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02.03.2010 · IWW-Abrufnummer 100669

Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 16.09.2009 – 8 K 9250/07

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


8 K 9250/07

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 8. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16. September 2009

durch

den Richter am Finanzgericht ....., als Vorsitzenden,

die Richterin am Finanzgericht ..... und

den Richter am Finanzgericht .....

sowie

die ehrenamtlichen Richter ..... und .....

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Haftungsbescheid vom 29. Januar 2007 und die Einspruchsentscheidung vom 3. Juli 2007 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist für die Klägerin wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Beschluss:

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

Tatbestand:

Die Klägerin ist eine im Jahr 1895 von dem Gutsbesitzer C... errichtete Familienstiftung. Zweck der Klägerin ist, das Vermögen des Stifters den männlichen Abkömmlingen seines Vaters, B..., und seines Großvaters, A..., zu erhalten und den Abkömmlingen durch Zuwendungen der Stiftung eine in wirtschaftlicher Beziehung gesicherte Lebensstellung zu verschaffen (§ 1 der Satzung vom 22. Februar 1975 - Satzung -).

Nach § 6 Abs. 1 der Satzung sind anteilsberechtigt die ehelichen männlichen Abkömmlinge des D... und des A... und die ehelichen männlichen Abkömmlinge der Söhne des E.... Jeder der Anteilsberechtigten hat unter den Voraussetzungen der §§ 7 und 9 der Satzung einen Anspruch auf eine Kapitalzuwendung und eine Zeitrente sowie unter den Voraussetzungen des § 8 der Satzung einen Anspruch auf eine lebenslängliche jährliche Rente in Höhe von DM 1.000,-. Auf den Inhalt der Satzung wird im Übrigen Bezug genommen.

Die Klägerin ist Eigentümerin von vier in B... belegenen Grundstücken und ist an der Immobilien-KG B... & Co. ...Center ... beteiligt. Ferner erzielt die Klägerin Kapitalerträge aus Guthaben aus Wertpapieren, Bank- und Kassenbeständen. Das Stiftungsvermögen der Klägerin betrug zum 31. Dezember 1950 DM ....

Die Klägerin erklärte in den Körperschaftsteuererklärungen der Streitjahre 2002 bis 2005 Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von EUR ...,- (2002), in Höhe von EUR ...,- (2003), in Höhe von EUR ...,- (2004) und in Höhe von EUR ...,- (2005) sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von EUR ...,- (2002), in Höhe von EUR ...,- (2003), in Höhe von EUR ...,- (2004) und in Höhe von EUR ...,- (2005).

In der Anlage zum Körperschaftsteuerbescheid 2004 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass eventuell geleistete Destinatärzahlungen seit dem 1. Januar 2002 gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 9 in Verbindung mit § 43 Abs. 1 Nr. 7a Einkommensteuergesetz - EStG - dem Kapitalertragsteuerabzug unterliegen. Der Beklagte bat deshalb um Nachreichung der entsprechenden Steueranmeldungen bzw. um Mitteilung, warum bislang keine Anmeldungen abgegeben worden seien. Die Klägerin teilte hierauf mit, sie zahle an bestimmte Abkömmlinge regelmäßig Leistungen in Form von Rentenleistungen. Diese Leistungen stellten keine Einkünfte aus Kapitalvermögen dar. Außerdem seien satzungsmäßige Auskehrungen erfolgt, die jedoch keine Leistungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG darstellten. Denn die Begünstigten seien nicht Erben des Stifters.

Der Beklagte forderte die Klägerin sodann unter Hinweis auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. Juni 2006 - IV B 7-S 2252 - 4/06, Bundessteuerblatt - BStBl. - I 2006, 417 - BMF-Schreiben vom 27. Juni 2006 - auf, Kapitalertragsteueranmeldungen abzugeben. Die Klägerin teilte darauf hin mit, es hätten sieben Personen Zuwendungen erhalten. Es seien laufende Rentenzahlungen in Höhe von EUR ...,- (2002), EUR ...,- (2003), EUR ...,- (2004) und EUR ...,- (2005) sowie Sonderzahlungen in Höhe von jeweils EUR ...,- (2002 und 2003), EUR ...,- (2004 [einschließlich Darlehensausgleich]) und EUR ...,- (2005), insgesamt EUR ...,-, geleistet worden. Diese Leistungen fielen nicht unter den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG, so dass Kapitalertragsteueranmeldungen nicht abzugeben seien.

Mit Haftungsbescheid vom 29. Januar 2007 nahm der Beklagte die Klägerin sodann für Kapitalertragsteuern 2002 bis 2005 nebst Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt EUR ...,- nach § 44 Abs. 5 EStG in Anspruch. Zur Begründung führte der Beklagte aus, nach § 44 Abs. 1 Satz 1 EStG schuldeten die Destinatäre dem Finanzamt für Leistungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG in Höhe von insgesamt EUR ...,- die entsprechenden Steuern. Die Klägerin sei der Verpflichtung zur Abgabe von Kapitalertragsteueranmeldungen und zur Abführung der Kapitalertragsteuern nicht nachgekommen und hafte daher für diese Steuern. Die Zahlungsempfänger seien dem Finanzamt nicht bekannt, so dass im Hinblick auf den erhöhten Ermittlungsaufwand eine Inanspruchnahme der Klägerin ermessensgerecht sei.

Zur Begründung ihres Einspruchs trug die Klägerin vor, das Finanzamt müsse durch Abrechnungsbescheid über die Frage entscheiden, ob die streitigen Leistungen unter den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG fielen. Die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner setze das Bestehen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis voraus, an dem es mangels Vorliegens eines Abrechnungsbescheids fehle. Im Übrigen finde § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG keine Anwendung im Streitfall. Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin weiter vor, bei den Destinatären handele es sich nicht um Personen, die Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft gleichgestellt werden könnten. Sie, die Klägerin, habe ihre Einkünfte der Besteuerung unterworfen und die Zahlungen an die Destinatäre steuerlich nicht zum Abzug gebracht. Die Leistungen an die Destinatäre in den Streitjahren hätten aus den in den Streitjahren erzielten Erträgen erbracht werden können. Sie, die Klägerin, habe nicht schuldhaft gehandelt, da nach ihrer Auffassung eine Kapitalertragsteueranmeldung nicht abzugeben war.

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 29. Januar 2007 und die Einspruchsentscheidung vom 3. Juli 2007 aufzuheben

sowie

die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasse sämtliche Leistungen aus den Erträgen einer Stiftung an die Destinatäre. Die Klägerin sei ungeachtet ihrer abweichenden Rechtsauffassung zur Abgabe der Steueranmeldungen verpflichtet gewesen. Sowohl das Entschließungs- als auch das Auswahlermessen seien zutreffend ausgeübt worden.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Haftungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§§ 100 Abs. 1 Satz 1 und 102 FGO). Der Beklagte hat die Klägerin unzutreffend nach § 44 Abs. 5 EStG in Anspruch genommen.

Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Nach § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG haftet unter anderem der Schuldner von Kapitalerträgen für die Kapitalertragsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat, es sei denn er weist nach, dass er die ihm auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletz hat. Diese Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme liegen im Streitfall nicht vor.

Die Klägerin war nicht nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG in Verbindung mit § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7a EStG zur Einbehaltung der Kapitalertragsteuer verpflichtet. Denn die Zahlungen an die Destinatäre gehören nicht zu den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Nach dieser Vorschrift gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Einnahmen aus Leistungen einer nicht von der Körperschaftsteuer befreiten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG -, die Gewinnausschüttungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind, soweit sie nicht bereits zu den Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören.

Die Klägerin ist eine nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 unbeschänkt körperschaftsteuerpflichtige Stiftung, die nicht von der Körperschaftsteuer befreit ist.

Die Zahlungen der Klägerin an die Destinatäre stellen keine Leistungen, die Gewinnausschüttungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind, dar. Zwar hat die Klägerin die entsprechenden Leistungen aus ihren Erträgen erbracht. Jedoch genügt es nach Auffassung des Senats für die Annahme einer wirtschaftlichen Vergleichbarkeit mit Gewinnausschüttungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht, dass es sich bei den unter § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG fallenden Leistungen, um Leistungen aus Erträgen handelt. Vielmehr knüpft § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG in sachlicher Hinsicht an die Ausschüttung eines Ertrags aufgrund einer vermögensmäßigen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft an (siehe hierzu: Bundesfinanzhof, Urteil vom 8. Februar 1995 - I R 73/94, Sammlung der amtlich veröffentlichten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs 177, 86, Bundessteuerblatt II 1995, 552 [553]; von Beckerath in Kirchhof, EStG, KompaktKommentar, 8. Auflage 2008, § 20 Randnummer - Rn. - 4). Indessen besteht eine vermögensmäßige Beteiligung der Destinatäre an der Klägerin nicht, da eine Stiftung nicht aus einem Personenverband besteht, sondern ein rechtlich verselbständigtes Vermögen verkörpert (vergleiche Reuter in Münchener Kommentar zum BGB, Vorbemerkung zu § 80 BGB Rn. 48). Mangels eines Beteiligungsertrags der Destinatäre sind die Leistungen der Klägerin daher nicht wirtschaftlich mit einer Gewinnausschüttung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG vergleichbar (ebenso von Beckerath, a.a.O., Rn. 110; Orth, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2001, 325 [331]; Kirchhain, Betriebs-Berater 2006, 2387 [2388 f.]; anderer Ansicht - a.A. - BMF-Schreiben vom 27. Juni 2006, Stuhrmamm in Blümich, EStG, § 20 Rn. 315e).

Die Leistungen der Klägerin sind auch nicht in sonstiger Weise mit einer Gewinnausschüttung wirtschaftlich vergleichbar. Denn die Destinatäre sind keine hinter der Klägerin stehenden Personen, die eine mit einem Anteilseigner oder einem Mitglied vergleichbare Position inne haben (so Bundestags-Drucksache 14/2683, Seite 114). Vielmehr sind die Destinatäre lediglich die Empfänger der vom Stifter bestimmten Stiftungsleistungen. Im Gegensatz zu einem Anteilseigner oder einem Mitglied einer Körperschaft haben die Destinatäre aber in ihrer Stellung keine rechtlichen Befugnisse oder Einwirkungsmöglichkeiten bei der Klägerin (so auch Wassermeyer, DStR 2006, 1733 [1734]; Kirchhain, a.a.O. [2388]; a.A. wohl Orth, a.a.O.). Der Beklagte kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Familie könne nach § 3 der Satzung die Satzung ändern oder die Stiftung aufheben. Denn zum einen bedarf es hierzu eines einstimmigen Familienbeschlusses. Zum anderen entscheidet das Kuratorium über die Leistungen (§§ 7 Abs. 2, 8 und 9 der Satzung).

Die Leistungen der Klägerin stellen des Weiteren keinen Bezug im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG dar. Denn die Destinatäre haben nicht die Stellung eines Anteilseigners oder eines Mitglieds inne. Ferner setzt eine verdeckte Gewinnausschüttung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG unter anderem voraus, dass die bei der Kapitalgesellschaft eingetretene Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG in Verbindung mit § 8 Abs. 1 KStG ausgewirkt hat. Jedoch haben die Leistungen der Klägerin die Einkünfte der Klägerin nicht gemindert.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann der Senat dahingestellt lassen, ob der Beklagte sein ihm eingeräumtes Ermessen zutreffend ausgeübt hat. Allerdings merkt der Senat an, dass der Beklagte die Frage des Verschuldens der Klägerin nicht hinreichend geprüft hat. Denn immerhin hat die Klägerin gegenüber dem Beklagten vor dem Erlass des Haftungsbescheids deutlich gemacht, dass nach ihrer Auffassung Kapitalertragsteuern nicht einzubehalten und abzuführen waren. Im Hinblick auf die von der Klägerin angeführten "gewichtigen" Stimmen im Schrifttum und die dem Beklagten bekannte, ursprünglich dieser Rechtsauffassung entsprechende Ansicht jedenfalls des Bundesfinanzministeriums hätte sich dem Beklagten eine eingehende Prüfung des Verschuldens der Klägerin und etwaiger ein Verschulden im Sinne des § 44 Abs. 5 EStG ausschließender Gründe aufdrängen müssen.

Des Weiteren waren dem Beklagten die Namen von sechs Destinatären bekannt. Deshalb entspricht die Tatsachenfeststellung des Beklagten in der Einspruchsentscheidung, die Namen der Destinatäre seien nicht bekannt, nicht der Aktenlage. Vor diesem tatsächlichen Hintergrund wäre nach Auffassung des Senats auch die Ausübung des Auswahlermessens zu beanstanden. Insbesondere erscheint es dem Senat fraglich, ob weitere Ermittlungen tatsächlich mit einem erhöhten Aufwand verbunden gewesen wären, zumal der Beklagte im Verwaltungsverfahren keinerlei Aufklärungsmaßnahmen in diesem Zusammenhang ergriffen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

Der Senat hat im Hinblick auf die materiell-rechtliche Frage des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

RechtsgebieteEStG, AOVorschriftenEStG § 20 Abs. 1 EStG § 43 Abs. 1 EStG § 44 Abs. 5 AO § 191 Abs. 1

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