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  • · Fachbeitrag · Nebenkosten

    Abrechnungsreife nach Rechtshängigkeit der Vorschussklage: Richtig reagieren in der 1. Instanz

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    | Tritt nach Rechtshängigkeit der Vorschussklage die Abrechnungsreife der Nebenkostenabrechnung ein, kann der Vermieter den Anspruch auf Vorschusszahlung nicht mehr geltend machen. Hier muss der Prozessbevollmächtigte des Vermieters prozessual reagieren, da die Klage ansonsten abgewiesen wird. Der folgende Beitrag stellt die prozessualen Konsequenzen für die 1. Instanz vor. |

    1. Abrechnungsfrist

    Der Wohnraumvermieter muss gemäß § 556 Abs. 3 S. 1 BGB, § 20 Abs. 3 S. 2 NMV über die Vorauszahlungen auf die Betriebskosten jährlich abrechnen. Die Abrechnung ist dem Mieter gemäß § 556 Abs. 3 S. 2 BGB, § 20 Abs. 3 S. 4 NMV spätestens bis zum Abschluss des zwölften Monats nach Ende des Abrechnungszeitraums mitzuteilen.

     

    Für die Geschäftsraummiete fehlt eine gesetzliche Abrechnungsfrist. Eine analoge Anwendung des § 556 Abs. 3 S. 1 BGB ist ausgeschlossen (BGH MK 11, 43, Abruf-Nr. 110020; OLG Düsseldorf MK 07, 192, Abruf-Nr. 073139). Für die Angemessenheit der Abrechnungsfrist sind bei der Geschäftsraummiete aber keine anderen Gesichtspunkte entscheidend als bei der Wohnraummiete. Daher nimmt der BGH für die Geschäftsraummiete an, dass bei Fehlen einer vertraglichen Vereinbarung die Abrechnung über die Nebenkosten, wie bei der Wohnraummiete, in der Regel spätestens bis zum Ablauf des zwölften Monats nach dem Ende des Abrechnungszeitraums zu erteilen ist (MK 11, 43, Abruf-Nr. 110020; MK 10, 59, Abruf-Nr. 100552).

    2. Abrechnungsreife

    Mit Ablauf der Abrechnungsfrist tritt die Abrechnungsreife ein (Langenberg, Betriebs-und Heizkostenrecht, 6. Aufl., G 78). Vom Zeitpunkt der Abrechnungsreife an kann der Vermieter einen Anspruch auf Vorauszahlungen nicht mehr geltend machen, es sei denn ihn trifft an der Nichteinhaltung der Abrechnungsfrist kein Verschulden (für die Wohnraummiete § 556 Abs. 3 S. 3 BGB; § 20 Abs. 3 S. 4 NMV). Sein insoweit bestehender Zahlungsanspruch geht unter und der Mieter muss rückständige Vorschüsse trotz des eingetretenen Zahlungsverzugs nicht mehr erfüllen. Grund: Nebenkostenvorauszahlungen sollen dem Vermieter ihrem Zweck entsprechend nur vorübergehend eine Vorfinanzierung seiner entsprechenden Aufwendungen ersparen. Der Vermieter hat deshalb kein rechtlich schützenswertes Interesse mehr daran, weiterhin offene Vorauszahlungen einzufordern, wenn er die Nebenkosten bereits endgültig abrechnen kann oder nach Ablauf der ihm zustehenden Abrechnungsfrist abrechnen muss (BGH MK 10, 188, Abruf-Nr. 102314; OLG Düsseldorf GuT 05, 53; OLG Hamm DStR 11, 2314; OLG Hamburg ZMR 89, 18).

    3. Prozessuale Folgen

    Mit Eintritt der Abrechnungsreife, die je nach Prozessdauer vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, zwischen den Instanzen oder erst in der Berufungsinstanz liegen kann, wird die Zahlungsklage in Höhe der eingeklagten Vorauszahlungen unschlüssig. Das Gericht prüft von Amts wegen, ob Abrechnungsreife vorliegt (BGH NJW 11, 2350), und muss den klagenden Vermieter, im Anwaltsprozess den Prozessbevollmächtigten, gemäß § 139 Abs. 2 ZPO hierauf hinweisen (BGH NJW 12, 226). Hiergegen wird in der Praxis oft verstoßen.

     

    Beachten Sie | Der Verzug des Mieters (§ 286 BGB) mit der Zahlung der Vorauszahlungen endet erst mit dem Tag der Abrechnungsreife. Das heißt: Bis zur Abrechnungsreife sind dem Vermieter Verzugszinsen auf rückständige Vorauszahlungen auch zuzusprechen, wenn die Betriebskostenvorauszahlungen selbst wegen eingetretener Abrechnungsreife nicht mehr verlangt werden können (BGH MK 13, 44, Abruf-Nr. 123571; OLG Düsseldorf ZMR 00, 287). Der fortbestehende Schuldnerverzug ist nicht davon abhängig, dass sich aus der Betriebskostenabrechnung für die entsprechende Periode ein Saldo zugunsten des Vermieters ergibt.

     

    Hat der Mieter für den streitgegenständlichen Zeitraum Teilzahlungen auf die Miete geleistet, sind diese nach überwiegender Meinung analog § 366 Abs. 2 BGB zunächst auf die Nebenkostenvorauszahlungen und erst dann auf die restliche Miete zu verrechnen (OLG Düsseldorf ZMR 02, 46; GE 00, 600; OLG Rostock OLGR 01, 440; LG Berlin GE 08, 1493; Schmid, NZM 01, 705; a.A. Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Aufl., § 543 BGB, Rn. 86a). Grund: Rückständige Nebenkostenvorauszahlungen können nach Ablauf der Abrechnungsreife nicht mehr verlangt werden, bieten dem Vermieter mithin i.S. des § 366 Abs. 2 BGB eine geringere Sicherheit (OLG Düsseldorf GE 06, 647; Sternel, WuM 09, 702). Folge: Soweit die Minderzahlungen des Mieters gemäß § 362 Abs. 1, § 366 Abs. 2 BGB zum Erlöschen des Anspruchs auf Nebenkostenvorauszahlungen geführt haben, sind Vorauszahlungen nicht (mehr) Gegenstand des Rechtsstreits. Das Problem der Abrechnungsreife stellt sich nicht.

     

    Hinsichtlich des dem Kläger nach Abrechnungsreife zur Verfügung stehenden prozessualen Instrumentariums ist zwischen dem Verfahren 1. Instanz und dem Berufungsverfahren zu differenzieren (s. Folgebeitrag in MK 09/13).

    4. Verfahren 1. Instanz

    Ist die mündliche Verhandlung 1. Instanz noch nicht geschlossen, hat der Kläger prozessual folgende Reaktionsmöglichkeiten:

     

    a) Erledigungserklärung bezüglich der Vorschussklage

    Er kann die Klage in Höhe der streitgegenständlichen Vorauszahlungen einschließlich der hierauf entfallenden Zinsen ab Abrechnungsreife für erledigt erklären (LG Berlin GE 12, 1230; BeckOK BGB/Ehlert, § 556 BGB, Rn 77a). Bei der Erledigungserklärung handelt es sich um eine Prozesshandlung, die - wenn sie einseitig bleibt - eine nach § 264 Nr. 2 ZPO privilegierte Klageänderung darstellt. Sie umfasst für diesen Fall den Antrag festzustellen, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat (BGH NJW 02, 442; BGHZ 106, 359). Diese Vorgehensweise ist alternativlos, wenn die Abrechnung auch ohne die nicht gezahlten Vorauszahlungen ein Guthaben des Mieters ausweist (v. Seldeneck, Betriebskosten im Mietrecht, Rn. 3627).

     

    Beachten Sie | Für die Erledigungserklärung, die zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden kann, besteht auch im Anwaltsprozess kein Anwaltszwang (§ 78 Abs. 5 ZPO).

     

    • Der Antrag hat Erfolg, wenn die Klage bis zu der durch Ablauf der Abrechnungsfrist eingetretenen Erledigung zulässig und begründet war. Das ist der Fall, wenn die Vorschüsse bis zum Eintritt der Abrechnungsreife in geltend gemachter Höhe geschuldet waren. Folge: Das Gericht stellt die (Teil-) Erledigung der Vorauszahlungsklage fest und legt dem beklagten Mieter in der das Verfahren abschließenden Entscheidung - ein Teilurteil hierüber ist unzulässig - die (anteiligen) Prozesskosten gemäß § 91 ZPO auf.

     

    • Hat der Mieter sich der (Teil-) Erledigung angeschlossen oder liegen die Voraussetzungen des § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO vor, sind dem Beklagten im Rahmen der gegebenenfalls einheitlich zu treffenden Kostenentscheidung in Anwendung der Grundsätze des § 91a ZPO die auf die Vorauszahlungsklage entfallenden Kosten aufzuerlegen.

     

    • Verzögert der Kläger die Abgabe der einseitigen Erledigungserklärung, trägt der Beklagte gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits auch, wenn durch die verzögerte Abgabe zusätzliche Kosten zu seinen Lasten (z.B. Säumniskosten; Zeugenauslagen) entstanden sind (OLG Düsseldorf ZMR 10, 356; NJW-RR 97, 1566; Musielak/Lackmann, ZPO, 10. Aufl., § 91a, Rn. 45; a.A. z.B. OLG Koblenz OLGR 99, 296). Ist der Rechtsstreit dagegen vom Kläger später als möglich und zumutbar in der Hauptsache (teilweise) für erledigt erklärt worden und schließt sich der Beklagte der (Teil-)Erledigungserklärung an, sind die zusätzlich entstandenen Kosten im Rahmen einer „Billigkeitskorrektur“ auch bei einheitlich zu treffender Kostenentscheidung nach § 91a ZPO zu berücksichtigen und insoweit der klagenden Partei aufzuerlegen (OLG Stuttgart JurBüro 11, 150; OLG Rostock OLGR 06, 782).

     

    b) Wechsel auf Saldoklage

    Hat der Kläger bereits außergerichtlich über die Betriebskosten abgerechnet oder erteilt er die Abrechnung erstmals im Prozess, kann er von der Nebenkostenvorauszahlungsklage auf die Saldoklage wechseln, auch wenn die Nebenkostennachforderung die Summe der bisher streitgegenständlichen Vorauszahlungen übersteigt. Der Übergang von der Nebenkostenvorauszahlungsklage auf die Abrechnungsklage nach Eintritt der Abrechnungsreife ist - wie bei der Erledigungserklärung - keine Klageänderung, sondern eine nach § 264 Nr. 2, 3 ZPO zulässige Klageumstellung (BGH MK 12, 85, Abruf-Nr. 113741; MK 10, 188, Abruf-Nr. 102314 unter Hinweis auf OLG Düsseldorf ZMR 01, 882).

     

    • Stimmen die eingeklagten Vorauszahlungen betragsmäßig mit der Betriebskostennachforderung überein, gilt § 264 Nr. 3 ZPO. Fällt der Abrechnungssaldo höher aus, ist § 264 Nr. 2 ZPO anzuwenden (zu den Folgen im Berufungsverfahren siehe Folgebeitrag in MK 09/13). Ist die Betriebskostennachforderung geringer, ist die Vorauszahlungsklage hinsichtlich des Differenzbetrags für erledigt zu erklären.

     

    • Beachten Sie | Eine erst nach Ablauf der Jahresfrist (§ 556 Abs. 3 S. 3 BGB, § 20 Abs. 3 S. 2 NMV) erteilte formell ordnungsgemäße Abrechnung begrenzt den Zahlungsanspruch des Wohnraumvermieters nach oben auf den Betrag der geschuldeten, aber nicht erbrachten Vorauszahlungen, sofern die Abrechnung sich in dieser Höhe als berechtigt erweist (BGH MK 08, 19 ; Langenberg, Betriebs- und Heizkostenrecht, 6. Aufl., G 87). Hinsichtlich des Mehrbetrags ist die Saldoklage abzuweisen. Zur Rechtslage bei der Abrechnung nach Sollvorauszahlungen siehe Folgebeitrag in MK 9/13.

     

    • Weist das Gericht erst in der mündlichen Verhandlung auf die Abrechnungsreife hin, muss dem Kläger auf Antrag eine Schriftsatzfrist eingeräumt und Gelegenheit gegeben werden, die Umstellung auf die Saldoklage vorzunehmen. Gegebenenfalls ist der Rechtsstreit zu vertagen. Vollzieht der Kläger mit nachgelassenem Schriftsatz den Wechsel auf die Saldoklage, ist die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (§ 156 ZPO) und nunmehr über die materielle Berechtigung der Betriebskostennachforderung zu verhandeln.

     

    c) Prozessuales Verhalten des beklagten Mieters

    Erkennt der Mieter die Nachforderung i.S. des § 93 ZPO sofort an, sind dem Kläger lediglich die anteiligen Kosten der die ursprünglich eingeklagten Vorauszahlungen übersteigenden Mehrforderung aufzuerlegen. In Höhe der in der Nachforderung enthaltenen Vorschusszahlungen hat der Mieter durch seinen Zahlungsverzug Veranlassung zur Klage gegeben.

     

    Solange der Beklagte sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen und das Gericht auch noch keine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat, ist diese frei widerruflich (BGH 14.5.13, II ZR 262/08, NJW 02, 442) und der Kläger kann seine Klage gemäß § 264 Nr. 2, 3 ZPO noch auf Zahlung des Abrechnungssaldos umstellen. Nach Anschließung des Beklagten kommt ein einseitiger Widerruf nur noch in Betracht, wenn ein Restitutionsgrund besteht (BGH a.a.O.).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zu den prozessualen Konsequenzen des Eintritts der Abrechnungsreife in der 2. Instanz siehe Folgebeitrag in MK 9/13
    Quelle: Ausgabe 08 / 2013 | Seite 140 | ID 42214427