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03.12.2008 · IWW-Abrufnummer 083673

Amtsgericht Hamburg-Altona: Urteil vom 03.06.2008 – 316 C 373/07

Kommt es vor einer Ampelanlage bei Grünlicht durch abruptes Abbremsen des ersten
Fahrzeugs zu einer Reihe von Auffahrunfällen, gilt prima facie, dass der auffahrende
Verkehrsteilnehmer jeweils wegen zu geringen Sicherheitsabstandes oder infolge von
Unaufmerksamkeit auf das jeweils vor ihm befindliche Fahrzeug aufgefahren ist. Danach
haftet jeder nur für den jeweiligen Heckschaden. Die Behauptung, dass auch der Fronschaden
am eigenen Fahrzeug durch Aufschieben auf das Heck des vorausfahrenden Fahrzeuges durch
einen Auffahrenden verursacht worden ist, hat derjenige voll zu beweisen, der sich darauf
beruft.


316 C 373/07
03.06.2008

Amtsgericht Hamburg-Altona

URTEIL

Im Namen des Volkes

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger € 76,32 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8. Dezember 2007 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede der Parteien darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 1.4.2007 auf dem … ereignet hat.

Am Unfalltag befuhr die Tochter des Klägers, die Zeugin K.…, mit dem Ford Focus des Klägers, Amtliches Kennzeichen …, den Bahrenfelder Steindamm Richtung B.…weg. Sie stand zunächst zusammen mit anderen Kraftfahrzeugen vor einer rot zeigenden Lichtzeichenanlage. Nach Umschalten der Ampel auf grün setzten sich die Kraftfahrzeuge in Bewegung. Hinter dem klägerischen Ford befand sich der vom Beklagten zu 1) gefahrene Peugeot, Amtliches Kennzeichen …, dessen Halter der Beklagte zu 2) ist und der bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist. Nachdem das erste Fahrzeug in der Reihe abrupt abbremste, kam es zu mehreren Kollisionen.

Das Kraftfahrzeug des Klägers wurde im Front- und Heckbereich beschädigt. Die Reparatur kostete € 2 115,76 (vgl. Rechnung vom 24.8.2007, Anlage, Bl. 23 ff d.A.), wovon 30 % auf den Heckschaden entfielen. Der Kläger hat diese Kosten über seine Vollkaskoversicherung abgerechnet; er trug eine Selbstbeteiligung in Höhe von € 300,–.

Die Reparatur dauerte vom 15. bis 22.8.07. Für ein Sachverständigengutachten wandte der Kläger € 510,15 auf. In den nächsten fünf Jahren wird bei sonst schadenfreiem Verlauf eine Mehrbelastung in der Vollkaskoversicherung von € 373,36 entstehen.

Die Beklagte zu 3) zahlte an den Kläger € 374,13 auf Reparaturkosten und Kostenpauschale gemäß Schreiben vom 29.8.2007 (Anlage, Bl. 29 d.A). Weitere € 60,20 zahlte die Beklagte zu 3) auf die geltendgemachte Nutzungsausfallentschädigung. Auf die vorgerichtlichen Anwaltskosten des Klägers hat die Beklagte zu 3) € 67,47 gezahlt.

Der Kläger behauptet, seine Tochter habe von hinten einen Stoß gespürt und sei auf das vordere Auto aufgeschoben worden.

Der Kläger beantragt,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn € 744,82 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.11.2007 zu zahlen sowie € 162,08 vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten;

4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger die ab dem Jahr 2008 infolge des Verkehrsunfalls vom 1.4.2007 entstehende Beitragsmehrbelastung in der Vollkaskoversicherung zu erstatten.

Die Beklagten beantragen.

die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, die Tochter des Klägers sei auf das abbremsende Kraftfahrzeug aufgefahren und habe dadurch den Bremsweg für den Beklagten zu 1) verkürzt.

Der Kläger hafte daher für den Frontschaden allein. Sie, die Beklagten, hätten nur des Heckschadens zu erstatten und dies auch getan.

Die Selbstbeteiligung hätten sie nicht zu erstatten, weil diese schon durch den Frontschaden verursacht worden sei. Gutachterkosten seien nicht erstattungsfähig, weil der Schaden durch Kostenvoranschläge ausreichend belegt gewesen sei.

Nutzungsausfall stehe dem Kläger nur in geringerer Höhe zu, weil laut Gutachten nur 3-4 Arbeitstage erforderlich gewesen seien.

Ergänzend wird für das Vorbringen der Parteien auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 7.2.2008 (Bl. 50f d.A.) durch Vernehmung der Zeugin K.…. Die Zeugin ist vom Amtsgericht Osnabrück im Wege der Rechtshilfe vernommen worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Protokolls des Amtsgerichts Osnabrück vom 17.3.2008 (Bl. 55f d.A.) Bezug genommen. Der Beklagte zu 1) wurde gemäß § 141 ZPO persönlich angehört. Insoweit wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 6. Mai 2008 (Bl. 69 ff d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nur in geringfügigem Umfang begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf weiteren Schadensersatz gemäß §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 4 Abs. 1 Satz 1 StVO, 7, 8, 17 StVG i.V.m. 115 VVG in Höhe von € 76,32 zu (1.). Der Feststellungsantrag ist nicht begründet (2.).

1.
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Erstattung weiterer € 76,32. Da der Unfallhergang letztlich unaufklärbar geblieben ist, sind die Regeln des Anscheinsbeweises anzuwenden. Danach spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass die Zeugin K.… wegen zu geringen Sicherheitsabstands oder infolge Unaufmerksamkeit auf das vor ihr befindliche Kraftfahrzeug aufgefahren ist, der Beklagte zu 1) hingegen aus dem gleichen Grunde auf das klägerische Kraftfahrzeug. Danach haftet der Auffahrende nur für den Heckschaden; die Ursächlichkeit des Auffahrens für den Frontschaden hat der Vorausfahrende zu beweisen (vgl. KG, Urt.v. 6.7.1995, DAR 1995, S. 482, Leitsatz zitiert nach juris).

Es obliegt dem Vordermann, unter Berücksichtigung des Beweismaßstabes des § 287 ZPO nachzuweisen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch der Frontschaden an seinem Fahrzeug durch das Auffahren nachfolgenden Kraftfahrzeugs verursacht worden ist (OLG Düsseldorf, Urt.v. 6.3.2006, I-1 U 172/05, zitiert nach juraforum). Diesen Beweis hat der Kläger nicht erbracht. Zwar hat die Zeugin K.… ausgesagt, sie sei sich ganz sicher, dass sie zunächst den Anstoß von hinten erhalten habe und dann gegen das Fahrzeug vor ihr gestoßen worden sei. Das reicht jedoch nicht aus, um dem Gericht die Überzeugung von der Richtigkeit dieses Geschehens zu verschaffen. Die Zeugin K.… ist selbst am Unfall beteiligt gewesen, hat also praktisch in eigener Sache ausgesagt. Unter diesen Umständen käme ihrer Aussage nur dann einiges Gewicht zu, wenn es objektive Anhaltspunkt für deren Richtigkeit geben würde. Das ist jedoch nicht der Fall. Der persönlich angehörte Beklagte zu 1) hat die Version der Zeugin nicht bestätigt, sondern erklärt, er habe gesehen, dass die Zeugin K.… aufgefahren sei. Erst ca. 1 Sekunde später sei auch er „drin“ gewesen.

Die Beklagten haften demnach nach einer Haftungsquote von 30 % für den dem Kläger entstandenen Schaden, wobei dem Kläger hinsichtlich der Selbstbeteiligung das Quotenvorrecht zugute kommt, so dass diese in voller Höhe von den Beklagten zu tragen ist. Die Auffassung der Beklagten, sie hätten die Selbstbeteiligung in der Vollkaskoversicherung deshalb nicht zu erstatten, weil diese bereits deshalb angefallen sei, weil der Kläger die Reparatur des Frontschadens über die Vollkaskoversicherung abgerechnet hat, ist von Rechtsirrtum beeinflusst. Nach den Grundsätzen über das Quotenvorrecht können sich die Beklagten nicht darauf berufen, dass die Zahlung der Kaskoversicherung des Klägers auf den von ihm zu zahlenden Anteil am Schaden anzurechnen sei und somit der gegen sie bestehende Anspruch ganz auf die Kaskoversicherung übergegangen sei. Dann würde sich nämlich der Übergang zum Nachteil des Klägers als Versicherungsnehmer auswirken, weil er dann weniger bekäme als er erhalten würde, wenn die Zahlung zunächst auf den Teil des Schadens angerechnet würde, den der Kläger nicht von den Beklagten ersetzt verlangen kann. Eine solche für den Kläger negative Auswirkung des Forderungsübergangs schließt § 86 Abs. 1 Satz 2 VVG (früher: § 67 Abs. 2 Satz 2 VVG) gerade aus. Der Schädiger soll durch die Existenz eines Sachversicherers nicht begünstigt werden. Die Kaskoversicherung dient gerade dazu, Schäden abzudecken, die der Versicherungsnehmer nicht von einem Dritten ersetzt verlangen kann – begrenzt durch den Betrag, für den der Schädiger insgesamt haftet, und nicht nur anteilig der Haftungsquote. Dieser Grundsatz wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass er nur bei kongruenten Schäden gilt. Denn das sich letztlich aus dem Sachversicherungsvertrag ergebende Quotenvorrecht kann sich nur auf Schäden beziehen, die von dem Schutzbereich dieses Versicherungsvertrages erfasst sind. Das sind bei der Kaskoversicherung die so genannten unmittelbaren Sachschäden, zu denen der Selbstbehalt gehört (OLG Brandenburg, Urt.v. 5.6.2007, 2 U 42/06, zitiert nach juris).

Bei der Berechnung der Nutzungsausfallentschädigung können nur 4 Tage á € 43,– berücksichtigt werden. Dass sich das Fahrzeug ausweislich der Bestätigung vom 24.8.2007 für 8 Tage in der Werkstatt befand, ist insoweit bedeutungslos. Denn der Kläger hat nichts dazu vorgetragen, warum die Reparatur so lange gedauert hat. Auf den Gesichtspunkt, dass die Werkstatt nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten ist, kann er sich daher nicht berufen.

Als Kostenpauschale kommt nach neuerer Rechtsprechung der Zivilabteilungen des hiesigen Gerichts nur ein Betrag von € 20,– in Betracht.

Die Gutachterkosten sind schon deshalb erstattungsfähig, weil eine Abgrenzung zwischen Heck- und Frontschaden durch einen schlichten Kostenvoranschlag nicht möglich gewesen wäre.

Nach allem errechnet sich der Schadensersatzbetrag, den die Beklagten zu leisten haben, wie folgt:

Darauf hat die Beklagte zu 3) bereits € 434,33 gezahlt, so dass die im Tenor genannten € 76,32 verbleiben.

2.
Der zulässige Feststellungsantrag hat in der Sache keinen Erfolg. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Ersatz seines Höherstufungsschadens in der Kaskoversicherung zu.

Streitig ist, ob ein Anspruch auf Erstattung des Höherstufungsschadens in der Vollkaskoversicherung auch dann in Betracht kommt, wenn diese Versicherung auch aufgrund des Eigenverschuldens des Versicherungsnehmers in Anspruch genommen wurde (verneinend: AG Mitte, Urt.v. 3.1.2003, Schaden-Praxis S. 2003, S. 102; bejahend: KG, Urt.v. 12.2.1998, VerkMiitt 1998, Nr. 64; AG Gießen, Urt.v. 13.9.1994, DAR 1995, S. 29; jeweils zitiert nach juris). Diese Frage muss hier aber nicht allgemein entschieden werden, weil ein Sonderfall vorliegt.

Nach den Regeln des Anscheinsbeweises ist, wie oben unter 1. dargelegt, davon auszugehen, dass die Zeugin K.… mit dem Ford Focus des Klägers auf das vorherfahrende Kraftfahrzeug aufgefahren ist, bevor der Beklagte zu 1) mit dem von ihm geführten Kraftfahrzeug gegen das klägerische Kraftfahrzeug gestoßen ist. Zudem führte der Heckanstoß zu einem deutlich niedrigeren Schaden als der Frontanstoß.

Bei dieser Konstellation ist für eine Beteiligung des auffahrenden Unfallgegners an dem Höherstufungsschaden kein Raum. Denn dieser Schaden ist in voller Höhe bereits durch den Frontanstoß entstanden. Dadurch, dass der klägerische Ford Focus gegen das vorausfahrende Kraftfahrzeug stieß, war die Ursache für die Inanspruchnahme der Kaskoversicherung gesetzt worden. Der darauf folgende Heckanstoß konnte daran nichts mehr ändern. Der Unterschied zur Behandlung des Selbstbehalts liegt darin, dass es sich beim Höherstufungsschaden nicht um einen unmittelbaren Sachschaden bzw. einen Schaden, der an dessen Stelle tritt, handelt, sondern um eine nur mittelbare Unfallfolge, einen sogenannten nicht kongruenten Schaden, der nicht von der Kaskoversicherung gedeckt wird (vgl. LG Darmstadt, Urt.v. 5.4.2006, Schaden-Praxis 2006, S. 381; AG Herford, Urt.v. 8.3.2003, Schaden-Praxis 2002, S. 247, jeweils zitiert nach juris).

3.
Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten hat die Kläger nicht. Denn er hat durch seinen Rechtsanwalt eine deutlich übersetzte Forderung geltend gemacht, so dass die hierin liegende Mahnung als unwirksam anzusehen ist. Ob eine Zuvielmahnung im Umfange des tatsächlich bestehenden Anspruchs wirksam ist, entscheidet sich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach Treu und Glauben; eine unverhältnismäßig hohe Zuvielforderung kann den zu Recht angemahnten Teil so in den Hintergrund treten lassen, dass dem Schuldner kein Schuldvorwurf zu machen ist, wenn er sich nicht als wirksam gemahnt ansieht (BGH, Urt.v. 13.11.1990, NJW 1991, S. 1286, 1288 m.w. Nachw.). So liegen die Dinge hier.

Der Zinsanspruch folgt, soweit zuerkannt, aus §§ 291, 288 BGB. Auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Beklagten nicht wirksam gemahnt worden sind.

4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO in sinngemäßer Anwendung (vgl. RGZ 142, S. 84). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Beschluss Der Streitwert wird auf € 1 200,– festgesetzt.

RechtsgebieteUnfallregulierung, SchadenersatzVorschriften§ 823 BGB, § 1 Abs. 1 StVO, §§ 7, 17, 18 StVG

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