Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

14.11.2007 · IWW-Abrufnummer 073438

Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Beschluss vom 22.03.2007 – 3 UF 54/07

Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt eine tragfähige, soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus. Sie erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen und hat sich am Kindeswohl auszurichten. Es ist nach der Verfassung nicht geboten, der gemeinsamen Sorge gegenüber der alleinigen einen Vorrang einzuräumen.


3 UF 54/07

Gründe:

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die elterliche Sorge für A auf die Antragstellerin übertragen.

Hiergegen hat der Antragsgegner befristete Beschwerde eingelegt. Er beantragt, den angefochtenen Beschluss bezüglich der Übertragung des alleinigen Sorgerechts aufzuheben.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt (§§ 621 e Abs. 1 und 3, 517 ZPO).

In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Es ist zu erwarten, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung der alleinigen Sorge auf die Antragstellerin dem Wohl von A am besten entspricht (§ 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

Die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt eine tragfähige, soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus. Sie erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen und hat sich am Kindeswohl auszurichten (BVerfG Fam RZ 2004, 354, 355). Es ist nach der Verfassung nicht geboten, der gemeinsamen Sorge gegenüber der alleinigen einen Vorrang einzuräumen. Eine solche Auffassung lässt sich aus dem Wortlaut und dem Gesetzeszweck des § 1671 BGB nicht ableiten (BVerfG, a. a. O.; BGH Fam RZ 1999, 1646, 1647). Es kann nicht vermutet werden, dass die gemeinsame Sorge nach der Trennung der Eltern im Zweifel für das Kind die beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist (vgl. auch ständige Rechtsprechung des Senats; u. a. Beschluss vom 10.01.2005, 3 UF 194/04, Beschluss vom 20.04.2004, 3 UF 72/04; Beschluss vom 28.11.2006, 3 UF 238/06).

Eine solche tragfähige und für die realistische Ausübung gemeinsamer elterlicher Sorge erforderliche Basis ist hier nicht ersichtlich. Aus dem wechselseitigen Parteivortrag und insbesondere aus den Schriftsätzen des Beschwerdeführers folgt, dass die Beziehung zwischen den beiden Elternteilen in einer Weise zerrüttet ist, die auch das für streitige Sorgerechtsverfahren übliche Maß erheblich übersteigt. Der Kindesvater, vertreten durch seinen Verfahrensbevollmächtigten, beschuldigt die Kindesmutter in ehrverletzender und ausufender Weise. Dabei rügt der Antragsgegner immer wieder die Verletzung seiner eigenen Grundrechte, setzt sich aber im Rahmen seiner Schriftsätze in Form und Inhalt über die Grundrechte aller anderen Verfahrensbeteiligten und deren gleichfalls in der Verfassung geschützten Persönlichkeitsrechte hinweg. So lässt er unter anderem auf Seite 2 seines Schriftsatzes vom 09.02.2005 (Blatt 73 d. Akten) folgendes vortragen: " Mit aller Deutlichkeit darf daher festgestellt werden, dass hier eine persönliche Problematik (psychische Überspanntheit bis Überforderung) zutage tritt, die zum Himmel stinkt, es sei denn man hält sich die Nase zu und sieht bei Seite, während Frau B offensichtlich der Betreuung bedarf." Bei einer solchen Form der Kommunikation ist eine zweckmäßige Kooperation der Kindeseltern nicht denkbar.

Unter diesen Umständen ist nur die Ausübung der elterlichen Sorge durch eines der beiden Elternteile denkbar. Im vorliegenden Fall kommt lediglich die Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter in Betracht. Das ergibt sich aus dem Grundsatz, dass die elterliche Sorge grundsätzlich von demjenigen Elternteil auszuüben ist, bei dem die Kontinuität der Betreuung am besten sichergestellt werden kann und zu dem das Kind die stärkeren Bindungen aufweist. A lebt seit der Trennung ihrer Eltern im Juli 2003, d. h. seit mehr als 3 1/2 Jahren, bei ihrer Mutter. Seit ca. Ende des Jahres 2004 besteht kein Kontakt mehr zwischen Vater und Kind. Schon aus diesen äußeren Daten folgt, dass die Übertragung der Sorge auf den Antragsgegner zur Zeit nicht in Betracht kommt. Es ist inzwischen eine so langjährige Entfremdung zwischen Vater und Tochter eingetreten, die allenfalls äußerst behutsam über betreute Umgangskontakte nicht aber über eine Sorgerechtsentscheidung zu Gunsten des Vaters abgebaut werden könnte.

Für die Ausübung der elterlichen Sorge durch die Kindesmutter spricht auch die erste Stellungnahme des Antragsgegners, die dieser gegenüber dem Jugendamt gemacht hat, bevor die Beziehung der Eltern durch den Missbrauchsverdacht belastet war (vgl. Blatt 16 d. Akten). Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch keine Bedenken bezüglich der alleinigen Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts durch die Kindesmutter geäußert. Er hatte zudem die Kindesmutter als verantwortlich handelnd für A dargestellt.

Ebenso schildern das Jugendamt und die Verfahrenspflegerin eine positive Entwicklung des Kindes während der letzten Jahre, in denen es allein von der Mutter betreut wurde. In seiner Stellungnahme vom 25.1.2007 empfiehlt das Jugendamt nochmals ausdrücklich, die alleinige elterliche Sorge auf die Kindesmutter zu übertragen.

Danach sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass im vorliegenden Fall ausnahmsweise vom Kontinuitätsgrundsatz abzuweichen ist. Sie sind auch nicht aus dem Vorbringen des Antragsgegners zu entnehmen. Insbesondere lässt sich aus dem von der Antragstellerin geäußerten Missbrauchsverdacht nicht das Fehlen von Bindungstoleranz ableiten. Genauso wie zu Gunsten des Antragsgegners von seiner Unschuld auszugehen ist, muss zu Gunsten der Kindesmutter unterstellt werden, dass diese ihre Vorwürfe und ihre daraus resultierenden Ängste in pflichtgemäßer Ausübung elterlicher Verantwortung erhoben und lediglich versucht hat, A zu schützen. Selbst wenn es, wie der Beschwerdeführer immer wieder vorträgt, Mütter gibt, die Mißbrauchsbeschuldigungen aus sachfremden Schädigungsabsichten zum Nachteil des Kindesvaters erheben, rechtfertigt diese Tatsache im vorliegenden konkreten Fall nicht die Annahme, dass hier ein solches Verhalten der Antragstellerin zu vermuten ist.

Soweit der Antragsgegner Verfahrensverstöße des Amtsgerichts rügt, vermag der Senat diese nicht zu erkennen. Der Vorwurf fehlender Anhörung des Beschwerdeführers greift nicht. Am 20.04.2005 hat ein Verhandlungstermin stattgefunden, bei dem er selbst zugegen war. Die Frage der elterlichen Sorge wurde dabei erörtert. Die Vertreterin des Jugendamts hat damals bereits erklärt, dass sie eine alleinige Ausübung der elterlichen Sorge durch die Kindesmutter als erforderlich ansähe. Es ist nicht erkennbar und wird vom Antragsgegner selbst nicht behauptet, dass ihm damals untersagt worden wäre, sich zur Frage der elterlichen Sorge zu äußern. Vielmehr sind laut Protokollinhalt ehrverletzende Äußerungen des Antragsgegnervertreters gefallen, welche sich gegen alle anderen Verfahrensbeteiligten richteten und die wiederum nicht erkennen lassen, dass der Kindesvater im Interesse von A bemüht ist oder war, in der Sache zu verhandeln und das Verfahren zu einem sinnvollen und zeitnahen Ergebnis zu führen (Bl. 91 - 95 d.A.).

Eine Anhörung von A selbst war hier nicht erforderlich und zu unterlassen, um sie vor weiteren Belastungen zu bewahren. Ein Gespräch mit ihr könnte nicht zur Aufklärung der Frage beitragen, ob die Kindeseltern gemeinsam die elterliche Sorge ausüben können. Selbst wenn das Kind - entgegen den Mitteilungen von Jugendamt und Verfahrenspflegerin - nichts gegen Kontakte mit seinem Vater einwenden sollte, spräche dies nicht dafür, es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge zu belassen. Der eigene Parteivortrag des Antragsgegners, mit dem alle Verfahrensbeteiligten in ungewöhnlicher Weise herabgewürdigt werden, lässt keine Basis für eine Kooperation der Kindeseltern erkennen, die aber für eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge unabdingbar wäre.

Ebenso war die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus den oben genannten Gründen und wegen der Eindeutigkeit der Sachlage nicht mehr erforderlich.

Der Senat hat von einer mündlichen Anhörung der Parteien abgesehen, weil davon keine weitere Aufklärung bezüglich der Frage des gemeinsamen Sorgerechts zu erwarten war (vgl. Bumiller/Winkler, FGG,7.A., Rn.6). Das folgt aus dem gesamten Akteninhalt, u.a. auch aus dem Verlauf des ersten Anhörungstermins (laut Protokoll erklärte der Antragsgegnervertreter dort z.B.: "ich befinde mich hier in einem Haufen völliger Ignoranten") und aus dem bereits erläuterten Inhalt der Schriftsätze des Beschwerdeführers. Ein gemeinsames Sorgerecht ist unter diesen Umständen zurzeit nicht vorstellbar.

Der Antragsgegner wird abschließend darauf hingewiesen, dass er sein Vorgehen überdenken sollte. Die Wiederherstellung von Kontakten zu seiner Tochter wird auf Dauer nur möglich sein, wenn er von seinem Konfrontationskurs Abstand nimmt.

Der Prozesskostenhilfeantrag ist aus den oben genannten Gründen wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Beschwerde zurückzuweisen.

RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 1671

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr