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20.05.2010 · IWW-Abrufnummer 101603

Bundesfinanzhof: Urteil vom 11.08.1999 – XI R 12/98

Jedenfalls bei einem Anteil von 1,25 v.H. der originär gewerblichen Tätigkeit greift die umqualifizierende Wirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht ein.


BFH Urteil vom 11.08.1999

XI R 12/98

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GbR, hat zwei Gesellschafter und betreibt eine Gemeinschaftspraxis für Krankengymnastik. Sie ermittelt ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Bei einer Außenprüfung wurde festgestellt, daß die Klägerin im Streitjahr 1992 neben Einnahmen aus freiberuflicher krankengymnastischer Tätigkeit von 510 470 DM weitere Einnahmen aus dem Verkauf von Nackenkissen und behandlungsunterstützenden Cremes (Bio-Sun-Produkte) in Höhe von 6 481 DM erzielt hatte. Beide Tätigkeitsbereiche waren rechtlich und organisatorisch nicht voneinander getrennt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) qualifizierte sämtliche Einkünfte gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG als gewerblich und erließ einen entsprechenden Feststellungs- und Gewerbesteuermeßbescheid.

Die Klage hatte keinen Erfolg; die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1123 veröffentlicht. Die Tätigkeit der Klägerin gelte in vollem Umfang als gewerblich; das sei auch dann der Fall, wenn die Einkünfte aus gewerblicher Betätigung nur geringfügig seien.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.

1. Die nur Gewerbetreibende betreffende Gewerbeertragsteuer bewirke eine ungleiche Behandlung von Unternehmenserträgen und verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).

2. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG bewirke eine derartige Ungleichbehandlung von Einzelunternehmen und Personengesellschaften, daß diese Regelung allein mit dem Verweis auf die Rechtsform nicht gerechtfertigt werden könne.

3. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG dürfe seinem Zweck nach nicht auf eine geringfügige gewerbliche Betätigung angewendet werden. Sei eine solche teleologische Reduktion nicht möglich, sei die Norm als gänzlich verfassungswidrig einzustufen.

4. Würde man die anteiligen Kosten bei den verkauften Produkten berücksichtigen, so würde sich zeigen, daß hinsichtlich dieser Produkte keine Gewinnerzielungsabsicht vorliege. Der Verkauf von Waren erfolge lediglich im Patienteninteresse.

Die Klägerin beantragt,

die Vorentscheidung und den angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheid ersatzlos aufzuheben und den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung dahingehend zu ändern, daß die Praxiseinkünfte solche aus selbständiger Arbeit sind.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

1. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG sei verfassungskonform.

2. Jede im Rahmen einer Personengesellschaft ausgeübte gewerbliche Tätigkeit --und sei sie noch so geringfügig-- führe zur steuerlichen Umqualifizierung der Einkünfte, die durch andere nicht gewerbliche Tätigkeiten erzielt würden. Auf den Umfang der gewerblichen Tätigkeit komme es nicht an.

3. Eine gewerbliche Tätigkeit sei typischerweise nicht dazu bestimmt, der Befriedigung persönlicher Neigungen zu dienen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, zur Aufhebung des Gewerbesteuermeßbescheides und zur Änderung des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheides.

1. Soweit die Klägerin die Verfassungswidrigkeit der Gewerbeertragsteuer rügt, kann ihr nicht gefolgt werden. Zur Begründung wird auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 17. November 1998 1 BvL 10/98, S. 7 ff. Bezug genommen. Danach verfügt der Gesetzgeber bei der Auswahl einer Steuerquelle über einen weitgehenden Gestaltungsraum; auch sei geklärt, daß die Gewerbesteuer als solche mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei.

2. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG kommt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (vgl. Urteil vom 10. August 1994 I R 133/93, BFHE 175, 357, BStBl II 1995, 171, m.w.N.) auch insoweit zur Anwendung, als der eigentlich gewerblichen Tätigkeit nur eine geringfügige Bedeutung zukommt. In dem Fall des I. Senats hatte der Anteil der gewerblichen Treuhandtätigkeit über die Jahre zwischen 6 v.H. und 30 v.H. geschwankt.

3. Der Senat schließt sich dieser Auffassung grundsätzlich an. Er ist allerdings der Auffassung, daß nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei einem äußerst geringen Anteil der originär gewerblichen Tätigkeit die umqualifizierende Wirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht eingreift. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der sich unmittelbar aus dem Wesen der Grundrechte ergibt und der für alle grundrechtseinschränkenden Gesetze, also auch für die Steuergesetze, gilt (vgl. von Münch, Grundgesetz-Kommentar, 4. Aufl., 1992, Vorb. Art. 1 - 19 Rz. 55), enthält auch das Gebot der Proportionalität (Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 20 Rz. 154, m.w.N.). Danach müssen Mittel und Zweck in einem angemessenen Verhältnis stehen. Dieses Verhältnis ist nicht gewahrt, wenn eine Tätigkeit von ganz untergeordneter Bedeutung, die kaum in Erscheinung tritt, eine umqualifizierende Wirkung entfalten würde; in diesem Fall würde die "schädliche" Tätigkeit eine unverhältnismäßige Rechtsfolge auslösen und damit eine Bedeutung erlangen, die ihr von ihrem Gewicht her nicht zukommt.

Auch in anderen Fällen wird ein Anteil von ganz untergeordneter Bedeutung für die steuerrechtliche Beurteilung außer Betracht gelassen (z.B. bei der Anwendung des § 12 Nr. 1 EStG, vgl. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., 1999, § 12 Rz. 12 oder bei der Zuordnung eines Wirtschaftsguts zum Betriebsvermögen).

Ebenso lassen die Regelungen zu den gewerbesteuerrechtlichen Freibeträgen (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes --GewStG--) die Wertung des Gesetzgebers erkennen, daß Klein- und Kleinstbetriebe nicht mit Gewerbesteuer belastet werden sollen. Ist aber insoweit eine Freistellung von der Gewerbesteuer beabsichtigt, so entspricht es dieser Wertung, jedenfalls einer originär gewerblichen Tätigkeit von äußerst geringem Ausmaß keine prägende Wirkung zukommen zu lassen.

4. Im Streitfall betrug der Anteil der Warenverkäufe lediglich 1,25 v.H. der Gesamtumsätze. Die Einnahmen aus dem Verkauf beliefen sich auf 6 481 DM und lagen damit deutlich unter der Freibetrags-Grenze des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Verkaufstätigkeit von Gewinnerzielungsabsicht getragen war. Ihr Anteil am Gesamtumsatz ist so gering, daß er nach den unter 3. dargelegten Grundsätzen als unerheblich vernachlässigt werden kann.

RechtsgebieteEStG, GewStGVorschriftenEStG § 15 Abs. 3 Nr. 1; GewStG § 2 Abs. 1

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