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  • 01.08.2006 | Unfallschadensregulierung

    Kombination fiktiver und konkreter Schadensabrechnung

    von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    Unzulässige Rosinenpickerei oder voller Schadensausgleich? Das ist die Frage, wenn der Geschädigte seine Abrechnung durch eine Kombination von Fiktivem und Konkretem optimieren möchte. Was nach der aktuellen Rechtsprechung geht und was nicht geht, wird anhand von Fallbeispielen erläutert.  

     

    I. „Begriffe und Grundlagen“
    1. Fiktive Abrechnung: Alle reden davon, eine allgemein verbindliche Definition fehlt indes, was Missverständnissen und Fehlurteilen Vorschub leistet (zur Ambivalenz des Begriffs Ch. Huber, MDR 03, 1205). Zumeist wird die Abrechnung eines Schadens als „fiktiv“ (oder „abstrakt“) bezeichnet, wenn kein tatsächlicher, sondern nur ein potenzieller Aufwand geltend gemacht wird, sei es auf Gutachtenbasis, sei es auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags. Auf diese Weise kann auch derjenige Geschädigte abrechnen, der sein Fahrzeug tatsächlich repariert oder durch ein anderes ersetzt hat, gleichviel, ob ihm dabei reale Kosten entstanden sind oder nicht.

     

    2. Konkrete Abrechnung: In Kfz-Schadensfällen ist sie dadurch gekennzeichnet, dass der Geschädigte seinen Herstellungsaufwand (Reparatur oder Ersatzbeschaffung) mit Hilfe einer Rechnung belegen kann.

     

    3. Anwendungsbereiche: Personen- und Sachfolgeschäden werden konkret und nicht fiktiv abgerechnet. Nur für den Substanzschaden einer Sache macht man eine Ausnahme. Er darf auch ohne Anfall tatsächlicher Aufwendungen (fiktiv) abgerechnet werden. Untersagt ist hier lediglich der Ersatz nicht angefallener Umsatzsteuer (§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB). Mietwagenkosten als Sachfolgeschaden sind dagegen nur zu ersetzen, wenn sie tatsächlich entstanden sind. Wer stattdessen „abstrakte“ Nutzungsausfallentschädigung geltend macht, verlangt Ersatz eines Schadens in abstrakter (richtiger: pauschalierter) Berechnung.

     

    4. Zulässigkeitsschranken fiktiver Abrechnung: Einen Sachschaden ohne jegliche Instandsetzung oder Ersatzbeschaffung nach einem gedachten Aufwand (fiktiv) abzurechnen, ist zwar statthaft. Dieser Abrechnungsart sind aber engere Grenzen gesetzt als einer gutachtengestützten Schadensabrechnung bei Realisierung des Integritätsinteresses. Zu den einzelnen Grenzwerten s. VA 06, 6 ff; sehr lesenswert Greiner, zfs 06, 63 ff.; Höfle, zfs 06, 242 ff.

     

    5. Wahlrecht und Bindung: Dem Geschädigten steht es grundsätzlich frei, ob er seinen (Fahrzeug)Schaden fiktiv oder konkret berechnet. Wenn er sich für die eine und gegen die andere Alternative entscheidet, ist das keine Wahl eines bestimmten Anspruchs oder Rechts. Auch mit der Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB hat das nichts zu tun, eher etwas mit der Dispositionsfreiheit. Gewählt wird allein eine bestimmte Abrechnungsart. Bei dieser Sichtweise muss ein Wechsel – praktisch: eine Nachforderung – grundsätzlich zulässig bleiben (OLG Celle VA 06, 95, Abruf-Nr. 061121; Elsner, DAR 04, 130, 131). Inhaltliche Grenzen ziehen das Wirtschaftlichkeitsgebot und das Bereicherungsverbot, auch § 254 Abs. 2 BGB. Bindung kann eintreten durch mat.-rechtliche Institute (Verzicht, Vergleich, Erfüllung) oder prozessual durch Rechtskraft. Zeitlich sind Nachforderungen durch Verjährung begrenzt.

     

    6. Nebeneinander und Miteinander: Die grundsätzliche Befugnis zum Wechsel der Abrechnungsart bedeutet nicht, dass der Geschädigte beide Modi miteinander kombinieren kann. Andererseits herrscht kein generelles Kombinationsverbot, wie bereits § 249 Abs. 2 S. 2 BGB i.V.m. der amtl. Begründung zeigt. Ohne zu der Problematik grundsätzlich oder gar abschließend Stellung zu nehmen, hat der BGH die Kombination von fiktiver und konkreter Abrechnung wiederholt für unzulässig erklärt (VA 04, 7, Abruf-Nr. 032372 = NJW 03, 3480; VA 05, 59, 82, Abruf-Nr. 050707 = NJW 05, 1110). Welche Sachverhaltsvarianten unter dieses Verbot fallen, zeigen die Fallbeispiele Nr. 3 und 4 unter III.
     

     

    II. Zulässige Abrechnungen
    1. Abrechnungswechsel: Dem Geschädigten steht es frei, seinen Fahrzeugschaden zunächst fiktiv abzurechnen und nach Anfall tatsächlicher Reparaturkosten unter Vorlage der Rechnung einen Differenzbetrag nachzufordern (OLG Celle VA 06, 95, Abruf-Nr. 061121). Das ist kein Fall unzulässiger Kombination, sondern erlaubtes Nacheinander. In dem zunächst gestellten Schadensersatzverlangen ist regelmäßig kein konkludenter Verzicht auf eine Nachforderung zu sehen (VA 04, 109, Abruf-Nr. 041046 = BGH NJW 04, 1943). Sicherheitshalber sollte eine noch nicht endgültige Abrechnung mit Zusätzen wie „vorläufig“ oder „vorerst“ versehen werden. „Nachforderung vorbehalten“ ist noch klarer.

     

    2. Abrechnung von Netto-Reparaturkosten lt. Gutachten/Kostenvoranschlag und Umsatzsteuer aus Ersatzteilrechnung: Diese Kombination ist zulässig (BT-Drs. 14/7752, S. 23; Diederichsen, DAR 06, 301, 306). Einzelheiten zu dieser (wenig praxisrelevanten) Variante bei Ch. Huber, Das neue Schadensersatzrecht, § 1 Rn. 220 ff.

     

    3. Abrechnung von Netto-Reparaturkosten auf Gutachtenbasis und Umsatzsteuer aus (unwirtschaftlichem) Ersatzwagenkauf: Wer seinen Fahrzeugschaden ohne Werkstattrechnung fiktiv auf Reparaturkostenbasis abrechnet, ist nicht auf den Ersatz der Netto-Reparaturkosten beschränkt, wenn er ein Ersatzfahrzeug angeschafft hat und dabei Umsatzsteuer angefallen ist (OLG Düsseldorf 6.3.06, I-1 U 172/05, Abruf-Nr. 062097).

     

    4. Abrechnung von Netto-Wiederbeschaffungskosten und Umsatzsteuer aus (unwirtschaftlicher) Instandsetzung: Bis zur BGH-Entscheidung vom 15.2.05, NJW 05, 1110, wurde auch diese Kombinationsmöglichkeit unter Hinweis auf BT-Drs. 14/7752, S. 24, und BGH NJW 04, 1943; 04, 2086 allgemein anerkannt (z.B. Steffen, DAR 04, 382). Zur neuen Situation siehe Fallbeispiel 3 unter III.

     

    5. Abrechnung von Netto-Reparaturkosten auf Gutachtenbasis und Umsatzsteuer aus Werkstattrechnung: Diese Kombination von fiktiv und konkret, gleichviel, ob „in einem Rutsch“ oder sukzessive, ist nach der Rechtsprechung zulässig (AG Minden VA 03, 64, Abruf-Nr. 030592 = NJW 03, 833; AG Brandenburg a.d.H. 17.3.06, 33 C 296/05, Abruf-Nr. 062098 unter Hinweis auf Palandt/Heinrichs, § 249 Rn. 18, wo wiederum auf BGH NJW 04, 1943, verwiesen wird; s. auch Elsner, DAR 04, 130, 131). Erstattungsfähig ist die angefallene Umsatzsteuer bis zu dem USt-Betrag laut Gutachten.