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19.08.2010 · IWW-Abrufnummer 102604

Landgericht Essen: Beschluss vom 16.08.2010 – 7 T 404/10

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


7 T 404/10
30 M 2013/09 Amtsgericht Essen
Landgericht Essen
Beschluss
In dem Beschwerdeverfahren XXX
hat die 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen
durch XXX auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 11.08.2010 (30 M 2013/09) am 16.08.2010 beschlossen:
Unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Pirna vom 16.09.2002, Az. B 1803/2002, hinsichtlich eines im Juli 2010 gepfändeten Forderungsbetrages in Höhe von 864,- € für unwirksam erklärt.
Der der Schuldnerin zustehende unpfändbare Freibetrag gem. § 850k I ZPO für den Monat August 2010 wird um 864,- € erhöht.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention trägt die Gläubigerin. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Pirna vom 16.09.2002, Az. B 1803/2002. Auf Antrag der Gläubigerin erließ das Amtsgericht Essen am 22.09.2009 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, welcher u.a. die Ansprüche der Schuldnerin gegen ihre kontoführende Bank Sparkasse Essen, erfasst. Wegen der .Einzelheiten wird auf den Inhalt des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 22.09.2009 (BI. 2-4 dA) Bezug genommen.
Nach Einführung des § 850k ZPO n.F. zum 1.7.2010 wurde das Konto der Schuldnerin in ein Pfändungsschutzkonto umgewandelt. Der der Schuldnerin zustehende Pfändungsfreibetrag beläuft sich auf 985,15 € zuzüglich Kindergeld.
Im Monat Juli 2010 schöpfte die Schuldnerin den ihr zustehenden Pfändungsfreibetrag voll aus. Nachfolgend gingen am 30.7.2010 auf dem bei der Drittschuldnerin geführten Pfändungsschutzkonto Sozialleistungen in Höhe von 864,- € ein, die für das Bestreiten des Lebensunterhaltes im August 2010 bestimmt waren.
Die Drittschuldnerin verweigert eine Auszahlung von Kontoguthaben an die Schuldnerin mit dem Hinweis auf den ausgeschöpften Pfändungsfreibetrag im Juli 2010.
Die Schuldnerin, die diesen Geldbetrag unstreitig für das Bestreiten ihres Lebensunterhalts im August 2010 benötigt, beantragte am 10.08.2010 die Aufhebung der erfolgten Pfändung unter Hinweis auf § 765a ZPO.
Mit Beschluss vom 11.08.2010 wies das Amtsgericht Essen diesen Antrag zurück. Zur Begründung verwies das Amtsgericht Essen darauf, dass für die Schuldnerin die erfolgte Pfändung schon deswegen keine sittenwidrige Härte darstellen könne, weil sie aufgrund der gesetzlichen Neuregelung in § 850k I ZPO ohnehin bereits seit Monatsbeginn wieder zur Verfügung über den monatlichen Pfändungsfreibetrag berechtigt sei. Dass das zugrundeliegende Kontoguthaben aus Zahlungseingängen im Juli 2010 resultiere, stünde dem nicht entgegen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 11.08.2010 (BI. 30-33 dA) verwiesen.
Gegen den Beschluss des Amtsgerichts legte die Schuldnerin am 11.08.2010 "Rechtsmittel" ein. Der Rechtspfleger des Amtsgerichts hat noch am selben Tage dem Begehren der Schuldnerin nicht abgeholfen und- die Sache der Kammer zur
Entscheidung vorgelegt.
Mit Schreiben vom 12.08.2010 hat die Gläubigerin der Drittschuldnerin den Streit verkündet. Diese ist dem Zwangsvollstreckungsverfahren mit Schriftsatz vom 16.08.2010 auf Seiten der Vollstreckungsschuldnerin beigetreten.
II.
Das Amtsgericht hat zu Recht die durch die Schuldnerin am 11.08.2010 zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegebene Erklärung als sofortige Beschwerde ausgelegt. Erkennbar verlangt die Schuldnerin eine Überprüfung der Entscheidung des Rechtspflegers. Dabei ist im Zweifel der zulässige Rechtsbehelf gewollt.. Gegen die ganze oder teilweise Ablehnung seines Antrages nach § 765a ZPO steht dem Schuldner' die sofortige Beschwerde zu (Zöller/Stöber, ZPO, 26. Auflage 2007, § 765a Rn 23).
Die nach § 793 ZPO statthafte sofortige Beschwerde, über die die Kammer nach Übertragung der Sache durch den Einzelrichter nach § 568' Satz 2 Nr. 2 ZPO zu entscheiden hatte, ist zulässig, insbesondere innerhalb der in § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO bestimmten Frist eingelegt worden.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Das Amtsgericht hat den Antrag der Schuldnerin auf Gewährung von Vollstreckungsschutz zu Unrecht zurückgewiesen, denn die Voraussetzungen des § 765a ZPO für die Gewährung von Vollstreckungsschutz liegen im vorliegenden Fall vor. Dass die Schuldnerin allein wegen der vorlaufenden Gewährung von Sozialleistungen am Ende des Vormonates nunmehr für den Monat August keine genügenden Geldmittel zur Verfügung hat, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, stellt eine mit den guten Sitten nicht zu vereinbarende Härte dar. Gleichzeitig werden schutzwürdige Interessen der Gläubigerin nur unwesentlich beeinträchtigt, da nach der im gesamten Zwangsvollstreckungsrecht erkennbaren gesetzgeberischen Grundwertung Sozialleistungen zum Bestreitendes Lebensunterhaltes dem Gläubigerzugriff im Regelfall entzogen sein sollen.
Dabei liegt entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichts eine grobe Härte für die Schuldnerin nicht schon deswegen nicht vor, weil diese trotz der im Juli 2010 erfolgten Pfändung und Überweisung im Monat August 2010 im Rahmen des Pfändungsfreibetrages wieder über das auf Eingängen des Vormonats basierende Guthaben frei verfügen könnte. Dass dies der Fall wäre, folgt insbesondere nicht aus der Regelung des § 850k I 1 ZPO n.F.. Hiernach kann ein Schuldner bis zum Ende eines Kalendermonats in Höhe des monatlichen Freibetrages über sein Kontoguthaben frei verfügen. Insoweit wird das Kontoguthaben von der Pfändung nicht erfasst. Dass einmal gepfändete und durch gerichtlichen Beschluss bereits zur Einziehung überwiesene Forderungen also auch Zahlungen des Sozialhilfeträgers auf das Konto, die zur Sicherung des Lebensunterhalts für den nächsten Monat bestimmt sind..nach Beginn eines neuen Kalendermonats wieder an den Schuldner zurückfallen, so dass dieser in die Lage versetzt wird, seinen monatlichen Freibetrag aus diesem ursprünglich vorhandenen Guthabenanteil zu befriedigen, ergibt sich aus der Formulierung des Gesetzes nicht § 55 Abs. 1-4 SGB I sind gern. § 55 Abs, 5 SGB I nicht anwendbar.
Auch die Gesetzesmaterialien lassen insofern keine eindeutigen Rückschlüsse zu. Zwar findet sich etwa auf Seite 13 der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Kontopfändungsschutzes (BT-Drs 16/7615) der Hinweis, dass das durch einen .Zahlungseingang entstandene Guthaben den Grundstock für den Freibetrag des Folgemonats bilden kann. Dieser Hinweis steht jedoch im Zusammenhang mit Ausführungen zu einer fehlenden Ausschöpfung des Freibetrages, sodass naheliegt, dass der Gesetzgeber insofern lediglich die Berücksichtigungsfähigkeit solcher Eingänge herausstellen wollte, die im Vormonat gerade nicht bereits der Pfändung unterfallen sind.
Berücksichtigt man weiter, dass ein Forderungsrückfall an den Schuldner nach Beginn. eines neuen Kalendermonats nicht nur dogmatisch äußerst bedenklich, sondern aus Vertrauensschutzgesichtspunkten kaum zu rechtfertigen wäre, kann jedenfalls der derzeitigen gesetzlichen Regelung nicht die Wertung· entnommen werden, dass Eingänge des Vormonates, die infolge einer vorherigen Ausschöpfung des Pfändungsfreibetrages von der Wirkung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erfasst wurden, dem Schuldner im Folgemonat wieder zur Verfügung stehen (wohl a.A.: Stöber, Forderungspfändung, 15. Auflage 2010, Rn 1300c).
Dass die kontoführenden Kreditinstitute im Rahmen der Führung eines Pfändungsschutzkontos nach § 850k ZPO verpflichtet wären, bestimmte Zahlungseingänge danach Zu überprüfen, ob deren Zweckbestimmung auf den Folgemonat gerichtet ist, um diese dann ggf. erst für den Folgemonat zu berücksichtigen, vermag die Kammer ebenfalls nicht festzustellen. Zum einen würde eine solche Regelung zu ganz erheblichen Umsetzungsproblemen und Haftungsrisiken für die kontoführenden Kreditinstitute führen, zum anderen ergibt sich für eine derart weitreichende Prüfungskompetenz und -verpflichtung der Kreditinstitute keinerlei Anhaltspunkt aus dem Gesetz.
Entsprechend dem erkennbaren Interesse der Schuldnerin war deren Antrag so auszulegen, dass nicht nur die Feststellung der Unwirksamkeit der Pfändung im Monat Juli, sondern auch die Nichtanrechnung des insofern freiwerdenden Betrages für den Monat August verfahrensgegenständlich sein sollte, sodass die Kammer gern. § 850 k Abs. 4 ZPO n.F. den gern. § 850 k Abs. 1 ZPO pfändungsfrei auf dem Pfändungsschutzkonto im August 2010 der Schuldnerin zur Verfügung stehenden Betrag um 864,-- Euro erhöht hat.
Die Schuldnerin muss hiermit allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass sie zur Sicherung ihres Lebensunterhalts im Monat September durch die Ende August zu erwartende Überweisung der Sozialleistung diesen im August erhöhten Freibetrag nicht in diesem Monat in vollem Umfang durch Kontoverfügungen ausnutzen darf. Nur wenn sie im Monat August ihre Kontoverfügungen auf den ihr regelmäßig monatlich zustehenden pfändungsfreien Betrag beschränkt, ist gewährleistet; dass auf Grund der Regelung in § 850k Abs. 1 Satz 2ZPO der Ende August eingehende Überweisungsbetrag der ihr zustehenden Sozialleistung nicht von der Pfändung erfasst wird und der Schuldnerin somit im September im Rahmen des Pfändungsschutzkontos zur Verfügung steht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 I 1, 101 I ZPO.
Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde nach § 574 11 Nr. 1 ZPO zugelassen, da die Sache von grundsätzlicher Bedeutung ist. Die nach Einführung der Regelung über das Pfändungsschutzkonto zum 01.07.2010 entstandene vorliegende Rechtsfrage hat in einer großen Vielzahl von bereits anhängigen und künftig noch zu erwartenden Verfahren Bedeutung erlangt. Auch ist es für die Vollstreckungspraxis wichtig, möglichst eine einheitliche.Vorgehensweise der Kreditinstitute herbeizuführen.

RechtsgebietZwangsvollstreckung Vorschriften§ 850k ZPO

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