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11.01.2008 · IWW-Abrufnummer 080099

Oberlandesgericht Thüringen: Beschluss vom 14.05.2007 – 1 Ws 122/07

Dem Beistand im Auslieferungsverfahren steht für die Teilnahme an der Vernehmung des Verfolgten nach § 28 IRG eine Terminsgebühr nach Nr. 6101 VVRVG zu (entgegen OLG Hamm StraFO 2006, 259; OLG Köln NJW-RR 2007, 71; OLG Dresden Beschluss vom 06.02.2007, OLG 33 Ausl 84/06 bei juris).



Der Wortlaut der gesetzlichen Regelung und die Bedeutung der Tätigkeit des Beistandes im Auslieferungsverfahren sprechen dafür, dass über Verhandlungen nach § 31 IRG hinaus auch gerichtliche Termine nach § 28 IRG die Termingebühr nach Nr. 6101 VVRVG entstehen lassen.


1 Ws 122/07
Ausl. 7/06

THÜRINGER OBERLANDESGERICHT

Beschluss

In dem Auslieferungsverfahren XXX

w e g e n Mordes u.a.

hier: Kostenfestsetzung

hat auf die sofortige Beschwerde des Verfolgten gegen den Kostenfestsetzungbeschluss der Rechtspflegerin des Thüringer Oberlandesgerichts vom 27.02.2007

der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch XXX

am 14.05.2007

b e s c h l o s s e n:

1. Auf die sofortige Beschwerde wird der Kostenfestsetzungsbeschluss
des Thüringer Oberlandesgerichts vom 27.03.2007 dahin abgeändert, dass die dem Verfolgten aus der Landeskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen auf 4.584,22 € festgesetzt werden.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verfolgten fallen der Staatskasse zur Last.

3. Der Beschwerdewert beträgt 1.821,30 €.

G r ü n d e:

I.

Gegen den ehemaligen Verfolgen war beim erkennenden Senat ein Auslieferungsverfahren wegen der Auslieferung zur Strafvollstreckung an die Republik Moldawien anhängig. Der Senat hatte mit Beschluss vom 09.10.2006 die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet, mit Beschluss vom 01.11.2006 Einwendungen des Verfolgten gegen den Auslieferungshaftbefehl zurückgewiesen und sodann mit Beschluss vom 13.11.2006 die förmliche Auslieferungshaft angeordnet. Mit Beschluss vom 25.01.2007 erklärte der Senat die Auslie-ferung des Verfolgten an die Republik Moldawien für unzulässig. Die dem Verfolgten entstandenen notwendigen Auslagen wurden der Staatskasse auferlegt.

Rechtsanwältin P. wurde vom Verfolgten am 17.10.2006 mit der Vertretung im Auslieferungsverfahren beauftragt. Sie nahm mit dem Verfolgten an 4 gerichtlichen Terminen bei dem Amtsgericht Suhl am 29.11., 13. und 20.12.2006 sowie am 09.01.2007, in welchem der Verfolgte nach § 28 IRG vernommen wurde, teil.

Mit Schriftsatz vom 06.02.2007 beantragte Rechtsanwältin P. die Festsetzung der entstandenen Gebühren und Auslagen:

Verfahrensgebühr nach Nr. 6100 VVRVG 330,00 €
4 Terminsgebühren nach Nr. 6101 VVRVG 1.780,00 €
Fotokopien (1940 Blatt) nach Nr. 7000 VVRVG 308,50 €
Tagegeld nach Nr. 7055 VVRVG 540,00 €
Zwischensumme 2.958,50 €
19 % Mehrwertsteuer 562,12 €
Zwischensumme 3.520,62 €
Akteneinsichtspauschale 36,00 €
Postversand nach Nr. 7002 VVRVG 26,70 €
Fahrtkosten nach Nr. 7004 VVRVG 1.007,60 €
Summe 4.590,92 €

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27.02.2007 setzte die Rechtspflegerin beim Thüringer Oberlandesgericht die dem Verfolgten an die Rechtsanwältin P. zu erstattenden (Gebühren) und notwendigen Auslagen auf 2.762,92 € fest. In diesem Betrag enthalten ist eine Verfahrensgebühr nach Nr. 6100 VVRVG in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühr (580,00 €). Abweichend vom Antrag wurden die Auslagen für den Postversand nach Nr. 7002 VVRVG auf 20,00 € festgesetzt, während die Kosten für Fotokopien – ersichtlich ver-sehentlich – um 0,50 € gekürzt wurden. Die Festsetzung der Terminsgebühren von je 445,00 €, gesamt 1.780,00 €, wurde abgelehnt.

Gegen diesen Beschluss, welcher der Rechtsanwältin am 05.03.2007 zugestellt worden ist, richtet sich die sofortige Beschwerde vom 06.03.2007. Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.

II.

Die nach §§ 464b Satz 3 StPO, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG statthafte sofortige Beschwerde des Verurteilten ist begründet.

Über die sofortige Beschwerde entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern. Eine Entscheidungsbefugnis des Einzelrichters ist nicht gegeben. Diese ergibt sich insbesondere nicht aus §§ 464b Satz 3 StPO, 568 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Gemäß § 464b Satz 3 StPO sind auf das Verfahren und auf die Vollstreckung der Entscheidung in Kostenfestsetzungssachen die Vorschriften der ZPO entsprechend anzuwenden. Dies gilt aber nur insoweit, als die Vorschriften der ZPO strafprozessualen Prinzipien nicht widersprechen (BGHSt 48, 106, 107). Anschließend an diese Überlegung und die richtungsweisende Funktion der Entscheidungen des BGH wendet der Senat im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtssprechung § 568 Abs. 1 Satz 1 ZPO im strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren nicht an (strafprozessuale Lösung; wie hier: OLG Koblenz OLGSt StPO § 464b Nr. 4; OLG Düsseldorf OLGSt StPO § 464b Nr. 5; Rpfleger 2004, 120 m. w. N.; Beschluss des Senats 1 Ws 136/07 vom 20.04.2007).

Das Rechtsmittel der Antragstellerin wendet sich ausschließlich gegen die Nichtgewährung der Terminsgebühren nach Nr. 6101 VVRVG. Soweit die Auslagen für Postversand gekürzt worden sind, wird die Entscheidung der Rechtspflegerin nicht angegriffen.

Das Rechtsmittel hat Erfolg, denn der Antragstellerin steht für ihre Teilnahme an den Terminen nach § 28 IRG jeweils eine Gebühr nach Nr. 6101 VVRVG zu.

Die Frage, wann eine Terminsgebühr nach Nr. 6101 VVRVG entsteht, ist umstritten. Nach der bisher veröffentlichten Rechtsprechung der Oberlandesgerichte besteht hinsichtlich der hier maßgeblichen Vernehmung nach § 28 IRG ein Gebührenanspruch des Beistandes nicht (OLG Hamm StraFo 2006, 259; OLG Köln NJW-RR 2007, 71; OLG Dresden, Beschluss vom 06.02.2007, OLG 33 Ausl 84/06 bei juris). Diese Entscheidungen gehen im Wesentlichen davon aus, dass es sich bei der Vernehmung im Rahmen eines Auslieferungsverfahrens durch den Richter beim Amtsgericht nach § 28 IRG nicht um eine Verhandlung im gebührenrechtlichen Sinne handelt. Ähnlich argumentieren hinsichtlich § 20 IRG die Hanseatischen Oberlandesgerichte Hamburg (AGS 2006, 290, zitiert nach juris) und Bremen (Beschluss vom 28.06.2005, Ausl 8/2004 bei juris). Danach löse nur die mündliche Verhandlung nach § 31 IRG einen Gebührenanspruch nach Nr. 6101 VVRVG aus. In diesem Sinne argumentieren auch Madert in Gerold/Schmidt, RVG 17. Aufl., VV 6100, 6101, Rdnr. 7, H. Schneider in Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl., VV Teil 6, Rdnr. 11, Hartmann in Kostengesetze, 36. Aufl., Nr. 6100, 6101 VVRVG, Rdnr. 7, Braunert/Föller in RMOLK RVG, VVRVG Nr. 6101 Anmerkung 1). Ein andere Auf-fassung, nämlich, dass die Terminsgebühr auch bei anderen gerichtlichen Terminen im Auslieferungsverfahren entstehe, vertreten N. Schneider in Gebauer/Schneider, RVG, 3. Aufl., VV 6101 Rdnr. 19 ff sowie Volpert in Burhoff, RVG Straf und Bußgeldsachen, Nr. 6101 VV Rdnr. 2 und 3.

Der Senat schließt sich – jedenfalls für den hier zu entscheidenden Fall des
§ 28 IRG – der letztgenannten Auffassung an.

Dafür spricht zunächst der Wortlaut des Gesetzes. Nach VVRVG Vorbemerkung 6 Abs. 3 entsteht die Terminsgebühr „für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen, soweit nichts anderes bestimmt ist.“ Gerichtliche Termine nach dem IRG sind jedoch nicht nur die mündlichen Verhandlungen nach § 31 IRG i.V.m. § 30 Abs. 3 IRG bzw. hinsichtlich des IStGH-Gesetzes nach § 20 Abs. 3 S. 2 2. Halbsatz i.V.m. § 21 IStGHG. Nach dem IRG sind gerichtliche Termine u.a. in folgenden Vorschriften vorgesehen: §§ 11 Abs. 1 und 2, 22 Abs. 2, 28 Abs. 2, 30 Abs. 2 und 3 IRG.

Entgegen der Argumentation der Oberlandesgerichte Hamm, Dresden und Köln spricht die Formulierung des Gesetzes im Gebührentatbestand der Nr. 6101 VVRVG „Terminsgebühr je Verhandlungstag“ nicht zwingend für die Auffassung, hiermit könne nur eine Verhandlung nach § 31 IRG gemeint sein. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber die mit der Vorbemerkung Abs. 3 getroffene Regelung, wonach die Gebühr für die Teilnahme an (jeglichen) gerichtlichen Terminen entsteht, durch den Zusatz unter Nr. 6101 VV RVG wieder einschränken wollte. Der Sinn des Zusatzes „je Verhandlungs-tag“ erschöpft sich vielmehr in der Klarstellung, dass die Gebühren nicht nur einmal, sondern für die Teilnahme an jedem Termin erneut entstehen. Ferner ist darauf zu verweisen, dass das Gesetz auch in anderem Zusammenhang den Begriff „Verhandlungstag“ bzw. „Hauptverhandlungstag“ verwendet, ohne damit ausschließlich „Verhandlungen“ zu meinen, sondern Anhörungen oder Vernehmungen mit einschließt. So entsteht im Wiederaufnahmeverfahren eine „Terminsgebühr für jeden Verhandlungstag“ nach Nr. 4140 VVRVG gerade auch für bloße Termine zur Beweisaufnahme, welche durch einen beauftragten Richter erfolgen können. Eine „Terminsgebühr je Hauptverhandlungstag“ entsteht auch im Rehabilitierungsverfahren, in dem eine Hauptverhandlung i.S.d. Gesetzes gar nicht stattfindet.

Hätte der Gesetzgeber nur Verhandlungen i.S.v. § 31 IRG, 21 IStGHG erfassen wollen, hätte es nahegelegen, dies ausdrücklich bzw. in einer speziellen Vorbemerkung 6.1 zu regeln; dies ist aber nicht geschehen.
Entgegen dem Oberlandesgericht Köln (a.a.O.) bringen auch die Gesetzesmaterialien einen solchen gesetzgeberischen Willen nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck.

Die Höhe der Terminsgebühr von 110,00 bis 780,00 € für den Wahlverteidiger und 356,00 € für den bestellten Verteidiger könnte zwar darauf hindeuten, dass hierbei nur Termine vor dem Oberlandesgericht gemeint sind, da diese Gebührenhöhe der Gebühr der Nr. 4120 VVRVG entspricht. Allerdings erfasst Nr. 4120 i.V.m. Nr. 4118 VVRVG nicht nur Verhandlungen vor dem Oberlandesgericht sondern auch vor dem Landgericht. Außerdem lassen die Gebührenregelungen für das Strafverfahren erkennen, dass maßgeblich für die Gebührenhöhe nicht das Gericht, sondern inhaltliche Gesichtspunkte sind. So ist die Terminsgebühr im Revisionsverfahren (auch vor dem Bundesgerichtshof) nur geringfügig höher als eine Terminsgebühr vor dem Landgericht nach Nr. 4115 VVRVG.

Die Bedeutung der o.g. Termine nach dem IRG ist erheblich. In einem Termin nach § 28 IRG wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Zulässigkeit der Auslieferung, die in den meisten Fällen ohne mündliche Verhandlung i.S.v. § 31 IRG ergeht, wesentlich vorbereitet. Der Verfolgte gibt bei der Vernehmung nach § 28 IRG wichtige Erklärungen (§ 41 IRG) ab. Er kann sich zu der Tat, die Gegenstand des Auslieferungsverfahrens ist, äußern. Wegen der weitreichenden Wirkungen der Erklärungen des Verfolgten ist dabei gerade die Mitwirkung eines Beistandes wünschenswert.

Nach Auffassung des Senats sprechen der Wortlaut der Regelung und die Bedeutung der Tätigkeit des Beistandes im Auslieferungsverfahren dafür, dass über Verhandlungen nach § 31 IRG hinaus auch weitere gerichtliche Termine, hier solche im Sinne des § 28 IRG, die Terminsgebühr nach Nr. 6101 VVRVG entstehen lassen.

Vorliegend kommt hinzu, dass im Auslieferungsverfahren auch Auslieferungshindernisse nach § 73 IRG zu prüfen waren, was zu einer außerordentlich umfangreichen Vernehmung des Verfolgten über ca. 25 Stunden geführt hat.

Rechtsanwältin P. hat damit zu Recht Terminsgebühren nach Nr. 6101 VVRVG geltend gemacht. Die in Höhe der Mittelgebühr mit Schriftsatz vom 06.02.2007 beantragten Gebühren (die keinesfalls unbillig sind und sich vielmehr am unteren Rand des nach § 14 RVG möglichen Gebührenrahmens bewegen) waren antragsgemäß festzusetzen. Ebenfalls antragsgemäß festzusetzen sind die Auslagen für 1.940 Blatt Fotokopien in Höhe von 308,50 €, Tagegeld in Höhe von 540,00 €, die Akteneinsichtspauschale in Höhe von 36,00 € sowie Fahrtkosten in Höhe von 1.007,60 €. Nach Nr. 7002 VVRVG waren die Kosten für Postversand entsprechend der Kostenfestsetzung vom 27.02.2007 auf 20,00 € festzusetzen.

Dem Verfolgten steht somit der Ersatz folgender Gebühren und Auslagen zu:

Verfahrensgebühr nach Nr. 6100 VVRVG 330,00 €
Terminsgebühren nach Nr. 6101 VVRVG 1.780,00 €
Fotokopien (1940 Blatt) nach Nr. 7000 VVRVG 308,50 €
Tagegeld nach Nr. 7005 VVRVG 540,00 €
Zwischensumme 2.958,50 €
19 % Mehrwertsteuer 562,12 €
Zwischensumme 3.520,62 €
Akteneinsichtspauschale 36,00 €
Postversand nach Nr. 7002 VVRVG 20,00 €
Fahrtkosten nach Nr. 7004 VVRVG 1.007,60 €
Summe 4.584,22 €

Die Kostenentscheidung erfolgt in entsprechender Anwendung von § 467 StPO.

RechtsgebieteRVG, IRGVorschriftenRVG Nr. 6101 VV; IRG § 28

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