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31.07.2000 · IWW-Abrufnummer 000773

Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 03.07.2000 – 1 U 240/99

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

1 U 240/99
11 O 82/99
LG Düsseldorf

Verkündet am 3. Juli 2000

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch den Vorsitzenden Richter amOberlandesgericht Dr. E und die Richter am Oberlandesgericht P und S auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2000

für Recht erkannt:

Die Berufung des Klägers gegen das am 20. Juli 1999 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Zu Recht hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers aus seiner Fahrzeugvollversicherung verneint. Mit der Einzelrichterin ist der Senat davon überzeugt, daß der Kläger den Kreuzungsunfall vom 02.10.1998 grob fahrlässig im Sinne des § 61 VVG herbeigeführt hat.

1.
a) In tatsächlicher Hinsicht war von Folgendem auszugehen: Am Vormittag des 02.10.1998 befuhr der Kläger mit seinem Gespann (Pkw und offener Kasten) die B 58 in Fahrtrichtung W.

Auf der Kreuzung mit der B 57 stieß er mit einem Lkw zusammen, der für ihn von rechts kam. Der Kläger hatte übersehen, daß die Ampelanlage ausgefallen war. Ob für den Verkehr auf der untergeordneten B 58 und damit auch für den haltepflichtigen Kläger (Zeichen 206) gelbes Warnblinklicht aufgeleuchtet hat, hat der Senat nicht aufgeklärt. Zu Gunsten des Klägers ist er von einem Totalausfall der Lichtsignalanlage ausgegangen.

b) Dem Vorwurf, das Stopp-Schild grob fahrlässig mißachtet zu haben, ist, der Kläger in zweiter Instanz mit dem Argument entgegengetreten, er habe irrtümlich angenommen, die Ampel habe für ihn Grün gezeigt. Da er kein Gelb- oder Rotlicht erkannt habe, habe er infolge eines Augenblicksversagens angenommen, die LZA zeige für ihn Grünlicht. Es sei nicht so gewesen, daß er die LZA als ausgefallen erkannt und daraus abgeleitet habe, dies sei gleichbedeutend mit Grünlicht. Im übrigen habe er vor dem Unfall eine Art Bewußtseinsstörung gehabt. Etwa 30 bis 45 Sekunden vor der Kollision sei es bei ihm wie in einem "innerlichen Film" abgelaufen, wobei er dem Gedanken nachgehangen habe, seit über 20 Jahren unfallfrei Auto zu fahren. Dieser Zustand des "wachen Traums" habe offensichtlich das Augenblicksversagen ausgelöst mit der Folge, daß ihm der Ausfall der Ampel entgangen sei. Tatsächlich habe er die - zugegebenermaßen irrtümliche - Vorstellung gehabt, die Ampel zeige für ihn Grünlicht.

2.
Der Senat hält den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit für berechtigt. Daß der Kläger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt unbeachtet gelassen hat, kann ernsthaft nicht bezweifelt werden. Zweifelhaft kann nur sein, ob sein Fehlverhalten in objektiver und subjektiver Hinsicht die Voraussetzungen des Tatbestandes der groben Fahrlässigkeit erfüllt. Das ist zu bejahen.

a) Die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit liegen nach Ansicht des Senats vor. Der Verkehrsverstoß des Klägers wiegt schwer und hebt sich deutlich von normalen Regelwidrigkeiten im Straßenverkehr ab. Der Ausfall der Ampelanlage war für die Kraftfahrer auf der B 58 ohne weiteres von weitem erkennbar. Der Darstellung der Berufungserwiderung, die vom Kläger befahrene Bundesstraße führe "kerzengerade" auf die Unfallkreuzung zu, ist der Kläger nicht entgegengetreten. Infolgedessen konnte der Senat auf die beantragte Ortsbesichtigung verzichten. Außerhalb der Person des Klägers liegende Umstände, die die Wahrnehmbarkeit des Ampelausfalls beeinträchtigt haben, sind nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt hinsichtlich des Stopp-Schildes. Es steht nach der polizeilichen Unfallskizze unmittelbar vor der LZA für den Geradeausverkehr Richtung W.

Beim Überfahren eines Stopp-Schildes wird von der Mehrzahl der Gerichte im Regelfall grobe Fahrlässigkeit angenommen (vgl. OLG Hamm, DAR 1999, 217; OLG Zweibrücken, NZV 1992, 76; OLG Oldenburg, VersR 1997, 611; OLG Hamm, ZfS 1998, 262; einschränkend: OLG Hamm, VersR 1993, 826). Eine mildere Beurteilung der Vorfahrtverletzung ist im Streitfall nicht dadurch angezeigt, daß das Halteschild - ohne Ankündigung - nicht originär, sondern nur ersatzweise für den Ausnahmefall gegolten hat, daß die Ampelanlage aus technischen oder sonstigen Gründen ausfällt. Eine in objektiver Hinsicht mildere Beurteilung ist auch nicht damit zu rechtfertigen, daß nach der unwiderlegten Behauptung des Klägers das gelbe Warnblinklicht nicht aufgeleuchtet hat.

Von einem sorgfältigen Kraftfahrer kann und muß verlangt werden, daß er an eine ampelgeregelte Kreuzung mit einem Mindestmaß an Konzentration heranfährt, das es ihm ermöglicht, die Ampelanlage wahrzunehmen und zu beachten. Ist sie unübersehbar ausgefallen, sind an ihn außergewöhnlich hohe Anforderungen zu stellen, gleichviel, ob das für diesen Fall vorgesehene gelbe Warnblinklicht aufleuchtet oder nicht. Der Verkehrsteilnehmer, der den Ausfall der Ampelanlage bemerkt hat, muß sich besonders sorgfältig darüber vergewissern, ob nunmehr die Grundregel der Vorfahrt "rechts vor links" in Kraft tritt oder ob die Vorfahrt anderweitig, etwa durch ein StoppSchild, geregelt ist. Wer dieses Maß an Konzentration und sorgfältiger Beobachtung nicht aufbringt, sondern trotz herankommenden Querverkehrs ohne anzuhalten mit unverminderter Geschwindigkeit in die Kreuzung einfährt, so als habe er Grünlicht, verstößt gegen eine elementare Verkehrsregel.

Er beschwört in ungewöhnlich hohem Maße die Gefahr eines folgenschweren Verkehrsunfalls mit Schädigung des versicherten Kfz herauf. Ein solcher Verkehrsteilnehmer handelt - objektiv betrachtet - grob fahrlässig. Anders könnte es sein, wenn der Kläger unmittelbar hinter einem anderen Kraftfahrzeug, praktisch in seinem Gefolge, in die Kreuzung eingefahren wäre. Das ist indes nicht dargetan.

b) Auch in subjektiver Hinsicht ist der Senat bei der gebotenen Gesamtbetrachtung davon überzeugt, daß der Kläger unentschuldbar gehandelt hat. Seine Entlastungsversuche, die in erster Linie den subjektiven Bereich der groben Fahrlässigkeit betreffen, bleiben im Ergebnis erfolglos.

aa) Für den Tatbestand eines ihn möglicherweise entlastenden "Augenblicksversagens" hat der Kläger bereits nicht hinreichend vorgetragen. Seine Einlassung zu diesem objektiv wie subjektiv erheblichen Aspekt ist wechselhaft und widersprüchlich. In der Klageschrift hat er eingeräumt, nach dem Unfall den Polizeibeamten gegenüber erklärt zu haben, nicht zu wissen, ob die Ampelanlage grünes Licht gezeigt habe, ob sie ausgefallen sei oder gelbes Blinklicht eingeschaltet gewesen sei. In diesem Sinne hat der unfallaufnehmende Polizeibeamte die Erklärung des Klägers im Protokoll festgehalten. Auf dem Boden dieser Erklärung kann von einem "Augenblicksversagen" nicht die Rede sein. Vielmehr deutet sie darauf hin, daß der Kläger über einen längeren Zeitraum unaufmerksam und sorglos am Steuer seines Fahrzeuges gesessen hat. Eine nur momentane Unachtsamkeit kann schon deshalb nicht vorgelegen haben, weil die ampelgeregelte Kreuzung für den ortskundigen Kläger nicht unerwartet, beispielsweise nach Durchfahren einer Kurve, ins Blickfeld kam. Wer sich - wie der Kläger - auf gerader Strecke einer gut sichtbaren Kreuzung mit Ampelanlage nähert, kann das von ihm eingeräumte übersehen der LZA nicht mit einem "Augenblicksversagen" entschuldigen. Der Ausdruck "Augenblicksversagen" beschreibt nur den Umstand, daß der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht ließ (vgl. BGH VersR 1992, 1085, 1086). Ab welcher Dauer der Fehlleistung die Annahme eines "Augenblicksversagens" ausscheidet, mag zweifelhaft sein. Die Zeitspanne, die dem Kläger zur Verfügung gestanden hat, die Ampelanlage und deren Ausfall wahrzunehmen, verbietet es jedenfalls, das Übersehen der LZA als eine momentane Unachtsamkeit ("Ausrutscher") zu behandeln (Näheres zur zeitlichen Komponente des Augenblicksversagens bei Römer, VersR 1992, 1187, 1188 m.N. aus der Rspr.).

Im übrigen ist ein Augenblicksversagen allein noch kein Grund, den Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit - wie hier - gegeben sind (BGH, Urteil vom 08.07.1992, VersR 1992, 1085). Es müssen weitere, in der Person des Handelnden liegende besondere Umstände hinzukommen, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen. Derartige Umstände hat der Kläger in erster Instanz nicht vorgebracht, so daß das Landgericht nicht daran gehindert war, vom äußeren Geschehensablauf und dem objektiv überdurchschnittlich schwerwiegenden Pflichtverstoß des Klägers auf die in seiner Person liegende gesteigerte Vorwerfbarkeit zu schließen.

bb) Im Berufungsverfahren hat der Kläger seinen Sachvortrag zum Tatbestand der groben Fahrlässigkeit geändert und insbesondere zur subjektiven Seite neue Tatsachen vorgetragen. Nunmehr bringt er zu seiner Entlastung vor, infolge eines Augenblicksversagens irrtümlich angenommen zu haben, die LZA habe für ihn Grünlicht gezeigt, weil er weder Gelb- noch Rotlicht erkannt habe.

Die Fehlvorstellung, Grünlicht gehabt zu haben, versucht die Berufung mit einer "Art Bewußtseinsstörung" zu erklären.

Sie sei überraschend und für den Kläger unerwartet aufgetreten und habe ihn zu der irrigen Vorstellung geführt, die LZA zeige tatsächlich Grünlicht, so daß er die Kreuzung als Vorfahrtberechtigter überqueren könne.

Diese Entschuldigung kann der Senat nicht gelten lassen.

Sie befreit den Kläger nicht vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit. Die jetzige Einlassung, von Grünlicht ausgegangen zu sein, steht in einem deutlichen Widerspruch zu der Erklärung, die der Kläger unmittelbar nach dem Unfall gegenüber der Polizei abgegeben und die er noch in der Klageschrift ausdrücklich als richtig bestätigt hat. Wenn in der Unfallanzeige die Erklärung des Klägers festgehalten ist,

"Ich weiß nicht, ob die Ampel grünes Licht zeigte ...",

so ist das unvereinbar mit dem, was der Kläger nunmehr vorträgt, nämlich von Grünlicht ausgegangen zu sein. Hinzu kommt, daß das jetzige Vorbringen den Kläger auch deshalb subjektiv nicht entlasten kann, weil es an der erforderlichen Substanz für einen Entschuldigungsgrund fehlt. Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit oder eine vergleichbare psychische Besonderheit führt der Kläger nicht ins Feld. Er räumt selbst ein, die behauptete "Bewußtseinsstörung" nicht so recht erklären zu können. Auch der Senat hat keine Erklärung für den behaupteten "wachen Traum", in welchem der Kläger sich länger als 30 Sekunden und damit über eine Strecke von mindestens 300 m befunden haben will.

Wer am Steuer eines Kraftfahrzeuges "träumt", verdient grundsätzlich keine Milde. Er kann sie insbesondere dann nicht beanspruchen, wenn er sich einer gefährlichen Kreuzung nähert, auf der mit schnell fahrendem Querverkehr, auch mit Lkw, zu rechnen ist (zur Frage des "Blackout" vgl. ergänzend Römer, a.a.O., und OLG Köln SP 1997, 404 = ZfS 1997, 339). Ob der Versicherungsnehmer für das Vorliegen des behaupteten "Blackout" beweispflichtig ist, so das OLG Köln a.a.O., braucht der Senat nicht zu entscheiden. Seiner Meinung nach ist der Einwand des Klägers schon nicht erheblich, wobei offen bleiben kann, ob die geltend gemachte "Bewußtseinsstörung" zum Leistungsausschluß gemäß § 19 Abs. 2 AKB führt.

3.
Nach alledem war die Berufung mit den prozessualen Nebenentscheidungen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO zurückzuweisen.

Ein Anlaß, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 546 Abs. 1 ZPO).

Streitwert für das Berufungsverfahren und Beschwer für den Kläger: 27.550 DM.

RechtsgebieteVVG, AKB, ZPOVorschriftenVVG § 61 AKB § 19 Abs. 2 ZPO § 97 Abs. 1 ZPO § 708 Nr. 10 ZPO § 713

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