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09.02.2009 · IWW-Abrufnummer 090486

Finanzgericht Köln: Beschluss vom 20.08.2008 – 2 V 1948/08

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Köln

2 V 1948/08

Tenor:

Im Wege der einstweiligen Anordnung wird dem Antragsgegner bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens untersagt, der türkischen Steuerverwaltung Auskünfte über Zahlungen der Antragstellerin an die Fa. A (Türkei) sowie an die Fa. B (Türkei) zu erteilen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beabsichtigte Weiterleitung von zwei Spontanauskünften des Finanzamtes für Groß- und Konzernbetriebsprüfung X durch den Antragsgegner an die türkische Steuerverwaltung zulässig ist.

Im Jahre 2000 schloss die Antragstellerin mit einem öffentlichen Auftraggeber in der Türkei einen Vertrag zur Errichtung einer militärtechnischen Anlage in D. In diesem Zusammenhang arbeitete die Antragstellerin mit zwei türkischen Beratungsunternehmen, der Fa. A sowie der Fa. B zusammen. Für ihre Beratungsleistungen zahlte die Antragstellerin diesen beiden Unternehmen Anfang 2001 das geschuldete Entgelt i.H.v. 385.976 DM sowie 500.000 DM. Die Überweisung dieser Beträge erfolgte auf Wunsch der beiden Unternehmen jeweils auf deren Schweizer Konten. Die Antragstellerin machte die Zahlungen als Betriebsausgaben geltend.

Im Rahmen einer bei der Antragstellerin durchgeführten Außenprüfung durch das Finanzamt für Groß- und Konzernprüfung X kündigte diese an, der türkischen Steuerverwaltung Auskünfte und Unterlagen bezüglich der beiden Zahlungen übermitteln zu wollen und leitete den Vorgang über die Oberfinanzdirektion Y an den Antragsgegner weiter, der der Antragstellerin mitteilte, dass entsprechende Spontanauskünfte an die türkische Steuerbehörde beabsichtigt seien.

Nach erfolglosen Verhandlungen zwischen den Beteiligten stellte die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Zu dessen Begründung trägt die Antragstellerin vor, dass sie einen Unterlassungsanspruch analog § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 30 AO habe. Denn mit den geplanten Spontanauskünften würde der Antragsgegner den türkischen Behörden Daten übermitteln, die dem Steuergeheimnis unterfielen. Es bestünde keine Duldungspflicht ihrerseits, insbesondere nicht aus § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO i.V.m. § 117 Abs. 2 AO und Art. 26 DBA-Türkei.

Die geplante Übermittlung der Spontanauskunft sei insbesondere rechtswidrig, weil es an einer Absicherung des Steuergeheimnisses in der Türkei mangele.

Zwar sei die Türkei aufgrund des internationalen Steuergeheimnisses (vgl. Art. 26 Abs. 1 Satz 2 DBA-Türkei) verpflichtet, die ihr übermittelten Informationen geheim zu halten. Es bestünden jedoch ernsthafte Zweifel daran, dass in der Türkei das Steuergeheimnis in einem ausreichenden Umfang praktiziert werde. Die Verwaltungsstrukturen ließen eine effektive Wahrung des Steuergeheimnisses nach derzeitigem Stand nicht zu. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die in die Türkei übermittelten Informationen außerhalb der Finanzverwaltung bekannt würden. Sogar eine Veröffentlichung einzelner Daten scheine möglich.

In diesem Zusammenhang bezieht sich die Antragstellerin auf ein Privatgutachten von Prof. FC vom 4. Juni 2007, das am 15. Februar 2008 ergänzt wurde. Hierin wird u.a. ausgeführt, dass die exemplarisch im einzelnen näher aufgeführten Pressemitteilungen und Aussagen von Steuerberatern, Verbänden, Journalisten und Anwälten belegen würden, dass es einfach sei, bei entsprechenden Kontakten an alle denkbaren Informationen zu gelangen. Es fehle die Hemmschwelle beim einzelnen Beamten. Sie stelle sich gegenüber mittel- und langfristigen Überlegungen oder Gefühlen des Einzelnen als zu niedrig heraus. Die Rangstelle des Steuergeheimnisses habe keinen Wert an sich, der seitens des einzelnen Beamten für verteidigungswürdig gehalten werden könnte. Die Rechtslage sei nur bedingt interessant, so lange sowohl potente Steuerzahler als auch säumige Steuerzahldurch die Finanzverwaltung selbst der Öffentlichkeit preisgegeben werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten nebst Ergänzungsfassung verwiesen (Bl. 81 ff. und 123 ff. der FG-Akte).

Die Antragstellerin trägt weiterhin vor, dass massive Lücken im Steuergeheimnis der Türkei auch insoweit bestünden, als Besteuerungsgrundlagen und Steuerbeträge von natürlichen und juristischen Personen durch die zuständige Steuerbehörde zur Sicherstellung der Steuern öffentlich bekannt gegeben würden.

Vor diesem Hintergrund schließe auch das Schreiben des türkischen Finanzministeriums vom 14. April 2008, wonach aus Deutschland übermittelte Informationen in der Türkei geheim gehalten würden, da sich aus Art. 26 Abs. 1 DBA-Türkei eine entsprechende Pflicht zur Geheimhaltung ergebe (Bl. 143 der FG-Akte), zumindest eine Gefährdung der Vertraulichkeit nicht aus. Die rechtstatsächliche Stellungnahme von Prof. FC unterstreiche, dass aus der bloßen Existenz einer Pflicht zur Vertraulichkeit nicht auf deren Einhaltung geschlossen werden könne. Außerdem sei von vorneherein nicht mit einer anderen Antwort zu rechnen gewesen. Denn ein potentieller Empfängerstaat werde - selbst in Kenntnis bestehender Risiken - wohl kaum auf eine entsprechende Bestätigung verzichten und die Unzulänglichkeit der eigenen Verwaltungspraxis einräumen.

Soweit - wie vorliegend - Anhaltspunkte dafür bestünden, dass das Steuergeheimnis im Empfängerstaat nicht gewahrt werde, bestehe ein absolutes Auskunftsverbot. Eine konkrete Gefährdung des Steuergeheimnisses im Einzelfall sei nicht erforderlich. Dies werde durch das EG-Amtshilfe-Gesetz bestätigt, wonach ein Auskunftsverbot bestehe, wenn "ein angemessener Datenschutz im Empfängerstaat nicht gewährleistet" sei (§ 3 Abs. 1 Nr. 3a EGAHiG). Die Gefährdung im konkreten Einzelfall werde nicht gefordert.

Desweiteren sei die geplante Übermittlung der Spontanauskünfte auch wegen des Ermessensnichtgebrauch durch den Antragsgegner rechtswidrig. Das von § 117 Abs. 2 AO eingeräumte Ermessen sei vom Antragsgegner nicht ausgeübt worden, obwohl er insoweit die zuständige Behörde sei. Der Antragsgegner habe sich unzulässigerweise auf eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Urhebers der Spontanauskunft - des Finanzamtes für Groß- und Konzernbetriebsprüfung X - beschränkt.

Im übrigen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Antragstellerin vom 10. Juni 2008 (Bl. 1 ff. der FG-Akte) und vom 7. Juli 2008 (Bl. 195 ff. der FG-Akte).

Die Antragstellerin beantragt,

dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens zu untersagen, der türkischen Steuerverwaltung Auskünfte über Zahlungen der Antragstellerin an die Fa. A (Türkei) sowie an die Fa. B (Türkei) zu erteilen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Der Antragsgegner trägt vor, dass kein Anordnungsanspruch gegeben sei. Die Voraussetzungen des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 30 AO, die als Anspruchsgrundlage für die Unterlassung der Weitergabe der Spontanauskünfte in Betracht kämen, seien nicht erfüllt. Denn § 30 Abs. 4 Nr. 2, § 117 Abs. 2 AO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 DBA-Türkei zur Weiterleitung der Informationen an die türkischen Steuerbehörden seien gegeben. Art. 26 DBA-Türkei enthalte eine sog. "große Auskunftsklausel", die die Spontanauskunft umfasse. Das Merkmal der Erforderlichkeit sei erfüllt, da aufgrund der Zahlungsüberweisungen aus schweizerische Konten die ernstliche Möglichkeit bestehe, dass die türkischen Behörden ohne die Auskunft von den Zahlungen keine Kenntnis erlangen würden.

Die Wahrung des Steuergeheimnisses sei nicht gefährdet. Die Antragstellerin habe lediglich Material vorgelegt, in dem allgemeine Aussagen über den in der Türkei herrschenden Umgang mit dem Steuergeheimnis getroffen würden. Sie habe nicht substantiiert dargelegt, dass gerade in ihrem Fall mit einer zweckwidrigen Verwendung der Auskünfte zu rechnen sei. Auch habe das FG Köln in seinem Beschluss vom 9. Mai 2007 (2 V 1243/07) festgestellt, dass dem Senat keine Umstände bekannt seien, die die Besorgnis rechtfertigen würden, dass die türkischen Behörden der Geheimhaltungspflicht nicht nachkommen könnten.

Des weiteren habe er, der Antragsgegner, explizit bei der zuständigen türkischen Behörde angefragt und sich die Geheimhaltung bestätigen lassen. Insoweit werde auf das Schreiben des türkischen Finanzministeriums vom 14. April 2008 (Bl. 143 der FG-Akte) verwiesen.

Die deutsche Finanzverwaltung habe über Jahre des Auskunftsaustauschs mit der Türkei keinen konkreten Hinweis bekommen oder sonst Kenntnis darüber erlangt, dass Informationen, die aus Deutschland in die Türkei weitergeleitet worden seien, entgegen dieser Regelungen offenbart worden seien.

Durch die Erteilung der Spontanauskunft werde nicht unverhältnismäßig in die Rechte der Antragstellerin eingegriffen. Davon wäre nur auszugehen, wenn die Antragstellerin glaubhaft machen würde, dass gerade in ihrem Fall die Informationen zweckwidrig verwendet würden und entgegen der gesetzlichen Regelung an andere Stellen gelangen und der Antragstellerin daraus ins Gewicht fallende Nachteile erwachsen könnten. Dies sei im Streitfall nicht gegeben.

Die beabsichtigte Erteilung der Spontanauskünfte sei ermessensgerecht. Die Auskunft dürfte im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen. Die Ermessensentscheidung sei damit im Regelfall dahingehend vorgeprägt, dass er, der Antragsgegner, zur Auskunftserteilung zumindest berechtigt, wenn nicht sogar verpflichtet sei. Das danach verbleibende Ermessen sei auch durch ihn, den Antragsgegner, zutreffend ausgeübt worden.

Neben dem Anordnungsanspruch mangele es auch an einem Anordnungsgrund. Denn die Antragstellerin habe nicht glaubhaft dargelegt, dass ihr wesentliche Nachteile i.S.d. § 114 FGO entstünden. Die Gefahr der Beeinträchtigung der Geschäftsbeziehungen zu einem ausländischen Geschäftspartner sei kein solcher Grund. Dies gelte auch für die Gefährdung eines Nachfolgeauftrages. Trotz des Vortrags der Antragstellerin zu den türkischen Verhältnissen im Umgang mit dem Steuergeheimnis habe die Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt, dass ihre wirtschaftliche und persönliche Existenz konkret unmittelbar bedroht sei.

Im übrigen wird auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 24. Juni 2008 Bezug genommen (Bl. 160 ff. der FG-Akte), sowie auf dessen Schriftsatz vom 11. Januar 2008 und Aktenvermerk vom 25. März 2008 (beides befindlich in der Verwaltungsakte des Antragsgegners).

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet. Sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund i.S.d. § 114 FGO liegen vor.

1. Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist in jedem Fall, dass der im Hauptverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) bezeichnet und glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 1, 2 ZPO). Bezeichnung und Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs bedeuten, dass der Antragsteller den Anspruch rechtlich schlüssig darlegen und dessen tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft machen muss (§ 155 FGO i.V.m. § 294 ZPO).

2. Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer Regelungsanordnung, denn durch die gerichtliche Anordnung möchte sie verhindern, dass der Antragsgegner ihn betreffende steuerliche Verhältnisse einer ausländischen Steuerbehörde mitteilt. Sie möchte damit die Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erreichen.

3. Die entsprechenden Voraussetzungen sind erfüllt. Der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsanspruch ist gegeben. Die Antragstellerin hat einen Anspruch gegen den Antragsgegner, die beabsichtigte Auskunftserteilung zu unterlassen.

a. Die Grundlage für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch bildet § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 30 AO (vgl. BFH-Beschluss vom 29. April 1992 I B 12/92, BFHE 167, 11; BStBl II 1992, 645). Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind erfüllt. Durch die Weiterleitung der Spontanauskünfte werden steuerliche Verhältnisse der Antragstellerin, nämlich die Zahlungen an die beiden türkischen Beratungsunternehmen, unbefugt offenbart, so dass die Antragstellerin einen Unterlassungsanspruch hat.

b. Eine Duldungspflicht der Antragstellerin besteht nicht. Insbesondere hat sie es nicht analog § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden, dass der Antragsgegner die Informationen an die türkische Steuerbehörde weiterleitet. Die Antragstellerin ist insoweit durch das Steuergeheimnis nach § 30 AO geschützt.

aa. Dem Schutz durch das Steuergeheimnis steht nicht § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO entgegen, da dessen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Hiernach ist die Offenbarung steuerlicher Verhältnisse, die dem Steuergeheimnis nach § 30 Abs. 2 AO unterliegen, ausnahmsweise zulässig, wenn sie durch Gesetz ausdrücklich zugelassen ist. Hieran mangelt es im Streitfall.

bb. Die einzige im Streitfall in Betracht kommende ausdrückliche gesetzliche Zulassung in diesem Sinne enthält § 117 Abs. 2 AO, wonach die Finanzbehörden u.a. auf Grund innerstaatlich anwendbarer völkerrechtlicher Vereinbarungen sowie des EG-Amtshilfe-Gesetzes Amtshilfe leisten können. Durch eine Maßnahme, die sich in diesem Rahmen hält, wird deshalb das Steuergeheimnis nicht verletzt (BFH-Beschluss vom 29. April 1992 I B 12/92, a.a.O.).

Im Streitfall hat die Antragstellerin jedoch glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen für die Anwendung einer solchen völkerrechtlichen Vereinbarung nicht gegeben sind.

(1) Als innerstaatlich anwendbare völkerrechtliche Vereinbarung im Sinne des § 117 Abs. 2 AO, die zu Erteilung der beabsichtigten Spontanauskunft befugen könnte, kommt allein Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DBA-Türkei in Betracht. Danach tauschen die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten die Informationen aus, die zur Durchführung dieses Abkommens und des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten betreffend die unter das Abkommen fallenden Steuern erforderlich sind, somit die diesem Recht entsprechende Besteuerung mit dem Abkommen in Einklang steht. Hierbei handelt es sich um eine sogenannte große Auskunftsklausel (vgl. Engelschalk in Vogel/Leaner, DBA, Art. 26 Rz. 47). Diese Auskunftsklausel lässt auch eine Spontanauskunft grundsätzlich zu. Denn der Wortlaut des Art. 26 Abs. 1 S. 1 DBA - Türkei enthält keine Einschränkung in den Auskunftsverkehr etwa dahin, dass Auskünfte nur auf Ersuchen erteilt werden dürfen (vgl. Engelschalk, a.a.O., Art. 26 Rz. 40).

Die Voraussetzung des Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DBA-Türkei liegen hinsichtlich der streitigen - beabsichtigten - Auskünfte vor. Es besteht die ernste Möglichkeit, dass der andere Vertragsstaat - die Türkei - abkommensrechtlich ein Besteuerungsrecht hat und ohne die Spontanauskunft von dem Gegenstand dieses Besteuerungsrecht keine Kenntnis erlangen würde (FG Köln, Beschluss vom 20. Dezember 2006 2 V 4096/06, EFG 2007, 736). Hiervon gehen auch die Beteiligten aus. Deshalb erübrigt sich eine weitere Begründung.

Allerdings sieht Art. 26 Abs. 1 Satz 2 DBA-Türkei vor, dass alle nach Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DBA-Türkei ausgetauschten Informationen geheimzuhalten sind und nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen; sie dürfen nur den Personen oder Behörden, die mit der Veranlagung oder Erhebung der unter das Abkommen fallenden Steuern und den diesbezüglichen Rechtsbehelfen befasst sind, sowie den Justizbehörden und Gerichten für Strafverfahren zugänglich gemacht werden, die sich auf die obengenannten Steuern beziehen.

Dabei entspricht Art. 26 DBA-Türkei dem OECD-MA 1963. Hiernach gewährleistet die Pflicht der Vertragsstaaten, die nach Art. 26 erhaltenen Informationen ihrerseits geheim zu halten, einen absoluten Schutz und begründet so ein eigenständiges internationales Steuergeheimnis (s. Engelschalk, in Vogel/Lehner, DBA, Art. 26 Rn. 78). Eine Aufweichung oder Durchbrechung des Steuergeheimnisses nach den Vorschriften des nationalen Rechts ist in keinem Fall zulässig (Engelschalk, a.a.O., Art. 26 Rn. 87). Dass das MA seit 1977 nur noch einen relativen Schutz, bezogen auf das innerstaatliche Recht des die Information empfangenden Vertragsstaats, gewährleistet, ist im Streitfall insoweit also ohne Bedeutung, da Art. 26 DBA-Türkei nicht entsprechend angepasst wurde. Ungeachtet dessen dürfen die Informationen ohnehin nur den in Art. 26 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz DBA-Türkei genannten Personen oder Behörden zugänglich gemacht werden.

(2) Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass eine solche Geheimhaltung der an die türkischen Behörden weiter zu leitenden Informationen nicht gewährleistet ist. Eine Glaubhaftmachung soll dem Richter nicht die volle Überzeugung vermitteln. Es genügt vielmehr, dass ein nicht nur geringes Maß an Wahrscheinlichkeit bzw. eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Existenz der Tatsachen spricht (Koch in Gräber, FGO, § 114 Rz. 57 m.w.N.).

Im Streitfall spricht ein nicht nur geringes Maß an Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Vertraulichkeit der beabsichtigten Informationen in der Türkei nicht gewährleistet ist. Dies ergibt sich aus dem vorgelegten Privatgutachten von Prof. FC.

(a) Dieses Gutachten legt die begründete Vermutung nahe, dass in der Türkei die Wahrung des Steuergeheimnisses faktisch nicht hinreichend gewährleistet ist. Dabei stützt sich das Gutachten auf eigene Erkenntnisse des Verfassers aus der Einholung von Auskünften von Steuerberatern, Verbänden, Journalisten und Anwälten sowie auch Pressemittelungen über die Verletzung des Steuergeheimnisses. So wird u. a. in einem Artikel dem türkischen Finanzministerium vorgeworfen, dass seine Steuerprüfer in der letzten Zeit gehäuft gezielte Informationen in die Medienöffentlichkeit streuen, die dem Steuergeheimnis unterliegen (S. 8 des Gutachtens). Außerdem wird auf die durchaus legale Ausnahme vom Steuergeheimnis aufmerksam gemacht, nämlich die Möglichkeit, die säumigen Steuerzahler (so auch Beratungsfirmen, sollten sie Zahlungen nicht angegeben haben) öffentlich bloß zu stellen. Dies würde sich auch auf denjenigen auswirken, der die Zahlungen veranlasst habe. Das Gutachten kommt - in sich schlüssig begründet - zu dem Ergebnis, dass ein nicht unerhebliches Gefährdungspotenzial für den Fall bestehe, dass türkischen Behörden Angaben über Zahlungen der Antragstellerin an die türkischen Berater gemacht würden.

Erzeugt werde das Gefährdungspotenzial auch durch den Umstand, dass die Antragstellerin zu einer in der Türkei sehr renommierten und marktstarken Firmengruppe gehöre (S. 13 des Gutachtens).

(b) Im Rahmen des im einstweiligen Rechtsschutz nur eingeschränkten Prüfungsumfangs - summarische Prüfung - hat der Senat keine Veranlassung, an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gutachters zu zweifeln. Die Schlussfolgerungen des Gutachters, dass angesichts der getroffenen Feststellungen ein nicht nur geringes Maß an Wahrscheinlichkeit für eine Gefährdung der Vertraulichkeit der übermittelten Auskunft bestehen würde, erscheint dem Senat plausibel und schlüssig. Dabei ist für den Senat auch von Bedeutung, dass die Antragstellerin einer international tätigen und bekannten Unternehmensgruppe angehört und deshalb ein besonderes Medieninteresse nicht von der Hand zu weisen ist.

Dieser Würdigung steht der Beschluss des Senats vom 9.Mai 2007 (2 V 1243/07, DStRE 2008, 841) nicht entgegen. In diesem Verfahren war die unzureichende Wahrung des Steuergeheimnisses in der Türkei nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht worden. Der Senat hat diesen Gesichtspunkt lediglich von Amts wegen nach Aktenlage geprüft.

(3) Dass die Antragstellerin sich auf die Glaubhaftmachung der mangelnden Gewährleistung des Steuergeheimnisses in der Türkei im allgemeinen beschränkt hat, reicht im vorliegenden Fall für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs im einstweiligen Rechtsschutz aus. Denn aus der unzureichenden Gewährleistung des allgemeinen Steuergeheimnisses kann darauf geschlossen werden, dass die im Einzelfall gemäß Art. 26 Abs. 1 S. 2 DBA - Türkei zu wahrende Vertraulichkeit in nicht nur geringem Maße gefährdet ist. Dem steht nicht die von dem Antragsgegener angeforderte Zusicherung der Vertraulichkeit im Schreiben vom 14.4.2008 (Bl. 143 FG-Akte) entgegen. Dieses Schreiben erschöpft sich mehr oder weniger in der Wiedergabe des Wortlauts des Art. 26 Abs.1 Satz 2 DBA-Türkei und lässt nicht erkennen, wie die Vertraulichkeit faktisch gewahrt werden soll. In diesem Zusammenhang muss bei der Abwägung, ob ein Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht ist, auch berücksichtigt werden, dass die Auskunftserteilung einen schwer wiegenden Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. Aufgrund der überragenden Bedeutung des Steuergeheimnisses für den zwischenstaatlichen Informationsaustausch (vgl. Engelschalk in Vogel/Leaner, DBA, Art. 26 Rz. 38) dürfen an die Glaubhaftmachung keine all zu hohen Anforderungen gestellt werden. Andernfalls bestünde die Gefahr irreparabler Schäden für die Antragstellerin.

Eine abschließende Würdigung, ob tatsächlich die in Art. 26 Abs. 1 S. 2 DBA-Türkei festgelegte Vertraulichkeit in der Türkei gewahrt ist, und deshalb die Voraussetzungen des Art. 26 Abs. 1 für die Auskunftserteilung gegeben sind, bleibt einer Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren vorbehalten. In diesem Verfahren wird - ggf. durch ein Sachverständigengutachten - zu klären sein, wie in der Türkei trotz einer legalen Auflockerung des Steuergeheimnisses die Vertraulichkeit erhaltener Informationen im Einzelfall gesichert ist.

c. Vor diesem Hintergrund kann es der Senat dahingestellt lassen, ob der Anordnungsanspruch auch unter anderen Gesichtspunkten, z.B. der vermeintlich fehlenden Gegenseitigkeit oder eines vermeintlichen Ermessensnichtgebrauch durch den Antragsgegner, begründet wäre.

Es sei jedoch angemerkt, dass nach derzeitiger Aktenlage einiges dafür sprechen könnte, dass der Antragsgegner das Ermessen zur Erteilung der Spontanauskunft selber ausüben muss und dass eine Ermessensausübung durch den Antragsgegner fraglich erscheint. Zwar könnte der Schriftsatz des Antragsgegners an die Antragstellerin vom 11. Januar 2008 (befindlich in der Verwaltungsakte des Antragsgegners) als Ermessensausübung gewertet werden, jedoch ergeben sich Zweifel insoweit, als der Antragsgegner am Ende dieses Schriftsatzes ausführt, dass er die Entscheidung des Finanzamtes für ermessensgerecht hält. Der Aktenvermerk des Antragsgegners vom 25. März 2008 (befindlich in der Verwaltungsakte des Antragsgegners) bestätigt diese Zweifel. Denn dort wird angeführt, dass die Entscheidung über die Weitergabe der Spontanauskunft beim Finanzamt liege. Dies könnte dafür sprechen, dass sich der Antragsgegner auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung beschränkt und die eigentliche Ermessensentscheidung dem Finanzamt überlassen hat. Soweit der Antragsgegner im vorliegenden Verfahren wegen Erlasses einer einstweiligen Anordnung in seinem Schriftsatz vom 24. Juni 2008 eigenes Ermessen ausgeübt haben mag, dürfte dies - bezogen auf das vorliegende Verfahren - verspätet sein, da es insoweit auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankommt.

4. Ein Anordnungsgrund i.S.d. § 114 FGO ist ebenfalls gegeben. Denn im Streitfall droht eine Verletzung des subjektiven Rechts der Antragstellerin auf Wahrung des Steuergeheimnisses durch eine nicht durch eine Rechtsgrundlage abgedeckte Auskunft; diese Verletzung könnte nicht mehr rückgängig gemacht werden und kann nur durch den Erlass der einstweiligen Anordnung aufgehalten werden (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Februar 2006 I B 87/05, BStBl II 2006, 616, BFHE 212, 4). In diesem Fall folgt der Anordnungsgrund aus dem Anordnungsanspruch.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

6. Der Senat lässt nicht die Beschwerde gegen die getroffene Entscheidung gemäß § 128 Abs. 3 FGO zu, da die Entscheidung aufgrund einer Würdigung des vorgelegten Privatgutachtens und des Vorbringens der Beteiligten getroffen wurde, es sich also um eine Einzelfallentscheidung handelt. Damit kommt dem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.

RechtsgebieteFGO, BGB, AO, DBA-TürkeiVorschriftenFGO § 114 BGB § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB § 1004 Abs. 2 AO § 30 AO § 117 Abs. 2 DBA-Türkei Art. 26 Abs. 1 S. 1 DBA-Türkei Art. 26 Abs. 1 S. 2

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