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· Gesetzentwurf

Bundestag debattiert Grundrente: Ausschüsse müssen Systemfehler und Finanzierung prüfen

Bild: © Jürgen Fälchle - stock.adobe.com

| Die Grundrente soll zum 01.01.2021 eingeführt werden. Am 15.05.2020 wurde der Gesetzentwurf im Bundestag in erster Lesung debattiert ‒ und scharf kritisiert. Schon im Februar 2020 war der erste Entwurf vom Kabinett vorgelegt worden. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gibt seien Kampf um das Gesetz nicht auf ‒ trotz Corona-bedingter erwartbarer Verluste bei den Steuereinnahmen in Höhe von fast 100 Mrd. Euro. Der Koalitionspartner CDU sieht Probleme. Doch kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingekommen ist, sagte einst Ex-Verteidigungsminister Peter Struck. Jetzt sind die Fachausschüsse am Zug. |

CDU-Fraktion zeigt sich reserviert

Nicht zuletzt wegen der drohenden und jahrelang anhaltenden massiven Steuerausfälle wegen der Corona-Krise nimmt der Koalitionspartner CDU nun eine reservierte Haltung zur bereis im Kabinett gebilligten Grundrente ein. Die Mittelstandsvereinigung sagt, dass der vorliegende Gesetzentwurf nicht zustimmungsfähig sei. Die Argumentation zielt nun klar auf die Gefährdung der reinen Steuerfinanzierung ab.

 

  • So steht es im Gesetzentwurf

Die Kosten der Grundrente einschließlich der darauf von der Rentenversicherung zu leistenden Beiträge an die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) betragen im Einführungsjahr 2021 rund 1,3 Milliarden Euro und steigen unter Berücksich-tigung künftiger Rentenanpassungen bis zum Jahr 2025 auf rund 1,6 Milliarden Euro an.

 

Die Unionsfraktion öffnet sich der bereits im Februar vom Bundesverband der Rentenberater vorgebrachten Kritikpunkte (siehe weiter unten). So berichtet die FAZ, dass Ralph Brinkhaus (CDU) die fehlenden verwaltungstechnischen Voraussetzungen bemängelt. Zwar wolle die Fraktion vertragstreu bleiben, jedoch werden die Fraktionen nach dieser ersten Lesung in den Ausschüssen weiter darüber verhandeln. Der Entwurf wird erst dann zur Abstimmung gestellt, wenn ein Kompromiss gefunden ist.

 

Einen Tag vor der Debatte musste Finanzminister Olaf Scholz (SPD) bei der Steuerschätzung verkünden, dass die Coronakrise dem Land das größte Steuerloch aller Zeiten bescheren wird: 81,5 Milliarden Euro weniger Einnahmen als 2019 ‒ eine Negativ-Korrektur der ehemaligen Prognose um 98,6 Mrd. Euro.

Gundrenten-Konzeption ‒ Sicht der Regierung

Die Grundrente ist als Rentenzuschlag konzipiert ‒ ohne Bedürftigkeitsprüfung (was lange ein Streitthema mit der CDU war). Grundrente erhält nun, wer mindestens 33 Jahre sogenannte „Grundrentenzeiten“ erworben hat. Dazu zählen Zeiten, in denen Renten-Pflichtbeiträge

  • aufgrund einer Beschäftigung,
  • Kindererziehung oder
  • Pflegetätigkeit gezahlt wurden.

 

Den aktuellen Gesetzentwurf vom 08.04.2020 lesen Sie hier im Volltext.

 

Die eigene Rente wird dann ‒ abhängig von den individuell erworbenen Rentenpunkten ‒ um einen „Zuschlag“ bis zur maximalen Grenze von 0,8 Entgeltpunkten (=80 Prozent des Durchschnittsverdienstes) erhöht werden.

 

Das Gesetz sieht weiterhin vor:

  • Freibeträge im Wohngeld,
  • in der Grundsicherung für Arbeitsuchende des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II),
  • in der Hilfe zum Lebensunterhalt,
  • in der Grundsicherung im Alter und
  • bei Erwerbsminderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) und
  • in den fürsorgerischen Leistungen der Sozialen Entschädigung.

 

Bei 33 bis 35 Jahren Grundrentenzeiten soll der Grundrentenzuschlag dabei in einer Staffelung ansteigend berechnet werden, damit auch Versicherte mit weniger als 35 Jahren Grundrentenzeiten einen Zuschlag erhalten können.

 

Die Höhe der Grundrente richtet sich nach der Höhe der erworbenen Entgeltpunkte. Die langjährige Beitragszahlung zur Rentenversicherung soll damit bei unterdurchschnittlichem Einkommen „belohnt“ werden.

 

Um Grundrente beziehen zu können, soll kein Antrag erforderlich sein. Eine umstrittene automatische Einkommensprüfung soll stattfinden (mehr dazu weiter unten). Dabei gilt zunächst ein Einkommensfreibetrag in Höhe von monatlich 1.250 Euro für Alleinstehende (15.000 Euro im Jahr) und 1.950 Euro für Eheleute oder Lebenspartner (23.400 Euro im Jahr). Übersteigt das Einkommen den Freibetrag, wird die Grundrente um 60 Prozent des den Freibetrag übersteigenden Einkommens gemindert. Übersteigt das Einkommen von Alleinstehenden auch den Betrag von 1.600 Euro (19.200 Euro im Jahr) bzw. bei Eheleuten oder Lebenspartnern von 2.300 Euro (27.600 Euro im Jahr), ist das über diesen Betrag liegende Einkommen vollständig auf die Grundrente anzurechnen.

Die Grundrente ist umstritten ‒ Sicht der Kritiker

Nicht nur, dass die Grundrente ein weiterer voll steuerfinanzierter Rentenbaustein ist, womit das Umlagesystem „zulasten der Jüngeren“ weiter ausgehöhlt wird.

 

 

Es gibt enorme Umsetzungsprobleme und systematische Fehler:

  • Die steuerfinanzierte Grundrente ist derzeit finanziell nicht abgesichert
  • Es gibt keine Verfahren zum Datenabgleich zwischen Rentenversicherungsträger und Finanzämtern.
  • Die vorhandene Datenlage bei Finanzämtern ist lückenhaft.
  • Würden die Lücken gesetzlich geschlossen, entstünden datenschutzrechtliche Probleme.
  • Es gibt eine Reihe von inhaltlichen Inkonsequenzen bei der Umsetzung.

6 Fehler in der Detailbetrachtungen

1. Fehler: Wackelige Finanzierung

Das Finanzierungskonzept ist wackelig. Rund 1,4 Milliarden Euro soll die Grundrente allein 2021 kosten. Doch das Kompensationsmodell ‒ Erträge aus einer Finanztransaktionssteuer, sind bislang nicht abgesichert. So habe Österreich den deutschen Vorschlag abgelehnt und will aussteigen. Das kann Nachahmer in Europa haben. Ein deutscher Alleingang ist unwahrscheinlich.

 

2. Fehler: Keine IT-Verfahren zum Datenabgleich

Die Deutsche Rentenversicherung kennt offenbar kein technisches Verfahren, auf dem aufgebaut werden könnte. Ob es möglich ist, bis zum Sommer ein solches IT-Projekt umzusetzen, ist fraglich. „Einen solchen automatischen Abgleich hat es bisher noch nie gegeben und wir haben den Eindruck, da soll etwas durchgepeitscht werden, was technisch noch gar nicht gelöst ist“, kritisiert der Bundesverband der Rentenberater.

 

3. Fehler: Finanzämter ohne verlässliche Daten

Die Datenlage der Finanzämter ist nicht abgesichert, weil nicht jeder Grundrentner eine Einkommenssteuererklärung gemacht hat.

 

Der Bundesverband der Rentenberater e.V. hält eine automatisierte Einkommensabfrage ‒ ohne Zustimmung oder Widerspruchsregelung der Betroffenen ‒ für datenschutzrechtlich fragwürdig. Es dürfte darüber hinaus kaum vermittelbar sein, warum bei Ehepartnern die Daten abgeglichen werden sollen, bei unverheirateten Paaren aber nicht.

 

4. Fehler: Verspätete Auszahlung nach 2 oder 3 Jahren

Wenn bei Rentenbeginn erstmals geprüft wird, ob ein Anspruch auf Grundrente besteht, soll dafür ausschließlich der vorletzte Steuerbescheid des Versicherten herangezogen werden. Liegt der Bruttoverdienst im geprüften Jahr innerhalb einer Toleranz über der Einkommensgrenze von 15.000 EUR, geht der Versicherte leer aus und bekommt beim Eintritt in die Rentenphase (zunächst) nur die Minirente ohne den Grundrentenzuschuss.

 

Im Folgejahr wird wieder geprüft; dieses Mal ausschließlich mit dem Steuerbescheid des letzten Arbeitsjahres. Hat der Versicherte auch hier mehr als 15.000 EUR verdient, bekommt er wieder keine Grundrente.

 

Erst wenn der Steuerbescheid seines ersten Jahres als Rentner vorliegt, kann er nachweisen, was der Rentenversicherung längst klar ist: Dass Anspruch auf Grundrente besteht, er aber u.U. seit zwei Jahren von der Grundsicherung lebt.

 

„Die letzten Berufsjahre sind häufig die einkommensstärkeren Jahre. Wenn der Anspruch auf Grundrente nun ausschließlich über das Einkommen aus diesen Jahren geprüft wird, stehen viele Menschen, die auf die Grundrente angewiesen wären, erst mal mit leeren Händen da. Und sie bekommen auch keinen Cent nachträglich, obwohl sie zwei Jahre mit ihrer Minirente bzw. mit Grundsicherung überbrücken mussten. Das hat mit dem eigentlichen Ziel der Grundrente als ‚Respekt-Rente‘ nichts zu tun“ sagt Anke Voss, Verbandspräsidentin des Bundesverbands der Rentenberater.

 

Fehler 5: Mutterschutz, freiwillige Beitragszeiten und Arbeitslosigkeit

Zeiten des Mutterschutzes werden bei der Grundrente nicht berücksichtigt. Auch Zeiten mit freiwilligen Beiträgen werden nicht in die Grundrentenzeiten eingerechnet ‒ ohne sachlichen Grund. Gleiches gilt für Zeiten der Arbeitslosigkeit. Hier wurden z.T. ebenfalls Rentenbeiträge entrichtet.

 

Fehler 6: Erwerbsminderungsrenten

Auch die Zurechnungszeit der Erwerbsminderungsrenten wird nicht berücksichtigt. „Nur weil jemand unverschuldet krank geworden ist, soll seine Lebensleistung nicht entsprechend gewürdigt werden, wenn er die Voraussetzungen für die Grundrente erfüllt? Das kann der Gesetzgeber nicht wollen“, beklagt der Beraterverband.

 

  • Rentenreformen im Überblick
In Kraft
Aktuell geplant
  • Online-Rentencheck des Bundesarbeitsministeriums
 

(JT - Mit PM des BMAS und des Bundesverbandes der Rentenberater e.V.)

Quelle: ID 46372590