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16.01.2007 · IWW-Abrufnummer 070204

Bundesgerichtshof: Urteil vom 07.12.2006 – IX ZR 157/05

Erfüllt der Schuldner nach Zustellung eines Vollstreckungsbescheides die titulierte Forderung innerhalb der gesetzlichen Dreimonatsfrist, ist die Deckung nicht inkongruent, wenn der Gläubiger die Zwangsvollstreckung zuvor weder eingeleitet noch angedroht hat.


BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

IX ZR 157/05

Verkündet am:
7. Dezember 2006

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter Raebel, Vill, Cierniak und die Richterin Lohmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 24. August 2005 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte lieferte der C. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) Waren. Nachdem die Schuldnerin den Kaufpreis nicht bezahlte, beauftragte die Beklagte ein Inkassounternehmen, die Forderungen geltend zu machen. Dieses mahnte die Summe unter Fristsetzung erneut an. In dem sich anschließenden Mahnverfahren erging ein Vollstreckungsbescheid, der der Schuldnerin am 11. Juni 2003 zugestellt wurde. Am 19. Juni 2003 bezahlte die Schuldnerin die offenen Rechnungen, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig war. Am 29. Juli beantragte sie, über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen, was in der Folgezeit auch geschah. Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Er verlangt den Kaufpreis unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung erstattet.

Das Amtsgericht hat den in den Rechtsmittelinstanzen noch streitigen Teil der Klage abgewiesen, die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt er sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht hat angenommen, die Zahlung sei nicht nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO anfechtbar, weil dem Kläger der Beweis nicht gelungen sei, dass die Beklagte von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gewusst habe. Auch eine Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO scheide aus. Die Zwangsvollstreckung habe nicht unmittelbar bevorgestanden, weil die Beklagte der Schuldnerin die Zwangsvollstreckung nach Zustellung des Vollstreckungsbescheides nicht angedroht habe. Ohne eine derartige Androhung komme eine Anfechtung nicht in Betracht.

II.

Die Revision nimmt hin, dass das Berufungsgericht die Anfechtungsmöglichkeit nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO aus tatsächlichen Gründen verneint hat. Sie macht erfolglos geltend, dass die Beklagte eine inkongruente Befriedigung erlangt habe. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers nach § 143 Abs. 1 InsO zu Recht auch insoweit versagt, als er auf § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO gestützt worden ist.

1. Während der gesetzlichen Dreimonatsfrist gebührt die im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder Befriedigung dem Gläubiger nicht in dieser Art; sie ist inkongruent (vgl. BGHZ 136, 309, 311 ff; 157, 350, 353; 162, 143, 149). Das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip wird durch das System der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln eingeschränkt, wenn für die Gesamtheit der Gläubiger nicht mehr die Aussicht besteht, aus dem Vermögen des Schuldners volle Deckung zu erhalten. Dann tritt die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter den Schutz der Gläubigergesamtheit zurück. Die Vorschrift des § 131 InsO verdrängt in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag den Prioritätsgrundsatz zugunsten der Gleichbehandlung der Gläubiger (BGHZ 157, aaO; 162, aaO; BGH, Urt. v. 17. Februar 2004 - IX ZR 318/01, WM 2004, 669, 670 unter I. 1.; v. 23. März 2006 - IX ZR 116/03, ZIP 2006, 916 f unter II. 3. a).

Die Beklagte hat den Kaufpreis nicht im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt. Diese hatte am Tag der Zahlung formalrechtlich noch nicht begonnen. Die Zustellung des Titels (§ 750 Abs. 1, § 795 Satz 1 ZPO) und die Erteilung der Vollstreckungsklausel (§ 724 ZPO), die hier nicht erforderlich war (§ 796 Abs. 1 ZPO), sind bloße Vorbereitungshandlungen (BGH, Urt. v. 26. April 1976 - VIII ZR 290/74, MDR 1976, 837, 838; RGZ 31, 410, 412). Die Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen beginnt mit der Pfändung durch den Gerichtsvollzieher (BGH, Urt. v. 27. November 2003 - IX ZR 310/00, WM 2004, 583, 584), die in Forderungen mit dem Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (RGZ 25, 368, 370; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO 22. Aufl. Vor § 704 Rn. 112).

2. Für die Beurteilung der Anfechtbarkeit ist es allerdings nicht wesentlich, ob die Zwangsvollstreckung im formalrechtlichen Sinne schon begonnen hat (einschränkend Gerhardt, Festschrift für Gerhart Kreft S. 267, 276 f). Eine Befriedigung oder Sicherung ist auch inkongruent, wenn sie unter dem Druck unmittelbar bevorstehender Zwangsvollstreckung gewährt wurde (vgl. BGHZ 136, 309, 311; 157, 242, 248; BGH, Urt. v. 11. April 2002 - IX ZR 211/01, WM 2002, 1193, 1194; v. 15. Mai 2003 - IX ZR 194/02, WM 2003, 1278, 1279). Der Schuldner leistet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangvollstreckung, wenn der Gläubiger zum Ausdruck gebracht hat, dass er alsbald die Mittel der Vollstreckung einsetzen werde, sofern der Schuldner die Forderung nicht erfülle (BGH, Urt. v. 11. April 2002, aaO). Ob der Schuldner aufgrund eines unmittelbaren Vollstreckungsdrucks geleistet hat, beurteilt sich aus seiner objektivierten Sicht (BGH, Urt. v. 15. Mai 2003, aaO). Entgegen dem von der Revision vertretenen Standpunkt kann auf eine entsprechende Beurteilung des Einzelfalls nicht im Interesse vermeintlicher Rechtssicherheit verzichtet werden. Hier fehlt es an dem zur Inkongruenz führenden Vollstreckungsdruck.

a) Der Schuldner leistet regelmäßig unter dem Druck einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung, wenn er zur Zeit seiner Leistung damit rechnen muss, dass ohne sie der Gläubiger nach dem kurz bevorstehenden Ablauf einer letzten Zahlungsfrist mit der ohne weiteres zulässigen Zwangsvollstreckung beginnt (BGHZ 157, aaO; BGH, Urt. v. 15. Mai 2003, aaO). Die Beklagte hat der Schuldnerin vor oder nach Zustellung des Vollstreckungsbescheids nicht angekündigt, dass sie unmittelbar zur Zwangsvollstreckung schreiten werde.

b) Der Revision kann nicht darin gefolgt werden, dass der Schuldner bereits die schlichte Zustellung des Vollstreckungsbescheids aus seiner objektiven Sicht als Androhung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung werten durfte.

aa) Der Vollstreckungsbescheid wird dem Schuldner grundsätzlich von Amts wegen durch das Mahngericht zugestellt (§ 699 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Dass die Beklagte den Vollstreckungsbescheid ausnahmsweise im Parteibetrieb zugestellt hätte, hat der hierfür darlegungspflichtige Kläger nicht behauptet. In der Zustellung von Amts wegen liegt keine Willensäußerung des Gläubigers. Ob der Gläubiger in diesem Zeitpunkt tatsächlich beabsichtigt, aus dem Vollstreckungsbescheid sogleich die Zwangsvollstreckung zu betreiben, kann der Schuldner allein infolge der Zustellung nicht erkennen.

Der Vollstreckungsbescheid enthält auch keine Vollstreckungsandrohung, letzte Zahlungsfrist oder Zahlungsaufforderung. Hingewiesen wird nach dem amtlichen Vordruck lediglich auf die Einspruchsmöglichkeit und den Umstand, dass ein Zahlungsaufschub nur vom Antragsteller bewilligt werden kann. Dies verdeutlicht, dass der Zustellung eines Vollstreckungsbescheids keineswegs immer die Zwangsvollstreckung auf dem Fuße folgt.

bb) Nicht entscheidend ist, ob die Beklagte schon durch § 750 Abs. 1 ZPO gehindert gewesen wäre, in kürzester Zeit nach Zustellung des Vollstreckungsbescheids mit der Zwangsvollstreckung zu beginnen. Bis die Zustellungsurkunde zur Geschäftsstelle des Mahngerichts zurückgelaufen ist und dies auf Antrag die Zustellung bescheinigen kann (§ 169 Abs. 1 ZPO), werden im Regelfall einige Tage vergehen. Diesen Abläufen, in die der Schuldner keinen Einblick hat, ist aus seiner Sicht keine Bedeutung beizumessen (vgl. BGH, Urt. v. 15. Mai 2003, aaO - für den Geschäftsgang innerhalb der Finanzverwaltung).

c) Nach Sinn und Zweck der §§ 130, 131 InsO ist es gleichfalls nicht gerechtfertigt, eine Leistung des Schuldners unter dem Druck einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung allein daraus zu folgern, dass ihm über die später erfüllte Forderung ein Vollstreckungsbescheid zugestellt worden ist.

Zahlt der Schuldner innerhalb der gesetzlichen Dreimonatsfrist freiwillig auf eine fällige Forderung, während andere Gläubiger mit ihren ebenfalls fälligen Forderungen leer ausgehen, so führt diese Verletzung der Gläubigergleichbehandlung nur unter den Voraussetzungen des § 130 InsO zur Anfechtbarkeit (vgl. BGHZ 136, 309, 313). Der befriedigte Gläubiger muss in diesen Fällen, um zur Rückgewähr verpflichtet zu sein, grundsätzlich die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder den wegen seiner Insolvenz gestellten Eröffnungsantrag gekannt haben. Das ist nach § 131 InsO nicht erforderlich. Die schärfere Haftung nach dieser Vorschrift ist nur gerechtfertigt, wenn der Gläubiger abgesehen von der Erwirkung eines Vollstreckungstitels weiteren Druck auf den Schuldner ausgeübt hat, die fällige Leistung zu erbringen. Erst wenn der Gläubiger deutlich gemacht hat, er werde alsbald die Zwangsvollstreckung einleiten, sofern der titulierte Forderungsbetrag nunmehr nicht beglichen werden sollte, hat er sich eines Mittels bedient, welches mit dem Vorrang der Gläubigergleichbehandlung in dem von den §§ 130 bis 132 InsO besonders geschützten Zeitraum nicht vereinbar ist. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Fallgruppe der "Vollstreckungsinkongruenz" angesichts der im Schrifttum bereits geäußerten Besorgnis (Eckardt EWiR 2003, 831, 832; Gerhardt, aaO S. 275) hinreichend klare Grenzen behält. Nicht die von Amts wegen veranlasste Zustellung des Titels, sondern eine Ankündigung oder Androhung der Zwangsvollstreckung nimmt der nachfolgenden Leistung des Schuldners aus objektiver Sicht den Charakter der Freiwilligkeit. Beim klausellosen Vollstreckungsbescheid lässt die bloße Zustellung nicht einmal auf Vollstreckungsabsichten des Gläubigers schließen. Um so mehr schwächt sich das Vollstreckungsrisiko aus objektiver Schuldnersicht ab, wenn der Vollstreckungsbeginn nicht auf dem Fuße folgt. Wie lange von einem solchen latenten Vollstreckungsrisiko noch ein nennenswerter Druck ausgehen kann, damit der Schuldner gerade aus diesem Grund - und nicht freiwillig - zahlt, lässt sich nicht bestimmen. Damit erweist sich jedenfalls die Zustellung eines Vollstreckungsbescheids von Amts wegen innerhalb der Dreimonatsfrist allein als untauglicher Umstand, um die nachfolgende Zahlung des Schuldners als inkongruente Deckung zu werten.

RechtsgebietInsOVorschriftenInsO § 131

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