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18.12.2009 · IWW-Abrufnummer 094112

Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 28.10.2009 – 9 K 146/09

Inländer haben jedenfalls dann keinen Anspruch auf die Gewährung der Eigenheimzulage für ihre im EU-Ausland belegene und selbstgenutzte Zweitwohnung, wenn für das betreffende Jahr bereits die Festsetzungsverjährung eingetreten ist.


NIEDERSÄCHSISCHES FINANZGERICHT
URTEIL
vom 28.10.2009
Az.: 9 K 146/09
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute, die nach eigenen Angaben ihren gemeinsamen Wohnsitz in Isernhagen haben.
Die Kläger reichten am 1. Juli 2008 einen Antrag auf Eigenheimzulage ab 2001 für das von ihnen am 16. Juli 2001 angeschaffte und selbstgenutzte Objekt "R" in P. (Spanien) beim beklagten Finanzamt ein. Sie waren der Ansicht, aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 18. Januar 2008 (Az. C-152/05, BStBl. II 2008, 326) stünde ihnen die entsprechende Zulagebegünstigung für ihre Auslandsimmobilie zu.
Nach Einreichung weiterer Unterlagen und Ergänzung der Angaben zum Immobilienerwerb setzte der Beklagte mit Bescheid vom 18. September 2008 die Eigenheimzulage nur für die Jahre 2003 - 2008 i.H.v. jährlich 2.556,46 € fest. Der darüber hinausgehende Antrag für die Jahre 2001 und 2002 wurde unter Hinweis auf den Ablauf der Festsetzungsfrist abgelehnt. Bei der Berechnung der Festsetzungsverjährungsfrist berücksichtigte der Beklagte, dass die Kläger ihre Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre jeweils im Folgejahr abgegeben hatten und die anschließend ergangenen Einkommensteuerbescheide nicht angefochten wurden.
Gegen diesen Bescheid über die Ablehnung der Eigenheimzulage 2001 und 2002 wendeten sich die Kläger mit ihrem Einspruch vom 6. Oktober 2008. Sie waren der Ansicht, aufgrund des erst in 2008 ergangenen EuGH-Urteils hätte die Geltendmachung ihrer Ansprüche erst zum Ende des 8-jährigen Förderzeitraums erfolgen können. Dies stehe einer Festsetzungsverjährung für die Eigenheimzulage 2001 und 2002 entgegen. Der Beklagte verblieb gleichwohl bei seiner Rechtsauffassung betreffend Eintritt der Festsetzungsverjährung, begründete aber die Zurückweisung des Einspruchs mit einer zwischenzeitlich geänderten Rechtsauffassung zur grundsätzlichen Anspruchsberechtigung für im EU-Ausland belegenen Immobilien von gemäß § 1 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Kläger ihr Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiterverfolgen.
Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen Folgendes vor: Der EuGH habe festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 18 EG, 39 EG und 43 EG verstößt, in dem sie in § 2 Eigenheimzulagegesetz die Gewährung der Eigenheimzulage an unbeschränkt Einkommensteuerpflichtige für die in einem anderen Mitgliedsstaat belegenen Wohnungen ausgeschlossen hatte. Da dies auch die Kläger betroffen habe, könne dieser festgestellte Verstoß gegen EU-Recht nicht dadurch korrigiert werden, indem diese sich auf die innerdeutsch gesetzten Verjährungsfristen berufe. Ansonsten würde die Entscheidung des EuGH für die streitbefangenen Zeiträume ins Leere laufen. Trotz objektivem Rechtsverstoß würde eine berechtigte Anwendung der Verjährungsvorschriften die Ansprüche der Kläger praktisch zunichte machen.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid des Beklagten über die Ablehnung der Eigenheimzulage 2001 und 2002 vom 18. September 2008 in Gestalt des Einspruchsbescheides des Beklagten vom 13. März 2009 aufzuheben und stattdessen den Beklagten zu verpflichten, den Klägern die Eigenheimzulage für die Jahre 2001 und 2002 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist zur Begründung auf seine in der Einspruchsentscheidung dargelegte Rechtsauffassung.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist unbegründet.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Gewährung der Eigenheimzulage für ihre in Spanien belegene Zweitwohnung für die Streitjahre 2001 und 2002, da ungeachtet eines Anspruchs dem Grunde nach insoweit die bereits eingetretene Festsetzungsverjährung einer nachträglichen Geltendmachung entgegensteht (§ 15 Abs. 1 Eigenheimzulagengesetz –EigZulG - in der für die Streitjahre geltenden Fassung i.V.m. §§ 155 Abs. 4, 169 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 1 Abgabenordnung – AO -).
a. Fraglich ist bereits, ob den Klägern ein Anspruch auf Eigenheimzulage für ihre Auslandimmobilie dem Grunde nach zusteht.
Dem könnte entgegenstehen, dass § 2 Satz 1 EigZulG (in der Fassung bis zum 31.12.2005) die Gewährung der Eigenheimzulage an die Voraussetzung knüpft, dass die angeschaffte oder hergestellte Wohnung im Inland belegen ist.
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat im Urteil vom 17. Januar 2008 (Rs. C-152/05, BStBl. II 2008, 326 mit Anmerk. Gosch, BFH-RR 2008, 151) hierzu entschieden, dass dieser in § 2 Satz 1 EigZulG verankerte Inlandsbezug mit der EG-vertraglich verbürgten Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EG) und der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG) unvereinbar ist. Nach dem vorgenannten EuGH-Urteil liegt danach ein Verstoß gegen dieses Vorschriften vor, wenn § 2 EigZulG keine Eigenheimzulage an unbeschränkt Einkommensteuerpflichtige für ihre in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Wohnungen gewährt. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war Antragsteller ein Steuerpflichtiger mit Wohnsitz außerhalb Deutschlands, der jedoch im Inland Einkünfte erzielte und sich per Antrag in die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht einwählte (§ 1 Abs. 2, 3 EStG).
Im Nachgang zu diesem EuGH-Urteil ist umstritten, ob auch Steuerpflichtige mit Wohnsitz im Inland, bei denen sich die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht bereits aus § 1 Abs. 1 EStG ergibt, ebenfalls in den Genuss der Eigenheimzulage für ihre im EU-Ausland belegenen eigengenutzten Immobilien kommen.
aa. Die Finanzverwaltung hat diese EuGH-Rechsprechung durch BMF-Schreiben vom 13. März 2008 (BStBl. I 2008, 539) umgesetzt. Das BMF hat sich dabei genau an dem dem EuGH-Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt orientiert und die Umsetzung auf die Fälle der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht gemäß § 1 Abs. 2, 3 EStG beschränkt (EU-Ausländer mit beantragter unbeschränkter Einkommensteuerpflicht im Inland).
In späteren Verwaltungserlassen der Länder wird klargestellt, dass das EuGH-Urteil vom 17. Januar 2008 auf im EU/EWR-Ausland (ohne Liechtenstein) belegene Zweit- oder Ferienwohnungen, die entweder von den Eigentümern selbst bewohnt oder unentgeltlich an nahe Angehörige zu Wohnzwecken überlassen werden, nicht anzuwenden ist (vgl. z.B. FM Schleswig-Holstein, Verfügung vom 21. April 2008, VI 312-EZ 1110-016, juris; Bayerisches Landesamt für Steuern, Schreiben vom 29. Dezember 2008 - EZ 1000.1.1-1/2 St 32/St 33, juris). In diesen Fällen geht die Finanzverwaltung davon aus, dass die Eigentümer in Deutschland bereits aufgrund eines hier vorhandenen (Erst-)Wohnsitzes nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig sind. Der EuGH habe demgegenüber über einen Sachverhalt zu befinden gehabt, in dem der Steuerpflichtige im Inland nicht über einen Wohnsitz verfügt habe, sondern der mit seinen Einkünften hier eigentlich nur beschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sei, sich aber über § 1 Abs. 3 EStG in die unbeschränkte Steuerpflicht eingewählt habe.
bb. In der Rechtsprechung der Finanzgerichte wird die Streitfrage der Reichweite des EuGH-Urteils vom 17. Januar 2008 unterschiedlich beurteilt.
So stimmt das Niedersächsische FG im ADV-Beschluss vom 3. Juni 2009 (9 V 80/09, EFG 2009, 1729; Beschwerde eingelegt, Az. des BFH: IX B 124/09) der Auffassung der Finanzverwaltung zu. Danach enthält die Entscheidung des EuGH vom 17. Januar 2008 (C-152/05, BStBl II 2008, 326) unmittelbare Wirkungen nur hinsichtlich gem. § 1 Abs. 2 und Abs. 3 EStG unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen (zustimmend Leitner, EFG 2009, 1281; ähnlich Wilke, PiSt 2008, 113).
Dagegen hält das FG Baden-Württemberg im Urteil vom 23. April 2009 (3 K 3441/08, EFG 2009, 1279, Rev. eingelegt, Az. des BFH: IX R 20/09) die Begrenzung auf im Inland belegene Objekte für unbeschränkt Steuerpflichtige im Sinne des § 1 Abs. 1 EStG ebenso für gemeinschaftswidrig (ebenso Brandenburg, BB 2008, 864). Nach Auffassung des FG wird auch in Bezug auf den „Zweitwohnsitz“ das Recht auf Freizügigkeit beschränkt, da es nicht nur das Recht auf Wegzug umfasst, sondern das Recht eines jeden Bürgers der Europäischen Union, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Das FG stützt sich dabei auf die Auffassung der Europäischen Kommission, die in einem – in EFG 2009, 1279 wiedergegebenen – Schreiben vom 19. August 2008 mitgeteilt hat, dass nach ihrer Lesart des EuGH-Urteil Eigenheimzulage auch für eine Zweitwohnung in einem anderen Mitgliedstaat gewährt werden müsse, wenn für die inländische Zweitwohnung ebenfalls eine Eigenheimzulage gewährt worden wäre.
Im Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Niedersächsischen FG vom 3. Juni 2009 (a.a.O.) hat sich nunmehr auch der Bundesfinanzhof (BFH) zu der Problematik geäußert. Im Beschluss vom 1. Oktober 2009 (IX B 124/09) hat der BFH auf Grund der vorstehenden unterschiedlichen Auffassungen als rechtlich zweifelhaft angesehen, ob die durch § 2 EigZulG angeordnete Begrenzung auf im Inland belegene Objekte auch in Bezug auf unbeschränkt Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 1 EStG eine Beschränkung der in Art. 39 und 43 EG verbürgten Freizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit darstellt und der Beschwerde stattgegeben.
Der BFH hat zwar angeführt, dass für die einschränkende Auslegung durch die Finanzverwaltung spreche, dass der dem EuGH-Urteil zugrunde liegende Fall keinen Steuerpflichtigen nach § 1 Abs. 1 EStG betrifft. Vielmehr handele es sich um Fallgruppen, die der Generalanwalts Bot in der auch vom EuGH explizit in Bezug genommenen Rz. 64 seiner Schlussanträge (vgl. Slg. 2008, Teil I, S. I-39) beschrieben habe als „Personen mit Wohnsitz im Ausland…, Grenzpendlern und Beamten oder Bediensteten der Europäischen Gemeinschaft mit deutscher Staatsangehörigkeit und ausländischem Wohnsitz…“. Danach könnte es nach Ansicht des BFH naheliegen, den Anwendungsbereich des EuGH-Urteils vom 17. Januar 2008 (a.a.O.) entsprechend zu beschränken. Darüber hinaus weist der BFH auch auf das Urteil des EuGH vom 10. September 2009 (Rs. 269/07, DStR 2009, 1954) hin. Auch hier betreffe der beanstandete Inlandsbezug des sog. „Wohn-Riester“ (§ 92a EStG) lediglich Grenzarbeitnehmer, die ihren Wohnsitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats und nicht in Deutschland haben.
Der Ausgang des beim BFH unter dem Az. IX R 20/09 anhängigen Revisionsverfahrens ist ungeachtet dessen derzeit völlig offen.
b. Der Senat braucht die vorstehende Streitfrage jedoch nicht entscheiden. Es kann im vorliegenden Streitfall vielmehr dahinstehen, ob den Klägern dem Grunde nach ein Anspruch auf Eigenheimzulage zusteht. Auch bei grundsätzlicher Anspruchsberechtigung steht der Gewährung die bereits bei Antragstellung eingetretene Festsetzungsverjährung für die streitbefangene Eigenheimzulage 2001 und 2002 entgegen.
aa. Bei Antragstellung am 1. Juli 2008 war die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO für die Eigenheimzulage 2001 und 2002 bereits abgelaufen.
(1) Für die Festsetzung der Eigenheimzulage sind die für die Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO entsprechend anzuwenden (§ 15 Abs. 1 EigZulG). Nach § 155 Abs. 4 AO gelten die Vorschriften über die Steuerfestsetzung sinngemäß für die Festsetzung einer Steuervergütung. Demnach sind nicht nur die Regelungen über die Berichtigung bzw. Änderung von Bescheiden über Festsetzung von Steuervergütungen, sondern auch die Regelungen zur Festsetzungsverjährung nach der Abgabenordnung anwendbar.
Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist danach auch die Festsetzung der Eigenheimzulage nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO grundsätzlich 4 Jahre. Der Beginn der vierjährigen Verjährungsfrist ist vom Entstehen des Anspruchs auf Eigenheimzulage abhängig (§ 170 Abs. 1 AO). Nach § 10 EigZulG ist das der Beginn der Nutzung der Wohnung zu eigenen Wohnzwecken und für die weiteren Jahre des Förderzeitraums jeweils der Beginn des Kalenderjahres, für das eine Eigenheimzulage festzusetzen ist. Folglich beginnt gemäß § 70 Abs. 1 AO die Verjährungsfrist mit Ablauf des jeweiligen - weiteren - Jahres des Förderzeitraums (vgl. hierzu FG Nürnberg, Urteil vom 13. September 2006 - III 63/2005, juris). Bei der Berechnung der Festsetzungsverjährung ist demnach zu beachten, dass für jedes Förderjahr eine eigenständige Verjährungsfrist läuft.
Sofern die Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer für das einzelne Jahr noch nicht abgelaufen ist, ist zudem § 11 Abs. 1 Satz 4 EigZulG (Ablaufhemmung) zu beachten.
(2) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze ist die Festsetzungsverjährungsfrist für die Eigenheimzulage 2001 am 31. Dezember 2006 und für die Eigenheimzulage 2002 am 31. Dezember 2007 abgelaufen.
Der Beginn der Fristen bestimmt sich gemäß § 170 Abs. 1 AO mit dem Ablauf des Jahres 2001 bzw. 2002. Das regelmäßige Verjährungsfristende ergibt sich vorliegend jeweils nach Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist.
Zudem ist die Ablaufhemmung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 EigZulG ist beachten, da die für die Einkommensteuer laufende Festsetzungsverjährungsfrist erst am 31. Dezember 2006 bzw. 31. Dezember 2007 abgelaufen ist (§§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 170 Abs. 2 Nr. 1 AO; Abgabe der Einkommensteuererklärungen in 2002 für 2001 bzw. 2003 für 2002). Das Ende der Festsetzungsverjährungsfrist ist somit bezüglich der Eigenheimzulage 2001 am 31. Dezember 2006 und für die Eigenheimzulage 2002 am 31. Dezember 2007 eingetreten.
Nach alledem ist die erstmalige Festsetzung der Eigenheimzulage für 2001 und 2002 am 1. Juli 2008 nicht mehr zulässig (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO).
bb. Das nach Ablauf der Festsetzungsfrist eintretende Änderungsverbot der deutschen Abgabenordnung ist entgegen der Auffassung der Kläger auch dann anzuwenden, wenn sich – wie im Streitfall denkbar - nachträglich eine bessere Rechtserkenntnis durch Bekanntwerden eines der seitherigen Rechtsanwendung zuwider laufenden Erkenntnisses des Europäischen Gerichtshofes ergibt.
(1) Zu dem Spannungsverhältnis zwischen der Geltendmachung des nachträglich als gemeinschaftswidrig erkannten materiellen Steuerrechts und von sich daraus für die Gemeinschaftsbürger ergebenen Ansprüchen auf der einen Seite und den nationalen Verfahrensvorschriften auf der anderen Seite haben EuGH, BFH und zahlreiche Finanzgerichte bislang vornehmlich im Bereich des Umsatzsteuerrechts Stellung genommen. Dabei ging es um die Frage, ob die nationale Rechtsordnung eine Änderung im Widerspruch zur Gemeinschaftsrechtsordnung stehender Steuerbescheide dann versagen kann, wenn nach den Vorschriften der §§ 169 ff. AO Bestandskraft bzw. Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
(a) Auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ist der BFH im Urteil vom 23. November 2006 (V R 67/05, BStBl II 2007, 436; Verfassungsbeschwerde wurde gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG-Beschluss vom 4. September 2008, Az. 2 BvR 1321/07, HFR 2009, 189) zu dem Ergebnis gelangt, dass die Aufhebung eines rechtswidrigen belastenden bestandskräftigen Verwaltungsakts nach der EuGH-Rechtsprechung in Fällen grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn sie durch eine nationale Regelung ermöglicht wird. Ein bestandskräftiger Steuerbescheid ist deshalb - auch unter Berücksichtigung von Art. 10 EG - nicht änderbar, wenn das nationale Recht hierfür - wie §§ 172 ff. AO - keine Rechtsgrundlage vorsieht (vgl. auch Frenz, DVBl 2004, 375; Birk/Jahndorf, UR 2005, 198, 199 f.).
Gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 1 EG treffen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgabe (Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EG). Die Mitgliedstaaten haben zudem alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrages gefährden können (Art. 10 Abs. 2 EG).
Der BFH verweist darauf, dass nach der Rechtsprechung des EuGH dieser in Art. 10 EG verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit eine Verwaltungsbehörde auf entsprechenden Antrag hin verpflichtet, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um der mittlerweile vom EuGH vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmung Rechnung zu tragen, wenn u.a. die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, diese Entscheidung zurückzunehmen (vgl. EuGH-Urteil vom 13. Januar 2004 Rs. C-453/00 - Kühne und Heitz -, Slg. 2004, I-837, HFR 2004, 488). Nach Klarstellung des EuGH in späteren Entscheidungen solle die Verpflichtung zur Überprüfung von einer Befugnis dieser Behörde nach nationalem Recht zur Rücknahme der Entscheidung abhängig gemacht werden (vgl. EuGH-Urteile vom 16. März 2006 Rs. C-234/04 --Kapferer--, Slg. 2006, 2585, NJW 2006, 1577; vom 19. September 2006 Rs. C-392/04 und C-422/04 - i 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG -, DVBl 2006, 1441 RandNr. 52; vom 12. Februar 2008 C-2/06, "Willy Kempter", Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2008, 148).
Die Rechtssicherheit gehört nach Auffassung des EuGH zu den im Gemeinschaftsrecht anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Die Bestandskraft einer Verwaltungsentscheidung, die nach Ablauf angemessener Klagefristen oder Erschöpfung des Rechtswegs eingetreten sei, trage zur Rechtssicherheit bei. Daher verlange das Gemeinschaftsrecht nicht, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet sei, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen (ebenso EuGH-Urteil vom 19. September 2006 Rs. C-392/04 und C-422/04 - i 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG, DVBl 2006, 1441 RandNr. 51).
An den vorstehenden Grundsätzen hat der BFH auch in der Folgezeit festgehalten (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Juni 2009 - I B 230/08, BFH/NV 2009, 1779; BFH-Urteil vom 29. Mai 2008 - V R 45/06, BFH/NV 2008, 1889, Verfassungsbeschwerde wurde gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG-Beschluss vom 14. September 2009 - 1 BvR 2601/08, juris).
(b) Von den unter (a) genannten Rechtsgrundsätzen hat der EuGH in der Rechtssache Emmott (Urteil vom 25. Juli 1991 Rs C-208/90 UR 1993,315) eine Ausnahme zugelassen. In diesem Streitfall hat der EuGH entschieden, dass ein Mitgliedstaat vor der ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie einem Gemeinschaftsbürger nicht den Ablauf der Klagefrist entgegenhalten könne, wenn dieser sich auf eine unmittelbar wirkende Richtlinie berufe. Die Rechtsbehelfsfrist beginne erst mit der ordnungsgemäßen Umsetzung zu laufen (sog. Emmott'sche Fristenhemmung).
Doch hat der EuGH in den Folgeentscheidungen klargestellt, dass die großzügige Betrachtung im Fall Emmott durch die besonderen Umständen dieses Falles gerechtfertigt war, in dem der Klägerin des Ausgangsverfahrens durch den Ablauf der Klagefrist jede Möglichkeit genommen war, ihren auf eine Gemeinschaftsrichtlinie gestützten Anspruch auf Gleichbehandlung geltend zu machen (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 1997, C-188/95 - Fantask, EuGHE 1997, I-6783 Rz. 51 m.w.N.; vgl. auch BFH-Beschluss vom 15. September 2004 I R 83/04, DStR 2004, 2005; Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 4. Februar 2005 - 9 K 198/02, EFG 2005, 910). Die Schlussfolgerungen von Emmott stellen sich damit als eine einzelfallbezogene Anwendung des Vereitelungsverbots sowie des Grundsatzes von Treu und Glauben dar (Leonard/Szczekalla, UR 2005, 420 ff m.w.N.). Dem hat sich der BFH im Urteil vom 23. November 2006 (V R 67/05, a.a.O.) angeschlossen.
(c) Diese Rechtsgrundsätze gelten auch, wenn die nationale Rechtsordnung eine Änderung im Widerspruch zur Gemeinschaftsrechtsordnung stehender Steuerbescheide dann versagt, wenn nach den Vorschriften der §§ 169 ff. AO Festsetzungsverjährung eingetreten ist (vgl. Niedersächsisches FG, Urteil vom 9. November 2005 - 5 K 249/05, EFG 2006, 295; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 4. Februar 2005 - 9 K 198/02, IStR 2005, 604.; ebenso Lohse, Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 27. Oktober 1993 C-338/91 - Steenhorst-Neerings, IStR 1994, 127).
(d) Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass die vorstehend erläuterten Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Streitfall zu übertragen sind.
Danach handelt der Beklagte rechtmäßig und EU-rechtskonform, soweit er die Versagung einer erstmaligen Festsetzung der Eigenheimzulage auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung – und damit auf das nationale Verfahrensrecht – stützt.
Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass das Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten nicht harmonisiert ist. Es besteht dafür auch keine allgemeine Befugnis der EU (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 1998 - Rs. C-85/97 - societe financiere d'investissements, UR 1999, 206, 208 Rn. 31).
Die Anwendung der Vorschriften über die Festsetzungsverjährung im Streitfall steht nach Auffassung des Senats zudem im Einklang mit den vom EuGH entwickelten Grundsätzen zur Geltendmachung subjektiver Gemeinschaftsrechte. Danach ist grundsätzlich das nationale Verfahrensrecht maßgebend (Grundsatz der Verfahrensautonomie). Dabei dürfen diese Bedingungen allerdings nicht ungünstiger sein als diejenigen für entsprechende nur nationales Recht betreffende Klagen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und sie dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die nationalen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch unmöglich machen (Grundsatz der Effektivität – EuGH-Urteil vom 29. Juni 1988 240/87 - Denkavit Italiana, EuGHE 1988, 3513 Tz. 12; vom 1. Dezember 1997 C-188/95 - Fantask, EuGHE 1997, I-6783 Tz. 45 ff; vom 28. November 2000 C-88/99 - Roquette Freres, EuGHE 2000, I-10465 Tz. 20 ff).
Diese Grundsätze sind im Streitfall gewahrt.
Dem Grundsatz der Gleichwertigkeit ist Rechnung getragen, denn das nach Ablauf der Festsetzungsfrist eintretende Änderungsverbot der deutschen Abgabenordnung gilt gleichermaßen, wenn sich nachträglich eine bessere Rechtserkenntnis durch Ergehen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, durch eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes oder durch Bekanntwerden eines der seitherigen Rechtsanwendung zuwider laufenden Erkenntnisses des Europäischen Gerichtshofes ergibt. Die Bedingungen für Anträge auf Eigenheimzulage bei Objekten im EU-Ausland wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts sind nicht ungünstiger als für auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützte Anträge.
Auch der Grundsatz der Effektivität ist gewahrt. Eine nationale Frist (wie die Festsetzungsverjährungsfrist), die mindestens vier Jahre und höchstens fünf Jahre vor das Jahr zurückreicht, in dem die Gerichtsentscheidung verkündet worden ist, mit der die Unvereinbarkeit der der Abgabenerhebung zugrunde liegenden Rechtsvorschrift mit einer höherrangigen Rechtsvorschrift festgestellt wird, sieht der EuGH als angemessen an. Auch wenn es in bestimmten Fällen zur vollständigen Abweisung des Antrages kommen kann, ist nach Ansicht des EuGH der Grundsatz gewahrt, dass die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte weder praktisch unmöglich gemacht noch übermäßig erschwert werden darf (EuGH-Urteil vom 28. November 2000, a.a.O. Rn 25). Im Ergebnis verstößt weder gegen den Grundsatz der Effektivität noch der Gleichwertigkeit des Gemeinschaftsrechts, wenn die nationale Rechtsordnung eine erstmalige Festsetzung einer Steuervergünstigung dann versagt, wenn nach den Vorschriften der §§ 169 ff. AO bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist (ähnlich Niedersächsisches FG, Urteil vom 9. November 2005 - 5 K 249/05, EFG 2006, 295; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 4. Februar 2005 - 9 K 198/02, IStR 2005, 604).
Allein bei Anwendung der nationalen Vorschriften über die Festsetzungsverjährung kann zudem den gemeinschaftlich anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens Rechnung getragen werden.
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Finanzgerichtsordnung (FGO).
3. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO).

RechtsgebietEigenheimzulage 2001 und 2002

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