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19.01.2009 · IWW-Abrufnummer 090230

Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 20.11.2008 – C-1/07

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

20. November 2008(*)

„Richtlinie 91/439/EWG – Gegenseitige Anerkennung der Führerscheine – Fahrverbot – Entzug der Fahrerlaubnis – Gültigkeit eines während der Dauer des Fahrverbots in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen zweiten Führerscheins“

In der Rechtssache C‑1/07

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Landgericht Siegen (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. November 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Januar 2007, im Rahmen eines Strafverfahrens gegen

Frank Weber

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas (Berichterstatter) sowie der Richter J. Klučka und U. Lõhmus, der Richterin P. Lindh und des Richters A. Arabadjiev,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von Herrn Weber, vertreten durch Rechtsanwalt W. Säftel,
– der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
– der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes als Bevollmächtigten,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Braun und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Juli 2008

folgendes

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl. L 237, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/439).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Weber, in dem diesem vorgeworfen wird, am 6. Januar 2006 ein Kraftfahrzeug im deutschen Hoheitsgebiet geführt zu haben, ohne im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

Der erste Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 lautet:

„Um einen Beitrag zur gemeinsamen Verkehrspolitik zu leisten, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben, ist ein einzelstaatlicher Führerschein nach EG-Muster wünschenswert, den die Mitgliedstaaten gegenseitig anerkennen und der nicht umgetauscht werden muss.“

Im vierten Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es:

„Aus Gründen der Sicherheit im Straßenverkehr sind Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins festzulegen.“

Im letzten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 wird ausgeführt:

„Außerdem sollten aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Straßenverkehrs die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat.“

Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie bestimmt:

„Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.“

Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 91/439 hängt die Ausstellung des Führerscheins von den folgenden Voraussetzungen ab:

„a) vom Bestehen einer Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen, vom Bestehen einer Prüfung der Kenntnisse und von der Erfüllung gesundheitlicher Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III;

b) vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student − während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten − im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats“.

Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439 lautet:

„Jede Person kann nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein.“

Art. 8 Abs. 2 und 4 Unterabs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.



(4) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde.“

Nationales Recht

§ 3 Abs. 1 und 2 des Straßenverkehrsgesetzes in seiner für das Ausgangsverfahren geltenden Fassung (BGBl. 2006 I, S. 1958, im Folgenden: StVG) sieht vor:

„(1) Erweist sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, so hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis hat die Entziehung − auch wenn sie nach anderen Vorschriften erfolgt − die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. § 2 Abs. 7 und 8 gilt entsprechend.

(2) Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. …“

§ 21 Abs. 1 StVG bestimmt:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat oder ihm das Führen des Fahrzeugs nach § 44 des Strafgesetzbuchs oder nach § 25 dieses Gesetzes verboten ist …“

§ 28 Abs. 1, 4 und 5 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung) vom 18. August 1998 (BGBl. I S. 2214, im Folgenden: FeV) in der Fassung der Ersten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 14. Juni 2006 (BGBl. I S. 1329) bestimmt:

„(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.



(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,



3. denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,



(5) Das Recht, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 4 Nr. 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. …“

§ 46 Abs. 1 FeV lautet:

„Erweist sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.“

§ 46 Abs. 5 FeV bestimmt:

„Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

Am 18. September 2004 wurde festgestellt, dass Herr Weber, der deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Deutschland ist, ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel (Cannabis und Amphetamin) führte. Diese Zuwiderhandlung wurde durch einen Bußgeldbescheid des Kreises Siegen-Wittgenstein vom 17. November 2004, bestandskräftig seit dem 4. Dezember 2004, mit einem Bußgeld und einer Aussetzung seiner deutschen Fahrerlaubnis (Fahrverbot) von einem Monat geahndet.

Am 18. November 2004 erhielt Herr Weber von den Behörden der Stadt Karlovy Vary (Tschechische Republik) einen für zehn Jahre gültigen Führerschein für Fahrzeuge der Klassen A1, A, B und AM. In dem Führerschein ist als Datum, an dem die Führerscheinprüfung abgelegt wurde, der 16. November 2004 angegeben.

Am 7. Januar 2005 wurde Herr Weber vom Ordnungsamt des Kreises Siegen-Wittgenstein davon in Kenntnis gesetzt, dass wegen der am 18. September 2004 festgestellten Zuwiderhandlung ein Verfahren zur Prüfung seiner Fahreignung eingeleitet werde. Im Februar 2005 gab Herr Weber seinen deutschen Führerschein bei der Verwaltungsbehörde ab.

Mit Bescheid vom 17. März 2005, bestandskräftig seit dem 6. April 2005, entzog das Ordnungsamt des Kreises Siegen-Wittgenstein Herrn Weber gemäß § 3 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 FeV die deutsche Fahrerlaubnis; gemäß § 3 Abs. 2 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV umfasst die Entziehung das Erlöschen des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland.

Durch Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 22. August 2006 wurde Herr Weber aufgrund einer bei einer Polizeikontrolle am 6. Januar 2006 festgestellten Zuwiderhandlung nach § 21 StVG wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt.

Herr Weber legte gegen dieses Urteil Berufung beim Landgericht Siegen ein, mit der er einen Freispruch erstrebt, weil er als Inhaber einer tschechischen Fahrerlaubnis nach dem in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 aufgestellten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der in den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine berechtigt gewesen sei, weiterhin Kraftfahrzeuge zu führen.

Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht Siegen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die Richtlinie 91/439 − Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 und 4 − so auszulegen, dass es einem Mitgliedstaat verwehrt ist, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung nach Maßgabe eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins und damit dessen Gültigkeit deshalb nicht anzuerkennen bzw. abzuerkennen, weil seinem Inhaber in dem erstgenannten Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis entzogen wurde, nachdem ihm in einem anderen Mitgliedstaat eine sogenannte „zweite“ EU-Fahrerlaubnis erteilt worden war, wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis auf einem Vorfall/Fehlverhalten fußt, der/das in die Zeit vor Erteilung der Fahrerlaubnis durch den anderen Mitgliedstaat fällt?

Zur Vorlagefrage

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht klären lassen, ob Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer Fahrberechtigung, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, und damit die Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins abzulehnen, wenn dessen Inhaber im erstgenannten Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis durch eine Maßnahme entzogen wurde, die zwar nach dem Zeitpunkt der Ausstellung des fraglichen Führerscheins, jedoch zur Ahndung einer vor diesem Zeitpunkt festgestellten Zuwiderhandlung erlassen worden ist.

Herr Weber macht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs (Beschlüsse vom 6. April 2006, Halbritter, C‑227/05, und vom 28. September 2006, Kremer, C‑340/05) in erster Linie geltend, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nur wegen eines Verhaltens nach dessen Erteilung ablehnen könne.

Die italienische Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften sind dagegen der Auffassung, dass ein Mitgliedstaat in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens berechtigt sei, es abzulehnen, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins anzuerkennen, auch wenn diese Ablehnung ihren Grund in einem vor dem Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins liegenden Verhalten habe.

Die portugiesische Regierung ist der Auffassung, dass Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 gerade die Gefahren verhüten solle, die sich aus dem Verhalten von Personen ergäben, die während einer gegen sie verhängten Maßnahme der befristeten Aussetzung ihrer Fahrerlaubnis in einen anderen Mitgliedstaat reisten, um einen zweiten Führerschein zu erwerben, obwohl ihre Fahreignung in einem Verfahren überprüft werde, das zum Entzug der Fahrerlaubnis führen könne.

Zunächst ist daran zu erinnern, dass der allgemeine Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie aufgestellt wurde, um insbesondere die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben (vgl. u. a. Urteile vom 29. April 2004, Kapper, C‑476/01, Slg. 2004, I‑5205, Randnr. 71, vom 26. Juni 2008, Wiedemann und Funk, C‑329/06 und C‑343/06, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 49, und Zerche u. a., C‑334/06 bis C‑336/06, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 46).

Nach gefestigter Rechtsprechung sieht dieser Art. 1 Abs. 2 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, die zu erlassen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. Oktober 1998, Awoyemi, C‑230/97, Slg. 1998, I‑6781, Randnrn. 41 und 42, Kapper, Randnr. 45, Wiedemann und Funk, Randnr. 50, und Zerche u. a., Randnr. 47).

Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 gestattet den Mitgliedstaaten jedoch, unter bestimmten Umständen, insbesondere aus Gründen der Sicherheit des Straßenverkehrs, ihre innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf jeden Inhaber eines Führerscheins, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet hat, anzuwenden und es abzulehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine dieser Maßnahmen angewendet wird.

Der Gerichtshof hat insoweit wiederholt darauf hingewiesen, dass Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439 eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine darstellt und aus diesem Grund eng auszulegen ist (vgl. u. a. Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 60, und Zerche u. a., Randnr. 57).

Den Ausführungen des vorlegenden Gerichts ist zu entnehmen, dass für Herrn Weber zu dem Zeitpunkt, zu dem er seine tschechische Fahrerlaubnis erwarb, also am 18. November 2004, eine am 17. November 2004 für einen Monat verhängte und am 4. Dezember 2004 bestandskräftig gewordene Maßnahme der befristeten Aussetzung seiner deutschen Fahrerlaubnis galt. Nach dem Erwerb seines tschechischen Führerscheins wurde ihm am 17. März 2005 seine Fahrerlaubnis entzogen. Im Übrigen steht fest, dass der Sachverhalt, der sowohl die befristete Aussetzung als auch den Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertigt, am 18. September 2004 festgestellt wurde, d. h. vor dem Zeitpunkt der Ausstellung des tschechischen Führerscheins.

Es kann nicht angenommen werden, dass die Richtlinie 91/439 dazu verpflichtet, die Gültigkeit eines unter solchen Bedingungen erteilten Führerscheins anzuerkennen.

Der Gerichtshof hat zwar Gelegenheit gehabt, festzustellen, dass ein Mitgliedstaat die ihm von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 eröffnete Befugnis, seine innerstaatlichen Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins anzuwenden, nur aufgrund eines Verhaltens des Inhabers dieses Führerscheins nach dessen Erwerb ausüben kann (vgl. Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 59, und Zerche u. a., Randnr. 56, Beschlüsse Halbritter, Randnr. 38, und Kremer, Randnr. 35).

Die Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, die gegen den Betroffenen in der dem Beschluss Kremer zugrunde liegenden Rechtssache verhängt worden war, war jedoch nicht mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis verbunden. In den Rechtssachen, die den anderen in der vorstehenden Randnummer angeführten Entscheidungen zugrunde liegen, waren die Sperrfristen für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, mit denen die Maßnahmen des Entzugs verbunden waren, allesamt zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis abgelaufen.

Daher hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Mitgliedstaat von der in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 vorgesehenen Befugnis nur aufgrund eines Verhaltens des Betroffenen nach Erwerb des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins Gebrauch machen kann. Diese Bestimmung erlaubt es dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes nämlich nicht, die Anerkennung des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins allein mit der Begründung abzulehnen, dass dem Inhaber dieses Führerscheins zuvor eine frühere Fahrerlaubnis im erstgenannten Mitgliedstaat entzogen wurde (Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 66, und Zerche u. a., Randnr. 63).

Ganz anders stellt sich hier die Situation im Ausgangsverfahren dar. Auf Herrn Weber wurde, als er seine tschechische Fahrerlaubnis erwarb, eine von den zuständigen deutschen Behörden erlassene Maßnahme der befristeten Aussetzung seiner deutschen Fahrerlaubnis angewandt. Außerdem wurde gegen ihn nach der Erteilung seines tschechischen Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis verhängt, mit der dieselbe Tat geahndet wurde, die die Maßnahme des Fahrverbots gerechtfertigt hatte.

In einer solchen Situation ist auf der Grundlage der Richtlinie 91/439 und insbesondere ihres Art. 8 Abs. 4 die Befugnis der zuständigen Behörden und der Gerichte eines Mitgliedstaats, die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins abzulehnen, den eine Person in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, während sie im erstgenannten Mitgliedstaat einer Maßnahme der befristeten Aussetzung der Fahrerlaubnis unterlag, uneingeschränkt und endgültig anzuerkennen, wenn auf die befristete Aussetzung ein Entzug der Fahrerlaubnis folgt, mit dem dieselbe Tat geahndet wird (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 3. Juli 2008, Möginger, C‑225/07, Randnr. 41). Der Umstand, dass der Entzug der Fahrerlaubnis nach dem Zeitpunkt der Erteilung des neuen Führerscheins angeordnet wird, ist insoweit ohne Bedeutung, da die Gründe, die diese Maßnahme rechtfertigen, zu eben diesem Zeitpunkt bereits vorlagen (vgl. im Umkehrschluss Urteil Kapper, Randnr. 74).

Jede andere Auslegung nähme der in Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439 vorgesehenen Befugnis eines Mitgliedstaats, es abzulehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, den eine Person, die in seinem Hoheitsgebiet einer Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis unterlag, in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, jeden Inhalt.

Wie nämlich der Generalanwalt in Nr. 42 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, ist allein der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet eine Zuwiderhandlung begangen wird, dafür zuständig, diese zu ahnden, indem er gegebenenfalls eine Maßnahme des Entzugs, eventuell verbunden mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, verhängt.

Einen Mitgliedstaat mit der Begründung, dass der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nach dessen Erteilung keine Zuwiderhandlung im Gebiet des erstgenannten Mitgliedstaats begangen hat, zur Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins zu verpflichten, obwohl diese Person noch einer gültigen, durch eine vor dieser Erteilung liegende Tat gerechtfertigten Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis unterliegt, schüfe nun aber gleichsam einen Anreiz für Täter von Zuwiderhandlungen, die mit einer Maßnahme des Entzugs bestraft werden können, sich unverzüglich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um den verwaltungs- oder strafrechtlichen Folgen dieser Zuwiderhandlungen zu entgehen, und zerstörte letztendlich das Vertrauen, auf dem das System der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine beruht.

Wie die Kommission darüber hinaus in ihren schriftlichen Erklärungen hervorgehoben hat, liefe es in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens sowohl dem Geist der Richtlinie 91/439 als auch dem Wortlaut ihres Art. 7 Abs. 5 zuwider, wonach eine Person nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein kann, wenn die Gültigkeit des Herrn Weber von den tschechischen Behörden ausgestellten Führerscheins anerkannt würde, obwohl Herr Weber zum Zeitpunkt der Erteilung dieses Führerscheins noch immer Inhaber eines deutschen Führerscheins war.

Folglich ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer Fahrberechtigung abzulehnen, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, auf dessen Inhaber im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, wenn auch erst nach der Erteilung des fraglichen Führerscheins, angewendet wurde, sofern dieser Führerschein während der Dauer der Gültigkeit einer Maßnahme der Aussetzung der im erstgenannten Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis ausgestellt wurde und sowohl diese Maßnahme als auch der Entzug aus zum Zeitpunkt der Ausstellung des zweiten Führerscheins bereits vorliegenden Gründen gerechtfertigt sind.

Kosten

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer Fahrberechtigung abzulehnen, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, auf dessen Inhaber im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, wenn auch erst nach der Erteilung des fraglichen Führerscheins, angewendet wurde, sofern dieser Führerschein während der Dauer der Gültigkeit einer Maßnahme der Aussetzung der im erstgenannten Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis ausgestellt wurde und sowohl diese Maßnahme als auch der Entzug aus zum Zeitpunkt der Ausstellung des zweiten Führerscheins bereits vorliegenden Gründen gerechtfertigt sind.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

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