverfahren zwingend vorgeschrieben, die gesetzliche Vertretung durch den Verfahrensbeistand aber ausdrücklich ausgeschlossen hat, führt somit auch nach dieser Auffassung im Ergebnis kein Weg daran vorbei, dass zumindest im Regelfall eine Ergänzungspflegschaft eingerichtet werden muss.

Wie ausgeführt, hält der Senat jedoch die Anwendung von §§ 1629 Abs. 2 S. 1,1795 BGB für überzeugender. Ob im vorliegenden Fall ein konkreter Interessenwiderstreit vorliegt, wird deshalb nicht geprüft.

Von einer persönlichen Anhörung der Beteiligten hat der Senat unter diesen Umständen abgesehen. Die rechtliche Problematik ist mit den Beteiligten schriftlich erörtert worden, es bestand hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Beschwerde ist zurückzuweisen, es muss lediglich die Bezeichnung des Wirkungskreises der angeordneten Ergänzungspflegschaft an den Sprachgebrauch des FamFG angepasst werden.

Die Kostenregelung beruht auf § 81 FamFG, die Festsetzung des Verfahrenswerts auf §§ 40,45 FamGKG.

Gem. § 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG wird gegen den vorliegenden Beschluss die Rechtsbeschwerde zugelassen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen für das Kind im Abstammungsverfahren ein Ergänzungspfleger bestellt werden muss, ist von grundsätzlicher Bedeutung.

RechtsgebietBGBVorschriften§ 17 Abs 1 Nr 3 BGB, § 1629 Abs 2 S 1 BGB, § 1909 Abs 1 BGB

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr