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21.07.2016 · IWW-Abrufnummer 187384

Oberlandesgericht Stuttgart: Beschluss vom 18.02.2016 – 8 WF 339/15

Die Formulierung, dass die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss einer Vereinbarung erstreckt wird, kann auch außerhalb der Regelung des § 48 Abs. 3 RVG dazu führen, dass dem beigeordneten Rechsanwalt für einen Mehrvergleich über nicht rechtshängige Ansprüche eine Verfahrens- und Terminsdifferenzgebühr aus der Staatskasse zu erstatten sind.


Oberlandesgericht Stuttgart

Beschl. v. 18.02.2016

Az.: 8 WF 339/15

In der Familiensache

wegen Ehegattenunterhalt
hier: VKH-Vergütung

hat das Oberlandesgericht Stuttgart - 8. Zivilsenat - Familiensenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Taxis, die Richterin am Oberlandesgericht Tschersich und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Barth am 18.02.2016 beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde der Bezirksrevisorin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nagold vom 16.11.2015 (1 F 128/15) wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner war unter dem im Rubrum genannten Aktenzeichen ein Familienverfahren wegen Trennungsunterhalts anhängig, sowie unter dem Aktenzeichen 1 F 73/15 ein Scheidungsverfahren. In der mündlichen Verhandlung vom 27.08.2015 zum Unterhaltsverfahren haben die damaligen Eheleute nach ausführlicher Erörterung der gesamten familiären und finanziellen Situation einen Vergleich zur Regelung des Trennungsunterhalts und der Scheidungsfolgen geschlossen (Kindesunterhalt, nachehelicher Unterhalt, Wohnungsrecht; Versorgungsausgleich). Auf Antrag hat der Familienrichter die der Antragstellerin bereits für das Trennungsunterhaltsverfahren bewilligte Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss der getroffenen Vereinbarung erstreckt.
Auf die Erinnerung der Verfahrensbevollmächtigten hat der Familienrichter den Festsetzungsbeschluss des Rechtspflegers abgeändert und ihr auch die Erstattung einer Differenzverfahrensgebühr und einer Differenzterminsgebühr hinsichtlich der nicht anhängigen, aber in die Vereinbarung einbezogenen Gegenstände zugesprochen.

Dagegen wendet sich die Bezirksrevisorin unter Hinweis auf die überwiegende Auffassung unter den Oberlandesgerichten und auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshof zum Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren (NJW 2004, 2595 [BGH 08.06.2004 - VI ZB 49/03]). Anders als im Scheidungsverbundverfahren stehe dem beigeordneten Rechtsanwalt bei einem Mehrvergleich über nicht rechtshängige Gegenstände in Zivilverfahren und isolierten Familienverfahren lediglich die Einigungsgebühr aus dem erhöhten Wert zu. Im Falle einer uneingeschränkten Beiordnung zum Mehrwert des Vergleichs würde im Ergebnis die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe erfolgen, ohne dass die zuvor nach §§ 113, 114 ZPO erforderliche Prüfung der Erfolgsaussicht erfolgt sei. § 48 Abs 3 RVG sei als ausdrückliche Spezialregelung, wie jedenfalls durch die Neuregelung durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz klargestellt sei, nicht analogiefähig.

II.

Die nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 bis 8 RVG zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der Senat teilt die Auffassung des Familienrichters, dass sich die Erstreckung der Beiordnung durch den Beschluss im Termin vom 27.08.2015 auf alle mit der Herbeiführung der Einigung erforderlichen Tätigkeiten bezieht, also auch auf die angefallene 0,8 - Verfahrensgebühr (Nr. 3101 Ziff. 2 VV RVG) und die Differenzterminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 2 VV RVG.

Gemäß § 48 Abs. 1 RVG richtet sich der Vergütungsanspruch des im Wege der Verfahrenskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts nach dem Beschluss, durch den Verfahrenskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Die Frage nach der Erstattung zweifelsfrei angefallener Gebühren ist daher in erster Linie eine solche nach der Auslegung des Bewilligungsbeschlusses (OLG Köln, Beschluss vom 29.04.2013 - 25 WF 235/12, AGS 2013, 350).

Vor der Neufassung des § 48 Abs. 3 RVG durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz war (auch) bei Mehrvergleichen in Ehesachen in der Rechtsprechung streitig, ob sich die Beiordnung in der Ehesache auch auf die durch den Abschluss des Vergleichs ausgelöste Verfahrens- und Terminsdifferenzgebühr erstreckt (vgl. dazu Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 22. Aufl., § 48 Rn. 164 ff; AnwK-RVG / Fölsch/Schafhausen/N. Schneider/Thiel § 48 Rn. 15; bejahend OLG Stuttgart/Senat FamRZ 2008, 1010). Diesen Streit hat der Gesetzgeber durch die Neufassung von § 48 Abs. 3 RVG dahingehend entschieden, dass im Falle eines Vertragsabschlusses alle in diesem Zusammenhang anfallenden Gebühren zu erstatten sind. Nur auf diese Weise erhielten Parteien mit geringem Einkommen die gleiche Möglichkeit, ihre Streitigkeiten umfangreich beizulegen wie Parteien mit ausreichend hohem Einkommen (BT-Drs. 17/11471 S. 470).

Für den Mehrvergleich außerhalb von Ehesachen (§ 48 Abs. 5 RVG) blieb die Frage, ob im Falle einer ausdrücklichen Erstreckung der Beiordnung auf den Abschluss einer getroffenen Vereinbarung dadurch auch die Erstattung der Verfahrens- und Terminsdifferenzgebühr erfasst ist, streitig (verneinend, meist mit Hinweis auf ein Regel-Ausnahme-Verhältnis in § 48 RVG, u.a.: OLG Celle - 10 WF 28/15, AGS 2015, 236; OLG Dresden AGS 2015, 289; OLG Koblenz AGS 2014, 1877; OLG Köln - 12 WF 130/14, AGS 2015, 89; bejahend: OLG Celle - 15 UF 166/13, AGS 2014, 580; N.Schneider NZFam 2015, 231; AnwK-RVG a.a.O; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe a.a.O. Rn. 168 ff.).
Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.

Ausgangspunkt ist gemäß § 48 Abs. 1 RVG der die Beiordnung aussprechende Beschluss. Schon bisher lag es nahe, dass von Formulierungen wie "für den Abschluss eines Vergleichs" oder "auf den Abschluss der getroffenen Vereinbarung erstreckt" nicht nur die Einigungsgebühr, sondern auch die Verfahrens- und die Terminsdifferenzgebühr erfasst sein sollen, weil der Vergleichsabschluss selbst eine 0,8-Verfahrensgebühr und eine Terminsgebühr auslöst (Gerold/Schmidt a.a.O. Rn. 181; Thiel AGS 2014, 351; OLG Köln AGS 2013, 350) . Das gilt und galt - auch nach Auffassung des Senats (FamRZ 2008, 1010) - jedenfalls im Zusammenhang mit § 48 Abs. 3 RVG. Wenn in Beiordnungsbeschlüssen außerhalb von § 48 Abs. 3 RVG die gleiche Formulierung verwendet wird, ist in der Regel davon auszugehen, dass das Gericht damit dasselbe meint (Gerold/Schmidt a.a.O. Rn. 170). Der entscheidende Unterschied zwischen § 48 Abs. 3 RVG und § 48 Abs. 5 RVG liegt darin, dass § 48 Abs. 3 RVG in Ehesachen die Erstreckung der Verfahrenkostenhilfe auf den Abschluss des Mehrvergleichs kraft Gesetzes anordnet, während § 48 Abs. 5 RVG in anderen mit dem Hauptverfahren zusammenhängenden Angelegenheiten eine ausdrückliche Erstreckung durch gerichtlichen Beschluss verlangt. Hat das Gericht auf Antrag die Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss des Mehrvergleichs bewilligt, besteht kein zwingender Grund die Fallkonstellationen unterschiedlich zu behandeln. Insbesondere bestünde der vom Bundesgerichtshof (NJW 2004, 2595 [BGH 08.06.2004 - VI ZB 49/03]) angenommene Wertungswiderspruch (im PKH-Bewilligungsverfahren könne eine Beiordnung nur für die Einigungsgebühr erfolgen) auch bei der gesetzlichen Erstreckung nach § 48 Abs. 3 RVG (ausführlich dazu Gerold/Schmidt a.a.O Rn. 172 -174). Davon abgesehen erscheint zweifelhaft, ob die Rechtsprechung zum PKH-Bewilligungsverfahren auf den Mehrvergleich im Zusammenhang mit einem Hauptsacheverfahren übertragbar ist (so auch Thiel AGS 2014, 351).

Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Begründung des Gesetzgebers zwar im Zusammenhang mit der Einigung in Ehesachen erfolgt ist, aber so gefasst ist, dass sie auch auf Mehrvergleiche in anderen Verfahren passt (Gerold/Schmidt a.a.O. Rn 174). Im hier zu beurteilenden Verfahren kommt hinzu, dass Gegenstand des Mehrvergleichs eine Vereinbarung zu Gegentänden beinhaltet, die in § 48 Abs. 3 RVG genannt sind, wenngleich das Bezugsverfahren keine Ehesache, sondern ein Unterhaltsverfahren war.

Bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Umfang die Verfahrenskostenhilfe auf nicht anhängige Gegenstände erstreckt werden kann, ist dem Richter weder verwehrt noch unmöglich, die Voraussetzungen von Verfahrenskostenhilfe nach § 114 ZPO zu prüfen. Insbesondere muss die Rechtsverfolgung bzw. die Rechtsverteidigung auch für den noch nicht rechtshängigen Gegenstand Aussicht auf Erfolg haben und darf nicht mutwillig erscheinen, wobei die Erfolgsaussicht nicht schon darin besteht, dass das Zustandekommen eines Vergleichs zu erwarten ist (AnwK - RVG a.a.O. Rn. 14).

Solange in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wird, ob die Formulierung "für den Abschluss einer Vereinbarung" - wie vom Senat für ausreichend erachtet - sich auch auf die Differenzverfahrens- und Differenzterminsgebühr erstreckt, empfiehlt es sich, bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Erstreckung der Verfahrenkostenhilfe in Fällen des § 48 Abs. 5 RVG die Formulierung der Bewilligungsentscheidung an § 48 Abs. 3 S. 1 RVG zu orientieren.

Die Beschwerde der Bezirksrevisorin ist danach als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 RVG.

RechtsgebietVKH-BeiordnungVorschriften§ 49 RVG

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