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01.12.2010 · IWW-Abrufnummer 103897

Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 04.10.2010 – 1 Verg 9/10

1. Der Auftraggeber ist grundsätzlich berechtigt, zum Nachweis der Eignungskomponente "Erfahrung" Angaben über die Ausführung von mit der jetzt zu vergebenden Leistung vergleichbaren Tätigkeiten zu verlangen.



2. Gemeint sind damit unternehmensbezogene Referenzen, d.h. es kommt darauf an, ob die natürliche oder juristische Person, die sich um den Auftrag bewirbt, selbst bereits vergleichbare Leistungen erbracht hat.



3. Referenzen für "verwandte" oder Vorgängerunternehmen könnten allenfalls dann Berücksichtigung finden, wenn eine weitgehende Personenidentität besteht und dies bereits mit dem Teilnahmeantrag dargelegt wird.



4. Ein Bewerber, der nicht die geforderte Anzahl von Referenzobjekten belegt, scheitert bereits an der Hürde der formalen Eignungsprüfung, weil der Auftraggeber dessen Eignung auf der Grundlage der bekanntgemachten und daher verbindlichen Spielregeln für den Teilnahmewettbewerb nicht prüfen und schon gar nicht vergaberechtskonform bejahen kann.


1 Verg 9/10

Tenor:
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 3. September 2010 wird zurückgewiesen.

Gründe
I. Die Beschwerdegegnerin will den Hochwasserschutz für die Stadtteile ...[B], ...[C] und [D] verbessern. Das in 6 Lose aufgeteilte Bauvorhaben hat einen geschätzten Gesamtauftragswert von mehr als 30 Mio. €.

Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist das Los 6, welches die Herstellung, Lieferung und Montage eines mobilen Hochwasserschutzsystems beinhaltet. Dieses soll bei Bedarf auf einer aus Stahlbeton bestehenden stationären Hochwasserschutzanlage errichtet werden. Der geschätzte Wert dieser Teilleistung beträgt 1,3 Mio. €. Der Auftrag soll im beschleunigten nichtoffenen Verfahren vergeben werden. In der Bekanntmachung vom 26. Mai 2010 war als Ende der Bewerbungsfrist zunächst der 8. Juni 2010, 10:00 Uhr, angegeben. Die Fristende wurde später mit einer Berichtigungsbekanntmachung, die ebenfalls im Supplement zum Amtsblatt der EU veröffentlich wurde, auf den 15. Juni 2010, 10:00 Uhr, festgelegt.

Die Beteiligten streiten u.a. darüber, ob die Beschwerdeführerin nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs zu (Un-)Recht wegen fehlender Eignungsnachweise (Referenzen) nicht zur nächsten Phase des Verfahrens zugelassen wurde.

Hintergrund ist folgende Passage aus der Bekanntmachung:

III.2.3)Technische Leistungsfähigkeit

Möglicherweise geforderte Mindeststandards

Unterlagen, die mit dem Teilnahmeantrag vorzulegen sind:

a) Referenzen

Zum Nachweis der Erfahrung bei der baulichen Realisierung vergleichbarer mobiler Hochwasserschutzwände sind vom Bieter mindestens drei von ihm mit Erfolg umgesetzte Referenzprojekte, die nicht älter als 10 Jahre sind, zu dokumentieren.

Folgende Kriterien (Mindestanforderungen) werden zum Nachweis der Vergleichbarkeit definiert:

1. Durchgehende Länge der mobilen HWS-Wand mind. 100 m und eine Stauhöhe von mind. 2,00 m ohne Rückabstützung.

2. Mobile Hochwasserschutzwand, Stauhöhen 1,0 bis 1,6 m ohne Rückabstützung, Gesamtfläche mind. 500 m2.

3. Mobile Hochwasserschutzwand auf stationärer Stahlbetonwand, Länge mind. 100 m, Stauhöhen mind. 1,0 m bis 1,6 m ohne Rückabstützung, mind. drei Stauhöhenübergänge.

4. Verschluss von Durchgängen/-fahrten, mind. dreifeldrig mit einer lichten Öffnungsweite > 7,0 m, Stauhöhe > 2,5 m. Alternativ mind. zweifeldrig mit einer lichten Öffnungsweite von > 4 m, Stauhöhe > 3,3 m.

Bewertung der Referenzprojekte:

Mit jedem Referenzprojekt muss mind. eine der vier vorgenannten Mindestanforderungen nachgewiesen werden. Mit der Gesamtheit aller vom Bieter angegebenen Referenzprojekte müssen alle der vier vorgenannten Mindestanforderungen abgedeckt sein.

Neben den Angaben zum Nachweis der vorgenannten Mindestanforderungen ...

Ihrem am 14. Juni 2010 bei der Vergabestelle der Stadt ... eingegangenen Teilnahmeantrag hatte die Beschwerdeführerin Unterlagen zu 4 Referenzobjekten beigefügt, ohne darauf hinzuweisen, dass zwei Objekte nicht von ihr, sondern von einem seit 2008 in Insolvenz befindlichen Vorgänger- oder Schwesterunternehmen ausgeführt worden waren. Außerdem waren die Angaben zu einem dieser "Fremdobjekte" objektiv falsch; der tatsächliche Leistungsumfang entsprach keiner der bekanntgemachten Mindestanforderungen.

Mit Schreiben vom 22. Juni 2010 teilte die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin mit, dass sie von dem Verfahren ausgeschlossen werde, da der Bewerbung nicht die geforderten Erklärungen und Nachweise beigefügt gewesen seien. Die Referenzen seien unzureichend. Außerdem bestünden begründete Zweifel an der Eignung in Bezug auf die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit;

Nach erfolgloser Rüge stellte die Beschwerdeführerin einen Nachprüfungsantrag, der von der Vergabekammer mit Beschluss vom 3. September 2010, zugestellt am 7. September 2010, zurückgewiesen wurde.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der mit einem Eilantrag nach § 118 Abs.1 Satz 3 GWB verbundenen sofortigen Beschwerde.

II. Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ist zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel der Antragstellerin nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand bestenfalls sehr geringe Aussichten auf Erfolg hat und zudem ein öffentliches Interesse an einem zügigen Fortgang der Arbeiten an dem Gesamtobjekt besteht (§ 118 Abs. 2 GWB).

1. Es kann dahinstehen, ob die Forderung nach einem Eignungsnachweis für das Verschweißen von Aluminiumteilen überhaupt ein (zu rügender) Vergaberechtsverstoß ist oder ob die Beschwerdeführerin schon deshalb zu Recht nicht zum weiteren Wettbewerb zugelassen wurde, weil sie diesen Nachweis nicht geführt hatte. Es kann auch dahin stehen, ob - wofür viel spricht - im Falle einer Änderung der Bewerbungsfrist im Wege der Berichtigungsbekanntmachung die zuletzt publik gemachte Frist für die Anwendung des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB maßgeblich ist.

2. Die Beschwerdeführerin wurde zu Recht nicht zum weiteren Wettbewerb zugelassen, weil sie nicht die geforderte Zahl von Referenzobjekten darlegen konnte.

a) Sinn und Zweck des Teilnahmewettbewerbs ist die vorgezogene auftragabhängige Eignungsprüfung. Es liegt schon in der Natur der Sache, dass grundsätzlich alle Unterlagen, die der Auftraggeber zwecks Durchführung der Eignungsprüfung anfordert, mit dem Teilnahmeantrag vorgelegt werden müssen. Dementsprechend bestimmt der gemäß § 23 VgV hier noch anzuwendende § 8a Nr. 3 Satz 3 VOB/A 2006, dass die Eignung "anhand der mit dem Teilnahmeantrag vorgelegten Nachweise zu prüfen" ist. Gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 4 Satz 2 VOB/A 2006 "ist zu verlangen, dass die Nachweise bereits mit dem Teilnahmeantrag vorgelegt werden". Dies hat die Beschwerdegegnerin in der Bekanntmachung getan. Sie hat die Eignungsnachweise aufgeführt, "die mit dem Teilnahmeantrag vorzulegen sind." Die Eindeutigkeit dieser Aussage wird - auch vor dem Hintergrund der Vorgaben in der VOB/A - nicht durch den voran stehenden Text relativiert. Die in der ersten Zeile angesprochene Möglichkeit wurde im nachfolgenden Text realisiert. Kein vernünftiger Bewerber konnte auf den Gedanken kommen, die Forderung nach bestimmten Referenzen zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit sei unverbindlich und müsse nicht ernst genommen werden. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass dies nach Aktenlage auch kein einziger Bewerber vor Ablauf der Bewerbungsfrist so verstanden hatte.

b) Es ist nicht Aufgabe des Senats darüber zu befinden, ob die Forderung nach Referenzen und/oder Angaben zu bereits realisierten vergleichbaren Objekten im Einzelfall zweckmäßig ist. Aus dem Blickwinkel des Vergaberechts steht außer Zweifel, dass der Auftraggeber grundsätzlich berechtigt ist, von den Bewerbern zum Nachweis der Eignungskomponente "Erfahrung" Angaben über die Ausführung von mit der jetzt zu vergebenden Leistung vergleichbaren Tätigkeiten zu verlangen (siehe auch § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 lit. b VOB/A 2006). Gemeint sind damit unternehmensbezogene Referenzen, d.h. es kommt darauf an, ob die natürliche oder juristische Person, die sich um den Auftrag bewirbt, selbst bereits vergleichbare Leistungen erbracht hat. Von der Möglichkeit, alternativ auch personenbezogene Erfahrungsnachweise zu fordern oder zuzulassen (siehe dazu Summa in: jurisPK-VergR [online-Version], 2. Aufl. 2008, VT 1 zu § 20 SektVO) hat die Beschwerdegegnerin keinen Gebrauch gemacht. Sie hat sich vielmehr in der Bekanntmachung dahingehend festgelegt, dass mindestens drei unternehmensbezogene Referenzen dargelegt werden müssen. Davon darf sie nicht zugunsten eines Bewerbers abweichen.

c) Es ist unstreitig, dass die Beschwerdeführerin nur Angaben zu zwei von ihr selbst ausgeführten Referenzobjekten machte. Damit scheitert sie bereits an der Hürde der formalen Eignungsprüfung (siehe dazu auch OLG Düsseldorf v. 26.11.2008 - VII-Verg 54/08 - juris; OLG München v. 05.11.2009 - Verg 13/09 - juris Rn. 62 f.). Allein weil sie Nachweise nicht wie gefordert vorgelegt hat, ist sie rechtlich als ungeeignet anzusehen (VK Südbayern v. 21.04.2009 - Z3-3-3194-1-09-02/09 - juris Rn. 135). Die Beschwerdeführerin wollte - und das ist ihr Recht - die Eignung (auch) auf der Grundlage von mindestens drei unternehmensbezogenen Referenzen prüfen. Dies ist ihr bei der Beschwerdeführerin nicht möglich gewesen, folglich kann sie auf der Grundlage der bekanntgemachten und daher verbindlichen Spielregeln für den Teilnahmewettbewerb die Eignung der Beschwerdeführerin nicht vergaberechtskonform bejahen. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Beschwerdeführerin nicht zum Kreis der als geeignet befundenen Unternehmen gehören kann, die am weiteren Wettbewerb teilnehmen dürfen. Es wäre vielmehr vergaberechtswidrig, sie zur Angebotsabgabe aufzufordern.

Dass die Beschwerdeführerin aufgrund der persönlichen Erfahrungen der Geschäftsführung und/oder des Personals möglicherweise auf der zweiten Stufe der Eignungsprüfung als geeignet hätte angesehen werden können, ist unerheblich, weil sie das Stadium der sachlichen Eignungsprüfung wegen Unvollständigkeit ihres Teilnahmeantrags erst gar nicht erreichen kann.

d) Ob Referenzen für "verwandte" oder Vorgängerunternehmen ausnahmsweise dann Berücksichtigung finden können, wenn eine weitgehende Identität zwischen den Personen, die für die Referenzaufträge zuständig waren und den Mitarbeitern des jetzt auftretenden Unternehmens besteht (bejahend OLG Frankfurt v. 09.07.2010 - 11 Verg 5/10 - juris R. 85), kann hier dahinstehen. Entsprechende Angaben wären bereits mit dem Teilnahmeantrag zu machen gewesen (OLG Frankfurt aaO.), was hier nicht geschehen ist. Die Beschwerdeführerin hatte noch nicht einmal angegeben, dass zwei der vier Referenzobjekte nicht von ihr, sondern von einer ...[X] s. a. ausgeführt worden waren. Erst die Überprüfung der Referenzen durch Mitarbeiter der Beschwerdegegnerin förderte dies zu Tage. Dass es auch Überschneidungen in personeller Hinsicht geben soll, wurde sogar erstmals im Nachprüfungsverfahren - und damit offensichtlich viel zu spät - vorgetragen.

e) Die Angaben zu den von der ...[X] s. a erbrachten Leistungen können auch keine Alternativen im Sinne der §§ 8 Nr. 3 Abs. 3, 8a Nr. 7 VOB/A 2006 sein, weil es nicht um die wirtschaftliche oder finanzielle Leistungsfähigkeit geht. Andere Elemente der Eignung fallen nicht unter den Anwendungsbereich dieser Normen (Art. 47 Abs. 5 VKR).

f) § 8a Nr. 10 VOB/A 2006 regelt den Fall, dass ein potentieller Auftragnehmer bei der künftigen Auftragsausführung auf fremde Ressourcen zurückgreifen will und ist hier, da die Antragstellerin den Auftrag im eigenen Betrieb ausführen will, nicht einschlägig.

g) Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass auch die Berücksichtigung der "Fremdreferenzen" wahrscheinlich nichts an der Unvollständigkeit ändern würde. Die Beschwerdegegnerin hatte 4 Mindestanforderungen aufgestellt und verlangt, dass jedes Referenzobjekt mindestens eine diese Anforderungen erfüllt. Außerdem sollen die Referenzen in ihrer Gesamtheit alle vier Mindestanforderungen abdecken.

Die Anforderung "durchgehende Länge der mobilen HWS-Wand mind. 100 m und eine Stauhöhe von mind. 2,00 m ohne Rückabstützung" (a.1.) kann von einem fachkundigen Bewerber nur so verstanden werden, dass es nicht genügt, wenn die Schutzwand irgendwo auch mal eine Höhe von 2 m erreicht, sondern dass sie durchgehend mindestens 2 m hoch sein muss und trotzdem keiner zusätzlichen Abstützung bedarf. Diese Anforderung wird von keinem Referenzobjekt erfüllt. Zwar hat die Beschwerdeführerin zu dem Objekt in ...[E] - und nur zu diesem Objekt - hinreichende Angaben gemacht. Diese waren nach dem bisher unstreitigen Vorbringen der Beschwerdegegnerin aber falsch. Erkundigungen sollen ergeben haben, dass Länge und Höhe tatsächlich deutlich hinter den Anforderungen zurückbleiben.

h) Da es mit der Beigeladenen mindestens ein Unternehmen gibt, das die Hürde der vorgezogenen Eignungsprüfung zu Recht genommen hat, kann die Beschwerde auch unter dem Gesichtspunkt "zweite Chance" keinen Erfolg haben.

3. Angesichts des derzeit nicht erkennbaren Erfolgs des Rechtsmittels gewinnt auch der Umstand Bedeutung, dass ein gewichtiges Interesse am zügigen Fortgang der Arbeiten besteht. Wie die Beschwerdegegnerin bereits in der Bekanntmachung mitgeteilt hatte, ist es unerlässlich, den Einbau der Verankerungselemente für das mobile Hochwasserschutzsystem, die zum Leistungsgegenstand des Loses 6 gehören, in die Bauarbeiten zu integrieren, die Gegenstand anderer Lose sind. Inzwischen sind die Arbeiten an der stationären Hochwasserschutzanlage soweit fortgeschritten, dass die Ankerplatten mit der Unterkonstruktion verschweißt bzw. dort einbetoniert werden können. Eine weitere Verzögerung der Auftragsvergabe im Los 6 hätte faktisch einen Baustopp mit nachteiligen finanziellen Auswirkungen zu Lasten der Stadt - und damit der Allgemeinheit - zur Folge.

RechtsgebietVOB/AVorschriften§ 8 Nr. 3 VOB/A § 25 Nr. 2 VOB/A

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