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06.09.2017 · IWW-Abrufnummer 196312

Verwaltungsgericht Düsseldorf: Beschluss vom 24.08.2017 – 2 L 3279/17

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Verwaltungsgericht Düsseldorf

2 L 3279/17

Tenor:
  1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens 2 K 11941/17 zum weiteren Auswahlverfahren für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2017 zuzulassen.
  2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
  3. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
1

Gründe:

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Der am 30. Juni 2017 bei Gericht eingegangene, sinngemäß gestellte Antrag,

3

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens 2 K 11941/17 zum weiteren Auswahlverfahren für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2017 zuzulassen,

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hat Erfolg.

5

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Rechts des Antragstellers nur getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig. Hierzu sind die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen einer solchen Rechtsposition (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).

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Der Antragsteller begehrt vorliegend eine einstweilige Anordnung, die ihm – wenn auch nur vorläufig – im Wesentlichen gerade die Rechtsposition vermitteln soll, die er auch im Klageverfahren anstrebt. Eine solche Anordnung würde aber eine mit Sinn und Zweck einer einstweiligen Anordnung regelmäßig nicht zu vereinbarende und somit unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache beinhalten. Im Hinblick auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist eine Vorwegnahme der grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren (Klageverfahren) vorbehaltenen Entscheidung nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht zu erreichen ist, dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen und er im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen wird.

7

Ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999 - 2 VR 1.99 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni 2008 - 6 B 971/08 -, juris.

8

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

9

Der Antragsteller würde im Hauptsacheverfahren (2 K 11941/17) nicht mehr so rechtzeitig Rechtsschutz erlangen, dass er im Erfolgsfalle noch an der am 1. September 2017 beginnenden Ausbildung teilnehmen könnte. Ihm würden auch irreversible Nachteile drohen, wenn er zu diesem weiteren Auswahlverfahren nicht zugelassen wird. Für die Zulässigkeit der Vorwegnahme der Hauptsache fehlt es auch nicht an der zudem erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren.

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Denn der Ausschluss des Antragstellers vom weiteren Auswahlverfahren ist rechtsfehlerhaft.

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Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Allerdings gewährt weder dieses grundrechtsgleiche Recht noch die zu dessen Konkretisierung ergangene Vorschrift des § 9 BeamtStG einen strikten Anspruch auf Übernahme in ein öffentliches Amt. Vielmehr liegt die Entscheidung über die Einstellung eines Bewerbers in ein Beamtenverhältnis und die Auswahl unter mehreren Bewerbern im pflichtgemäßen Ermessen des (künftigen) Dienstherrn. Die im Rahmen dieser Ermessensentscheidung vorzunehmende Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ist ein Akt wertender Erkenntnis, der vom Gericht nur beschränkt darauf zu überprüfen ist, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff verkannt, der Beurteilung einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder die Ermessensgrenzen zu Lasten eines Bewerbers überschritten hat.

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Vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. März 2017 - 4 S 124/17 -, juris, Rn. 5 mit weiteren Nachweisen auch auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

13

Stellt der Dienstherr Vorgaben für das äußere Erscheinungsbild von Beamten auf, die - wie hier - auch außerhalb des Dienstes Bedeutung haben, muss die Einschätzung der obersten Dienstbehörde, die Bestimmungen seien aus dienstlichen Gründen geeignet und erforderlich, auf plausible und nachvollziehbare Gründe gestützt sein.

14

Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 C 3.05 -, juris, Rn. 22.

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Nach Maßgabe dieser Grundsätze war der Ausschluss des Antragstellers vom weiteren Auswahlverfahren rechtswidrig. Zwar kann der Dienstherr Anforderungen an die charakterliche (1.) und persönliche (2.) Eignung von Beamtenbewerbern durch Erlass aufstellen. Die Beurteilung des Antragsgegners, die Tätowierung des Antragstellers auf der Innenseite des linken Unterarms beeinträchtige die Neutralitätsfunktion der Uniform, ist aber ermessensfehlerhaft. Denn hierfür mangelt es an einer hinreichenden Erkenntnisgrundlage (3.). Auch ist nicht offenkundig, dass Tätowierungen der vorliegenden Art zur Folge haben, dass ein Polizeivollzugsbeamter von weiten Teilen der Bevölkerung ausgegrenzt wird oder ihm Vorbehalte der Art begegnen, die erwarten lassen, dass er bei der Amtsausführung nicht ernst genommen wird oder dass ihm das dabei erforderliche Vertrauen nicht entgegengebracht wird (4.). Weiter ist nicht feststellbar, dass die im Streit stehende Tätowierung die Repräsentanzfunktion der Uniform beeinträchtigt (5.).

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1. Soweit die Eignung des Bewerbers für das erstrebte Statusamt in Frage steht, kann der Dienstherr Anforderungen nicht nur in fachlicher und gesundheitlicher Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf Merkmale stellen, welche die Persönlichkeit und Charaktereigenschaften des Bewerbers betreffen. Hiernach können auch Tätowierungen einer Einstellung als Beamter entgegenstehen. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Körperschmuck - was vorliegend nicht der Fall ist - aufgrund seines Inhalts einen Mangel der charakterlichen Eignung erkennen lässt. Diese fehlt, wenn Art und Inhalt der Tätowierungen auf eine innere Einstellung bzw. Gesinnung des Bewerbers schließen lassen, die mit den Grundpflichten eines Beamten (Dienst- und Treuepflicht sowie deren besondere Ausprägungen, vgl. §§ 33 und 34 BeamtStG) schlechterdings unvereinbar ist.

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Vgl. etwa Windhöfel, Die Eignung für den Polizeivollzugsdienst als rechtsstaatliches Problem, NWVBl. 2013, 276, 280.

18

2. Ein der Einstellung in den Polizeivollzugsdienst entgegenstehender Mangel der persönlichen Eignung lässt sich im Streitfall ebenfalls nicht feststellen. Mit Blick auf den Körperschmuck kann ein solcher Eignungsmangel etwa dann gegeben sein, wenn der Bewerber den besonderen Anforderungen des angestrebten Amtes von seinem Auftreten her nicht mehr gerecht wird. Dem Dienstherrn ist im Rahmen seines Einstellungsermessens die Möglichkeit eröffnet, bestimmte Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild des künftigen (Polizeivollzugs-)Beamten zu stellen. Das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (nunmehr: Ministerium des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen) hat mit Erlass vom 29. Mai 2013 (Az.: 403- 26.00.07 A) für Bewerber um die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst Vorgaben zur Bewertung von Körperschmuck aufgestellt, zu dem auch Tätowierungen zählen (vgl. Ziffer 1 Absatz 1 des Erlasses). Danach soll das Vertrauen der Bürger in eine neutrale und seriös auftretende Polizei geschützt werden. Zudem soll in der Amtswahrnehmung jede Individualität hinter die neutrale Erfüllung des dienstlichen Auftrages zurücktreten. Die sich aus der Uniform ergebende Legitimation und Autorität eines Polizeivollzugsbeamten soll nicht durch den fraglichen Körperschmuck beeinträchtigt sein (Neutralitäts- und Repräsentanzfunktion, vgl. Ziffer 3 b Absätze 1 und 2 des Erlasses). Körperschmuck sei als Zeichen der Individualität weiterhin grundsätzlich nicht erwünscht. Der Erlass unterscheidet zwischen dem sichtbaren und dem unsichtbaren Bereich des Körpers des Bewerbers und legt insoweit als Maßstab die Sommeruniform, die sich über das Tragen kurzärmeliger Hemden beziehungsweise Blusen definiert, zugrunde (Ziffer 1 Absätze 2 bis 4). Nach Ziffer 3b Absatz 3 des Erlasses kann ein (relativer) Eignungsmangel durch Körperschmuck im sichtbaren Bereich im Rahmen einer individuellen Einzelbewertung verneint werden, wenn ein dezenter Körperschmuck zum Beispiel maximal die durchschnittliche Größe eines Handtellers hat. Zudem ist zugunsten des Bewerbers eine versteckte beziehungsweise weniger sichtbare Lage zu berücksichtigen (zum Beispiel im Bereich des Handgelenkes auf der Innenseite des Unterarms). Hingegen soll ein großflächiger sichtbarer Körperschmuck – also ein solcher, der die durchschnittliche Größe eines Handtellers übersteigt – völlig unabhängig von den Motiven für sich genommen schon einen unüberwindbaren Eignungsmangel darstellen (vgl. Ziffer 3a des Erlasses).

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3. Die Beurteilung des Antragsgegners, die Tätowierung auf der Innenseite des linken Unterarms des Antragstellers stelle einen absoluten Eignungsmangel dar, ist ermessensfehlerhaft. Um eine von Ermessensfehlern freie Entscheidung zu treffen, muss die Behörde alle wesentlichen Gesichtspunkte zutreffend und umfassend berücksichtigen und in ihre Entscheidung einbeziehen. Dazu muss sie zunächst einmal grundsätzlich von Amts wegen alle Feststellungen treffen, die erforderlich sind, um die für die Ermessensentscheidung relevanten Gesichtspunkte überhaupt abwägen zu können. Die Darlegungslast, ob die Behörde diesen Anforderungen Rechnung getragen hat, liegt bei ihr.

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Vgl. NomosKommentar, Verwaltungsverfahrensgesetz, 1. Auflage, 2014, § 40, Rn. 205 ff; Redeker/von Oertzen, Kommentar, VwGO, 16. Auflage, 2014, § 114, Rn. 13.

21

Der Antragsgegner geht zwar zunächst zu Recht davon aus, dass die Uniform auch die Neutralität ihrer Träger zum Ausdruck bringen und ein sichtbares Zeichen dafür sein soll, dass die Individualität der Polizeivollzugsbeamten im Dienst hinter die Anforderungen des Amtes zurücktritt. Polizeiliche Maßnahmen sollen losgelöst von der Person des handelnden Beamten als Maßnahmen des Staates empfunden werden. Dieser durch die Uniform vermittelte Anschein der Neutralität kann durch ein Erscheinungsbild uniformierter Polizeibeamter beeinträchtigt werden, das die Individualität übermäßig hervorhebt und daher aus dem Rahmen des Üblichen fällt (sog. Neutralitäts- und Akzeptanzfunktion der Uniform).

22

Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 C 3.05 -, juris, Rn. 25; ferner: Windhöfel, Die Eignung für den Polizeivollzugsdienst als rechtsstaatliches Problem, NWVBl. 2013, 276, 277.

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Die Annahme des Antragsgegners, dass großflächige Tätowierungen auf der Innenseite eines Unterarms, auch wenn sie keine mit dem beamtenrechtlichen Neutralitätsgebot unvereinbare Botschaft transportieren, das seriöse und neutrale Auftreten des Bewerbers beeinträchtigen könnte, unterliegt aber durchgreifenden Zweifeln. Denn sie ist nicht belegt.

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Vgl. Windhöfel, Die Eignung für den Polizeivollzugsdienst als rechtsstaatliches Problem, NWVBl. 2013, 276, 279, wonach für Nordrhein-Westfalen entsprechende Studien nicht bekannt sind; zur Pflicht des Dienstherrn und der Gerichte, die für die Entscheidungsfindung relevanten gesellschaftlichen Anschauungen zu ermitteln: Günther, Sichtbare großflächige Tätowierungen kein Einstellungshindernis für Polizeivollzugsbeamte?, ZBR 2013, 116, 119.

25

Die Kammer hat bereits mit Urteil vom 5. August 2014, 2 K 778/14, festgestellt, dass der Antragsgegner belastbare Erkenntnisse dafür, dass tätowierte Polizeivollzugsbeamte mit erheblichen Vorbehalten im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu rechnen haben, nicht aufgezeigt hat. Sie drängen sich auch sonst nicht auf. Aktuelle Umfrageergebnisse, die hierüber Auskunft geben könnten, liegen – soweit ersichtlich – nach wie vor nicht vor.

26

Missverständlich ist in diesem Zusammenhang der Vortrag des Antragsgegners, es könne nicht festgestellt werden, dass in der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit ein Wechsel der Anschauungen dergestalt stattgefunden habe, dass auch bei Polizeivollzugsbeamten als Repräsentanten der Staatsgewalt größere sichtbare Tätowierungen allgemein toleriert würden. Dieser Vortrag hilft bereits deswegen nicht weiter, weil der Antragsgegner nachvollziehbare Feststellungen zu der aufgeworfenen Frage von vornherein gar nicht hat treffen können. Denn er hat davon Abstand genommen, belastbare Erkenntnisse, auf die er entsprechende Feststellungen hätte stützen können, einzuholen. Es mag sich so verhalten, dass es in Teilen der Bevölkerung Vorbehalte gegenüber großflächig tätowierten Polizeivollzugsbeamten gibt. Art und Umfang dieser Vorbehalte sind aber völlig unklar. Allein der Umstand, dass „gewisse“ Vorbehalte zu verzeichnen sind, ist für sich gesehen nicht geeignet, einen absoluten Eignungsmangel zu begründen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fallen nur Erscheinungsformen aus dem Rahmen des Üblichen und sind geeignet, die Neutralitätsfunktion der Uniform zu beeinträchtigen, die unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Anschauungen als unkorrekt oder unseriös anzusehen sind. Dies ist nicht bereits dann der Fall, wenn sie die Mehrheit der Bevölkerung für die eigene Person ablehnt oder allgemein für nicht vorteilhaft hält. Vielmehr kann eine Erscheinungsform erst dann als unkorrekt oder unseriös gelten, wenn so auftretende Personen von weiten Teilen der Bevölkerung ausgegrenzt werden oder ihnen doch Vorbehalte der Art begegnen, die erwarten lassen, dass sie bei der Amtsausführung nicht ernst genommen werden oder ihnen das dabei erforderliche Vertrauen nicht entgegengebracht wird (Hervorhebung durch die Kammer). Nur unter diesen Voraussetzungen können uniformierte Polizeibeamte verpflichtet werden, auf ein bestimmtes Erscheinungsbild zu verzichten.

27

Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 C 3.05 -, juris Rn. 26.

28

Insoweit reicht es nach Auffassung der Kammer für die Annahme eines absoluten Eignungsmangels nicht aus, wenn die Tätowierungen eines Polizeivollzugsbeamten (bloß) Anlass zu entsprechenden Nachfragen und Ansatzpunkte für Diskussionen auch im Hinblick auf die Akzeptanz hoheitlicher Entscheidungen geben. Auch reicht es nicht aus, wenn großflächige Tätowierungen für unpassend, unästhetisch oder nicht schicklich gehalten werden. Die Kammer folgt der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,

29

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Juli 2016 - 6 B 540/16 -, juris, Rn. 11,

30

wonach Tätowierungen (erst dann) ein Einstellungshindernis darstellen, wenn sie dazu führen können, den betreffenden Polizeivollzugsbeamten wegen seines äußeren Erscheinungsbildes abzulehnen oder zumindest Misstrauen gegen ihn hervorzurufen. An entsprechenden Feststellungen des Dienstherrn hierzu mangelt es aber. Nach alledem ist die Annahme, eine wie hier am Unterarm befindliche großflächige Tätowierung lasse unabhängig von ihrer Gestaltung (Motiv, farbliche Hervorhebung) und ihres „Standortes“ (Innen- oder Außenseite des Unterarms) den Schluss auf ein unseriöses oder unkorrektes Auftreten im Dienst zu, mangels belastbarer Erkenntnisse nicht nachvollziehbar. Wenn es tatsächlich die von dem Antragsgegner befürchteten erheblichen Vorbehalte geben würde, dann hätte es im Übrigen nahegelegen anzugeben, ob es bei dienstlichen Einsätzen von Polizeivollzugsbeamten, die sich erst nach ihrer Verbeamtung haben tätowieren lassen, zu nennenswerten Schwierigkeiten gekommen ist. Auch an solchen Angaben fehlt es. Diesen Aspekt hat bereits das Verwaltungsgericht Aachen im Urteil vom 29. November 2012, 1 K 1518/12, hervorgehoben und ausgeführt: „Insbesondere hat der Beklagte nicht schlüssig und nachvollziehbar belegt, dass der Einsatz von vergleichbar tätowierten Beamtinnen und Beamten tatsächlich zu Provokationen und Gefährdungen dieser Beamten selbst und ihrer Kollegen führen könnte. Weder hat der Beklagte hierfür belastbare Untersuchungsergebnisse präsentiert noch sind dem Gericht solche bekannt. (…) Bei dem vom Beklagten angeführten Fall der Überbringung von Todesnachrichten dürfte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass Polizeivollzugsbeamtinnen und –beamte nicht in kurzärmligen Hemden, sondern in ihrer kompletten Uniform, d.h. insbesondere mit Uniformjacke auftreten¼“.

31

4. Es ist auch nicht offenkundig, dass großflächige Tätowierungen dazu führen, dass ein Polizeivollzugsbeamter von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird. Offenkundige, das heißt gerichtskundige oder allgemeinkundige Tatsachen, bedürfen zwar grundsätzliche keiner weiteren besonderen Ermittlung (vgl. § 291 ZPO, § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). So verhält es sich hier aber gerade nicht. Bereits die seit Jahren zu verzeichnende augenfällige Zunahme von Tätowierungen im sichtbaren Bereich verdeutlicht vielmehr, dass ein gesellschaftlicher Wandel - in welchem Umfang auch immer - stattgefunden hat. Andernfalls wäre dieser Umstand kaum zu erklären.

32

Vgl. Michaelis, Tattoos als Einstellungshindernis für (Polizei-)Vollzugsbeamte, JA 2015, 370 ff., wonach insbesondere in der Generation der jungen Erwachsenen der Prozentsatz der Menschen mit Tätowierungen stetig ansteigt und sich deshalb auch die Einstellung der Allgemeinheit hierzu zusehends ändert; Duchstein, das Erscheinungsbild des Arbeitnehmers, BB 2011, 1717 ff., wonach in Fällen, in denen die gesellschaftliche Akzeptanz eines Erscheinungsbildes streitig ist, im Beschlussverfahren nach den Grundsätzen der Beweislastverteilung zu entscheiden ist, wenn es sich nicht um offenkundige Tatsachen handelt und eine weitere Aufklärung nicht möglich ist.

33

In diesem Sinne hat etwa das Verwaltungsgerichts Aachen mit Beschluss vom 31. Juli 2012, 1 L 277/12, festgestellt, dass sich sowohl in der Bevölkerung insgesamt, aber auch im Polizeivollzugsdienst, die gesellschaftlichen Vorstellungen über Tätowierungen nicht unerheblich geändert haben dürften. Zwar seien großflächige Tätowierungen auf sichtbaren Körperteilen bei der Bevölkerung nicht oft oder gar regelmäßig zu beobachten. Es fänden sich aber immer mehr junge und ältere Menschen, die sich in dieser auffälligen Weise – für alle sichtbar – tätowieren ließen. Dies sei Ausdruck des in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Zeichen eines gesellschaftlichen Wandels, der auch vor staatlichen Veranstaltungen wie Schule, Bundeswehr und Polizei nicht Halt mache. Auch das Verwaltungsgericht Köln hat festgestellt,

34

vgl. Beschluss vom 29. März 2012 – 19 L 251/12 -,

35

dass die gesellschaftliche Akzeptanz von Tätowierungen stark zugenommen habe und Tätowierungen mittlerweile eine Modeerscheinung seien, die in nahezu allen gesellschaftlichen Schichten anzutreffen sei. Angesichts dessen lassen Tätowierungen auch nicht mehr wie früher Rückschlüsse auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu und damit gegebenenfalls einhergehende gesellschaftliche Einstellungen zu.

36

Vgl. auch VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14. Februar 2002 - 9 G 411/02 -, juris, Rn. 8. Das Gericht hatte bereits vor 15 Jahren festgestellt, dass Tätowierungen bei Menschen in der neueren Zeit stark zugenommen hätten, auch wenn dies vielfach eine generationenbedingte Frage sein möge.

37

In diesen Zusammenfang fügt sich, dass großflächige Tätowierungen jedenfalls bei Einstellungen der Bundespolizei kein absolutes Einstellungshindernis mehr darstellen.

38

Vgl.: https://www.komm-zur-bundespolizei.de/bewerben/auswahlverfahren.

39

Schließlich ist es auch nicht gerichtsbekannt, dass vermeintliche, in Teilen der Bevölkerung gegenüber tätowierten Beamten vorherrschende Vorbehalte so weit reichen, dass entsprechende Beamter bei der Amtsausführung nicht ernst genommen werden oder ihnen das dabei erforderliche Vertrauen nicht entgegengebracht wird. Die Kammer verkennt nicht, dass Tätowierungen Ausdruck einer individuellen „Note“ eines Polizeivollzugsbeamten sind und einen gewissen Kontrast bilden zu dem ansonsten durch die Uniform vorgegebenen Erscheinungsbild der Beamten, sodass sie denjenigen Personen, die potentiell von einem Polizeieinsatz betroffen sind, Anlass für Diskussionen über die Akzeptanz derart auftretender Beamter bieten können.

40

Vgl. schon VG Düsseldorf, Urteil vom 5. August 2014 - 2 K 778/14 -, juris, Rn. 44.

41

Dies rechtfertigt aber nicht den Schluss, dass Personen, die Tätowierungen bei Polizeivollzugsbeamten für nicht vorteilhaft halten oder sogar ablehnen, sich deswegen ihren Anordnungen widersetzen, ihre Hinweise nicht ernst nehmen oder es ablehnen, sie um Hilfe zu bitten.

42

Schlussendlich hat auch der Antragsgegner dem Grunde nach nicht in Abrede gestellt, dass ein gesellschaftlicher Wandel zu verzeichnen ist, der auf eine größere Akzeptanz gegenüber tätowierten Personen hinausläuft.

43

Dem Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass er seinerseits keine Erkenntnisquellen benannt hat, die einen gesellschaftlichen Wandel in dem von ihm behaupteten Sinne belegen.

44

Vgl. zu diesem Ansatz OVG NRW, Beschluss vom 14. Juli 2016 – 6 B 540/16 -, juris, Rn. 17.

45

Denn es ist Sache des das grundrechtsgleiche Recht des Antragstellers aus Art. 33 Abs. 2 GG einschränkenden Dienstherrn, für den von ihm behaupteten absoluten Eignungsmangel belastbare Erkenntnisse anzuführen. Hierfür streiten die – bereits erwähnten - allgemeinen Darlegungsregeln wie auch der Gesichtspunkt der Grundrechtssicherung durch Verfahren. Hinsichtlich des letztgenannten Aspektes ist zu gewärtigen, dass die Festlegung von absoluten Eignungsmängeln den Zugang zum öffentlichen Amt des Polizeivollzugsbeamten, welches - wie ausgeführt – als grundrechtsgleiches Recht in Art. 33 Abs. 2 GG normiert ist, in Form einer subjektiven Zugangsvoraussetzung beschränkt. Aus diesem Grunde ist es unter dem Gesichtspunkt, dass die Festlegung der Eignungsmängel lediglich in einem Erlass erfolgte, angezeigt und erforderlich, dass der Antragsgegner der Bedeutung des grundrechtsgleichen Rechts des Art. 33 Abs. 2 GG zumindest durch die Angabe belastbarer Erkenntnisse Rechnung trägt.

46

Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 14. März 2016 - 1 K 3788/14 -, juris, Rn. 59, hinsichtlich der Festlegung von Mindestkörpergrößen von Polizeivollzugsbeamten im Wege des Erlasses.

47

5. Nichts anderes gilt im Ergebnis für die Repräsentanzfunktion der Uniform. Zwar kann der Dienstherr besondere Anforderungen an das Erscheinungsbild von Beamten stellen, die verpflichtet sind, Uniform zu tragen. Denn hier besteht in erhöhtem Maße die Möglichkeit, dass durch ein aus dem Rahmen fallendes Erscheinungsbild eine Ansehensminderung hervorgerufen wird. Demnach können Verbote von Erscheinungsformen aus Gründen der Repräsentation gerechtfertigt sein, wenn sie geeignet und erforderlich sind, um einer Ansehensbeeinträchtigung vorzubeugen. Aber auch das Interesse an einer angemessenen staatlichen Repräsentation vermag in einer pluralistischen Gesellschaft nur das Verbot von Erscheinungsformen rechtfertigen, die in der Weise aus dem Rahmen des gesellschaftlich Üblichen fallen, dass sie nach den herrschenden gesellschaftlichen Anschauungen als unkorrekt oder unüblich gelten.

48

Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 C 3.05 -, juris Rn. 30.

49

Aus den bereits genannten Gründen lässt sich nicht feststellen, dass die farblich nicht hervorgehobene, auf der Innenseite des Unterarms befindliche Tätowierung des Antragstellers das Ansehen des Landes Nordrhein-Westfalen herabsetzen könnte.

50

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 GKG. Von einer Halbierung des Auffangwertes sieht die Kammer ab, weil das Antragsbegehren des vorläufigen Rechtsschutzes hier auf eine weitgehende Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs).

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