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06.04.2010 · IWW-Abrufnummer 100849

Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 18.11.2009 – 2 K 309/07

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


NIEDERSÄCHSISCHES FINANZGERICHT
URTEIL
vom 18.11.2009
Az.: 2 K 309/07

Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Nachzahlungen einer Erwerbsunfähigkeitsrente im Jahre 2005 (Streitjahr) für den Zeitraum vom 1. September 2003 bis zum 31. Dezember 2004 nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage mit 4% oder nach den Regelungen des Alterseinkünftegesetzes mit 50% bei der Besteuerung anzusetzen ist.
Die am ... 1951 geborene Klägerin erhielt für den Zeitraum vom 1. September 2003 bis zum 31. März 2005 im Jahre 2005 auf Grundlage des Rentenbescheides vom 18. Februar 2005 eine Nachzahlung in Höhe von 11.793,61 € als Rente wegen Erwerbsminderung. Die Rente war befristet auf den 31.12.2006. Die Klägerin hatte bereits am 5. Februar 2003 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beantragt. Dieser Antrag wurde zunächst abgelehnt. Gegen die Ablehnung vom April 2004 legte die Klägerin Widerspruch ein, über den durch den Abhilfebescheid vom 18. Februar 2005, in dem die Kosten des Widerspruchsverfahrens als in vollem Umfang erstattungsfähig anerkannt wurden, positiv entschieden wurde.
Die bis zum 31. Dezember 2004 entstandenen Nachzahlungen betrugen 10.691,84 € (16 x 668,42 €). Krankengeld oder andere Lohnersatzleistungen bezog die Klägerin im Jahr 2003 und 2004 nicht.
Das Finanzamt unterwarf die Nachzahlung in vollem Umfang der Besteuerung nach dem Alterseinkünftegesetz und setzte die Rente mit einem Ertragsanteil von 50% an. Außerdem wendete das Finanzamt die sogenannte „Fünftelungsregelung“ (§ 34 Abs. 1 EStG) an.
Gegen den Ansatz mit einem Besteuerungsanteil von 50% richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Nachzahlung sei nach dem bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Recht zu beurteilen, und zwar mit einem Ertragsanteil in Höhe von 4%. Zwar sei die Nachzahlung erst im Streitjahr zugeflossen, in dem das neue System der Altersbesteuerung schon anzuwenden sei. Wirtschaftlich sei die Nachzahlung indes in Höhe von 10.691,00 € schon vorher entstanden und wäre – bei „normalem“ Verlauf des Antragsverfahrens, welches im Hinblick auf eine Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente durchgeführt worden sei – auch schon bis zum 31. Dezember 2004 ausgezahlt worden. Lediglich aufgrund der Ablehnung und des hierdurch bedingten Widerspruchsverfahrens sei die Klägerin dazu „gezwungen“ gewesen, ein Widerspruchsverfahren durchzuführen, wodurch sich die Auszahlung bis ins Streitjahr hinein verzögert habe. Daher sei die Nachzahlung auch nach dem Recht zu besteuern, welches bei nicht verzögerter Auszahlung gegolten hätte. Anderenfalls hinge es, so die Kläger, vom Zufall ab, nach welcher Rechtslage die jeweilige Besteuerung von Nachzahlungen vorzunehmen sei. Dies werde auch aus der BFH-Rechtsprechung für das vor 2005 geltende Recht bestätigt, wonach für die Besteuerung von Renten und die Ermittlung des Ertragsanteils nicht der Zeitpunkt maßgeblich sei, zu dem die Auszahlung vorgenommen werde, sondern die Entstehung des Rentenanspruches. Die Klägerin beruft sich insoweit ergänzend auf das BFH-Urteil vom 30. September 1980 (VIII R 13/79) und die Verfügung der OFD Frankfurt vom 26. März 1998 (S-255 A-23-St II 22).
Die Klägerin beantragt,
wie erkannt zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und ist weiterhin der Auffassung, die Rente sei mit einem Besteuerungsanteil von 50% unter Berücksichtigung der „Fünftelungs-Regelung“- zu besteuern. Entsprechend dem Wortlaut des § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG i.V.m. § 52 Abs. 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung sei für die Bestimmung der anwendbaren Rechtsgrundlage entscheidend, dass die Rente erst im Veranlagungszeitraum 2005, also nach Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes, zugeflossen sei. Die von der Klägerin eingeführte Verwaltungsanweisung der OFD Frankfurt vom 26. März 1998 (S-255 A-23-St II 22) führe– ebenso wie die BFH-Entscheidung vom 30. September 1980 - zu keinem anderen Ergebnis, da sich die Anweisung auf die Rechtslage vor Inkrafttreten der Neuregelung durch das Alterseinkünftegesetzes beziehe.
Zu den weiteren Einzelheiten wird gem. § 105 Abs. 3 FGO auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie ergänzend auf die Steuerakten verwiesen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Das Finanzamt hat den für die Jahre 2003 und 2004 nachgezahlten Teil (10.691,00 €) zu Unrecht mit einem Ertragsanteil von 50 v. H. der Besteuerung zugrunde gelegt.
Die Nachzahlungen für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2004 waren nach dem bis dahin geltenden Recht zu besteuern.
1. Erwerbsunfähigkeitsrenten sind Leibrenten i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG in der bis zum Veranlagungszeitraum 2005 (BFH-Urteil vom 8. März 1989, X R 16/85, BStBl 1989 II S. 551, unter 2.a) und ab dem Veranlagungszeitraum 2005 geltenden Fassung. Solche Renten sind, wenn sie auf eine bestimmte Zeit beschränkt sind oder zu einem früheren Zeitpunkt mit dem Tod des Versicherten enden, abgekürzte Leibrenten (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Satz 4 EStG in der bis zum Veranlagungszeitraum 2004 geltenden Fassung i.V.m. § 55 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV -). Die von der Klägerin bezogene Erwerbsunfähigkeitsrente ist als abgekürzte Leibrente zu beurteilen (vgl. BFH-Urteile vom 4. Oktober 1990, X R 60/90, BStBl 1991 II S. 89; vom 22. Januar 1991, X R 97/89, BStBl 1991 II S. 686, m.w.N. der Rechtsprechung), deren Ertragsanteil – jedenfalls im Ergebnis – nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Satz 4 EStG a.F. i.V.m. § 55 Abs. 2 EStDV zu ermitteln ist. ,,Beginn der Rente'' (vgl. Kopfleiste der Ertragswerttabelle § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG) ist der Eintritt des sozialversicherungsrechtlich maßgebenden Versicherungsfalles (vgl. BFH-Urteil in BStBl 1991 II S. 686, unter 3., zur Erwerbsunfähigkeitsrente). Dies ist vorliegend der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit am 1. September 2003. Diese Rente endet spätestens mit dem Eintritt des Versicherungsfalls des Alters, war hier allerdings auf den 31.12.2006 befristet. Daher beträgt der Ertragsanteil der Erwerbsunfähigkeitsrente aufgrund ihrer Befristung auf 3 Jahre und 4 Monate gem. § 55 Abs. 2 EStDV 4% v. H. Entsprechend der Vereinfachungsregel in R 167 Abs. 2 EStR 2003, die hier zugunsten der Kläger auch für das Streitjahr entsprechend anzuwenden ist, war die Laufzeit der Rente auf 3 Jahre abzurunden.
Entgegen der (früheren) Klägerauffassung war nicht lediglich ein Ertragsanteil von 2 v.H. Bei der Besteuerung zugrunde zu legen, da der Zahlungszeitraum nicht auf den Zeitraum bis zum Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetz beschränkt war und auch nicht etwa § 55 Abs. 2 EStDV in der ab 2005, sondern in der bis zum Veranlagungszeitraum 2004 geltenden Fassung anzuwenden war (dazu 2.). Es wäre nämlich inkonsequent, eine Besteuerung nach den bis zum Veranlagungszeitraum 2004 geltenden Maßstäben nur teilweise nämlich nur in Bezug auf die Geltung der Rechtslage vor dem Alterseinkünftegesetz – vorzunehmen.
2. Eine grundsätzliche Verfassungswidrigkeit der Neuregelung der Rentenbesteuerung in Bezug auf die hier streitige Erwerbsminderungsrente kann der Senat nicht feststellen. Der Senat folgt insoweit der Begründung des Bundesfinanzhofes in den Entscheidungen des Bundesfinanzhofes vom 26. November 2008 (X R 15/07 BFH/NV 2009,278), des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2008 (3 K 266/06 EFG 2009,185) und des Finanzgerichts Münster vom 14. Oktober 2008 (14 K 3990/06 E EFG 2009,110). Danach ist die seit 2005 geltende Rentenbesteuerung nach dem Alterseinkünftegesetz verfassungsgemäß. Daher ist hinsichtlich der Zahlungen für Zeiträume ab 2005 eine Besteuerung nach den Regelungen des Alterseinkünftegesetzes – mit einem Besteuerungsanteil von 50% - vorzunehmen.
3. Der Besteuerungsanteil für den Nachzahlungsbetrag, der auf die Jahre 2003 und 2004 entfällt, ist allerdings im Streitfall nicht nach dem Alterseinkünftegesetz v. 5. Juli 04 (BGBl I 04, 1427, BStBl I 04, 554) zu ermitteln und daher nicht mit einem Besteuerungsanteil in Höhe von 50 v.H. der Zahlungen anzusetzen. Zwar bestimmt § 52 Abs. 1 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 2005 geltenden Fassung, dass „diese Fassung des Gesetzes“, also die Gesetzesfassung nach Einführung der geänderten Alterseinkünftebesteuerung, erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden ist, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist. Die Absätze 2ff. des § 52 EStG enthalten keine anderweitige Regelung für den (zeitlichen) Anwendungsbereich der Neuregelung für abgekürzte gesetzliche Altersrenten.
§ 52 Abs. 1 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 2005 geltenden Fassung ist indes in seinem Anwendungsbereich im Wege einer teleologischen Auslegung dergestalt zu reduzieren, dass Nachzahlungen auf eine abgekürzte Leibrente für Zeiträume bis zum 31.12.2004, die erst ab Veranlagungszeitraum 2005 ausgezahlt werden, jedenfalls dann noch der bisherigen Systematik der Rentenbesteuerung zu unterwerfen sind, wenn der Steuerpflichtige die Zahlung der Rente so rechtzeitig beantragt hat, dass eine Zahlung bis zum 31.12.2004 hätte erfolgen müssen.
a) Nach einer Auffassung (z.B. FG Düsseldorf v. 11. März 2009, 7 K 3215/08 E, EFG 2009, 1381, allerdings lediglich unter Bezugnahme auf die BFH-Entscheidung vom 26. November 2008 (a.a.O.); Revision eingelegt, Aktenzeichen des BFH X R 19/09; Myßen/Rinckh, NWB 2006, 2927ff.,2935; Lüsch in Littmann/Bitz/Pust, Komm. Zum EStG, § 22 Rz. 107ff., vgl. auch OFD Frankfurt v. 04.08.2006 – S 2255 A 23 St 218, DStR 2006, 1796) sollen allerdings Rentennachzahlungen im Jahr des Zuflusses nach dem im Zuflusszeitpunkt geltenden Recht steuerlich zu berücksichtigen sein, und zwar unabhängig davon, für welche Jahre und aus welchen Gründen die Nachzahlung erfolgte. Entstehen Rentenansprüche für Zeiträume vor 2005, die erst im Veranlagungszeitraum 2005 ausgezahlt werden, unterliegen sie mit einem Besteuerungsanteil von 50 v. H. der Besteuerung. Diese Rechtsfolge ergebe sich, so diese Auffassung, unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut („Jahr des Rentenbeginnes“).
b) Diese Meinung lässt indes unberücksichtigt, dass als „Jahr des Rentenbeginnes“ auch das Jahr verstanden werden kann, für das die Rente gezahlt wird. Gerade dann, wenn wie hier – die Rente rechtzeitig beantragt wurde, hat es der Rentenempfänger oftmals nicht mehr in der eigenen Hand, zu welchem Zeitpunkt die Rente erstmalig gezahlt wird. Der Wortlaut des Gesetzes ist damit nicht eindeutig, zumal selbst der BMF unter Beginn der Rente grundsätzlich den Zeitpunkt versteht für den die Rente – ggf. nach rückwirkender Zubilligung – tatsächlich bewilligt wird (vgl. BMF v. 24.02.2005, BStBl. I 2005, 429 Tz. 104; vgl. auch Risthaus, Herrmann/Heuer/Raupach Jahresband 2005, § 22 J 04-12).
c) Einer einschränkenden teleologischen Auslegung der Vorschrift des § 52 Abs. 1 i.V.m. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a, Doppelbuchst. aa) EStG steht auch weder der Gesetzeswortlaut des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a, Doppelbuchst. aa) i.V.m. § 52 Abs. 1 EStG in der ab dem Veranlagungszeitraum 2005 geltenden Fassung noch die Gesetzessystematik und die Teleologie des Gesetzes entgegen. Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt vielmehr eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2005 – IX ZB 134/04, NJW 2005, 1508, unter II 3 b aa (1), jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzung ist erfüllt.
aa) Der Gesetzeswortlaut ist zwar auf den ersten Blick eindeutig. Gem. § 52 Abs. 1 EStG in der ab dem Veranlagungszeitraum 2005 geltenden Fassung ist § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG ab dem Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden. Der Gesetzgeber hat indes (offenbar) Sachverhalte, bei denen unverschuldet eine Rentennachzahlung erst nachträglich – nach Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes – vorgenommen wird, nicht bedacht. Zwar ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass der Regelungsgehalt des § 22 Satz 1 Nr. 3a) aa) EStG in der ab 2005 geltenden Fassung sämtliche Rentenarten umfasst, also auch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Hinterbliebenenrenten, die bisher als abgekürzte Leibrenten nach der Ertragsanteilstabelle in § 55 Abs. 2 EStDV besteuert wurden (BT-Drucks. 15/2150 S. 40). Zudem enthält die Neuregelung auch keinen Verweis auf § 55 Abs. 2 EStDV (vgl. Risthaus in H/H/R § 22 EStG Tz. 280; Risthaus DB 2004,1329ff., 1336; Korn/Strahl KÖSDI 2004,14360ff., 14365). Insoweit liegt eine Regelungslücke vor. Diese war auch verdeckt, da hinsichtlich der Problematik der Behandlung von Rentennachzahlungen offenbar keine (erhebliche) Abwägung der Interessenlage vorgenommen wurde. In den Gesetzesmaterialien finden sich, soweit ersichtlich, keine eindeutigen Hinweise dahingehend, dass die Neuregelung auch bei Rentennachzahlung Anwendung finden soll (vgl. insbesondere BT-Drucks. 15/2150). Es heißt dort (a.a.O., Seite 40) u.a.:
"Der Regelungsgehalt des Satzes 1 umfasst sämtliche Rentenarten, insbesondere auch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Hinterbliebenenrenten, die bisher als abgekürzte Leibrenten nach der Ertragsanteilstabelle in § 55 Abs. 2 EStDV besteuert wurden. Grund hierfür ist die steuerliche Entlastung der Beiträge. Die Regelung des Satzes 1 unterwirft die genannten Leibrenten insoweit pauschal der Besteuerung nach Doppelbuchstabe aa, als es danach unerheblich ist, ob der Steuerpflichtige für die Beiträge den Sonderausgabenabzug geltend gemacht hatte und dabei tatsächlich einen steuerlichen Vorteil aus dem Sonderausgabenabzug erhalten hatte oder die Beiträge die Quotierung oder den Höchstbetrag nach § 10 EStG überstiegen hatten („Überzahlungen“). Die Regelung wirkt steuervereinfachend, da sie eine Aufteilung der Leibrenten in einen nach Doppelbuchstaben aa und einen nach Doppelbuchstaben bb (Ertragsanteilsbesteuerung) zu besteuernden Teil entbehrlich macht. Sachgerecht müsste eine solche Aufteilung bei erstmaligem Bezug der Leibrente und bei jeder Änderung der im Kalenderjahr auszuzahlenden Leibrente vorgenommen werden. Dies wäre zwar einer zutreffenden Besteuerung im Einzelfall zuträglich, hätte jedoch eine erhebliche Komplizierung des Besteuerungsverfahrens zur Folge. Des Weiteren wäre der Verwaltungsaufwand auf Seiten der Versicherungsträger und der Finanzverwaltung auf Grund von Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten mit unverhältnismäßig hohen zusätzlichen Kosten verbunden. Auch wüsste der Steuerpflichtige erst ab dem Zeitpunkt des Rentenbeginns, wie seine Rente besteuert wird. Dies würde zu Rechtsunsicherheiten und Problemen bei den wirtschaftlichen Dispositionen der Steuerpflichtigen führen. Dem Problem der zutreffenden Besteuerung im Einzelfall kommt in der Masse der Fälle über die Dauer der Zeit auch deshalb keine herausragende Bedeutung zu, weil dieses durch die niedrigen Einstiegssätze bei der Besteuerung gemildert wird, sich die Abzugsmöglichkeiten für Altersvorsorgeaufwendungen schrittweise verbessern werden und es genügend Altersvorsorgeprodukte gibt, die der Ertragsanteilsbesteuerung unterfallen und auf die der Steuerpflichtige ergänzend ausweichen kann. Dies rechtfertigt es, die Besteuerung der Leibrenten nach den Doppelbuchstaben aa und bb insoweit pauschalierend durchzuführen (s. auch BVerfGE 105, 73 [127])."
Insoweit war der Gesetzgeber offenbar bestrebt, aus Vereinfachungsgründen (u.a.) auf eine differenzierte Behandlung der Leibrenten zu verzichten, da dies eine "erhebliche Komplizierung des Besteuerungsverfahrens" nach sich ziehe. Eine derartige "Komplizierung" ist bei der steuerlichen Beurteilung von Rentennachzahlungen indes nicht zu befürchten. Vielmehr ist die zeitliche Zuordnung ohne Weiteres möglich. Maßgebliche Grenze einer Auslegung ist überdies nicht der Wortlaut, sondern der „mögliche Wortsinn“, der hier eine einschränkende Auslegung erfordert.
bb) Die Auffassung der Finanzverwaltung, Nachzahlungen übergangslos und in sämtlichen Sachverhaltsgestaltungen nach dem ab 2005 geltenden Recht zu erfassen, widerspräche sowohl der Systematik als auch Sinn und Zweck der bisherigen Rentenbesteuerung und dem Willkürverbot.
Im Fall einer „rechtzeitigen“ Zahlung wäre die Rentenzahlungen noch mit dem in den Veranlagungszeiträumen bis 2004 geltenden Ertragsanteil besteuert worden. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb die im Streitfall nachgezahlte Rente nur deshalb, weil sie nach Durchführung eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen den ablehnenden Bescheid, durch den eine Anerkennung der Erwerbsunfähigkeitsrente versagt wurde, erst im Streitjahre 2005 gezahlt wurde, statt mit 4% mit 50%, also mehr als dem zehnfachen, bei der Besteuerung anzusetzen sein soll. Der Wortsinn der seit dem Veranlagungszeitraum 2005 geltenden Fassung ist – jedenfalls im Wege einer teleologischen Auslegung – dahingehend auszulegen, dass bei Rentennachzahlungen für vergangene Zeiträume der Ertrags- bzw. Besteuerungsanteil zugrunde zu legen ist, der bei Entstehung des Rentenanspruchs galt. Für diese Auffassung spricht auch, dass der Bundesfinanzhof zur „alten“ – vor Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes geltenden - Fassung des § 22 Nr. 1 Buchst a) EStG entschieden hat, dass unter „Beginn der Rente“ der Zeitpunkt zu verstehen ist, in dem der Rentenanspruch entstanden ist (BFH v. 30. September 1980, VIII R 13/79, BStBl. 1981 II 155). Nach der Verwaltungsauffassung würde demgegenüber durch den Systemwechsel zum System des Alterseinkünftegesetzes auch für bereits abgelaufene Zeiträume übergangslos das neue System der Rentenbesteuerung auch für Nachzahlungen Anwendung finden.
Vor dem Hintergrund des sog. Rückwirkungsverbotes wäre eine andere Auslegung zudem bedenklich, auch wenn man im vorliegenden Fall lediglich eine unechte Rückwirkung (vgl. auch BFH-Urteil vom 8. November 2006, I R 69, 70/05, BFH/NV 2007, 616 m.w.N.) annähme. Denn der jeweilige Rentenempfänger, der rechtzeitig die Zahlung einer Rente beantragt, ist in seinem Vertrauen insoweit schützwürdig, dass die Rente in der Höhe besteuert wird als sie bei einer dem gewöhnlichen Verlauf entsprechenden - zeitlich unverzögerten - Zahlung vorzunehmen wäre.
Mit dem Rechtsstaatsprinzip ist eine steuerbegründende oder steuererhöhende Bestimmung in der Regel unvereinbar, wenn und soweit sie für einen Veranlagungszeitraum gelten soll, der im Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes bereits abgeschlossen war ("echte" Rückwirkung; "Rückbewirkung von Rechtsfolgen"). Dagegen ist es im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG grundsätzlich unbedenklich, wenn der Gesetzgeber während eines Veranlagungszeitraums eine solche Bestimmung in Kraft setzt und zugleich bestimmt, dass sie mit Wirkung zu Beginn jenes Veranlagungszeitraums gelten soll ("unechte" Rückwirkung; "tatbestandliche Rückanknüpfung"). Es steht dem Gesetzgeber indes nicht frei, noch nicht abgeschlossene Tatbestande willkürlich ungleich zu behandeln. Es hinge indes – folgte man der Verwaltungsauffassung – im Streitfall und in vergleichbaren Sachverhaltsgestaltungen vom Zufall ab, ob ein Steuerpflichtiger eine Erwerbsunfähigkeitsrente oder vergleichbare Rente ohne Schwierigkeiten oder jedenfalls bis zum 31. Dezember 2004 erhält oder ob er, wie im Streitfall, zunächst Rechtsbehelfe ergreifen muss und damit mit einem vielfach höheren Besteuerungsanteil – im Streitfall mehr als das zehnfache – versteuern muss. Von derartigen – zufälligen - Unwägbarkeiten darf die Besteuerung nicht beeinflusst werden.
d) Auch die Vorschrift des § 11 EStG vermag dieses Ergebnis nicht zu verändern. § 11 EStG bestimmt lediglich den Zeitpunkt, zu dem die Nachzahlung zu erfassen ist. In welchem Umfang die Rente dem Grunde nach zu besteuern ist, regelt die Vorschrift nicht (vgl. auch die Zweifel von Heinicke in Schmidt, 28. Aufl. 2009, § 11 Anm. 30 „Renten“ für eine Berücksichtigung im Billigkeitsverfahren).
e) Auch die – aufgrund der vorgenommenen Nachzahlung für mehrere Jahre gebotene - Anwendung der Fünftelungsregelung gem. § 34 Abs. 1 EStG rechtfertigt keine Besteuerung der Nachzahlung nach dem Alterseinkünftegesetz. Es liegt keine unzulässige Doppelbegünstigung, sondern eine für die Veranlagungszeiträume bis 2004 systemgerechte Besteuerung vor, die in diesem Falle auch bei einem Zufluss im Veranlagungszeitraum 2005 beizubehalten ist. Eine Anwendung des § 34 EStG ist unabängig von der Ertragsanteilsbesteuerung bzw. der Ermittlung des Besteuerungsanteils vorzunehmen.
f) Die Kläger waren schließlich nicht auf ein Billigkeitsverfahren zu verweisen. Sähe man die obigen Erwägungen indes als „bloße“ Billigkeitserwägungen an (Lüsch in Littmann/Bitz/Pust, Komm. Zum EStG, § 22 Rz. 108 sowie Heinicke in Schmidt, a.a.O.), wäre die Klage abzuweisen gewesen, da ein Billigkeitsverfahren nicht vorab durchgeführt worden ist. Indes bedarf es hier der Durchführung eines derartigen Verfahrens nicht, da bereits im Rahmen einer Gesetzesauslegung das nach Auffassung des Senats zutreffende Ergebnis gefunden wurde. Nach ständiger Rechtsprechung sind bestandskräftig festgesetzte Steuern zudem nur dann (erst) im Billigkeitsverfahren zu erlassen, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht zuzumuten war, sich hiergegen in dem dafür vorgesehenen Festsetzungsverfahren rechtzeitig zu wehren (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9. Oktober 2008, V R 45/06, BFH/NV 2009, 39).
4. Die Nachzahlung ist, wie vom Beklagten bereits im Steuerbescheid vorgenommen, gem. § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG der sog. Fünftelungsregelung zu unterwerfen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1, 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war – auch im Hinblick auf das anhängige Verfahren beim BFH (Aktenzeichen des BFH X R 19/09) gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO im Hinblick auf die Frage zuzulassen, ob Rentennachzahlungen bei einer abgekürzten Leibrente für Zeiträume vor 2005 bereits der Gesetzesfassung des § 22 EStG in der Fassung für den Veranlagungszeitraum 2005 zugrunde zu legen ist.

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