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26.03.2010 · IWW-Abrufnummer 101019

Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 09.12.2009 – 2 U 46/09

1. Eine Verfügung von Todes wegen, mit der Eltern ihr bewhindertes, durch den Sozialhilfeträger unterstütztes Kind nur als Vorerben auf einen den Pflichtteil kaum übersteigenden Erbteil einsetzen, bei seinem Tod ein anders Kind als Nacherben berufen (sog. Behindertentestament), verstößt nicht gegen die guten Sitten.



2. Ein von dem behinderten Kind mit seinen Eltern lebzeitig abgeschlossener Pflichtteilsverzichtsvertrag ist auch nicht im Falle des Bezuges von Sozialleistungen sittenwidrig.


Oberlandesgericht Köln

2 U 46/09

Tenor:

Die Berufung des Klägers vom 3. April 2009 gegen das Urteil des Einzelrichters der 37. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 12. März 2009, 37 O 653/08, wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach diesem Urteil beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

G r ü n d e
(Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO)
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten als Erben seiner am 6. November 2006 verstorbenen Ehefrau, Frau T O., aus übergeleitetem Recht im Wege der Stufenklage auf Auskunft und Zahlung aus streitigem Pflichtteilsrecht der Tochter des Beklagten in Anspruch.
Der Kläger gewährt der lernbehinderten Tochter des Beklagten, Frau P O. (geb. 1974), die nicht unter gerichtlicher Betreuung steht, seit 1992 Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff. SGB XII. Im Jahre 2007 wurde die Leistung als erweiterte Hilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII umgestellt. Mit Bescheid vom 30. April 2008 leitete der Kläger gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII sowohl den Pflichtteils- als auch den Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB der Leistungsempfängerin aus dem Erbfall nach ihrer verstorbenen Mutter über (Kopie Bl. 22 ff. d.GA.). Derzeit fallen monatliche Kosten in Höhe von 3.000 € an, und die bisher aufgewendeten Beträge belaufen sich auf über 400.000 €. Seit November 2006 bis zum 31. Mai 2008 wurden seitens des Klägers Leistungen in Höhe von 62.717,30 € erbracht.
Der Beklagte lebte mit seiner Ehefrau in Zugewinngemeinschaft. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Am 6. November 2006 errichteten die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament. Zu diesem Zweck begab sich der Notar in die Wohnung der Eheleute. Die Eheleute setzten sich in dem Ehegattentestament gegenseitig als Alleinerben, die Tochter U (geb. 1969) und den Sohn D (geb. 1977) zu je 83/200 als Schlusserben des Längstlebenden sowie die Tochter P zu 34/200 als Vorerbin ohne Befreiung von den gesetzlichen Beschränkungen des §§ 2113 ff. BGB ein. Zugleich wurden Dauertestamentsvollstreckung hinsichtlich des der Tochter P anfallenden Erbteils angeordnet und der Bruder zum Testamentsvollstrecker sowie für den Fall des Todes der Tochter als Nacherbe bestimmt. Weiterhin heißt es unter anderem in der notariellen Urkunde (Urkundenrolle-Nr. V 1155/2006 Hc des Notars C; Kopie Bl. 10 ff.):
"Frau O. gab an, ihren Namen nicht schreiben und nicht sprechen zu können. Der Notar zog daher als Zeugen und Erklärungshelfer ... zu. Ausschlussgründe für die Mitwirkung gemäß § 26 BeurkG liegen in der Person des Zeugen und Erklärungshelfers nicht vor. Frau O. kann sich auch durch Zeichen verständlich machen. ......
Der Notar überzeugte sich durch die Verhandlung von der erforderlichen Geschäfts- und Testierfähigkeit der Erblasser. Frau O. ist schwer krebskrank und nach Auskunft ihres behandelnden Arztes, des Zeugen und Erklärungshelfers ... testierfähig."
......
Unsere Tochter P O. ist lernbehindert, steht jedoch nicht unter gerichtlicher Betreuung und ist auch nicht in der Geschäftsfähigkeit eingeschränkt. ...."
Im Anschluss an die Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments verzichteten die Tochter P sowie ihre Geschwister durch notariell beurkundeten Pflichtteilsverzichtsvertrag auf die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen nach dem Erstversterbenden (Urkundenrolle-Nr. V 1159/2006 Hc des Notars C; Kopien Bl. 16 ff. d.GA.). Noch im Laufe des Abends des 6. November 2006 verstarb die Ehefrau des Beklagten.
Die Eheleute waren Eigentümer eines im Grundbuch des AG X von E eingetragenen Grundstücks, welches mit einem Wohnhaus bebaut ist (Grundbuchauszug Bl. 36 ff. d.GA.)
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Tochter stehe ein Pflichtteilsanspruch nach § 2303 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1924 BGB zu. Die Tochter sei nicht befugt gewesen, wirksam auf ihren Pflichtteil zu verzichten. Der Pflichtteilsverzichtsvertrag sei als Vertrag zu Lasten Dritter nichtig. Dem Beklagten und seiner verstorbenen Ehefrau sei bewusst gewesen, dass der Kläger nach dem Tode des Längstlebenden grundsätzlich auf Vermögenswerte zugreifen könne. Um dies zu vereiteln, seien die erbvertraglichen Regelungen getroffen sowie der Pflichtteilsverzicht nach dem Erstversterbenden erklärt worden. Aus der testamentarischen Regelung, die Tochter P als Einziges der drei Kinder als beschränkte Vorerbin einzusetzen, während die beiden anderen Kinder beschränkungslos zu Erben des Letztversterbenden berufen wurden, werde die Intention deutlich, den Zugriff des Sozialhilfeträgers auf Vermögenswerte zu verhindern. Gleiche Motivation sei für den Pflichtteilsverzicht anzunehmen.
Der Kläger hat im Wege der Stufenklage Auskunft über den Wert des Hausgrundstücks und mit der Leistungsstufe zunächst die Zahlung von 1/12 des nach Wertermittlung sich ergebenden Verkehrswertes abzüglich eines Betrags von 1.553,49 € begehrt.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1.
den Beklagten zu verurteilen den Verkehrswert des bebauten Grundstückes Y Straße 78, 42929 X, eingetragen im Grundbuch von E (Blatt 2980, Flur 20, Flurstück 148) mit einer Größe von 3a, 94 qm durch Vorlage eines Sachverständigengutachten zu ermitteln;
hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, den hälftigen Verkehrswert des bebauten Grundstückes Y Straße 78, 42929 X, eingetragen im Grundbuch von E (Blatt 2980, Flur 20, Flurstück 148) mit einer Größe von 3a, 94 qm durch Vorlage eines Sachverständigengutachten zu ermitteln;
2.
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1/12 des sich nach Wertermittlung gemäß de Klageantrag zu 1) ergebenden hälftigen Verkehrswertes abzüglich eines Betrages in Höhe von 1.595,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
Der Beklagte hat die Aktivlegitimation des Klägers und die Wirksamkeit der Überleitung der angeblichen Ansprüche auf den Kläger bestritten. Er hat die Ansicht vertreten, die Tochter habe wirksam auf ihren Pflichtteil verzichtet; der Verzicht sei nicht sittenwidrig. Die Motivation für diesen Verzicht habe darin bestanden, dass der Beklagte nach dem Tode seiner Ehefrau finanziell abgesichert sei, da außer dem Hausgrundstück keine wesentlichen Vermögenswerte vorhanden seien. In seiner Familie sei es üblich, dass die Kinder den elterlichen Nachlass erst nach dem letztversterbenden Elternteil erhalten sollen. Diese Motivation finde auch darin Ausdruck, dass alle drei Kinder auf den Pflichtteil nach dem Erstversterbenden verzichtet haben.
Mit Urteil vom 12. März 2009 hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, sowohl das Ehegattentestament als auch der Pflichtteilsverzichtsvertrag seien wirksam. Ein Verstoß gegen die guten Sitten könne nicht festgestellt werden, da auch der Pflichtteilsverzicht auf sittlich anzuerkennende Beweggründe beruhe. Der Umstand, dass alle drei Kinder auf ihren Pflichtteilsanspruch verzichtet hätten, mache deutlich, dass der Pflichtteilsverzicht nicht dazu diene, das Vermögen dem Kläger zu entziehen. Vielmehr liege das Interesse darin, den Beklagten finanziell abzusichern. Die Versorgung des längerlebenden Ehegatten habe dabei im Vordergrund gestanden. Durch den Verzicht solle vermieden werden, dass der Beklagte gezwungen werde, im Fall einer Inanspruchnahme durch den Kläger das Grundstück zu verwerten. Anderes Vermögen als das Grundstück sei nicht vorhanden. Zudem sei der Abschluss des Verzichtsvertrages von dem Grundsatz der Privatautonomie geschützt.
Gegen dieses ihm am 23. März 2009 zugestellte Urteil, auf das hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verwiesen wird, hat der Kläger mit einem am 3. April 2009 bei dem Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz vom 2. April 2009 Berufung eingelegt, die er fristgerecht mit Schriftsatz vom 25. Mai 2009, der an diesem Tage bei Gericht eingegangen ist, begründet hat.
Der Kläger vertritt die Ansicht, die Verzichtserklärung verstoße gegen die guten Sitten und sei nichtig, da diese den Zugriff des Klägers auf das Vermögen vereitele. Das Testament und der Pflichtteilverzichtsvertrag dienten ausschließlich dem Zweck, den Sozialhilfeträger zu benachteiligen und ihm seine Ansprüche zu entziehen. Das Recht auf Privatautonomie sei durch den Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe eingeschränkt. Die Pflicht, den Sozialhilfeträger zu entlasten, müsse im Vordergrund stehen.
Er beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des LG Köln vom 12. März 2009 (37 0 653/08) zu verurteilen,
1.
den Verkehrswert des bebauten Grundstückes Y Straße 78, 42929 X, eingetragen im Grundbuch von E (Blatt 2980, Flur 20, Flurstück 148) mit einer Größe von 3a, 94 qm durch Vorlage eines Sachverständigengutachten zu ermitteln;
hilfsweise,
den hälftigen Verkehrswert des bebauten Grundstückes Y Straße 78, 42929 X, eingetragen im Grundbuch von E (Blatt 2980, Flur 20, Flurstück 148) mit einer Größe von 3a, 94 qm durch Vorlage eines Sachverständigengutachten zu ermitteln;
2.
an den Kläger 1/12 des sich nach Wertermittlung gemäß de Klageantrag zu 1) ergebenden hälftigen Verkehrswertes abzüglich eines Betrages in Höhe von 1.595,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
und im Falle eines Erfolges der Klage in der ersten Stufe,
die Sache wegen der weiteren Stufe(n) an das Landgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Berufung sei nicht statthaft, da die Berufungssumme nicht erreicht werde. Das Landgericht habe nur über die erste Stufe der Stufenklage entschieden, da der Kläger noch nicht zur zweiten Stufe, dem Zahlungsantrag, übergegangen sei. Der Beklagte beruft sich darauf, die Sozialhilfeempfängerin habe nur auf ihren Pflichtteilsanspruch verzichtet, um ihren Vater finanziell abzusichern. Es entspreche nicht der Erziehung der Tochter, vor dem Tod des Beklagten einen Anspruch auf einen Teil des Nachlasses der Mutter geltend zu machen. Verfügungen, die zu Lasten des Sozialhilfeträgers wirken, seien nicht automatisch unwirksam. Ein Unterschied zu Unterhaltsverzichtsverträgen ergebe sich daraus, dass insoweit bereits dem Verzichtenden ein subjektiver Anspruch zustehe. Hingegen führe der Pflichtteilsverzicht dazu, dass kein Pflichtteilsanspruch entstehe.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
I.
1. Gegen die Zulässigkeit der Berufung des Klägers bestehen keine Bedenken. Insbesondere übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Das Landgericht hat – entgegen der Auffassung der Berufungserwiderung - nicht nur eine Entscheidung über die 1. Stufe der von dem Kläger erhobenen Stufenklage getroffen, sondern in zulässiger Weise eine das Klageverfahren abschließende Entscheidung gefällt. Dies folgt bereits aus ihrer Bezeichnung als "Urteil" und nicht als "Teilurteil". Zudem hat der Einzelrichter nach dem insoweit maßgeblichen Tenor des Urteils die Klage insgesamt abgewiesen und in den Entscheidungsgründen hierzu näher ausgeführt, dem Kläger stehe weder ein Pflichtteils- noch ein Auskunftsanspruch zu. Zudem hat er sein Urteil mit einer Kostenentscheidung versehen.
2.
In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg.
a)
Der klagende Verband ist vorliegend grundsätzlich berechtigt, den hier im Wege der Stufenklage geltend gemachten Pflichtteilsanspruch der Leistungsberechtigen klageweise zu verfolgen (§ 2303 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII).
Die Tochter des Beklagten ist in dem Testament der Erblasserin nicht als Erbin eingesetzt und somit grundsätzlich pflichtteilsberechtigt. Damit steht ihr dem Grunde nach auch ein Anspruch auf Wertermittlung nach § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB zu. Diese Ansprüche kann nunmehr der Kläger als Sozialhilfeträger geltend machen, ohne dass es auf eine Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten selbst ankommt (BGH, NJW-RR 2005, 369). Ein Pflichtteilsanspruch ist nach herrschender Meinung in der Literatur (vgl. nur MünchKomm/Lange, BGB, 4. Auflage 2004, § 2317 Rn. 10; Ivo, FamRZ 2003, 6; Mensch, BWNotZ 2009, 162 [165); Nieder, NJW 1994, 1265) und der von dem Senat geteilten Auffassung des Bundesgerichtshofes (NJW-RR 2005, 369) überleitungsfähig. Hat ein Sozialhilfeträger wegen seiner bereits getätigten Aufwendungen einen Pflichtteilsanspruch des Hilfeempfängers nach dem Erbfall durch Bescheid auf sich übergeleitet, so kann er den übergeleiteten Anspruch selbständig verfolgen (BGH NJW-RR 2005, 369). Dies ist hier der Fall. Der Kläger hat durch Bescheid vom 30. April 2008 die Pflichtteilsansprüche der Tochter des Beklagten aus dem Erbfall nach ihrer verstorbenen Mutter sowie die Hilfsansprüche nach § 2314 BGB auf sich übergeleitet.
b)
Es bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen § 138 BGB vor. Der Inhalt des Testaments der Eheleute – Enterbung der Kinder nach dem Erstversterbenden; Anordnung einer nicht befreiten Vorerbschaft nach dem Letztversterbenden – ist nicht sittenwidrig. Zunächst einmal entspricht die von den Ehegatten gewählte Konstruktion im Wesentlichen einem Berliner Testament. Diese Art der Testamentserrichtung ist gesetzlich anerkannt (§ 2269 BGB) und unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Eine Sittenwidrigkeit des gemeinschaftlichen Testaments folgt auch nicht daraus, dass die Eltern ihre Tochter nach dem Tode des Letztversterbenden nur als nicht befreite Vorerbin eingesetzt haben und durch diese Anordnung das Vermögen dem Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogen wird. Grundsätzlich steht jedem Erblasser als Ausfluss der Testierfreiheit das Recht zu, über sein Vermögen nach dem Tod nach Belieben zu verfügen, so dass letztlich die Nachrangigkeit der Sozialhilfe mit der bestehenden Testierfreiheit abzuwägen ist.
Insoweit wird zum Teil von der Rechtsprechung (LG Flensburg, NJW 1993, 1866; LG Konstanz, FamRZ 1992, 360) und der Literatur (vgl. z.B. MünchKomm/Armbrüster, BGB, 5. Auflage 2006 ff., § 138 Rn. 45; Damrau, ZEV 1998, 1; Kuchinke, FamRZ 1992, 363) es als sittenwidrig angesehen, wenn der Erblasser, zu dessen pflichtteilsberechtigten Angehörigen ein Empfänger von Sozialhilfe zählt, Zuwendungen an diese Person so gestaltet, dass diese nicht dem Zugriff des Sozialhilfeträgers ausgesetzt sind. Demgegenüber geht die wohl herrschende Meinung davon aus, dass eine Verfügung von Todes wegen, mit der Eltern ihr behindertes, auf Kosten der Sozialhilfe untergebrachtes oder unterstütztes Kind nur als Vorerben auf einen den Pflichtteil kaum übersteigenden Erbteil einsetzen [vorliegend 17 % statt des Pflichtteils von 16,666 %], bei seinem Tod ein anderes Kind als Nacherben berufen und dieses auch zum Vollerben des übrigen Nachlasses bestimmen, nicht sittenwidrig ist, auch wenn dadurch der Träger der Sozialhilfe keinen Kostenersatz erlangen kann. Dieser auch von dem Bundesgerichtshof in gefestigter Rechtsprechung (BGHZ 111, 36 = NJW 1990, 2055; BGHZ 123, 368 = NJW 1994, 248; siehe dazu auch Wendt, ZNotP 2008, 2 [10 ff.] m.w.N.) vertretenen Auffassung schließt sich der Senat an (zur Gestaltung eines sogenannten Behindertentestaments siehe auch Grziwotz, ZEV 2002, 409; Mensch, BWNotZ 2009, 162 [166]; Nazari-Golpayegani/Boger, ZEV 2005, 377; Ruby, ZEV 2006, 66; Wendt, ZNotP 2008, 2 [3 ff.]).
c)
Dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments nicht (mehr) sprechen und nicht (mehr) schreiben konnte, macht das Testament nicht unwirksam. Nach § 2233 Abs. 2 BGB kann auch in einem solchen Fall ein notarielles Testament in wirksamer Form errichtet werden. Das zwingende ("muss", vgl. Winkler, BeurkG, 16. Auflage 2009, § 24 Rn. 20) Erfordernis der Hinzuziehung einer Verständigungsperson nach § 24 Abs. 1 BeurkG, wie auch die übrigen Vorgaben der §§ 22, 24 BeurkG (vgl. Winkler, aaO, § 22 Rn. 29, § 24 Rn. 20) sind vorliegend beachtet worden.
d)
Indes kann der Kläger keinen Pflichtteilsanspruch geltend machen, weil die Leistungsempfängerin ihrerseits wirksam zu Lebzeiten auf ihren Pflichtteilsanspruch verzichtet hat. Bedenken hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der Tochter des Beklagten bestehen nicht. Da die Geschäftsfähigkeit der Regelfall ist, müsste der Kläger, wenn er die Unwirksamkeit des Vertrages wegen Geschäftsunfähigkeit einer Vertragspartei geltend machen will, die Voraussetzungen einer solchen Geschäftsunfähigkeit hinreichend schlüssig aufzeigen und unter Beweis stellen. Dies ist nicht geschehen. Der Kläger legt keine konkreten Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit der lernbehinderten Tochter der Erblasserin bei Abschluss des notariellen Vertrages dar; diese ergeben sich auch nicht aus den Akten.
Bei dem streitbefangenen Pflichtteilsverzicht handelt es sich - entgegen der Auffassung der Berufung - nicht etwa um einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter. Insoweit wird von dem Kläger ein methodischer Fehler begangen, indem der nur zur Verdeutlichung bestimmter gesetzlicher Regelungen oder Regelungszusammenhänge verwendete und geeignete Begriff (vgl. dazu beispielsweise Palandt/Grüneberg, BGB, 67. Auflage 2008, Einf v § 328 Rn. 10) verabsolutiert, an die Stelle der gesetzlichen Regelung gesetzt und dann unter den vermeintlichen Inhalt dieses Begriffs subsumiert wird.
Der von der Erblasserin mit der Tochter abgeschlossene Pflichtteilsverzichtsvertrag ist unter den hier gegebenen Umständen ebenso wenig sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB; vgl. zu der Problematik jurisPK-BGB/Hau, Stand 6. Oktober 2008, § 2346 Rn. 22; Staudinger/Sack, Bearb. 2003, § 138 Rn. 363 ff.). Zwar wird teilweise in der Rechtsprechung (OLG München, ZEV 2006, 313 = FamRZ 2007, 418 für einen Erbverzichts- und Abfindungsvertrag; VGH, NJW 1993, 2953 [2954] für einen Pflichtteilsverzicht) und der Literatur (vgl. auch MünchKomm/Armbrüster, 5. Auflage 2006 ff. § 138 Rn. 45) in Anlehnung an die für die Sittenwidrigkeit von Unterhaltsverzichtsverträgen zwischen Ehegatten entwickelten Grundsätze die Auffassung vertreten, ein Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht sei zumindest dann sittenwidrig, wenn der Verzichtende sowohl im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts als auch im Zeitpunkt des Erbfalles hilfebedürftig ist und den Beteiligten dies bekannt war. Demgegenüber neigt die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur und Rechtsprechung dazu, einen zwar während des Bezugs von nachrangigen Sozialleistungen, aber vor Eintritt des Erbfalles erklärten Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht nicht als sittenwidrig anzusehen (vgl. dazu Vaupel, RNotZ 2009, 497 [508]; offen gelassen Wendt, ZNotP 2008, 2 [11]). Dieser letztgenannten Auffassung schließt sich der Senat an.
Die von dem Familiensenat des Bundesgerichtshofes (NJW 2007, 904 [905 f.]) vertretene Auffassung, dass Unterhaltsverzichtserklärungen eines Ehegatten dann sittenwidrig sind, wenn dem verzichtenden Ehegatten ohne die Verzichtserklärung ein Unterhaltsanspruch zustände und erst der Ausschluss des Anspruchs zur Belastung des Sozialhilfeträgers führt, lässt sich nicht verallgemeinern. So verneint beispielsweise der für das Insolvenzrecht zuständige 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (NZI 2009, 563 = FamRZ 2009, 1486) im Falle einer im Insolvenzverfahren beantragten Restschuldbefreiung (§§ 287 ff. InsO) eine Verpflichtung des Schuldners, in der Wohlverhaltensphase Erb- bzw. Pflichtteilsansprüche zu verfolgen. Eine Übertragung der ehevertraglichen Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle auf den Bereich des Pflichtteilsverzichts ist ebenfalls aufgrund der Unterschiede zwischen den beiden Regelungsmaterien abzulehnen (Kapfer, MittBayNot 2006, 385). Der Unterschied besteht bereits darin, dass bei einem Unterhaltsverzicht dem Verzichtenden bereits ein subjektives Recht zusteht. Demgegenüber weiß der Verzichtende im Falle einer zu Lebzeiten des Erblassers abgegebenen Verzichtserklärung in der Regel noch nicht, was letztlich beim Tod des Erblassers im Nachlass vorhanden sein wird, und ob er überhaupt einen Erb- bzw. Pflichtteilsanspruch haben wird. Anders als etwa beim Unterhaltsverzicht verfügt der Verzichtende hier gerade über keine bestehende Erwerbsquelle oder Unterhaltsmöglichkeit, sondern lediglich über eine mehr oder weniger ungesicherte "Erwerbschance". Ob und in welchem Umfang der Verzichtende aus dieser "Erwerbschance" einmal verwertbares Vermögen erhält, ist noch nicht absehbar, weshalb auch eine Schädigungsabsicht in der Regel zu verneinen ist (Vaupel, RNotZ 2009, 497 [508]).
Der Senat hat bei seiner Entscheidung nicht verkannt, dass die vorstehenden Überlegungen auf den vorliegenden Fall nur eingeschränkt übertragbar sind, da die Tochter die Erklärung zeitlich unmittelbar vor dem aufgrund der schweren Erkrankung der Mutter sich abzeichnenden Tod der Erblasserin abgegeben hat, und damit hier der Umfang des verwertbaren Vermögens mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit bereits feststand. Indes erscheint es angezeigt, die Frage der Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzichtsvertrages aus Gründen der Rechtssicherheit einheitlich zu beantworten und nicht davon abhängig zu machen, in welcher zeitlichen Nähe zu dem Tod des Erblassers dieser Verzicht ausgesprochen wird und mit welcher Wahrscheinlichkeit zu diesem Zeitpunkt mit dem alsbaldigen Ableben zu rechnen war sowie der Umfang des Vermögens bereits feststand.
Da es vorliegend nicht um die Beurteilung einer erst nach Eintritt des Erbfalls abgegebenen Ausschlagungs- oder Verzichtserklärung geht, bedarf es hier keiner Entscheidung des Senats dazu, ob in einem solchen Fall die Ausschlagung einer (werthaltigen) Erbschaft durch einen Sozialhilfebedürftigen sittenwidrig ist (vgl. zuletzt OLG Hamm, ZEV 2009, 471 m.w.N. aus der Rechtsprechung und Literatur), bzw. ob und inwieweit eine Verpflichtung des Sozialversicherungsträgers zur Hilfeleistung besteht, wenn ein Hilfebedürftiger seine Erbschaft ausschlägt, bzw. einen Pflichtteil nicht geltend macht und damit nicht bereits vorhandene Vermögenswerte zur Vermeidung der Bedürftigkeit einsetzt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind gegeben, da der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt und eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Die Frage der Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzichtsvertrages ist – soweit ersichtlich – höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt.
Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 10.904,45 €
(Streitwert der Stufenklage unter Berücksichtigung der Anträge in der Berufungsinstanz und der Vorstellungen des Klägers; erstinstanzlich hat der Kläger mit der Klageschrift den Wert des gesamten Hausgrundstücks mit 300.000,00 € beziffert. Dies ergibt einen möglichen Zahlungsanspruchs von 1/12 des Hälfteanteils = 12.500,00 €.
Hiervon sind noch – entsprechend dem Antrag des Berufungsführers - 1.595,55 € abzuziehen.

RechtsgebietBGBVorschriften§§ 138, 2269, 2346 BGB

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