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05.10.2010 · IWW-Abrufnummer 103196

Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 04.05.2010 – 5 K 7219/06 B

1. Auch Nachforderungszinsen nach § 233a AO können nur dann infolge sachlicher Unbilligkeit erlassen werden, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht oder nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, können jedoch keine abweichende Festsetzung und keinen Billigkeitserlass rechtfertigen.



2. Auch wenn sich eine Außenprüfung bei einer Unternehmensgruppe u.a. wegen der längerfristigen Erkrankung eines beteiligten Prüfers über fünfeinhalb Jahre erstreckt hat, das Unternehmen jederzeit ausreichende liquide Mittel zur Steuernachzahlung infolge der Betriebsprüfung hatte und der tatsächliche Zinsvorteil aus der verzögerten Steuernachzahlung infolge der Außenprüfung tatsächlich unter dem vom Gesetzgeber typisierend für die Nachforderungszinsen angenommenen Zinssatz von jährlich 6 % gelegen haben sollte, begründet das keinen Anspruch auf Erlass der Nachzahlungszinsen infolge sachlicher Unbilligkeit.



3. Der Steuerpflichtige hätte die Zinszahlungspflicht dadurch vermeiden bzw. mindern können, dass er in Höhe der erwarteten Nachzahlung eine entsprechende freiwillige Zahlung an den Beklagten leistete. Dann hätte er die Billigkeitsmaßnahme nach AEAO zu § 233a, Nr. 70 1.1 in Anspruch nehmen können.


FG Berlin-Brandenburg v. 04.05.2010

5 K 7219/06 B

Tatbestand
Bei der Klägerin und weiteren zur Unternehmensgruppe X gehörenden Gesellschaften wurde aufgrund einer Prüfungsanordnung vom 1.11.1999 eine Betriebsprüfung für die Jahre 1994 bis 1998 durchgeführt, die am 8.12.1999 begann und am 14.6 2005 endete. An der Prüfung der Klägerin waren mehrere Betriebsprüfer aus M und Prüfer des Bundesamts für Finanzen beteiligt.

Die Prüfung begann im Dezember 1999 mit der Anforderung von Unterlagen durch einen Prüfer aus M. Auf Anfrage der Klägerin nach dem Stand der Betriebsprüfung stellte sich heraus, dass der zugleich tätig gewordene Prüfer vom Bundesamt für Finanzen seit August 2002 auf nicht absehbare Zeit erkrankt war und daher ab Februar 2003 ein anderer Prüfer eingesetzt werden sollte, um die Prüfung der Vorräte bei den Konzerngesellschaften durchzuführen.

Am 7.8.2003 erstellte das Bundesamt für Finanzen einen Teilbericht über die Bewertung des Vorratsvermögens der Klägerin. Unter Buchstabe C. wird dort ausgeführt, dass die Prüfungsfeststellungen im Rahmen einer Arbeitsbesprechung am 7.5.2003 anerkannt worden seien. Auf ihre Nachfrage hin wurde der Klägerin der Teilbericht mit Schreiben vom 4.8.2004 übersandt. Ein abschließender Betriebsprüfungsbericht erging am 21.6.2005, woraufhin am 14.10.2005 die Gewerbe- und Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1994 bis 1998 nebst Zinsen ergingen.

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte den Erlass der Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß § 227 Abgabenordnung – AO –. Zur Begründung ihres Erlassantrages stützte sie sich im Wesentlichen darauf, dass Verzögerungen bei der Durchführung der Betriebsprüfung und die dadurch verursachten erhöhten Nachzahlungszinsen nicht von ihr zu vertreten seien. Die Verzögerung sei hauptsächlich in der Einbeziehung des Bundesamts für Finanzen begründet gewesen. Da der Teilbericht hinsichtlich der Vorratsbewertung bereits im August 2003 vorgelegen habe, hätten vorläufige Steuerveranlagungen bereits vor dem Juni 2005 erfolgen können.

Nachdem der Beklagte auf den Einspruch hin die Gewerbesteuerbescheide und Zinsen dazu für 1997 und 1998 am 23.2.2006 geändert und die Zinsen zur Umsatzsteuer 1998 teilweise erlassen hatte, lehnte er am 29.3.2006 einen darüber hinausgehenden Erlass von Zinsen ab. Zur Begründung führte er aus, dass es im Rahmen der Betriebsprüfung zu keiner verzögerten Bearbeitung gekommen sei. Da es sich um eine Konzernprüfung gehandelt habe, sei generell eine längere Prüfungszeit zu veranschlagen gewesen. Verzögerungen bei der Bewertung der Vorräte seien nicht nur durch die Erkrankung des zunächst beteiligten Prüfers veranlasst gewesen, sondern auch durch die fortlaufende Unterbreitung von neuen Vorschlägen seitens der Klägerin. Die Klägerin sei über den Stand der Ermittlungen informiert gewesen, so dass Verzögerungen für sie nachvollziehbar gewesen seien. Die Möglichkeit, einen Antrag auf Teilauswertung zu stellen, sei von der Klägerin nicht wahrgenommen worden.

Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Es sei nicht entscheidend – so der Beklagte in der Einspruchsentscheidung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofsob der typisierend vom Gesetz unterstellte Zinsvorteil des Steuerpflichtigen auf einer verzögerten Einreichung der Steuererklärung oder einer verzögerten Bearbeitung durch das Finanzamt beruhe. Es komme daher für einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen auch nicht darauf an, ob sich durch die Erkrankung des Prüfers oder durch die fortlaufende Vorlage neuer Vorschläge seitens der Klägerin eine Verzögerung der Steuerfestsetzung ergeben habe. Ein möglicher Liquiditätsnachteil der Klägerin gegenüber anderen Steuerpflichtigen sei nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes hinzunehmen.

Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin ergänzend aus, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Abschaffung der Höchstlaufzeit für eine Verzinsung nach § 233a AO von vier Jahren im Jahre 1999 lediglich den Fall einer Verzögerung durch den Steuerpflichtigen ausreichend gesehen und berücksichtigt habe. Zwar habe der Gesetzgeber die Möglichkeit in Betracht gezogen, durch eine freiwillige Zahlung des Steuerpflichtigen die anstehende Zinszahlung zu vermindern. Dabei habe er jedoch unberücksichtigt gelassen, dass aufgrund einer verzögerten Bearbeitung noch gar keine Ergebnisse vorliegen könnten, was eine freiwillige Vorauszahlung unmöglich machen würde. Sie, die Klägerin habe alles ihr Mögliche unternommen, um vorab bereits einzelne Prüfungsfeststellungen zu erhalten und auf dieser Basis freiwillige Vorauszahlungen zu leisten. Dieses Begehren sei jedoch von den Finanzbehörden verhindert worden. Hätte der Gesetzgeber den Fall, dass nach Beginn der Außenprüfung keine Ergebnisse zeitnah vorliegen, gesehen, hätte er eine andere Billigkeitsregelung geschaffen. Zur Gewährleistung einer gleichmäßigen Besteuerung bleibe daher nur der Erlass der Zinsen.

Zwar sei es ihr, der Klägerin, nicht zuzumuten gewesen, ihre vorläufige Steuerbelastung aufgrund von Zwischenergebnissen über die Vorratsbewertung selbst zu berechnen, jedoch müssten ihr die Zinsen zumindest bis zur Kenntnisnahme dieser Ergebnisse im Mai 2003 erlassen werden. Erst dann wäre ihr die Inanspruchnahme der Billigkeitsregelung durch freiwillige Zahlung möglich gewesen. Sie, die Klägerin, habe im gesamten Zinsfestsetzungszeitraum über ausreichend liquide Mittel zur Begleichung der später festgesetzten Abschlusszahlungen von ca. 1,65 Millionen Euro verfügt.

Ferner ergebe sich nach ihrer Ansicht die sachliche Unbilligkeit aus dem Umstand, dass sie kein Liquiditätsvorteil erlangt habe. Ein solcher Vorteil könne nämlich nicht entstanden sein, wenn nur die zeitliche Zuordnung von Umsätzen korrigiert werde, was bei ihr geschehen sei, wie sich aus Textziffer 47 und 50 des Betriebsprüfungsberichts ergebe. Zwar habe der Beklagte diesem Umstand durch einen Teilerlass der Zinsen zur Umsatzsteuer Rechnung getragen, soweit diese auf der Verschiebung des Vorsteuerabzugs von Januar 1999 auf Dezember 1998 beruht hätten. Im Übrigen sei eine Prüfung, ob ein tatsächlicher Vorteil entstanden sei, unterblieben.

Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die Verzinsung von 6% keinem marktüblichen Zinssatz entspreche. Dies führe sowohl bei Erstattungs- als auch bei Nachzahlungszinsen zu einer erheblichen Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen. Sie, die Klägerin, hätte einen solchen Zinssatz am Markt nicht erzielen können.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 29.3.2006, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.5.2006, Zinsen zur Umsatzsteuer in Höhe von 234.829,25 EUR und Zinsen zur Gewerbesteuer in Höhe von 138.615,00 EUR zu erlassen,

hilfsweise: die Revision zuzulassen sowie

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

d ie Klage abzuweisen.

Er nimmt Bezug auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend Folgendes vor:

Es entspreche dem Willen des Gesetzgebers, bei der Entstehung von Zinsansprüchen nach § 233a AO ein Verschulden der Beteiligten grundsätzlich unberücksichtigt zu lassen. Die Klägerin habe bereits im Mai 2003 Feststellungen zur Vorratsbewertung akzeptiert und es hätte ihr damit freigestanden, hieraus die steuerlichen Folgerungen zu ziehen und eine freiwillige Zahlung zur Vermeidung von Zinszahlungen zu leisten. Ferner sei es auch grundsätzlich unbeachtlich, ob mögliche Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden seien.

Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte ein Band Akten mit Betriebsprüfungsberichten, ein Band Gewerbesteuerakten (1994 bis 1998), ein Band mit Akten zu Rechtsbehelfsverfahren (1994 bis 1998), ein Band Umsatzsteuerakten (1994 bis 1999) sowie die Jahresabschlüsse der Klägerin zum 31.12.2003 und 31.12.2004 vorgelegen.



Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet. Die Ablehnung des Erlasses von Zinsen zur Umsatzsteuer und Gewerbesteuer ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 101 S. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –).

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis können nach § 227 AO erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Nachforderungszinsen sind Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne des § 37 Abs. 1 AO, denn sie gehören nach § 3 Abs. 3 AO zu den steuerlichen Nebenleistungen. Sie können demnach nach § 227 AO aus Billigkeitsgründen erlassen werden.

Die Entscheidung über den Erlass ist eine Ermessensentscheidung der Behörde und unterliegt deshalb gemäß § 102 FGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Im Einzelfall kann der Ermessensspielraum aber so eingeengt sein, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Ist nur der Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ermessensgerecht, kann das Gericht gemäß § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung zum Erlass aussprechen.

Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabes hat der Beklagte bei seiner Entscheidung über den Erlassantrag das ihm eingeräumte Ermessen sachgerecht ausgeübt. Einen Anspruch auf die begehrte Billigkeitsmaßnahme hat die Klägerin nicht.

Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH –, der sich der Senat anschließt, dann anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht oder nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, können jedoch keine abweichende Festsetzung und keinen Billigkeitserlass rechtfertigen. Diese Grundsätze gelten auch für den Erlass festgesetzter Zinsen nach § 233a AO (BFH-Urteil vom 16.11.2005, X R 3/04, BStBl II BStBl 2004 II S. 2006, BStBl 2004 II S. 155).

Die von der Klägerin im Streitfall dargelegten Umstände führen nicht zu einem Widerspruch der Zinsfestsetzung mit den gesetzlichen Wertungen des § 233a AO. Weder kann die Klägerin aus der Länge der Betriebsprüfung einen solchen Wertungswiderspruch herleiten noch kann sie sich auf die Behauptung stützen, keinen konkreten Liquiditätsvorteil gehabt zu haben. Ebenso wenig kommt es für die Höhe der Zinsfestsetzung von 6% p.a. auf den jeweiligen erzielbaren Marktzins im Einzelfall an.

Eine sachliche Unbilligkeit der Zinsfestsetzungen ergibt sich nicht aus der Dauer der durchgeführten Außenprüfung.

Die Zinsen nach § 233a AO sind weder Sanktions – noch Druckmittel oder Strafe, sondern laufzeitabhängige Gegenleistungen für eine mögliche Kapitalnutzung. Vor diesem gesetzlichen Hintergrund kann es nicht entscheidend sein, ob der – typisierend vom Gesetz unterstellte-Zinsvorteil des Steuerpflichtigen auf einer verzögerten Einreichung der Steuererklärung durch den Steuerpflichtigen oder einer verzögerten Bearbeitung durch das Finanzamt beruht (BFH-Beschluss vom 02.02.2001, XI B 91/00, BFH/NV 2001, 1003, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Der BFH hat es selbst bei überlanger Verfahrensdauer abgelehnt, einen Erlass für geboten anzusehen, da für den Steuerpflichtigen ein Zinsvorteil entstanden sei. So ist es nach der Rechtsprechung des BFH auch nicht sachlich unbillig, Zinsen gemäß § 233a AO zu erheben, wenn die verspätete Festsetzung der Steuer auf einer durch das Finanzamt verzögerten Veranlagung beruht (BFH vom 19.3.1997 I R 7/96, BStBl II 1997, 446). Prinzipiell ist ein Verschulden irrelevant, und zwar auf beiden Seiten des Steuerschuldverhältnisses. Der Grundsatz von Treu und Glauben steht einer Festsetzung von Nachforderungszinsen grundsätzlich auch dann nicht entgegen, wenn dem Finanzamt bei der Bearbeitung einer Steuererklärung Fehler unterlaufen sind (BFH-Beschluss vom 3.5.2000, II B 124/99, BFH/NV 2000, 1441). Ferner ist die Festsetzung von Nachforderungszinsen gemäß § 233a AO grundsätzlich auch dann zulässig, wenn der Veranlagungsbeamte die Bearbeitung der Steuererklärung schuldhaft verzögert hat (BFH-Urteil vom 8.9.1993, I R 30/93, BStBl II 1994, 81).

Nach diesen Rechtsgrundsätzen kann die Länge der Außenprüfung bei der Entscheidung über den Erlass der Zinsen nicht weiter ins Gewicht fallen. Es kann aufgrund der Unerheblichkeit eines Verschuldens auch dahingestellt bleiben, ob der Beklagte tatsächlich – wie die Klägerin behauptet – die Betriebsprüfung schuldhaft verzögert hat und ob ihr – wie der Beklagte meintzumindest ein Mitverschulden daran zuzurechnen ist. Anhaltspunkte für ein bewusstes Verschleppen der Betriebsprüfung bestehen jedenfalls nicht. In diesem Zusammenhang ist es für den Senat auch nachvollziehbar, dass die steuerliche Prüfung einer ganzen Unternehmensgruppe länger dauert als die eines Einzelunternehmens. Demgemäß führt auch eine sich über fünfeinhalb Jahre erstreckende Außenprüfung nicht zwangsläufig zu einem Erlass der Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen. Diese rechtliche Würdigung des Streitfalls entspricht auch gerade dem Zweck des § 233a AO, da die Klägerin ihrem eigenen Vortrag nach während der gesamten Außenprüfung über die für die Zahlung der später festgesetzten Steuerforderungen erforderlichen Gelder verfügt hat und damit wirtschaften konnte. Als Gegenleistung für die Kapitalnutzungsmöglichkeit erfolgte die Zinsfestsetzung.

Ohne Erfolg versucht die Klägerin aus den Motiven des Gesetzgebers eine sachliche Unbilligkeit herzuleiten. Es ist nicht richtig, dass der Gesetzgeber bei der Änderung von § 233a AO eine Verzögerung durch die Finanzbehörden nicht gesehen hat, wie die Klägerin behauptet. Denn zur Vermeidung erhöhter Steuernachforderungen hat der Gesetzgeber die Möglichkeit einer freiwilligen Zahlung an das Finanzamt vor Steuerfestsetzung als Vermeidungsmaßnahme in Betracht gezogen, wie die Klägerin selbst vorgetragen hat und aufgrund derer der Finanzverwalter auch die in AEAO zu § 233a, Nr. 70 1.1 geregelte Billigkeitsmaßnahme geschaffen hat. Diese Maßnahme kann jedoch nur bei einer langen Bearbeitungsdauer durch die Finanzbehörden sinnvoll sein. Welche konkreten Gründe der Gesetzgeber für eine Verzögerung dabei für möglich gehalten hat, ist nach Ansicht des Senats nicht entscheidungserheblich. Der Vortrag der Klägerin, der Gesetzgeber habe gerade den Fall einer schleppenden Betriebsprüfung, bei der der Steuerpflichtige nicht ausreichend informiert werde, nicht gesehen und wenn er diese gesehen hätte, zugunsten des Steuerpflichtigen eine Billigkeitsregelung geschaffen, stellt eine bloße Behauptung in Blaue hinein dar. Hierauf kann ein Erlass im Streitfall nicht gestützt werden. Einen Anhaltspunkt für die Richtigkeit ihrer Ansicht unter Berücksichtigung des vom BFH festgestellten und oben dargelegten Zwecks des § 233a AO hat die Klägerin nicht geben können. Sie setzt sich zudem in Widerspruch zu der Rechtsprechung des BFH, wonach es auf ein Verschulden bei der Zinsfestsetzung nicht ankommt. Denn gerade aus dem Zweck der Vorschrift, durch die Zinsfestsetzung eine Gegenleistung für die ermöglichte Kapitalnutzung erbringen zu müssen, hat der BFH die Unerheblichkeit eines Verschuldens der am Steuerschuldverhältnis Beteiligten hergeleitet.

Soweit sich die Klägerin darauf beruft, keinen konkreten Liquiditätsvorteil erlangt zu haben, fehlt diesbezüglich jeglicher substantiierte Vortrag. Zwar soll die Festsetzung von Zinsen nicht zulässig sein, wenn ein Steuerpflichtiger durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil erlangt hatte (BFH-Urteil vom 11.7.1996, V R 18/95, BStBl II BStBl 1995 II S. 1997, BStBl 1995 II S. 259). Hinsichtlich der Verschiebung der Vorsteuerbeträge von Dezember 1998 in den Januar 1999, bei der dieser Vorteil ausgeblieben ist, erfolgte bereits der Teilerlass von Zinsen zur Umsatzsteuer. Inwieweit die Klägerin darüber hinaus aufgrund ähnlicher Prüfungsfeststellungen keinen Vorteil erlangt haben will, ist ihrem Vortrag nicht zu entnehmen. Hierfür genügt auch nicht die Behauptung der Klägerin, der Beklagte habe nicht geprüft, ob tatsächlich bei ihr ein Vorteil entstanden sei.

Auf den Umstand, dass die Klägerin tatsächlich nur einen geringeren Zinsvorteil als 6% p.a. erzielen konnte, kann es ebenfalls nicht ankommen, weil die Entstehung des Zinsanspruchs nach § 233a AO unabhängig von der konkreten Einzelfallsituation geregelt ist und allein vom Eintritt bestimmter Ereignisse (Fristablauf im Sinne des § 233a Abs. 2 AO, Unterschiedsbetrag im Sinne des § 233a Abs. 3 AO) abhängt. Maßgebend ist allein die typisierende Annahme des § 233a AO, dass der Kläger durch die verspätete Abgabe einen Liquiditätsvorteil hat. Ob er diesen tatsächlich genutzt hat, ist nicht entscheidend (BFH-Urteil vom 22.12.2000, IV B 5/00, BFH/NV 2001, 746). Der Gesetzgeber hat im Interesse der Praktikabilität und der Verwaltungsvereinfachung den auszugleichenden Zinsvorteil und -nachteil typisierend auf 0,5 v.H. pro Monat festgesetzt. Daraus folgt, dass es auf den im Einzelfall vom Steuerpflichtigen konkret erzielten bzw. vom Steuergläubiger erlittenen Zinsvorteil oder -nachteil nicht ankommen soll (vgl. BFH-Urteil vom 20.9.1995, X R 86/94, BStBl II 1996, 53). Der konkrete Zinsvorteil oder -nachteil soll für den Einzelfall nicht ermittelt werden müssen. In vielen Fällen ist eine solche Ermittlung gar nicht möglich, weil es von subjektiven Entscheidungen des Steuerpflichtigen abhängt, in welcher Weise er Steuernachzahlungen finanziert bzw. das noch nicht zu Steuerzahlungen benötigte Kapital verwendet. Ebenso wenig soll es darauf ankommen, welcher Zinsnachteil im konkreten Einzelfall dem Steuergläubiger entsteht und inwieweit Zinsvorteil und -nachteil voneinander abweichen. Daraus folgt gleichzeitig, dass es kein Grund für einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen sein kann, wenn im konkreten Einzelfall entweder der Steuerpflichtige einen Zinsvorteil erzielt oder aber der Steuergläubiger einen Zinsnachteil erleidet, der deutlich unterhalb des angesetzten Betrages von 0,5 v.H. pro Monat liegt (BFH-Urteil vom 19.3.1997, I R 7/96, BStBl II 1997, 446).

Die Klägerin hätte im Übrigen ihre Zinszahlungspflicht dadurch vermeiden bzw. mindern können, dass sie in Höhe der erwarteten Nachzahlung eine entsprechende freiwillige Zahlung an den Beklagten leistete. Dann hätte sie die Billigkeitsmaßnahme nach AEAO zu § 233a, Nr. 70 1.1 in Anspruch nehmen können. Ausreichende Barmittel standen der Klägerin nach ihren eigenen Angaben dafür zur Verfügung. Spätestens im August 2004 hat die Klägerin von der Bewertung ihres Vorratsvermögens durch das Bundesamt für Finanzen Kenntnis erlangt, was ihr die Berechnung einer vorläufigen Steuernachzahlung und der darauf entfallenden Zinsen ermöglicht hätte. Soweit die Klägerin trotz dieser Möglichkeit freiwillige Leistungen nicht erbracht hat, kann sie sich gegenüber der Festsetzung von Zinsen nicht auf den von ihr nur in geringem Umfang gezogenen Zinsvorteil berufen. Ebenso hat die Klägerin die Möglichkeit nicht in Anspruch genommen, eine Teilauswertung der Betriebsprüfungsergebnisse zu beantragen und damit die Entstehung von Zinsforderungen zu verhindern.

Die Revision war nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch ist aufgrund der gefestigten Rechtsprechung des BFH zu den streitentscheidenden Fragen eine erneute Entscheidung erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

RechtsgebieteAO, FGOVorschriftenAO § 227 AO § 5 AO § 233a AO § 163 FGO § 102

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