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10.02.2003 · IWW-Abrufnummer 030086

Finanzgericht Münster: Urteil vom 27.08.2002 – 1 K 5930/01 E

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


FINANZGERICHT MÜNSTER

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

1. Senat
1 K 5930/01 E

In dem Rechtsstreit des Herrn M S,

- Kläger -

gegen Finanzamt
- vertreten durch den Vorsteher -
StNr.:

- Beklagter -

wegen Einkommensteuer 2000

hat der 1. Senat des Finanzgerichts Münster in der Sitzung vom 27.08.2002, an der teilgenommen haben:

1. Vorsitzender Richter am Finanzgericht XXX
2. Richter am Finanzgericht XXX
3. Richter XXX
4. Ehrenamtliche Richterin XXX
5. Ehrenamtliche Richterin XXX

im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2000 vom 08.06.2001 und unter der Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 26.09.2001 wird die Einkommensteuer für das Jahr 2000 auf 7.635 DM festgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.

Dir Revision ist bei dem Bundesfinanzhof innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss den Voraussetzungen des § 120 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung -FGO- entsprechen.

Bei der Einlegung und Begründung der Revision sowie in dem weiteren Verfahren vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugte Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie durch Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.

Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/9231-201.

Tatbestand

Streitig ist, ob Pkw-Fahrten zu einer auswärtigen Fortbildungsstätte auch über die ersten drei Monate hinaus mit tatsächlichen Aufwendungen als Werbungskosten (WK) abgezogen werden dürfen.

Der in B wohnhafte Kläger (Kl.) ist als Industriemechaniker in U nichtselbständig tätig. Zusätzlich besuchte er seit August 1999 die Fachschule Maschinentechnik in B,. Wenn er Spätschicht hatte (Arbeitsbeginn 14.00 Uhr), fand der Schulbesuch vormittags (9.15 - 12.30) statt, ansonsten abends (Schichtende 14.00 Uhr, Schulbeginn 17.50 Uhr).

In seiner Einkommensteuer-(ESt-)Erklärung für das Streitjahr 2000 machte der Kl. ? neben anderen WK, u. a. für Fahrten zu Lerngemeinschaften ? für den Schulbesuch Fahrtkosten für 117 Fahrten zu je 55 km einfache Entfernung mit dem Kilometerpauschbetrag von 0,52 DM/km als WK geltend (6.692,40 DM).

Der Beklagte (Bekl.) berücksichtigte im Bescheid vom 8.6.2001 hingegen nur die für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltende Entfernungspauschale von 0,70 DM je Entfernungs-km (4.504,50 DM) und setzte die ESt für das Jahr 2000 auf 8.180 DM fest. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. In seiner Einspruchsentscheidung vom 26.9.2001 führte der Bekl. aus, nach der Rspr. des BFH sei bei einer längerfristigen vorübergehenden Auswärtstätigkeit die auswärtige Tätigkeitsstätte nach drei Monaten als neue regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen.

Mit der am 25.10.2001 eingegangenen Klage verfolgt der Kl. sein Begehren weiter. Er ist der Auffassung, bei einer Fortbildung außerhalb des Arbeitsverhältnisses fehle es an einer regelmäßigen Arbeitsstätte, so dass die entsprechenden Fahrten keine Dienstreisen im herkömmlichen Sinne sein könnten, sondern mit den tatsächlichen Kosten geltend gemacht werden könnten.

Während des Klageverfahrens haben die Beteiligten eine tatsächliche Verständigung des Inhalts erzielt, dass für den Fall eines Klageerfolgs anderweitige, überhöht abgezogene Werbungskosten i. H. v. 436,96 DM gegen zurechnen sind.

Der Kl. beantragt sinngemäß,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2000 vom 8.6.2001 und unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 26.09.2001 weitere Werbungskosten i. H. v. 2.187,90 DM abzüglich gegenzurechnender 436,96 DM zu berücksichtigen.

Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, Fahrtkosten für Fortbildungsmaßnahmen seien auch bei fehlender Weisung des Arbeitsgebers nur im Rahmen der für Dienstreisen geltenden Grenzen berücksichtigungsfähig. Nur dies stelle die Gleichbehandlung von Steuerpflichtigen, deren Fahrten als Dienstreisen behandelt werden, mit Steuerpflichtigen, deren Fahrten als solche zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gelten, sicher.

Der Berichterstatter hat die Streitsache am 3.7.2002 mit den Beteiligten erörtert; auf das Protokoll wird Bezug genommen. Die Beteiligten sind vom Berichterstatter auf § 94a der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen worden und haben übereinstimmend erklärt, dass sie eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet gemäß § 94 a FGO ohne mündliche Verhandlung. Der Streitwert übersteigt nicht 500 Euro; die Beteiligten halten eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich.

Die Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kl. in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FGO), als der Bekl. für die Fahrten zur Fachschule nur die Pauschbeträge des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) angesetzt hat.

1. Mit dem Kl. ist der Senat der Auffassung, dass dann, wenn ? wie im Streitfall ? Fahrten zu einer Fortbildungsstätte neben Fahrten zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte treten, die entsprechenden Kosten auch über die ersten drei Monate hinaus mit den tatsächlichen Kosten bzw. den für Dienstreisen geltenden Pauschalen zu berücksichtigen sind (ebenso für einen vergleichbaren Sachverhalt, allerdings ohne inhaltliche Stellungnahme FG Düsseldorf, Urteil vom 12.4.1994 8 K 6790/93, EFG 1994, 648, rkr.; für Fahrten zu einer Lerngemeinschaft neben der regelmäßigen Arbeitsstätte auch FG Köln, Urteil vom 28.10.1993 2 K 5407/92, EFG 1994, 290, rkr.).

a) Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG alle Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Zu ihnen zählen insbesondere Aufwendungen für die Fortbildung in einem bereits ausgeübten Beruf (BFH-Urteil vom 10.7.1992 VI R 19/91, BStBl. II 1992, 966). Derartige Aufwendungen können grds. in ihrer tatsächlichen Höhe berücksichtigt werden. Werden im Einzelfall keine höheren Aufwendungen nachgewiesen, sind die für Dienstreisen geltenden Pauschalen der Finanzverwaltung anzusetzen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur dann, wenn die Fortbildungsstätte als Arbeitsstätte i. S. d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusehen ist. Dies ist vorliegend aber auch nach Ablauf der ersten drei Fortbildungsmonate nicht der Fall.

b) Werden Dienste an verschiedenen Tätigkeitsstätten erbracht (bzw. besteht ? wie hier ? neben einer Tätigkeitsstätte eine Fortbildungsstätte), so ist nach ständiger Rspr. des BFH eine Dienstreise anzunehmen, wenn der vorübergehend aufgesuchten Tätigkeitsstätte eine regelmäßige oder dauerhafte Arbeitsstätte gegenübersteht, die der erstgenannten gegenüber als dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit erscheint. Ob ein derartiger Mittelpunkt der dienstlichen Tätigkeit vorliegt, bestimmt sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalles. Anhaltspunkt für die Bejahung eines solchen Mittelpunktes kann neben der Dauer der dort abgeleisteten Dienste und dem Umstand, dass an diesem Ort immer wieder zurückgekehrt wird, die mit den Vorstellungen der Beteiligten übereinstimmende Verkehrsanschauung sein (BFH-Urteile vom 4.5.1990 VI R 93/86, BStBl. II 1990, 859 und VI R 156/86, BStBl. II 1990, 861; vom 18.5.1990 VI R 180/88, BStBl. II 1990, 863 und vom 10.10.1994 VI R 2/92, BStBl. II 1995, 137).

Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend hinsichtlich der Fahrten zur Fachschule auch über die ersten drei Monate hinaus eine Dienstreise anzunehmen. Angesichts der von vornherein feststehenden Befristung der Fortbildung blieb die Arbeitsstätte des Kl. in U nach der Verkehrsanschauung dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit. Für diese Eigenschaft als Mittelpunkt spricht auch das Verhältnis der jeweiligen Anwesenheitstage und -zeiten: Während der Kl. im Streitjahr an der Arbeitsstätte in U230 Tage verbracht hat, waren es in der Fortbildungsstätte nur 117 Tage; die Anwesenheit in der Fortbildungsstätte betrug zudem jeweils nur ca. 3 Stunden (gegenüber 8 Stunden regelmäßiger Arbeitszeit).

Wesentliches Argument für die Anerkennung der tatsächlichen Kosten für die Fahrten in den ersten drei Monaten war für die Rspr., dass es bei vorübergehenden Auswärtstätigkeiten nicht möglich ist, den Wohnsitz an die Tätigkeitsstätte heranzuverlegen, um so die Fahrtkosten gering zu halten (BFH-Urteil vom 10.10.1994 VI R 2/92, BStBl. 1995, 137/139). Wenn insgesamt nur eine Tätigkeitsstätte besteht, ist es gerechtfertigt, den höheren Abzug nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne ? die die Rspr. typisierend mit drei Monaten ansetzt ? entfallen zu lassen, weil der Steuerpflichtige dann seinen Wohnsitz verlegen könnte. Eine derartige Wohnsitzverlegung ist aber solchen Steuerpflichtigen nicht möglich, die ? wie der Kl. ? neben der vorübergehenden auswärtigen Fortbildungsstätte ihre regelmäßige Arbeitsstätte ununterbrochen und dauerhaft beibehalten. Damit entfällt auch der Grund für die Befristung des Ansatzes der tatsächlichen Kosten auf drei Monate.

c). Der Senat weicht mit dieser Rechtsauffassung nicht von der Rechtsprechung des BFH ab. Denn dieser hatte bisher ? soweit ersichtlich ? nur über Sachverhalte zu entscheiden, in denen die Fortbildung die volle Arbeitszeit in Anspruch nahm und neben der Fortbildungsstätte keine regelmäßige Arbeitsstätte mehr bestand (BFH-Urteil vom 23.3.1079 VI R 14/78, BStBl. Il 1979, 521: Sparkassenschule; BFH-Urteil vom 4.5.1990 VI R 93/86, BStBl. II 1990, 859: Steueranwärter, BFH-Urteil vom 4.5.1990 VI R 156/86, BStBl. II 1990, 861: Finanzanwärter, BFH-Urteil vom 18.5.1990 VI R 180/88, BStBl. II 1990, 863: Soldat; BFH-Urteil vom 10.10.1994 VI R 2/92, BStBl. II 1995, 137: Zeitsoldat, BFH-Urteil vom 19.7.1996 VI R 38/93, BStBl. II 1997, 95: Vollzeit-Lehrgang, der allerdings zwei Mal für je knapp zwei Wochen unterbrochen wurde; ebenso Niedersächsisches FG, Urteil vom 28.6.2000 7 K 487/99, Juris). Für derartige Sachverhalte hält der Senat die Rspr. des BFH für überzeugend (a. A. Niedersächsische FG, Urteil vom 22.2.1994 VII 490/91, EFG 1994; 787, rkr.: Ansatz der Fahrten eines Arbeitslosen zu einem Lehrgang auch über die ersten drei Monate hinaus mit den tatsächlichen Kosten, obwohl keine Arbeitsstätte bestand). Denn dann ist es sachgerecht, von einer Verkehrsanschauung auszugehen, die die Fortbildungsstätte nach drei Monaten als neuen Mittelpunkt der dienstlichen Tätigkeit ansieht. So liegt es hier aber nicht.

Allerdings steht die Auffassung des Senats im Gegensatz zu der des Niedersächsischen FG im Urteil vom 21.12.1999 7 K 710/98, Juris. In diesem Urteil ist aber zur Begründung nur auf die angeführte BFH-Rspr. Bezug genommen worden, die indes ? wie dargestellt ? andere Sachverhalte betrifft. Der vom Niedersächsischen FG zusätzlich genannte Gesichtspunkt der Typisierung rechtfertigt eine Gleichbehandlung der im entscheidenden Gesichtspunkt unterschiedlichen Sachverhalte nicht, da diese leicht und eindeutig voneinander abgrenzbar sind.

2. Der Bekl. hat indes überhöhte WK abgezogen. Der Senat hat insoweit im Rahmen des Klageerfolgs eine Gegenrechnung vorzunehmen. Nach der zwischen den Beteiligten getroffenen tatsächlichen Verständigung beläuft sich der Gegenrechnungsbetrag auf 436,96 DM. Nach Saldierung mit den zusätzlich zu gewährenden WK von 2.187,90 DM bleibt ein positiver Betrag von 1.750,94 DM.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Soweit der Kl. seinen Antrag während des Klageverfahrens eingeschränkt hat, folgt sie aus dem Rechtsgedanken des § 137 Satz 1 FGO. Denn diese Einschränkung des Antrags beruht allein auf der durch den Senat beabsichtigten Gegenrechnung von überhöhten Werbungskostenbeträgen, die der Bekl. zuvor ohne eigene Ermittlungen anerkannt hatte. Bei zureichenden Ermittlungen bereits im Veranlagungs- oder Einspruchsverfahren wäre es zur Notwendigkeit dieser Einschränkung des Klageantrags gar nicht erst gekommen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 FGO, 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 ZPO.

Die Entscheidung über die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 FGO. Angesichts der unter dargestellten divergierenden Rechtsprechung der Finanzgerichte erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs.

RechtsgebietEinkommensteuerVorschriften§ 9 Absatz 1 EStG

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