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16.09.2016 · IWW-Abrufnummer 188736

Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 01.06.2016 – 11 Sa 25/16


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 21.04.-2015 - 12 Ca 4145/14 - abgeändert und die Klage kostenpflichtig abgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.



Der am 1974 geborene Kläger, verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet, ist bei der Beklagten seit dem Mai 2003 beschäftigt, zuletzt als Paketsortierer im Umfang von 12 Wochenstunden. Die Beklagte betreibt einen Express- und Paketzustelldienst mit etwa 2.400 Arbeitnehmern.



Der Kläger hat seit dem Jahre 2007 bis zum 30.04.2014 wie folgt krankheitsbedingt gefehlt:

Jahr Kalendertage Arbeitstage mit Entgeltfortzahlung 2007 238 30 2008 67 67 2009 38 38 2010 35 35 2011 30 29 2012 32 32 2013 100 97 2014 199 57



Die Arbeitstage mit Entgeltfortzahlung stiegen bis zum 20.5.2014 auf 65 und bis zum 24.05.2014 auf 70 Arbeitstage an.



Hinsichtlich der Art und Dauer der einzelnen Erkrankungen für den Zeitraum ab dem 15.02.2010 wird auf die zu den Akten eingereichte Auskunft der D A -K (D ) (Bl. 29 ff. d. A.) verwiesen. Hiernach wurden u.a. depressive Störungen diagnostiziert, die wiederholt auftraten. Wegen der Höhe der angefallenen Entgeltfortzahlungskosten wird auf die Aufstellung Bl. 147 d. A. verwiesen.



Im Oktober 2008 wurde der Kläger einvernehmlich in die Abteilung "Tilt Tray" versetzt. Die dort anfallende Kleinpaktsortierung beinhaltet eine geringere körperliche Anstrengung.



Die Beklagte hat den Kläger in den Jahren 2008 und ab dem Jahre 2010 jährlich zu einem Gespräch im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagement eingeladen.



Der Kläger befand sich seit dem Juli 2013 in medizinischer Behandlung bei D . Z , Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie.



Am 24.01.2014 kamen die Parteien im Rahmen eines Fehlzeitengesprächs überein, im Hinblick auf die gesundheitlichen Probleme des Klägers die Arbeitszeit von 15 auf 12 Stunden die Woche zu reduzieren. Ferner sollte der Kläger nur noch in einer Viertagewoche arbeiten.



Nach schriftlicher Anhörung des Betriebsrates unter dem 13.05.2014 (Bl. 176 ff. d. A.) kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 20.05.2014 das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2014.



Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 21.04.2015 (Bl. 59 ff. d. A.) der Kündigungsschutzklage nach Vernehmung des Arztes D . Z stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der als Zeuge vernommene Arzt habe eine negative Gesundheitsprognose nicht bestätigt. Der Krankheitsverlauf einer depressiven Störung sei nach der Zeugenaussage nicht pauschalisierbar um im konkreten Fall des Klägers nicht voraussehbar gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten der Zeugenaussage wird auf das Sitzungsprotokoll vom 21.04.2015 (Bl. 55 ff. d. A.) verwiesen.



Gegen das ihr am 03.06.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29.06.2015 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 03.09.2015 begründet.



Die Beklagte ist der Ansicht, die negative Gesundheitsprognose folge aus den Fehlzeiten der Vergangenheit. Diese Indizwirkung sei auch nicht durch die Aussage des behandelnden Arztes erschüttert worden. Die zu erwartenden Lohnfortzahlungskosten seien ihr nicht zumutbar, sie habe in der Vergangenheit wiederholt erfolglos versucht, den Kläger leidensgerecht zu beschäftigen.



Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 21.04.2015, Az: 12 Ca 4145/14, abzuändern und die Klage abzuweisen.



Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Zeuge habe eine Verbesserung des Gesundheitszustands des Klägers im Verlaufe der fünfzehnmonatigen Behandlung bestätigt. Es sei unschädlich, dass er sich nicht abschließend auf eine Gesundheitsprognose habe festlegen wollen. Die Beklagte müsse sich vorhalten lassen, dass sie nicht abgewartet habe, ob die im Januar 2014 vereinbarte Reduzierung von einer Fünftagewoche auf eine Viertagewoche Früchte trage. Der Kläger habe lediglich im Mai 2014 zwei Arbeitstage im neuen Arbeitsrhythmus arbeiten können.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 03.09.2015, 23.10.2015 und 25.04.2016, die Sitzungsniederschrift vom 01.06.2016 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG ordnungsgemäß eingelegt und begründet.



II. Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Die Kündigung vom 20.05.2014 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, denn es liegen Gründe in der Person des Klägers vor, die einer Beschäftigung im Betrieb der Beklagten entgegenstehen.



1. Bei häufigen Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst auf der ersten Stufe eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen. Im Rahmen der auf der dritten Stufe vorzunehmenden Interessenabwägung ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt. Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13 - m. w. N.).



2.a) Nach diesen Grundsätzen ist von einer negativen Gesundheitsprognose im Falle des Klägers zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung auszugehen. Der Kläger fehlte seit dem Jahre 2012 stets mehr als sechs Wochen krankheitsbedingt. Die Anzahl der betroffenen Arbeitstage stieg im Jahre 2013 sprunghaft auf 97 Arbeitstage und lag noch zum Stand 30.04.2014 auf dem hohen Stand von 56 Arbeitstagen. Auch in der Folgezeit bis zum Ausspruch der Kündigung war der Kläger - bis auf zwei Arbeitstage - weiterhin arbeitsunfähig erkrankt. Dabei besteht aufgrund des Krankheitsbildes jedenfalls eine Negativprognose hinsichtlich der psychischen Störung des Klägers. Der Kläger war hinsichtlich dieses Krankheitsbildes wiederholt arbeitsunfähig. Laut eingereichter Aufstellung der D in folgenden Zeiträumen: 15.02.2010 bis 22.02.2010 (F32.9), 16.09.2013 bis 18.10.2013 (F33.1, F33.2), 29.10.2013 bis 18.11.2013 (F32.9, F33.1), 03.12.2013 bis 10.12.2013 (F33.1), 06.01.2014 bis 10.01.2014 (F33.1), 17.03.2014 bis 03.04.2014 (F33.1), 07.04.2014 bis 06.05.2014 (F32.1) und ab dem 19.05.2014 (F32.1). Aufgrund der ansteigenden Krankheitsentwicklung der rezidivierenden depressiven Störung seit dem Jahre 2013 kann dahin stehen, ob der Kläger auch im Jahre 2012 psychisch erkrankt war. Die vom Kläger eingereichte Aufstellung der D verhält sich lediglich über sechs Arbeitstage der Darmerkrankung, die übrigen Arbeitsunfähigkeitszeiten des Jahres 2012 sind nicht enthalten.



b) Bestätigt wir die negative Prognose durch die Fortdauer der psychischen Erkrankung (F33.1) bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Für den Zeitraum danach lässt sich aufgrund des Verhaltens des Klägers keine Feststellung zur Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit treffen. Der Kläger hat nach Aussage des Arztes D . Z die Behandlung abgebrochen, indem er weder zum vereinbarten Folgetermin am 09.10.2014 noch zu einem späteren Zeitpunkt bei seinem Arzt erschienen ist.



c) Die aufgrund der Fehlzeiten in der Vergangenheit indizierte negative Gesundheitsprognose vermochte der Kläger nicht zu erschüttern. Der Zeuge D . Z hat die erstinstanzliche Behauptung des Klägers, dass er prognostiziert habe, nach mehrfachen Wechseln der Medikation sei spätestens Ende 2014 nicht mehr mit gehäuften Arbeitsausfallzeiten zu rechnen, nicht bestätigt. Der behandelnde Arzt D . Z hat in seiner Vernehmung vor dem Arbeitsgericht am 21.04.2015 vielmehr ausgesagt, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers im Zuge der Behandlung "leicht" verbessert habe, so dass er die Depressionen des Klägers nicht mehr als schwer, sondern "nur noch" als mittelschwer eingeordnet hat. Diese Aussage trägt jedoch noch keine positive Beurteilung der Gesundheitsentwicklung des Klägers. Der behandelnde Arzt konnte selbst für den Zeitpunkt der letzten Behandlung des Klägers am 27.08.2014 nicht absehen, ob und wann der Kläger wieder arbeitsfähig sein werde. Er konnte im Hinblick auf das Krankheitsbild und die Krankheitsgeschichte des Klägers die Wiederholung der bisherigen Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht ausschließen. Anhaltspunkte dafür, dass dies zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung anders gewesen sein könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.



3. Die aufgrund der negativen Gesundheitsprognose zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten - betrachtet man alleine solche, die in Zusammenhang mit den psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers liegen - stellen eine erhebliche wirtschaftliche Belastung der Beklagten dar. Da diesbezüglich im Jahre 2013 für 80 Arbeitstage und im Jahr 2014 allein bis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung für 65 Arbeitstage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall angefallen ist, war auch für die Zukunft zu erwarten, dass die Beklagte pro Jahr außerordentliche Lohnfortzahlungskosten mindestens in der Größenordnung von 12 Wochen zu tragen gehabt hätte. Die Erheblichkeitsschwelle ist damit deutlich überschritten (vgl. z.B.: BAG, Urt. v. 06.09.1989 - 2 AZR 2 AZR 19/89 -; BAG, Urt. v. 05.07.1990 - 2 AZR 154/90 - ).



4. Diese wirtschaftliche Beeinträchtigung war der Beklagten nicht weiter zuzumuten. Zwar ist nicht zu verkennen, dass der Kläger im Hinblick auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses einen gesteigerten Bestandsschutz genießt und sein Verdienst bei der Beklagten einen Bestandteil des Familieneinkommens darstellt. Jedoch überwiegt das Beendigungsinteresse der Beklagten angesichts der zu erwartenden außerordentlich hohen Entgeltfortzahlungskosten. Das Austauschverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung wäre angesichts des Alters des Klägers für einen sehr langen Zeitraum nachhaltig gestört. Die Beklagte hat trotz erheblicher Fehlzeiten des Klägers seit dem Jahre 2007 bis 2010 und ab dem Jahre 2012 an dem Arbeitsverhältnis festgehalten und soziale Verantwortung gezeigt. Sie hat sowohl durch die Änderung der Arbeitsbedingungen im Jahre 2008 als auch im Januar 2014 Rücksicht auf die gesundheitlichen Probleme des Klägers genommen. Es kann ihr nicht vorgehalten werden, sie hätte wegen der Vereinbarung zum geänderten Arbeitseinsatz im Januar 2014 weiter mit der Kündigung abwarten müssen. Trotz der Reduzierung auf eine Viertagewoche war es dem Kläger krankheitsbedingt lediglich an zwei Arbeitstagen im Mai 2014 möglich gewesen, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Greifbare Anhaltspunkte für eine Änderung der Situation in der näheren Zukunft im Hinblick auf die fortgeführte medizinische Behandlung bestanden nicht. Die Beklagte hatte sich zudem auch in den Vorjahren durch das betriebliche Eingliederungsmanagement (§ 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) bemüht, Lösungen zur Vermeidung künftiger Arbeitsunfähigkeit zu finden. Dass der Kläger in den Jahren 2011 und 2013 den Einladungen keine Folge geleistet hat, ist der Beklagte nicht anzulasten. Es ist nicht ersichtlich, dass in den Jahren 2010 und 2012 Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes entwickelt werden konnten, die über das hinausgehen, was einvernehmlich als Reaktion auf die gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers im Oktober 2008 und im Januar 2014 gefunden wurde. Mildere Mittel als die Kündigung des Arbeitsverhältnisses bestanden daher nicht, so dass sich die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auch nicht als unverhältnismäßig erweist.



III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.



IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

Vorschriften§ 64 Abs. 2 c) ArbGG, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, § 138 Abs. 2 ZPO, § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, § 91 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG

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