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05.08.2011 · IWW-Abrufnummer 112670

Hessisches Landessozialgericht: Urteil vom 27.05.2011 – L 4 KA 38/11 B ER

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


L 4 KA 38/11 B ER

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1) gegen den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 3. Mai 2011 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, das der Antragsgegner verpflichtet wird, unverzüglich die Beendigung der Berufsausübungsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und dem Beigeladenen zu 9) festzustellen.

Die Beigeladene zu 1) trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1) ist zulässig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind die Kassenärztlichen Vereinigungen in allen Zulassungsangelegenheiten berechtigt, Klage zu erheben, ohne dass eine konkrete, greifbare Beeinträchtigung ihrer Belange gerade durch die streitbefangene Entscheidung geltend gemacht werden müsste (vgl. BSG, Urteil vom 02.09.2009, B 6 KA 34/08 R, BSGE 104, 116; Urteil vom 17.06.2009, B 6 KA 14/08 R, juris).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner auf der Grundlage von § 86 b Abs. 2 SGG zu Recht verpflichtet, den Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte vom 19. April 2011 abzuändern und das Ende der Berufsausübungsgemeinschaft zwischen den Antragsteller und dem Beigeladenen zu 9) neu festzustellen. Denn der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 ZPO).

Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, dass der Beschluss des Zulassungsausschusses, das Ende der Berufsausübungsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und dem Beigeladenen zu 1) entgegen dem erklärten Willen des Antragstellers nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst zum Quartalsende am 30. Juni 2011 festzustellen, rechtswidrig ist. Das BSG hat in seinem Urteil vom 19. August 1992 (B 6 RKa 36/90) ausgeführt, dass das Merkmal der "gemeinsamen" Ausübung kassenärztlicher Tätigkeit notwendig voraussetzt, dass die beteiligten Ärzte eine gemeinschaftliche Praxisführung und Patientenbehandlung überhaupt (noch) wollen. Von einer Gemeinsamkeit kassenärztlicher Tätigkeit könne dann nicht mehr gesprochen werden, wenn sich ein bisher kooperationsbereiter Partner von der Übereinstimmung lossage und wieder zu dem Grundfall der individuellen Ausübung kassenärztlicher Tätigkeit zurückkehren wolle. Bei einer derartigen realen Entwicklung trete ein Zustand ein, der in seiner Auswirkung auf die besondere Art der gemeinsamen Ausübung kassenärztlicher Tätigkeit qualitativ mit den Ereignissen gleichzustellen sei, die nach § 368a Abs. 7 RVO (heute: § 95 Abs. 7 SGB V) im Grundfall der individuellen Ausübung kassenärztlicher Tätigkeit das Ende der Zulassung zur Folge hätten. Diese Gleichwertigkeit rechtfertige es, die an § 368a Abs. 7 RVO angeschlossene Verfahrensregelung des § 28 Abs. 1 Ärzte-ZV auch auf die Beendigung der Gemeinschaftspraxis im dargestellten Sinn anzuwenden und die schlichte Feststellung des Endes der Gemeinschaftspraxis als vorschriftsmäßigen Inhalt einer entsprechenden Beschlussfassung der Zulassungsinstanzen anzusehen. Hierfür bedürfe es keiner gemeinsamen Erklärung der bisherigen Partner, sondern es genüge die einseitige, dem Zulassungsausschuss als dem zuständigen Adressaten zugegangene Willenserklärung.

Diese Situation liegt hier vor. Der Antragsteller hat gegenüber dem Zulassungsausschuss die Beendigung der gemeinsamen Berufsausübung zwischen ihm und dem Beigeladenen zu 9) erklärt und die Feststellung der Beendigung zum 31. März 2011 begehrt. Auch der Beigeladene zu 9) geht von der Auflösung der Gemeinschaftspraxis aus.

Anders als die Beigeladene zu 1) meint steht dem Antragsgegner in einer solchen Situation keine Befugnis zu, das Ende der Berufsausübungsgemeinschaft, entgegen dem ausdrücklich erklärten Willen des Antragstellers nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst zum Quartalsende festzustellen. Ihr Einwand, das Bundessozialgericht habe in der zitierten Entscheidung die Praxis, dass der Zulassungsausschuss die Beendigung einer Gemeinschaftspraxis (erst) zum Quartalsschluss feststelle, gebilligt, trifft nicht zu. In dem dort entschiedenen Fall hatte die die Beendigung der Praxisgemeinschaft begehrende Vertragsärztin keinen ausdrücklichen Termin für die angestrebte Beendigung der Praxisgemeinschaft benannt. Für diesen Fall hat das Bundessozialgericht ausgeführt, die Datierung des Endes der gemeinsamen Ausübung kassenärztlicher Tätigkeit durch den Berufungsausschuss auf den Quartalsschluss sei nicht zu beanstanden, weil dies auf den üblichen Rhythmus der Abrechnung in kassenärztlichen Praxen abstelle und hierdurch die in zeitlicher Beziehung unbestimmte Anweisung des § 28 Abs. 1 Satz 3 Ärzte-ZV unter einem sachlich angebrachten, weil auf einen spezifischen Vorteil der Gemeinschaftspraxis (= Gemeinsamkeit der Abrechnung) abstellenden, Gesichtspunkt ausgeübt werde. Hieraus kann jedoch, wie das Sozialgericht zu Recht ausführt, nicht gefolgert werden, der Zulassungsausschuss sei auch gegen den Willen des die sofortige Auflösung begehrenden Arztes berechtigt, diesen bis zum Quartalsende an der gemeinschaftlichen Berufsausübung festzuhalten. Bei der Tätigkeit als Kassenarzt handelt es sich um eine besondere Ausübungsform des Berufes des frei praktizierenden Arztes (BVerfGE 11, 30, 43). Es gilt deshalb auch für den Kassenarzt, dass das Recht auf freie Berufsausübung nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden darf (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG), und zwar lediglich insoweit, als vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls dies rechtfertigen (BVerfGE 33, 125, 167). Das Recht auf freie Berufsausübung umfasst aber sowohl das Recht, mit anderen die berufliche Tätigkeit gemeinsam auszuüben, als auch die Entscheidung, diese Kooperation zu beenden und zur "Grundform" der vertragsärztlichen Tätigkeit in Einzelpraxis zurückzukehren. Das zeitliche Hinausschieben dieses Anspruchs auf freie Berufsausübung in Einzelpraxis durch ein Zulassungsgremium bedarf deshalb einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage, die der Senat nicht zu erkennen vermag. Die Vorschrift des § 33 Abs. 2 und 3 Ärzte-ZV über die örtliche Berufsausübungsgemeinschaft enthält keine derartige Regelung. Als Rechtsgrundlage kommt auch § 28 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV nicht in Betracht. Diese Vorschrift ordnet an, dass der Verzicht auf die Zulassung erst mit dem Ende des auf den Zugang der Verzichtserklärung des Vertragsarztes beim Zulassungsauschuss folgenden Kalendervierteljahres wirksam wird. Vorliegend geht es jedoch nicht um einen Zulassungsverzicht, sondern um die Beendigung einer Berufsausübungsgemeinschaft. Insoweit geht der Senat mit dem Sozialgericht davon aus, dass eine analoge Anwendung der Vorschrift nicht in Betracht kommt. Denn § 28 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV ist dem besonderen Umstand geschuldet, dass mit dem Verzicht der Arzt aus der vertragsärztlichen Versorgung ausscheidet und der Verordnungsgeber es unter Sicherstellungsaspekten für erforderlich ansah, eine Übergangsfrist zu normieren, um eine rechtzeitige Nachbesetzung des freiwerdenden Arztsitzes zu gewährleisten (vgl. Kasseler Kommentar – Hess, § 95 SGB V Rdnr. 94). Diese Aspekte spielen bei der Auflösung einer Berufsausübungsgemeinschaft keine Rolle, da die beteiligten Ärzte weiterhin Vertragsärzte bleiben. Im Übrigen weist das Sozialgericht zu Recht darauf hin, dass nach § 28 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV auch im Fall des Zulassungsverzichts die Frist verkürzt werden kann, wenn der Vertragsarzt nachweist, dass ihm die weitere Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit für die gesamte Dauer oder einen Teil der Frist unzumutbar ist. Die Basis für eine gemeinsame Berufsausübung zwischen dem Antragsteller und dem Beigeladenen zu 9) ist angesichts wechselseitig erklärter fristloser Kündigungen, einem gescheiterten kollegialen Schlichtungsverfahren bei der Landesärztekammer und dem offenkundig tiefgreifenden persönlichen Zerwürfnis jedoch erkennbar nicht mehr gegeben. Selbst unter der – eher fern liegenden – Annahme, dass § 28 Abs. 1 Ärzte-ZV auf den Fall der Auflösung einer Berufsausübungsgemeinschaft entsprechend anwendbar ist, sprechen gewichtige Gründe dafür, dass bei pflichtgemäßer Ermessensbetätigung die Zulassungsgremien dem Antrag auf sofortige Auflösung der Berufsausübungsgemeinschaft nachzukommen haben.

Der weitere Einwand der Beigeladenen zu 1), Änderungen in der Zusammensetzung einer Berufsausübungsgemeinschaft während eines Quartals seien honorartechnisch nur äußerst schwierig und aufwendig zu erfassen und mit zahlreichen Problemen in der Abrechnung verbunden, kann angesichts der gesetzlich determinierten Entscheidung nicht berücksichtigt werden.

Angesichts dieser materiellen Rechtslage besteht auch ein Anordnungsgrund. Denn ohne eine einstweilige Anordnung würde das Recht des Antragstellers, die Berufsausübungsgemeinschaft sofort zu beenden, vereitelt. Die Feststellung durch die Zulassungsgremien, dass die Berufsausübungsgemeinschaft beendet ist, hat statusrelevanten Charakter, denn erst mit dieser Feststellung enden die damit verbundenen Rechte und Pflichten der Berufsausübungsgemeinschaft bei der Behandlung und Abrechnung. Eine Rückwirkung ist bei derartigen Statusentscheidungen, worauf das Sozialgericht zutreffend hinweist, grundsätzlich ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 11. März 2009, B 6 KA 15/08 R, Juris). Im Ergebnis würde der Antragsteller, erginge die einstweilige Anordnung nicht, an der Berufsausübungsgemeinschaft mit dem Beigeladenen zu 9) festgehalten, was angesichts des zerrütteten Verhältnisses unzumutbar ist. Insoweit erlaubt der vorliegende Fall angesichts seiner Besonderheiten eine Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2009, § 86b Rdnr. 33).

Bei der Tenorierung hat der Senat berücksichtigt, dass das Verbot rückwirkender Statusentscheidungen eine Rückdatierung durch den Antragsgegner auf das vom Sozialgericht angegebene Datum ausschließt. Vielmehr wird der Antragsgegner auf seiner nächsten Sitzung, die nach der Mitteilung des Antragstellers auf dem 1. Juni 2011 terminiert ist, einen entsprechenden Beschluss zu fassen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 4 und 52 Abs. 1 und 2 GKG. Obwohl es sich vorliegend um ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz handelt, war eine Quotelung des Streitwerts nicht vorzunehmen, da die Entscheidung eine echte Vorwegnahme der Hauptsache darstellt und der Streitwert daher nicht niedriger angesetzt werden kann.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.

RechtsgebietVertragsarztangelegenheiten

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