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30.07.2010 · IWW-Abrufnummer 102431

Oberlandesgericht Naumburg: Urteil vom 08.07.2009 – 2 Ss 90/09

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 Ss 90/09 OLG Naumburg
24 Ns 556 Js 14590/05 – 8/08 LG Magdeburg
In der Strafsache
gegen ...
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg in der Hauptverhandlung am 8. Juli 2009, an der teilgenommen haben:
XXX
für R e c h t erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Magdeburg vom 26. März 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Magdeburg zurückverwiesen.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten u. a. zur Last gelegt, sich in der Zeit vom 15. Januar 2002 bis zum 27. Januar 2006 in 68 Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266 a Abs. 1 oder 2 StGB) schuldig gemacht zu haben. Hinsichtlich weiterer Vorwürfe ist das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt worden. Das Amtsgericht hat den Angeklagten aus Rechtsgründen freigesprochen. Die Berufung der Staatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg. Das Landgericht ist ebenfalls zu einem Freispruch aus Rechtsgründen gelangt. Dagegen hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts.
Die Revision ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344 f. StPO) und begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf fehlerhafter Anwendung des Gesetzes (§§ 337, 353, 354 Abs. 2 StPO).
Das Landgericht hat ausgeführt, der Angeklagte habe – offenbar ab Dezember 2001 – Sanitäranlagen u. a. an Autobahnraststätten gepachtet und dabei die Verpflichtung übernommen, diese Einrichtungen ganztägig geöffnet zu halten. Für den Betrieb der Anlagen habe er Reinigungskräfte beschäftigt, die bei einem Arbeitseinsatz von vierzehn Tage monatlich und einer täglichen Arbeitszeit von zwölf Stunden Monatslöhne zwischen 60 und 300 Euro erhalten hätten. In den mit ihnen abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsverträgen sei festgehalten worden, daß es sich um eine geringfügige Beschäftigung handele. Nach einem - nicht näher bezeichneten - für allgemein verbindlich erklärten Rahmentarifvertrag für das Reinigungsgewerbe hätten sie jedoch nicht mit weniger als 7,68 Euro je Stunde entlohnt werden dürfen. In dem hier betroffenen Zeitraum habe der Angeklagte – wohl mit Blick auf den Unterschied zwischen dem vereinbarten und gezahlten Lohn und dem Tariflohn – insgesamt 73.940,61 Euro Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht an die AOK Sachsen-Anhalt abgeführt. Ferner sei er dieser Krankenkasse für August 2004 bis Januar 2006 Arbeitgeberanteile von insgesamt 36.909,26 Euro schuldig geblieben. Dazu hat die Kammer die jeweiligen Beitragssätze zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, die Anzahl der in den einzelnen Monaten beschäftigten Arbeitnehmer und die für diese Monate jeweils offen gebliebenen Beiträge mitgeteilt.
Das genügt den Anforderungen nicht.
Schon gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO, aber auch aus sachlich-rechtlichen Erwägungen, müssen die Gründe eines aus Rechtsgründen freisprechenden Urteils die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, die der rechtlichen Beurteilung zugrunde liegen (BGH NStZ-RR 2009, 70; BGHSt 52, 314 jew. m. w. Nachw.). Der Tatrichter muß daher die Tatsachen, die er für bewiesen hält, in einer geschlossenen, aus sich heraus verständlichen Darstellung klar, vollständig und widerspruchsfrei mitteilen (BGH NStZ-RR 2005, 211). Verfehlt das Urteil diese Anforderungen, so leidet es unter einem sachlich-rechtlichen Mangel. Wenn ihm nicht hinreichend zu entnehmen ist, welches Gesamtgeschehen der Tatrichter beurteilt hat, kann das Revisionsgericht nicht überprüfen, ob die rechtliche Wertung des nach § 264 Abs. 1 StPO maßgeblichen Sachverhaltes keine Straftat des Angeklagten ergibt.
Soweit es um den Vorwurf des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266 a StGB) geht, muß der Tatrichter neben den Beitragssätzen auch die Höhe des in den einzelnen Monaten zu zahlenden Arbeitsentgeltes mitteilen (BGH NStZ 1996, 543 m. w. Nachw.) Daran fehlt es hier. Offen bleibt auch, in welchem Umfang der Angeklagte Beiträge abführte. Ebensowenig wurde dargestellt, welche Erklärungen er im Zusammenhang mit den Beitragszahlungen gegenüber der Krankenkasse abgab. Daher fehlt auch die Grundlage für die Beurteilung der Frage, ob er sich womöglich eines Betruges schuldig gemacht hat.
Bei der erneuten Entscheidung wird zu beachten sein, daß der objektive Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB bereits dann erfüllt ist, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung bei Fälligkeit nicht an die zuständige Einzugsstelle abführt, obwohl er zur Zahlung in der Lage war (BGHZ 134, 304; 144, 311; BGHSt 47, 318 jew. m. w. Nachw.). Die Beitragspflicht entsteht allein durch die versicherungspflichtige Beschäftigung des Arbeitnehmers gegen Entgelt (§§ 2 Abs. 2 Nr. 1 und 7, 22 Abs. 1 SGB IV). Der Eintritt der Fälligkeit der Beiträge zum 15. des Folgemonats setzt nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV nur voraus, daß der Arbeitnehmer im Beschäftigungsmonat die Tätigkeit ausgeübt hat, mit der er das Arbeitsentgelt erzielt. Ob der Arbeitgeber ihm den vollen Lohn auszahlte oder aus welchen Gründen dies ganz oder teilweise unterblieben ist, spielt hingegen keine Rolle (BSGE 75, 61). Das für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 19 EStG) einkommen-steuerrechtlich maßgebliche Zuflußprinzip (§§ 2 Abs. 2 Nr. 2, 8 f. EStG) gilt für die Berechnung und die Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge und damit auch für den sozialrechts-akzessorischen § 266 a StGB hingegen nicht. Bei Tariflohnunterschreitungen ist die Höhe der Beitragsschuld gemäß §§ 14 Abs. 1, 23 Abs. 1 SGB IV nicht auf Grund des gezahlten oder des unwirksam vereinbarten untertariflichen Lohnes, sondern nach dem geschuldeten Tariflohn zu berechnen (BSGE 93, 119; LSG Saarland, Urteil vom 22. April 2005 – L 7 RJ 229/03 –).
Sollte der Angeklagte im Rahmen seiner Meldepflicht (§ 28 a SGB IV) vorsätzlich falsche Angaben gemacht haben, die zu einem geringeren Sozialversicherungsbeitrag führen, so liegt darin eine Tathandlung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB (BGH NStZ 2003, 552; BGH wistra 2006, 425). Seit der am 1. August 2004 in Kraft getretenen Änderung des § 266 a StGB umfaßt die Vorschrift jedoch auch betrugsähnliche Begehungsweisen und geht deshalb im Rahmen seines Anwendungsbereiches dem Betrugstatbestand als Spezialgesetz vor (BGH NStZ 2007, 527). Diese Gesetzesänderung ist mit Blick auf § 2 Abs. 3 StGB auch für die Strafbarkeit vor dem 1. August 2004 begangener Taten von Bedeutung, wenn die gebotene konkrete Betrachtung ergibt, daß § 266 a StGB n.F. die für den Angeklagten günstigere Regelung enthält (BGH wistra 2008, 180).

RechtsgebieteStPO, StGBVorschriften§ 267 Abs. 5 S. 1 StPO § 333 f. StPO § 341 Abs. 1 StPO § 266a StGB

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