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18.12.2013 · IWW-Abrufnummer 134020

Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 09.10.2013 – 5 U 746/13

1. Dass nur ein Elternteil durch Aushändigung einer Informationsbroschüre über Impfrisiken aufgeklärt wurde und anschließend der Routineimpfung eines Kleinkindes zugestimmt hat, obwohl die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam oblag (§§ 1626 ff. BGB), begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, wenn der mit dem Kind zur Impfung erscheinende Elternteil nach den Erkenntnismöglichkeiten des Arztes als ermächtigt angesehen werden durfte, die Einwilligung in die ärztliche Behandlung für den abwesenden Elternteil mit zu erteilen.

2. Hat ein Arzt die aktuellen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut bei der Impfung eines Kleinkindes ebenso umfassend beachtet wie die Anwendungshinweise des Impfstoffherstellers, kann es am Verschulden des Arztes fehlen, wenn es gleichwohl zu einem Impfschaden kommt.

3. Zur Frage der Ursächlichkeit einer Impfung mit Hexavac® für ein BNS-Krampfleiden (West-Syndrom) und Bronchitiden.


Oberlandesgericht Koblenz

Beschl. v. 09.10.2013

Az.: 5 U 746/13

In dem Rechtsstreit

...

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaltenbach, den Richter am Oberlandesgericht Weller und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Menzel am 09.10.2013

beschlossen:
Tenor:

1.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 08.05.2013 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2.

Dieses Urteil und der hiesige Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht von der Gegenseite Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages gestellt wird.

Gründe

Die Entscheidung ergeht gemäß §§ 522 Abs. 2, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Ihre sachlichen Grundlagen ergeben sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils, dem Senatsbeschluss vom 22.08.2013 und ergänzend aus dem Inhalt der Gerichtsakten im Übrigen. In dem vorgenannten Beschluss sind die maßgeblichen rechtlichen Erwägungen wie folgt niedergelegt worden.

"1. Der Kläger, der am 23.12.2003 geboren ist, wurde am 1.4., 2.6. und 7.7.2004 in der kinderärztlichen Praxis des Beklagten unter Verwendung des Mittels Hexavac® gegen zahlreiche Krankheiten geimpft. Sein knapp 2 1/2 Jahre älterer Bruder war im Jahr 2001 in gleicher Weise geimpft worden. Seinerzeit war den Eltern eine Aufklärungsbroschüre überreicht worden, die über Impfrisiken informierte. Den Erhalt einer entsprechenden Broschüre quittierte die Mutter des Klägers auch im Zusammenhang mit dessen Impfung.

Während der Impfphase wurde der Kläger dem Beklagten am 10.5.2004 mit Husten vorgestellt. Dieser diagnostizierte eine obstruktive Bronchitis und applizierte Inhalationen. Als sich zusätzlich Fieber einstellte, ergänzte er die Therapie am 19.5.2004 durch eine Antibiose. Bei der nachfolgenden Impfung vom 2.6.2004 gab es keine signifikanten Infektzeichen mehr; die Atmung war frei und der auskultatorische Lungenbefund unauffällig.

Am 14.6.2004 diagnostizierte der Beklagte ein mögliches BNS-Krampfleiden (West-Syndrom) und wies den Kläger in ein Krankenhaus ein, wo dieser bis zum 2.7.2004 verblieb.

Als am 7.7.2004 die Drittimpfung vorgenommen wurde, hatte sich die Verdachtsdiagnose bestätigt. Beim Kläger sind seither teils generalisierte, teils auf den Kopf oder die Arme beschränkte Muskelzuckungen manifest geworden. Damit geht eine Entwicklungsretardierung einher. Des Weiteren sind rezidivierende Bronchitiden aufgetreten.

Der Kläger hat die Erscheinungen auf die streitigen Impfungen zurückgeführt. Über derartige Risiken sei nicht aufgeklärt worden; anderenfalls hätten seine Eltern abgelehnt, ihn impfen zu lassen. Darüber hinaus hat er vorgebracht, dass die nach der Erstimpfung entstandene Befundlage eine Kontraindikation für die Zweit- und Drittimpfung begründet habe. Im Hinblick darauf hat er die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines mit mindestens 100.000 € zu beziffernden Schmerzensgeldes und zum Ausgleich vorgerichtlicher Anwaltskosten von 2.118,44 € sowie die Feststellung dessen weitergehender Haftung beantragt.

Das Landgericht hat die Eltern des Klägers und den Beklagten zur erteilten Risikoaufklärung angehört und Sachverständigenbeweis insbesondere zur Schadenskausalität der Impfungen erhoben. Sodann hat es die Klage abgewiesen: Die streitigen Impfungen seien von der Einwilligung der Eltern gedeckt und nicht behandlungsfehlerhaft gewesen. Unabhängig davon sei nicht zu ersehen, dass sie den Kläger geschädigt hätten.

Dagegen wendet sich der Kläger in Erneuerung seines erstinstanzlichen Verlangens mit der Berufung. Er hält daran fest, dass der Beklagte pflichtwidrig verfahren sei und ihn so geschädigt habe. Außerdem habe es an einer hinreichenden Aufklärung seiner Eltern gefehlt; von deren hypothetischer Einwilligung in die Impfungen könne nicht ausgegangen werden.

2. Damit vermag der Kläger nicht durchzudringen. Die Klage ist zu Recht abgewiesen worden. Im Hinblick auf die vorgetragenen Angriffe ist auszuführen:

a) Die Rechtsmittelbegründungsschrift konzentriert den Vorwurf eines fehlerhaften ärztlichen Vorgehens auf die zweite, am 2.6.2004 durchgeführte Impfung. Sie sei kontraindiziert gewesen, weil der Mitte Mai 2004 aufgetretene fiebrige und bronchiale Infekt seinerzeit weiterhin behandlungsbedürftig gewesen sei. Dazu wird der Hinweis des Herstellers von Hexavac® zitiert, dass die Impfung bei Fieber oder einer akuten Erkrankung verschoben werden solle.

Daraus ergab sich indessen für den vorliegenden Fall kein Impfverbot. Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat das näher erläutert und präzisierend mitgeteilt (Anhörung vom 10.4.2013, Protokoll S. 2 f. = Bl. 217 f. GA, zuvor schon Gutachten vom 22.8.2012, S. 20 f. = Bl. 184 f. GA), dass die Befundlage, die sich Mitte Mai 2004 gezeigt habe, eine Impfung nicht langfristig ausgeschlossen, sondern, da sie damals behandelt worden und rückläufig gewesen sei, nach Ablauf von 14 Tagen gestattet habe. Das gelte auch dann, wenn die Gabe von Antibiotika und die Inhalationstherapie, der der Kläger unterzogen wurde, noch angehalten habe. Es komme hinzu, dass der klinische Zustand des Klägers ausweislich der Dokumentation des Beklagten am 2.6.2004 unauffällig gewesen sei.

Würde man dem Beklagten trotz dieser klaren gutachterlichen Aussage einen Behandlungsfehler anlasten, schiede gleichwohl ein haftungsbegründender Schuldvorwurf aus. Denn der Beklagte verfuhr im Einklang mit den sachverständigen Erkenntnissen, die von dem Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut getragen werden.

b) Unabhängig davon ist nicht zu erkennen, dass die streitigen Impfungen schadensursächlich waren. Der insoweit erforderliche Kausalitätsnachweis ist nicht erbracht. Prof. Dr. S. hat weder das BNS-Krampfleiden (West-Syndrom) noch die Bronchitiden als Impfreaktion einstufen können.

Allerdings wird nach der Anwendung von Hexavac® in Einzelfällen von mit schrillen Schreien einhergehenden Fieberkrämpfen berichtet. Darum handelte es sich bei den epileptischen Zuckungen des Klägers aber nicht; außerdem stellten sie sich auch nicht innerhalb des für Impfreaktionen auf Hexavac® typischen Zeitfensters von 1 bis 3 Tagen (Anhörung Prof. Dr. S. vom 10.4.2013, Protokoll S. 3 = Bl. 218 GA), sondern weit danach ein. Vor diesem Hintergrund wurde der vom Kläger reklamierte Ursachenzusammenhang nicht nur von Prof. Dr. S., sondern auch von den im Sozialrechtsstreit zwischen dem Kläger und dem Land Rheinland-Pfalz konsultierten Gutachtern Prof. Dr. R., Dr. B. und Dr. M. für unwahrscheinlich erachtet.

Eine Verbindung der Impfungen mit der Bronchialerkrankung des Klägers hat Prof. Dr. S. als gleichermaßen wenig plausibel dargestellt (Gutachten vom 22.8.2012, S. 16 f. = Bl. 180 f. GA). So ist hier von Seiten des Klägers auch nichts Substantielles vorgetragen worden. Der Kläger hat aus seinen Atemwegsbeschwerden eine Kontraindikation für die Impfung hergeleitet, sie aber nicht als Impffolge beschrieben.

c) Da nicht festgestellt werden kann, dass die Impfungen schadensträchtig waren, kommt der Frage, ob die Eltern des Klägers eine rechtsgültige Einwilligung dazu erteilt hatten, keine maßgebliche Bedeutung mehr zu. Gleichwohl sei angemerkt:

Eine wirksame Einwilligung setzte eine Aufklärung über die Gefahr eines BNS-Krampfleidens (West-Syndroms) nicht voraus, weil darin nach dem allgemeinen Erkenntnisstand kein spezifisches Impfrisiko (vgl. dazu BGH, VersR 1996, 330 [BGH 21.11.1995 - VI ZR 341/94]) lag (Gutachten Prof. Dr. S. vom 22.8.2012, S. 25 = Bl. 189 GA). Nicht anders verhält es sich im Hinblick auf die Bronchitis. Wollte man das abweichend beurteilen, wäre ein Aufklärungsmangel in diesem Zusammenhang ohne haftungsrechtliche Folgen, weil nicht zu ersehen ist, dass sich das Risiko im vorliegenden Fall verwirklicht hat (BGH, VersR 2001, 592 [BGH 30.01.2001 - VI ZR 353/99]).

Wesentlich ist danach nur, dass den Eltern eine Grundaufklärung über die möglichen nachteiligen Folgen der Imfpung zuteil wurde (BGH, NJW 1991, 2346 [BGH 12.03.1991 - VI ZR 232/90]). Das ist durch die Aushändigung der Broschüre "Kinderimpfungen und was die Eltern darüber wissen sollten" geschehen, deren Erhalt den Feststellungen des Landgerichts zufolge vor der Imfpung nicht nur des älteren Bruders, sondern auch der des Klägers selbst quittiert worden ist. Insoweit reichte bereits die Inempfangnahme durch nur einen Elternteil und dessen Möglichkeit aus, begleitend Fragen zu stellen (BGH, VersR 2000, 725 [BGH 15.02.2000 - VI ZR 48/99]). Dass diese Möglichkeit gegeben war, ist in den jeweils erteilten Empfangsquittungen bestätigt und auch von der Mutter des Klägers bei deren Anhörung (Protokoll vom 25.1.2012, S. 2 = 72 GA) bekundet worden."

Dagegen hat der Kläger nichts erinnert.

Der Rechtsmittelstreitwert wird im Einklang mit dem Senatsbeschluss 5 W 468/13 vom 28.08. 2013 auf 340.000 € festgesetzt.

RechtsgebietBGBVorschriften§ 249 BGB; § 253 BGB; § 276 BGB; § 280 BGB; § 611 BGB; § 823 BGB; § 1626 ff. BGB

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