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04.03.2009 · IWW-Abrufnummer 090745

Oberlandesgericht Koblenz: Urteil vom 30.10.2008 – 5 U 576/07

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Geschäftsnummer: 5 U 576/07
10 O 148/05 Landgericht Koblenz
Verkündet am 30. Oktober 2008

OBERLANDESGERICHTKOBLENZ
IM NAMEN DES VOLKES

TEILSCHLUSS- UND GRUNDURTEIL

In dem Rechtsstreit XXX

wegen Arzthaftung

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz
durch XXX auf die mündliche Verhandlung vom 25. September 2008

für R e c h t erkannt:

1. Unter Zurückweisung des gegen die Beklagten J... O..., E... J..., G... B..., D... Sch... und M... St... gerichteten Rechtsmittels wird das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 28. März 2007 auf die Berufung der Klägerin teilweise geändert und wie folgt neu gefasst :

a) Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt, soweit die Klägerin von dem beklagten Krankenhaus (Beklagte zu 1), Frau A... E... (Beklagte zu 7) und Dr. med. W... E... (Beklagter zu 8) Zahlung materiellen Schadensersatzes, immateriellen Schadensersatzes sowie Schmerzensgeld- und Pflegerente begehrt (SS vom 8. Juni 2007 Klageanträge 2 bis 4 – Bl. 297 GA).

b) Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1, 7 und 8 als Gesamtschuldner der Klägerin alle immateriellen Schäden ersetzen müssen, die ihr künftig aufgrund der Fehlbehandlung am 25. Januar 2002 entstehen, soweit diese Schäden nicht durch die noch zu beziffernde Schmerzensgeldrente (Klageantrag 4) abgegolten sind.

c) Im Übrigen wird auch die gegen die Beklagten zu 1, 7 und 8 gerichtete Berufung zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten J... O..., E... J..., G... B..., D... Sch... und M... St... zu tragen. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Seiten dürfen die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern der Vollstreckungsgläubiger nicht seinerseits eine entsprechende Sicherheit leiste.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

I.

Die am 23. Januar 2002 um 11.14 Uhr geborene Klägerin nimmt das beklagte Krankenhaus, sechs dort tätige Krankenschwestern und den Chefarzt der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe auf Schadensersatz, Schmerzensgeld, Schmerzensgeld- und Pflegerente sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für immaterielle Zukunftsschäden in Anspruch. Sie lastet den Beklagten Versäumnisse am Tag der Geburt und den beiden darauf folgenden Tagen an.

Die komplikationslose erste Schwangerschaft der seinerzeit 39-jährigen Kindesmutter war von dem Gynäkologen Dr. L..., Streithelfer auf Seiten der Beklagten, betreut worden. Er hatte die üblichen Untersuchungen der Schwangeren veranlasst, die keinen auffälligen Befund ergaben. Tatsächlich war der Geburtskanal mit Streptokokken besiedelt, was bei der Schwangeren infolge einer Keimresistenz keinerlei Probleme verursachte. Eine auf den Streptokokkenbefall zielende Untersuchung ist nach den damals und heute herausgegebenen Mutterschaftsrichtlinien nur unter Voraussetzungen vorgesehen, die bei der Klägerin nicht vorlagen.

Unter der Geburt wurden die Keime auf die Klägerin übertragen, die demzufolge an einer Meningitis erkrankte, die in den Morgenstunden des 25. Januar 2002 zur notfallmäßigen Verlegung in ein Kinderkrankenhaus führte. Trotz der dortigen Bemühungen ist die Klägerin infolge der Meningitis schwerbehindert.

Die Klägerin hat vorgetragen, schon am Tag ihrer Geburt und verstärkt am Tag danach, jedenfalls aber am 25. Januar 2002 sei es zu einer derartigen Vielzahl von Auffälligkeiten gekommen, dass die Infektionszeichen früher hätten bemerkt werden müssen. Die gebotene unverzügliche und gezielte Behandlung hätte den heute bestehenden Schaden vermieden.

Die Beklagten haben dem entgegengehalten, an den ersten beiden Lebenstagen hätten keine Hinweise auf eine Erkrankung vorgelegen. Auf die erstmals in den Morgenstunden des 25. Januar 2002 zutage getretenen Zeichen einer Infektion habe man sachgemäß und zeitnah reagiert. Selbst bei einer frühzeitigeren Intervention wären die heute vorhandenen Ausfälle und Beschwerden gleichermaßen vorhanden.

Das Landgericht hat Zeugen zur gesundheitlichen Entwicklung der Klägerin an den ersten beiden Lebenstagen befragt, ein Gutachten des Gynäkologen Prof. Dr. Br... eingeholt und ihn ergänzend in der mündlichen Verhandlung angehört. Hiernach hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, es stehe nicht fest, dass Meningitissymptome bereits am 24. oder gar am 23. Januar 2002 vorgelegen hätten. Auf die ersten Zeichen in den frühen Morgenstunden des 25. Januar 2002 habe man rechtzeitig und sachgemäß reagiert.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin die erstinstanzlichen Klageanträge auf Schadensersatz, Schmerzensgeld, Schmerzensgeld- und Pflegerente weiter. Daneben begehrt sie nur noch die Feststellung, dass die Beklagten für alle immateriellen Zukunftsschäden haften (Bl. 297/298 GA). Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei fehlerhaft und berücksichtige nicht hinreichend die Befundlage am 24. und 25. Januar 2002.

Die Beklagten und deren Streithelfer verteidigen die angefochtene Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat ein schriftliches Sachverständigengutachten des Neonatologen Prof. Dr. Ba... eingeholt. Sodann ist die erstinstanzliche Beweisaufnahme zum Teil wie-derholt worden. Daneben hat der Senat die Eltern der Klägerin und die Beklagten zu 3 bis 5 nach § 141 ZPO angehört und die Sachverständigen Prof. Dr. Br... und Prof. Dr. Ba... mündlich befragt. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung und Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25. September 2008 verwiesen.

II.

1. Die Berufung ist unbegründet, soweit die Klägerin eine Verurteilung der Krankenschwestern J... O..., E... J..., G... B..., D... Sch... und M... St... erstrebt. Das Landgericht hat die Klage insoweit zu Recht abgewiesen.

a) Die Klägerin sieht das anders und meint, schon am 23. Januar 2002 und erst recht am 24. Januar 2002 seien Symptome aufgetreten, die die Krankenschwestern hätten veranlassen müssen, eine unverzügliche ärztliche Befunderhebung und Diagnose und die daran anknüpfende kinderärztliche Krisenintervention zu veranlassen.

Dem kann nicht gefolgt werden. Dass der Keim erst unter der Geburt von der Mutter auf das Kind übertragen wurde, ist unstreitig. Beide Sachverständige stimmen darin überein, dass die Inkubationszeit nach der Keimübertragung ein Auftreten erster Krankheitssymptome bereits am Tag der Geburt nahezu ausgeschlossen erscheinen lässt. Abweichende Erkenntnisse von Tragfähigkeit haben sich in den Beweisaufnahmen erster und zweiter Instanz nicht ergeben.

Entsprechend den medizinischen Erkenntnissen zur Inkubationszeit hat der Senat daher bei der Wiederholung und Ergänzung der Beweisaufnahme seinen Blick auf den gesundheitlichen Zustand der Klägerin am 24. und 25. Januar 2002 fokussiert.

Dabei ließ sich nicht verlässlich feststellen, dass bereits am 24. Januar 2002 Anzeichen für eine Erkrankung der Klägerin bestan-den. Zwar haben die Kindesmutter und die drei Zeuginnen M... K..., A… K... und B… A… A… Auffälligkeiten, insbesondere das ruckartige Erbrechen der Klägerin berichtet, was nach Darstellung der (aus gesundheitlichen Gründen nur in erster Instanz gehörten) Großmutter der Neugeborenen alle drei Zeuginnen und die Kindesmutter bereits zu diesem frühen Zeitpunkt sehr beunruhigte. Die Schlussfolgerung, bei dem ruckartigen Erbrechen und dem sonstigen Verhalten der Neugeborenen am 24. Januar 2002 habe es sich um erste Anzeichen der später manifest gewordenen Infektion gehandelt, ist jedoch nach den Erkenntnissen, die die Sachverständigen vermittelt haben, medizinisch nicht hinreichend tragfähig. Ein Kind zeigt in den ersten Lebenstagen Verhaltensweisen und Reaktionen, die dem unbefangenen Beobachter, erst recht jedoch einem Angehörigen, der dem Neugeborenen emotional in ganz besonderer Weise verbunden ist, auffällig oder gar Besorgnis erregend erscheinen mögen. Tatsächlich handelt es sich jedoch durchweg um Ereignisse, die mit großem Facettenreichtum auch bei gesunden Neugeborenen auftreten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme können die von den Zeugen berichteten Auffälligkeiten nicht als erste Zeichen des unter der Geburt in Gang gesetzten infektiösen Geschehens gedeutet werden.

Dass Derartiges retrospektiv anders gesehen und gewichtet wird, wenn sich herausstellt, dass die weitere Entwicklung des Kindes in eine lebensbedrohliche Erkrankung mündete, liegt nahe. An derartige Rückschlüsse kann eine Haftung aber nur anknüpfen, wenn gesichert feststeht, dass ein Sachverhalt vorlag, der eine ärztliche Befunderhebung, Diagnose und Krisenintervention erforderte. Das war am 24. Januar 2002 noch nicht der Fall.

Die zum Zustand und dem Verhalten der Klägerin befragten Krankenschwestern haben in Übereinstimmung mit der seinerzeit erstellten Pflegedokumentation, die dem Senat verlässlich erscheint, Tatsachen bekundet, nach denen man die Entwicklung der Neugeborenen am 24. Januar 2002 als unproblematisch ansehen durfte. Dabei hat der Senat bedacht, dass die Angaben der beklagten Krankenschwestern wegen ihres persönlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits kritisch gewürdigt werden müssen. Auch unter dieser Prämisse hat sich jedoch kein Anhalt ergeben, dass die drei vernommenen Krankenschwestern bei ihrer Anhörung unrichtig, unvollständig oder gar bewusst unwahr ausgesagt haben. Auf dem persönlichen Eindruck, den der Senat sich verschafft hat, gründet vielmehr die Überzeugung, dass die Beklagten E... J..., G... B... und D... Sch... die Klägerin am 24. Januar 2002 mit der gebotenen Sorgfalt beobachtet und dabei keine Feststellungen getroffen haben, die der Abklärung durch einen Arzt oder einer sonstigen Maßnahme bedurften.

Die Beklagte E... J... ist eine ehemalige Klassenkameradin der Kindesmutter. Daher beobachtete Frau J... den Säugling mit besonderem Interesse. Bei der Anhörung dieser Beklagten ist für den Senat sehr deutlich geworden, dass Frau J... in fortbestehender emotionaler Verbundenheit mit Mutter und Kind um eine wahrheitsgemäße Darstellung bemüht war. Danach bestanden am 24. Januar 2002 noch keine Auffälligkeiten, die auf den in Gang gesetzten Infektionsprozess deuteten. Der Senat verweist auf die insoweit übereinstimmenden fachkundigen Einschätzungen der beiden Sachverständigen (Bl. 478 ff GA).

Soweit die Zeugin A... davon gesprochen hat (Bl. 458 GA), schon in den Abendstunden des 24. Januar 2002 sei davon die Rede gewesen, Mutter und/oder Kind zu verlegen, konnte trotz aller (teilweise nicht protokollierten) Aufklärungsbemühungen des Senats nicht geklärt werden, ob Hintergrund einer derartigen Bemerkung gegebenenfalls ein auffälliger Zustand der Klägerin oder lediglich eine allgemeine Unzufriedenheit der Kindeseltern mit der Krankenhaussituation war (vgl. die Aussage der Mutter Bl. 473 GA).

Nach alledem lassen sich Versäumnisse der Beklagten E... J..., G... B... und D... Sch... am 24. Januar 2002 nicht feststellen.

b) Soweit die Beklagten D... Sch... und J... O... in den Morgenstunden des 25. Januar 2002 nach dem Schichtwechsel um 6.00 Uhr wieder mit der Klägerin befasst waren, konnte nicht geklärt werden, ob seitens der beiden Krankenschwestern auf das erstmals für 6.45 Uhr protokollierte Überstrecken mit Sonnenuntergangsphänomen verspätet oder sonst unsachgemäß reagiert wurde. Es steht nämlich nicht fest, dass die Beklagten J... O... und D... Sch... nach Dienstantritt und Erledigung der üblichen Übergabeformalitäten die Klägerin vor 6.45 Uhr gesehen haben.

Das war aus der (für die Haftungsfrage maßgeblichen) Sicht der beiden Beklagten J... O... und D... Sch... unbedenklich, nachdem ihnen die Beklagte zu 7, die Nachtschwester A... E..., (fehlerhaft) von Auffälligkeiten während der Nacht nichts berichtet hatte.

c) Bei dieser Sachlage könnte eine Haftung der beiden Beklagten J... O... und D... Sch... allenfalls daran anknüpfen, dass sie der zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen Eintragung in der Pflegedokumentation, das Kind sei in der Nacht zuvor „unruhig und schreckhaft“ gewesen, bei Dienstantritt um 6.00 Uhr nicht alsbald die gebotene Beachtung schenkten. Es steht aber nicht fest, dass die Beklagten J... O... und D... Sch... an jenem Morgen die erwähnte Eintragung unmittelbar nach Dienstantritt gelesen haben oder von ihrer zuvor tätigen Kollegin A... E... (Beklagte zu 7) entsprechend informiert wurden.

Der Senat hält die übliche Praxis, einander bei Übergabe der Station mündlich über alle Auffälligkeiten zu informieren, grundsätzlich für unbedenklich. Hielte man Schwestern und Pfleger daneben für verpflichtet, jeweils die Pflegedokumentation der zuvor tätigen Kollegen zu überprüfen, würde das deren mündlichen Bericht generell in einen pauschalen Unvollständigkeitsverdacht rücken. Derartiges Misstrauen mit dem Erfordernis, schriftliche Voreintragungen alsbald nach Schichtwechsel einzusehen und zu überprüfen, ist allenfalls dann gerechtfertigt, wenn es beim mündlichen Übergabebericht schon einmal zur Auslassung maßgeblicher Sachinformationen oder sonstigen Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Dass es bei der langjährig berufserfahrenen Beklagten zu 7 derartige Beanstandungen gab, ist nicht vorgetragen und auch nicht zu ersehen. Die Beklagten J... O... und D... Sch... waren daher nicht gehalten, nach Dienstantritt um 6.00 Uhr sofort die Pflegedokumentation der Nachtschwester einzusehen.

d) Letztlich musste auch die gegen die Beklagte M... St... gerichtete Berufung zurückgewiesen werden, da sie lediglich einmal am 24. Januar 2002 gegen 11.00 Uhr mit der Klägerin befasst war. Zu diesem Zeitpunkt bestanden noch keine wahrnehmbaren und reaktionspflichtigen Auffälligkeiten.

2. Die Berufung hat zum Anspruchsgrund weitgehend Erfolg, soweit die Klägerin eine Verurteilung des Krankenhauses (Beklagte zu 1), der Krankenschwester A... E... (Beklagte zu 7) und des Chefarztes (Beklagter zu 8) erstrebt.

a) Die Beklagte zu 1 ist der Klägerin, die in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages mit der Kindesmutter einbezogen war, wegen Schlechterfüllung dieses Vertrages durch die Beklagte zu 7 (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 278 Satz 1 BGB), aber auch aus Delikt (§ 831 Abs. 1 Satz 1 BGB) schadensersatzpflichtig. Daneben haftet die Beklagte zu 7 aus Delikt (§ 823 Abs. 1 BGB). Das ergibt sich aus folgendem:

Nach der Pflegedokumentation, die dem Senat verlässlich erscheint und die daher ungeachtet der Kritik der Klägerin zugrunde gelegt werden muss, stellte die Beklagte A... E... in der Nacht zum 25. Januar 2002 fest, dass die Klägerin sehr oft schrie und „unruhig und schreckhaft“ war. Insbesondere die Schreckhaftigkeit musste die Beklagte zu 7 veranlassen, alsbald einen Arzt zu informieren, damit dieser den Gesundheitszustand der Klägerin prüfte und die medizinisch gebotenen weiteren Schritte unternahm oder veranlasste.

Den Einwand, auch das Verhalten gesunder Neugeborener könne vereinzelt als „schreckhaft“ angesehen werden, hat der Neonatologe Prof. Dr. Ba... nicht gelten lassen und darauf hingewiesen, dass ein Normalbefund nicht dokumentationspflichtig ist und gewöhnlich auch nicht dokumentiert wird. Der Senat teilt diese Sicht der Dinge. Wenn die langjährig berufserfahrene Beklagte zu 7 sich veranlasst sah, in der Dokumentation die für sie auffällige Schreckhaftigkeit der Klägerin zu notieren, durfte sie dabei nicht stehen bleiben, sondern musste unverzüglich einen Arzt über ihre Wahrnehmungen informieren.

Die Beklagten zu 1 und 7 wenden dagegen im Schriftsatz vom 23. Oktober 2008 ein, der Senat habe die Beklagte A... E... nicht gehört und ihr daher die Möglichkeit abgeschnitten, die Notiz im Pflegebericht und die unterbliebene weitere Reaktion zu erläutern.

Diese Rüge ist nicht begründet. Die Beklagte zu 7 hat nämlich nicht mitgeteilt, welche Überlegungen sie veranlassten, einerseits die Unruhe und Schreckhaftigkeit der Neugeborenen schriftlich festzuhalten und andererseits aus ihren Wahrnehmungen keinerlei Konsequenzen zu ziehen.

Die im Arzthaftungsprozess gesteigerte gerichtliche Aufklärungspflicht entbindet die Parteien nicht von dem Erfordernis, den ihnen bekannten oder zugänglichen Tatsachenstoff so weit vorzutragen, dass sich dem Gericht erschließt, in welche Richtung noch Klärungsbedarf besteht. Ohne einen derartigen Vortrag läuft die Befragung von Zeugen, erst recht jedoch die Anhörung einer Prozesspartei (§ 141 ZPO) auf bloße Ausforschung hinaus. Eine derartige Ermittlung von Amts wegen ist je-doch auch dem Arzthaftungsprozess fremd. Dies gilt erst recht, wenn es - wie im vorliegenden Fall - um eine innere Tatsache, nämlich die maßgeblichen Überlegungen für eine Nichtreaktion geht. Teilt eine Partei diese Überlegungen nicht mit, ist es nicht Aufgabe des Gerichts, danach zu forschen.

In der versäumten Zuziehung eines Arztes zum Zwecke der Befunderhebung und Diagnose liegt allerdings kein grober Fehler der Beklagten zu 7. Darin stimmen beide Sachverständige überein. Der Senat hat keinen Anlass, die Dinge anders zu gewichten und zu würdigen.

Grundsätzlich hat der Patient bei einem einfachen Fehler des Krankenhauspersonals zu beweisen, dass ein pflichtgemäßes Handeln den weiteren Kausalverlauf günstig beeinflusst hätte. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt in NJW 2008, 3006-3008 und in MedR 2008, 568-570 jeweils m.w.N) ist jedoch bei einer unterlassenen Befunderhebung darauf abzustellen, ob die gebotenen weiteren Maßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen reaktionspflichtigen Befund ergeben hätten und dies sodann bei pflichtgemäßem Handeln den weiteren Kausalverlauf zugunsten des Patienten beeinflusst hätte. Eine Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität kommt in derartigen Fällen bereits unterhalb der Schwelle zum groben Behandlungsfehler in Betracht (vgl. BGHZ 132, 47, 52 ff. , BGH in VersR 2004, 790, 792 und Senat aaO).

So liegt es im vorliegenden Fall. Nach den Erkenntnissen, die der Neonatologe Prof. Dr. Ba... dem Senat in der mündlichen Verhandlung vermittelt hat, waren die äußeren Zeichen des unter der Geburt in Gang gesetzten infektiösen Geschehens in den ersten Stunden des 25. Januar 2008 so weit ausgeprägt, dass die von der Beklagten zu 7 beobachtete Schreckhaftigkeit ein signifikantes Leitmerkmal für die mit rasanter Geschwindigkeit sich entwickelnde Meningitis war.

Dass es der Beklagten zu 7 als Krankenschwester nicht oblag, Bedeutung und Tragweite der als auffällig wahrgenommenen Symptome ein-zuschätzen, versteht sich von selbst. Sie musste jedoch unverzüglich einen Arzt informieren. Hätte dieser die Klägerin untersucht, wäre ihm nicht zwingend die richtige Diagnose gelungen. Eine ärztliche Untersuchung hätte aber sicher ergeben, dass der Gesundheitszustand der Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt derart besorgniserregend war, dass weitere Maßnahmen unerlässlich waren. So hätte man schon in der Nacht eine intensivmedizinische Behandlung, Betreuung und Überwachung der Klägerin herbeiführen und die alsbaldige notfallmäßige Verlegung in die Kinderklinik N… vorbereiten und veranlassen müssen. Nach Einschätzung des Neonatologen Prof. Dr. Ba... bestand bei einer Intervention in den frühen Nachtstunden des 25. Januar 2008 eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, die Infektion zu einem Zeitpunkt zu stoppen, in dem die Erreger noch keine dauerhaft verbleibende Hirnschädigung verursacht hatten.

Die Unterlassung der Beklagten zu 7 (Hinzuziehung eines Arztes) muss nach alledem als ursächlich für den später eingetretenen, bis heute fortbestehenden Schaden angesehen werden.

b) Das beklagte Krankenhaus schuldet der Klägerin aber auch wegen Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages durch den Beklagten zu 8 (Chefarzt) Schadensersatz (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 278 Satz 1 BGB). Daneben sind die Beklagten zu 1 und 8 der Klägerin auch nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB bzw. § 823 Abs. 1 BGB ersatzpflichtig.

Die Klägerin war im Fortschreiten der Infektion in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten als die beiden beklagten Krankenschwestern J... O... und D... Sch... in den Morgenstunden des 25. Januar 2008 die Ärztin Dr. S… informierten. Dr. S… untersuchte die Klägerin. Gegen 7.05 Uhr beabsichtigte sie, die Patientin sofort in die Kinderklinik nach N… zu verlegen. Diese sachgemäße Entscheidung, die im Pflegeprotokoll mit dem Hinweis dokumentiert ist, auch die Oberärztin habe bei der Klägerin das Sonnenuntergangsphänomen festgestellt, wurde dann um 7.15 Uhr durch die Anordnung des Beklagten zu 8 (Chefarzt) unterlaufen, das Kind „zur Beruhigung“ der Mutter anzulegen. Diese Maßnahme und die weiteren Anordnungen des Chefarztes waren nicht sachgemäß. Der Sachverständige Prof. Dr. Ba... (Neonatologe) hat bei seiner Befragung durch den Senat in der allein vom Beklagten zu 8 zu verantwortenden Verzögerung der notfallmäßigen Verlegung der Klägerin einen groben Behandlungsfehler gesehen und dies überzeugend begründet. Darauf wird verwiesen.

Der Beklagte zu 8 wendet ein, der Senat habe mit der Befragung des Neonatologen Prof. Dr. Ba... einen Sachverständigen der falschen Fachrichtung befragt. Maßgeblich sei allein der Sorgfaltsmaßstab, dem ein Gynäkologe und Geburtshelfer in einem Krankenhaus mit Basisversorgung genügen müsse.

Dem kann nicht gefolgt werden. Die im dritten Jahr der gynäkologischen Facharztausbildung stehende Assistenzärztin Dr. S… hatte gegen 7.05 Uhr erkannt, dass die Klägerin derart akut gefährdet war, dass sie unverzüglich in die Kinderklinik nach N… verlegt werden musste. Es bedurfte also nicht der überlegenen Erkenntnismöglichkeiten eines erfahrenen Neonatologen oder Kinderarztes, um die Situation sachgemäß einzuschätzen.

Soweit der gynäkologische Sachverständige Prof. Dr. Br... gemeint hat, beim Erscheinen des Chefarztes habe die Klägerin sich möglicherweise vorübergehend in weniger dramatischem Zustand präsentiert, ist das nicht geeignet, den Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers zu entkräften oder gar auszuräumen. Die Annahme eines vorübergehend gebesserten Zustandes ist angesichts der Eintragungen im Pflegebericht spekulativ. Die Parteianhörung der beklagten Krankenschwester D... Sch... hat sehr deutlich ergeben, dass sie und ihre Kollegin J... O... den Zustand der Klägerin in den Morgenstunden des 25. Januar 2002 als dramatisch und die ärztliche Meinungsverschiedenheit als kaum nachvollziehbar empfanden. Daher sahen Frau O... und Frau Sch... sich veranlasst, am darauf folgenden Montag die Ereignisse in den Morgenstunden des zurückliegenden Freitags (25. Januar 2002) sehr detailliert nachzutragen. Die noch frische Erinnerung der beiden Krankenschwestern ist also zeitnah zu Papier gebracht worden. Damit sind die Eintragungen im Pflegebericht authentisch und verlässlich. Mehrmals ist dort das Sonnenuntergangsphänomen dokumentiert. Welche abweichenden Erkenntnisse von Entscheidungserheblichkeit die nunmehr von den Beklagten zu 1 und 8 vermisste persönliche Anhörung der Beklagten J... O... ergeben könnte, ist nicht aufgezeigt. Ihre handschriftlichen Eintragungen im Pflegebericht sind eindeutig.

Dass Dr. S... und die beiden Krankenschwester ihre Wahrnehmungen zum Gesundheitszustand der Klägerin dem Chefarzt vorenthielten, ist nicht behauptet. Der Senat hält das angesichts der Bekundungen der Beklagten D... Sch... für ausgeschlossen. Aus den Feststellungen und dem Bericht der beiden Krankenschwestern und der ärztlichen Kollegin hatte der Beklagte zu 8 selbst dann dieselben Schlussfolgerungen zu ziehen wie Dr. S..., wenn die Klägerin das Sonnenuntergangsphänomen bei der Untersuchung durch den Beklagten zu 8 nicht zeigte. Denn an den Wahrnehmungen der Assistenzärztin und der beiden Krankenschwestern durfte vernünftigerweise nicht gezweifelt werden.

Die nunmehr (SS vom 23. 10. 2008) vom Beklagten zu 8 beantragte persönliche Anhörung war nicht erforderlich. Dass der Senat hinsichtlich der Ereignisse in den Morgenstunden des 25. Januar 2002 ergänzenden Aufklärungsbedarf gesehen hat, ergibt sich bereits aus dem Beweisbeschluss vom 17. September 2007. Der Sachverständige Dr. Ba... hat sich dazu schon in seinem schriftlichen Gutachten sehr deutlich geäußert (Bl. 374 GA). Nach den weiteren Erkenntnissen, die sich aufgrund seiner Anhörung ergeben haben, bestand dringender Handlungsbedarf, weil Leben und Gesundheit der Klägerin akut gefährdet waren. Bei dieser Sachlage kam es entgegen der Auffassung des Beklagten zu 8 nicht darauf an, zunächst n„die gesamte Situation zu beruhigen“. Stattdessen war tatkräftiges und unverzügliches Handeln gefordert.

Beide Sachverständige stimmen darin überein, dass es schon beim Auftreten erster Infektionszeichen wegen der rasanten Vermehrung und Ausbreitung der Erreger auf Minuten ankommt und daher keine Zeit mit untätigem Zuwarten vertan werden darf. Das gehört auch in einem Krankenhaus mit Basisversorgung zum Standardwissen der Ärzte, denen die medizinische Betreuung von Neugeborenen anvertraut ist.

Nach alledem liegt ein grober Behandlungsfehler darin, dass die bereits um 7.05 Uhr geplante Verlegung der Klägerin in die Kinderklinik nach N... durch die Intervention des Beklagten zu 8 um 45 Minuten verzögert wurde. Das hat eine Beweislastumkehr zur Folge. Der dem Beklagten zu 8 obliegende Nachweis, dass die Klägerin bei einer Verlegung um 7.05 Uhr ebenfalls geschädigt wäre, ist nicht geführt. Nach den Erkenntnissen, die der Neonatologe Prof. Dr. Ba... vermittelt hat, ist es möglich, dass der Schaden vermieden worden wäre, wenn man die Klägerin entsprechend der Absicht der Oberärztin bereits um 7.05 Uhr nach N... verlegt hätte. Zu dieser Feststellung ist der Senat aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Neonatologen Prof. Dr. Ba... befugt.

Das von den Beklagten nunmehr beantragte neuropädiatrische Sachverständigengutachten hält der Senat für nicht erforderlich. Der CRP – Wert ist nicht der einzig maßgebliche Umstand für den weiteren Verlauf und die Prognose.

c) Das angefochtene Urteil kann demnach nicht bestehen bleiben, soweit das Landgericht die Klage gegen die Beklagten zu 1, 7 und 8 umfassend abgewiesen hat. Die Zahlungsanträge sind dem Grunde nach gerechtfertigt. Insbesondere steht schon jetzt fest, dass der immaterielle Schaden neben einem noch zu beziffernden Schmerzensgeldbetrag eine Schmerzensgeldrente rechtfertigt. Die Klägerin war zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 25. September 2008 anwesend und der Senat kann aufgrund des so gewonnenen Eindrucks vom Entwicklungs- und Gesundheitszustand des Kindes schon jetzt die Feststellung treffen, dass Art und Umfang des Dauerschadens die Zubilligung einer Schmerzensgeld- und Pflegerente (§ 843 Abs. 1 BGB) erfordern.

Der erstinstanzlich abgewiesene Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Zukunftsschäden wird von der Berufung nicht weiterverfolgt. Darüber hat der Senat daher nicht mehr zu befinden. Die Entscheidung des Landgerichts ist in diesem Punkt rechtskräftig geworden.

Der Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für immaterielle Zukunftsschäden ist zu weit gefasst und musste daher teilweise abgewiesen werden. Insoweit ist zu sehen, dass der künftige immaterielle Schaden in weiten Teilen bereits durch die Schmerzensgeldrente abgegolten wird. Die Feststellung der Ersatzpflicht muss sich daher darauf beschränken, jenen immateriellen Zukunftsschaden zu erfassen, der nicht bereits durch die Schmerzensgeldrente abgegolten wird.

Auch weisen die Beklagten zu Recht darauf hin, dass die Feststellung dahin lauten muss, dass nur ein aus der Fehlbehandlung am 25. Januar 2002 erwachsender immaterieller Zukunftsschaden der Klägerin von den Beklagten zu 1, 7 und 8 zu ersetzen ist.

3. Dass die Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 bis 6 zu tragen hat, folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Im Übrigen kann erst mit dem Schlussurteil über die Kosten entschieden werden, weil noch nicht abzusehen ist, in welchem Umfang die Klage gegen die Beklagten zu 1, 7 und 8 letztlich durchdringt.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Den Streitwert des Berufungsverfahrens bis zum 30. Oktober 2008 bemisst der Senat auf 440.000 €.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die von den Beklagten als klärungsbedürftig angesehene Frage stellt sich nicht. Die in der gynäkologischen Facharztausbildung stehende Assistenzärztin hatte das Problem und den dringenden Handlungsbedarf erkannt.

Geschäftsnummer: 5 U 576/07
10 O 148/05 Landgericht Koblenz
Verkündet am 18. Dezember 2008

OBERLANDESGERICHTKOBLENZ
IM NAMEN DES VOLKES

ERGÄNZUNGSURTEIL

In dem Rechtsstreit XXX

wegen Arzthaftung

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz
durch XXX für R e c h t erkannt:

1. Im Tatbestand des Senatsurteils vom 30. Oktober 2008 wird der Satz (Seite 5 UA)

„Daneben begehrt sie nur noch die Feststellung, dass die Beklagten für alle immateriellen Zukunftsschäden haften (Bl. 297/298 GA).“

durch den Satz

„Daneben begehrt sie die Feststellung, dass die Beklagten für alle materiellen und immateriellen Zukunftsschäden haften.“

ersetzt.

2. In den Entscheidungsgründen (Seite 17 UA) entfällt folgender Absatz ersatzlos:

„Der erstinstanzlich abgewiesene Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Zukunftsschäden wird von der Berufung nicht weiterverfolgt. Darüber hat der Senat daher nicht mehr zu befinden. Die Entscheidung des Landgerichts ist in diesem Punkt rechtskräftig geworden.“

3. Der Tenor des Teilschluss- und Grundurteils des Senats vom 30. Oktober 2008 wird in Ziffer 1. lit. b ) wie folgt ergänzt:

Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1, 7 und 8 als Gesamtschuldner der Klägerin auch alle materiellen Schäden ersetzen müssen, die ihr künftig aufgrund der Fehlbehandlung am 25. Januar 2002 entstehen, soweit diese Schäden nicht durch die noch zu beziffernde Schmerzensgeldrente (Klageantrag 4) abgegolten sind.

4. Die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Seiten dürfen die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern der Vollstreckungsgläubiger nicht seinerseits eine entsprechende Sicherheit leiste.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

I.

Die Klage gegen die Beklagten zu 1, 7 und 8 ist durch Senatsurteil vom 30. Oktober 2008 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden, soweit die Anspruchstellerin Schadensersatz, Schmerzensgeld, Schmerzensgeld- und Pflegerente begehrt.

Einen außerhalb der Berufungsbegründungsfrist formulierten Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Zukunftsschäden (Bl. 326 GA) hat der Senat nicht beschieden, weil ihm entgangen war, dass die Klägerin auch diesen Antrag in der mündlichen Verhandlung des Senats am 25. September 2008 gestellt hatte (Bl. 455 GA). Dementsprechend heißt es im Urteil vom 30. Oktober 2008, der erstinstanzlich abgewiesene Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Zukunftsschäden werde von der Berufung nicht weiterverfolgt, der Senat habe darüber nicht mehr zu befinden, weil die Entscheidung des Landgerichts in diesem Punkt rechtskräftig geworden sei.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Tatbestandsberichtigung und Urteilsergänzung (Bl. 540/541 GA).

Die Beklagten zu 1, 7 und 8 treten dem entgegen. Sie meinen, eine außerhalb der Berufungsbegründungsfrist erfolgte Antragserweiterung sei nicht statthaft, weil dadurch die Teilrechtskraft des Urteils erster Instanz unterlaufen würde.

II.

Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils vom 30. Oktober 2008 waren wie von der Klägerin beantragt zu berichtigen und zu ergänzen.

Den in der mündlichen Verhandlung am 25. September 2008 gestellten Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Zukunftsschäden (Bl. 485, 455, 326 GA) hat der Senat übersehen und ist daher versehentlich davon ausgegangen, dieses Begehren der Klägerin müsse nicht beschieden werden.

Zur Rechtslage bei einer Erweiterung des Berufungsantrages außerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist weisen die Beklagten zu 1, 7 und 8 allerdings zutreffend darauf hin, dass die Entscheidung erster Instanz in ihrem zunächst nicht mit einem Berufungsantrag angegriffenen Teil rechtskräftig geworden sein könnte (vgl. die Berufungserwiderung der Beklagten Bl. 320 GA).

Erst in der Replik auf die Berufungserwiderung und damit außerhalb der Berufungsbegründungsfrist hat die Klägerin klargestellt, dass sie auch den Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Zukunftsschäden weiterverfolgt (Bl. 326 GA).

Die Frage, ob die Erweiterung des Rechtsmittelantrags im Zivilprozess außerhalb der Berufungsbegründungsfrist statthaft ist, wird in Literatur und Rechtsprechung kontrovers diskutiert. Während Grunsky (NJW 1966, 1393 ff mit zahlreichen weiteren Nachweisen) die Möglichkeit einer derartigen Erweiterung verneint, geht die höchstrichterliche Rechtsprechung seit jeher einen anderen Weg (vgl. BGH in NJW 1961, 1115; NJW 1975, 2013; NJW 1985, 3079 und NJW-RR 1988, 66). Danach bedeutet ein zunächst eingeschränkter Rechtsmittelantrag keinen teilweisen Rechtsmittelverzicht, wenn es an einer hinreichend bestimmten Erklärung fehlt, die durch die Rechtsmitteleinlegung und - begründung eröffnete Anfechtungsmöglichkeit vor Schluss der mündlichen Verhandlung endgültig preiszugeben (vergleiche BGH VI. Zivilsenat in NJW – RR 1988, 66 m. zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Dieser Rechtsansicht folgt der Senat.

Der Berichtigung und Ergänzung steht auch nicht entgegen, dass eine Erweiterung des ursprünglichen Berufungsantrages nur aus Gründen vorgenommen werden kann, die gemäß § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO schon in der Berufungsbegründung angeführt worden sind (vgl. BGHZ 12, 52, 67; BGH NJW 1971, 33, 34 m.w.N. - insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 54, 283). Die Berufungsbegründung vom 8. Juni 2007 (Bl. 297 ff GA) macht deutlich, dass die Klägerin beabsichtigte, die Entscheidung des Landgerichts auch hinsichtlich des abgewiesenen Antrags auf Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Zukunftsschäden anzugreifen. Bei der scheinbar auf den immateriellen Zukunftsschaden beschränkten Fassung des Feststellungsantrages (Bl. 296 GA) handelte es sich erkennbar um ein Formulierungsversäumnis. Das verdeutlicht hinreichend der vorletzte Absatz der Berufungsbegründung vom 8. Juni 2007. Dort heißt es, bezüglich des Umfangs des Schadens der Klägerin werde auf den Inhalt der Klageschrift verwiesen (Bl. 304 GA). Damit war auch Seite 9 der Klageschrift vom 29. März 2005 in Bezug genommen, wo ausgeführt wird, künftig seien weitere Kosten zu befürchten, was das Feststellungsinteresse hinsichtlich des Klageantrags 3 ergebe. Dieser Antrag bezieht sich ausdrücklich auf die materiellen Zukunftsschäden (Bl. 2 GA).

Dass die Klägerin davon in zweiter Instanz abrücken wollte, ist nicht zu ersehen. Demzufolge war das Urteil vom 30. Oktober 2008 antragsgemäß zu berichtigen und zu ergänzen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen der ursprüngliche Antrag in zweiter Instanz außerhalb der Berufungsbegründungsfrist erweitert werden kann. ist in der Rechtsprechung des BGH hinreichend geklärt.

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