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08.11.2000 · IWW-Abrufnummer 001321

Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 30.08.2000 – 2 a Ss 164/00 - 33/00

Zur Frage der Nötigung beim Zufahren mit einem Kraftfahrzeug auf einen Dritten.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS
2a Ss 164/00 - 33/00 II 5 Js 1084/98 StA Mönchengladbach

In der Strafsache

wegen Nötigung

hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S und die Richter am Oberlandesgericht B und B am

30. August 2000

auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 11. Januar 2000 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Beschwerdeführers gemäß §§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO einstimmig

beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten auf die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das freisprechende Urteil des Amtsgerichts Erkelenz vom 4. Juni 1998 wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je DM verurteilt.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

II.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen verfolgte der Angeklagte mit seinem Kraftfahrzeug seine in einem anderen Fahrzeug fahrende Ehefrau, um diese bei der erstbesten Gelegenheit anzuhalten. Auf ihrer Fahrt bemerkte die Ehefrau die Polizeibeamten W und K, die in Höhe der Einfahrt des Hauses V Straße in Erkelenz einen Verkehrsunfall aufnahmen, und wandte sich an diese mit der Bitte um Hilfe. Der Polizeibeamte K verwies diese an die nahegelegene Polizeiwache. Inzwischen war der Angeklagte ebenfalls angekommen und hielt sein Fahrzeug in einem Abstand von wenigen Metern im Einfahrtsbereich an. Der Polizeibeamte K trat an das Fahrzeug des Angeklagten heran, klopfte an die vordere Beifahrerseitenscheibe und forderte den Angeklagten auf, sein Fahrzeug an den angrenzenden rechten Fahrbahnrand zu fahren. Der Angeklagte reagierte darauf nicht. Nachdem die Ehefrau ihre Fahrt fortgesetzt hatte, wollte der Polizeibeamte K ein weiteres Nachfahren des Angeklagten aus Gründer der Gefahrenabwehr unterbinden. Er trat deshalb von der rechten Fahrzeugseite vor das Fahrzeug, positionierte sich in einer Entfernung von ca. 2,5 m frontal vor diesem und forderte den Angeklagten durch Winken mit beiden Armen sowie verbal in gesteigerter Lautstärke wiederholt auf, sein Fahrzeug an den rechten Straßenrand zu fahren.

Der Angeklagte beabsichtigte die weitere Verfolgung seiner Ehefrau, was ihm wegen der Position des Polizeibeamten nicht möglich war. Um diesen zu zwingen, seinen Standort zu verlassen, trat der Angeklagte zunächst mehrfach auf das Gaspedal und ließ den Motor laut aufheulen. Sodann fuhr er mit langsamer Anfahrgeschwindigkeit auf den Polizeibeamten zu, der zwischenzeitlich seinen verbalen Aufforderungen durch erneute Steigerung der Lautstärke seiner Stimme weiteren Nachdruck verliehen hatte und auch weiterhin Handzeichen gab. Der Polizeibeamte sah sich aufgrund des auf ihn zufahrenden Fahrzeugs veranlaßt, zur Seite zu treten. Er wandte sich zur Fahrerseite des Fahrzeugs hinweg, schlug sodann mit der flachen Hand auf den Frontbereich des Fahrzeugs und schrie den Angeklagten nunmehr lauthals an, rechts heranzufahren. Aufgrund dieser nachhaltigen Vorgehensweise leistete der Angeklagte den Weisungen Folge.

III.

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen Nötigung nicht.

In Rechtsprechung und Literatur wird das Zufahren mit einem Kraftfahrzeug auf einen Dritten einerseits unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB behandelt, wenn der Täter gezielt auf einen anhaltenden Polizeibeamten zufährt, um diesen zur Freigabe des Weges zu zwingen, und dabei eine konkrete Gefahr für diesen herbeiführt (vgl. statt aller Tröndle-Fischer, 49. Aufl., § 315 b StGB Rdnr. 5 c m. w. N.), und andererseits unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen § 240 StGB erörtert, wenn der Täter auf einen eine Parklücke freihaltenden Fußgänger zufahrt, um lesen zur Freigabe des Parkplatzes zu zwingen, und dabei eine erhebliche Gefährdung für dessen körperliche Unversehrtheit verursacht oder diesen gar verletzt (vgl. statt aller Tröndle-Fischer, a. a. O., § 240 StGB Rdnr. 28 a m. w. N.). Die zu § 240 StGB in den genannten Fällen entwickelten Grundsätze sind für die vorliegende Fallkonstellation heranzuziehen, weil die Sachverhalte vergleichbar erscheinen. Es besteht kein Streit darüber, daß derjenige, der einen anderen durch Zufahren mit einem Kraftfahrzeug zur Freigabe der Fahrt veranlaßt, diesen mit Gewalt zu einem Handeln nötigt und dadurch den objektiven Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB erfüllt (vgl. auch OLG Düsseldorf, 3. Strafsenat, VM 1978 Nr. 68 m. w. N.). Unterschiedliche Auffassungen werden nur dazu vertreten, ob und unter welchen Voraussetzungen in solchen Fällen die Anwendung der Gewalt als verwerflich i. S. d. § 240 Abs. 2 StGB und damit als rechtswidrig zu betrachten ist. Für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Nötigung kommt es darauf an, ob das Mittel der Willensbeeinflussung im Hinblick auf den erstrebten Zweck als anstößig anzusehen ist. Das rechtlich Verwerfliche ist nicht einseitig in dem angewendeten Mittel oder in dem angestrebten Zweck, sondern in der Beziehung beider zueinander zu suchen. Nur wenn die Anwendung der Gewalt über das billigenswerte Maß hinausgeht, ist die Tat als Nötigung zu bestrafen. Demgemäß ist nicht schon jede Behinderung, Belästigung oder Gefährdung eines Verkehrsteilnehmers, die in ihrem Unrechtsgehalt den Rahmen einer nach § 1 StVO zu ahndenden Ordnungswidrigkeit nicht übersteigt, als sittlich so mißbilligenswert anzusehen, daß sie in dem dargelegten Sinne verwerflich wäre. Ob das Verhalten eines Kraftfahrers besonders zu mißbilligen ist, läßt sich vielmehr zutreffend nur entscheiden, wenn alle Umstände des Falles, auch das Verhalten des betroffenen Dritten, berücksichtigt werden (vgl. OLG Düsseldorf, a. a. O., m. w. N.). Insofern ist auch von Bedeutung, ob von dem Dritten in seiner Lage erwartet werden kann, daß er dem angewendeten Zwangsmittel in besonnener Selbstbehauptung standhält (vgl. BGH NStZ 1992, 278 m. N.). In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, daß ein Erzwingen der Fahrtfreigabe jedenfalls dann verwerflich ist, wenn die Gewaltanwendung eine nicht unerhebliche Verletzung der körperlichen Unversehrtheit des Genötigten bewirkt, indem dieser durch das anfahrende Kraftfahrzeug erfaßt wird und einen körperlichen Schaden davonträgt (vgl. OLG Düsseldorf, a. a. O.). Soweit eine Körperverletzung nicht eingetreten ist, wird von der Rechtsprechung zumindest verlangt, daß eine erhebliche Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit des Dritten eintritt. Dabei wird die Frage, wann und unter welchen konkreter Voraussetzungen eine Gefährdung als erheblich anzunehmen ist, in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet (vgl. BGH VRS 44, 437, 439; BayObLG VM 1963 Nr. 40; OLG Hamburg NJW 1968, 662, 663; OLG Hamm NJW 1970, 2074, 2075; VM 1969 Nr. 123; OLG Stuttgart VM 1973 Nr. 94; NJW 1966, 745, 748; Voß-Broemme NZV 1988, 2, 5). Da es sich jeweils um Einzelfallentscheidungen bei jedenfalls in Nuancen unterschiedlichen Einzelheiten der Fallgestaltung handelt, kann eine generelle Antwort dazu, wann die Erheblichkeitsschwelle erreicht und überschritten ist, nicht gegeben werden. Zwar erscheint die Gefährdung eines Fußgängers, der von einem Kraftfahrzeug durch gezieltes Zufahren beiseite gedrängt wird, im Hinblick auf die in der Handhabung eines motorgetriebenen Fahrzeugs begründeten unvorhersehbaren Risiken eines solchen Vorgehens nicht ganz unerheblich (so auch OLG Düsseldorf, a. a. O.; OLG Hamm NJW 1970, 2074, 2075; Voß-Broemme, a. a. O.). Dies gilt insbesondere dann, wenn aus den sonstigen äußere) Umständen und der konkret erkennbaren psychischen Verfassung des Täters geschlossen werden kann, daß eine uneingeschränkte Beherrschbarkeit der von einem Kraftfahrzeug aussehenden Gefahren für einen vor diesem befindlichen Fußgänger nicht mehr vorliegt.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen steht jedenfalls nicht ausreichend sicher fest, daß eine erhebliche Gefährdung des Polizeibeamten eingetreten ist. Die Geschwindigkeit des anfahrenden Fahrzeugs und der Abstand zum Fahrzeug während des Beiseitetretens sind nicht mitgeteilt, und die Art und Weise des Beiseitetretens ist nicht näher beschrieben. Es ist auch nicht erkennbar, ob der Polizeibeamte ohne ein Beiseitetreten einem Angefahren- oder Überrolltwerden ausgesetzt war.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß insoweit in einer neuen Hauptverhandlung ergänzende Feststellungen getroffen werden können, war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

RechtsgebietStGBVorschriftenStGB § 240

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