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09.05.2014 · IWW-Abrufnummer 141416

Verwaltungsgericht Minden: Urteil vom 03.01.2014 – 4 K 781/12

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Verwaltungsgericht Minden

4 K 781/12

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der geborene Kläger steht als Q. im Dienst des beklagten Landes und ist diesem gegenüber in Bezug auf krankheitsbedingte Aufwendungen seiner Ehefrau mit einem Bemessungssatz von 70 v.H. beihilfeberechtigt. Er begehrt weitere Beihilfe zu Aufwendungen für eine kieferorthopädische Behandlung seiner Ehefrau.

Die geborene Ehefrau, die an einer craniomandibulären Dysfunktion leidet, wurde unter anderem in der Zeit zwischen Ende Oktober 2010 und Juni 2011 in der Praxis Dr. T. und Partner in C. behandelt. Mit sieben Rechnungen aus dieser Zeit wurde ein Vergütungsanspruch in Höhe von insgesamt 2.601,56 € geltend gemacht. Auf den Beihilfeantrag des Klägers, mit dem dieser die sieben Rechnungen vorlegte, wurden durch Bescheide vom 30. August 2011 und 2. Januar 2012 nur insgesamt 962,67 € als beihilfefähig anerkannt. Nicht anerkannt wurden demnach Leistungen in einem Umfang von 1.638,89 €.

Wegen der Kürzungen im Einzelnen wird auf die Zusammenstellung im Schriftsatz des Beklagten von Ende Juni 2013, Blatt 82 ff. d. A., verwiesen. Im Wesentlichen beruft sich der Beklagte darauf, dass Aufwendungen für kieferorthopädische Leistungen nach Vollendung des 18. Lebensjahres grundsätzlich nicht beihilfefähig sind und dass weder die Behandlung mit einer sog. COPA-Schiene noch die durch "Applied Kinesiology" eine wissenschaftlich anerkannte Heilmethode seien.

Von den nicht als beihilfefähig anerkannten Aufwendungen entfällt ein Betrag von 265,38 € auf Leistungen, die mit der Therapie "Applied Kinesiology" in Zusammenhang stehen. Ein Betrag von 1.305,84 € entfällt auf kieferorthopädische Behandlungen einschließlich Laborkosten und der Anfertigung der sog. COPA-Schiene. Die Restsumme der nicht anerkannten Kosten von 67,58 € entfällt auf eine nicht vollständig anerkannte Schädelaufnahme, auf eine konsiliarische Erörterung mit einem zweiten Arzt, auf eine wissenschaftlich nicht anerkannte Lasertherapie und auf die zweimal angesetzten Kosten für eine Utilin Ampulle, die nach Ansicht des Beklagten durch den Ansatz von GOZ 009 mit abgegolten sind.

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 2011 zurück.

Der Kläger hat am 26. Januar 2012 Klage erhoben. Er ist der Ansicht, die beihilferechtliche Anerkennung einzelner Positionen könne nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil seine Ehefrau bei Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr bereits vollendet hatte. Die Behandlung sei nicht erst im Jahre 2008 aufgenommen worden, sondern schon viele Jahre vorher, habe damals aber nur zu einem unzureichenden Ergebnis geführt und sei häufig unterbrochen worden. Zu Beginn der weiteren Behandlung sei es erforderlich gewesen, funktionsdiagnostische und funktionstherapeutische Behandlungen der erkrankten Kiefergelenke aufzunehmen. Dabei habe es sich noch nicht um eine kieferorthopädische Behandlung im eigentlichen Sinne gehandelt. Im Übrigen sei die notwendige Wirtschaftlichkeit der ärztlichen und zahnärztlichen bzw. kieferorthopädischen Behandlung geboten. Deshalb sei eine insgesamt notwendige Behandlung auch beihilferechtlich als solche anzuerkennen, denn damit könnten weitergehende Behandlungen, auch auf anderen Fachgebieten, und die damit verbundenen Aufwendungen vermieden werden. Insofern müssten hier die eher ganzheitlich orientierten Untersuchungen im Sinne der Applied Kinesiology anerkannt werden. Schließlich sei zweifelhaft, ob die Bestimmung des § 4 Abs. 2 a BVO NRW, nach der die Aufwendungen für eine kieferchirurgische Behandlung von Erwachsenen nur bei einer schweren Kieferanomalie anerkannt werden sollen, überhaupt rechtswirksam ist. Im Übrigen sei eine amtszahnärztliche Begutachtung angezeigt, ob nicht die craniomandibuläre Dysfunktion als "schwere Kieferanomalie" anzuerkennen sei. Die Fehlstellung der Kiefergelenke sei schon begrifflich als "Kieferanomalie" einzuordnen. Da bei der Ehefrau des Klägers zahlreiche Folgebeschwerden der Fehlstellung in anderen Bereichen des Körpers festzustellen seien, sei die Kieferanomalie auch als "schwere" einzustufen.

Die später im Verfahren beauftragten Amtszahnärztin Dr. G. sei nicht hinreichend qualifiziert. Gegenüber der Ehefrau des Klägers habe sie zu erkennen gegeben, dass sie mit derartigen Problemen keine Erfahrung habe. Es sei auch nicht erkennbar, auf welche wissenschaftlichen Studien oder Erkenntnisse sie sich stütze.

Der Kläger beantragt,

das beklagte Land zu verpflichten, dem Kläger unter entsprechender Änderung der Beihilfebescheide vom 30. August 2011 und 2. Januar 2012 sowie des Widerspruchsbescheides vom 29. Dezember 2012 weitere Beihilfeleistungen in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Auf Vorschlag des Klägers und des Beklagten ist im laufenden Verfahren eine amtszahnärztliche Stellungnahme zu der Frage eingeholt worden, ob es sich bei der bei der Ehefrau des Klägers vorliegenden craniomandibulären Dysfunktion um eine schwere Kieferanomalie handelt. Ebenso ist gefragt worden, ob es sich bei der Behandlung mit der COPA-Schiene und mit Applied Kinesiology um wissenschaftlich anerkannte Heilmethoden handelt. Beauftragt wurde der amtszahnärztliche Dienst des Kreises H. , Frau Dr. G. . In ihrer Stellungnahme vom 28. Januar 2013 führt die Amtszahnärztin nach einer eigenen klinischen Untersuchung der Ehefrau des Klägers am 22. Januar 2013 aus, bei der vorhandenen Zahn- und Kieferfehlstellung handele es sich um ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild. Im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung der Ehefrau in den 70er Jahren seien die Zähne 14, 24, 34 und 32 extrahiert worden. Die Okklusion habe nur suboptimal eingerichtet werden können, so dass im Molaren- und Prämolarenbereich eine Nonokklusion von mehreren Millimetern entstanden sei. Die Behandlung mit einer Schiene sei medizinisch indiziert, eine Korrektur der okklusalen Verhältnisse solle anschließend in Erwägung gezogen werden. Allerdings liege keine schwere Kieferanomalie vor. Bei der diagnostischen Methode der "Applied Kinesiology" handele es sich nicht um eine wissenschaftlich anerkannte Heilmethode. Eine wissenschaftliche Anerkennung stehe auch nicht bevor. Auch hinsichtlich der Therapiemethode COPA könne festgestellt werden, dass es sich in Verbindung mit der Diagnostik "Applied Kinesiology" nicht um eine wissenschaftlich anerkannte Heilmethode handele.

Die Amtszahnärztin hat ihr Gutachten in der mündlichen Verhandlung am 24. Juli 2013 mündlich ergänzt. Insoweit wird auf die Niederschrift (Blatt 96 ff. d.A.) verwiesen.

Nach der mündlichen Verhandlung haben sowohl der Kläger als auch der Beklagte ergänzende Stellungnahmen der behandelnden Ärztin und der Amtszahnärztin zu den Akten gereicht. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 115 und 121 f. der Akte verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des dazu vorgelegten Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Mit dem Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Beihilfebescheide vom 30. August 2011 und 2. Januar 2012 sowie der Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 2012 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere als die bereits bewilligten Beihilfeleistungen (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach § 77 Abs. 3 des Landesbeamtengesetzes - LBG NRW - erhalten Personen, die, wie der Kläger, beihilfeberechtigt sind, Beihilfen zu der Höhe nach angemessenen Aufwendungen für medizinisch notwendige Maßnahmen, deren Wirksamkeit und therapeutischer Nutzen nachgewiesen sind, unter anderem zur Linderung von Erkrankungen und Wiederherstellung der Gesundheit und zur Besserung des Gesundheitszustandes. Konkretisiert wird der Anspruch auf Beihilfe durch §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und 4 Abs. 1 Nr. 1 der auf der Grundlage von § 77 Abs. 8 LVG NRW erlassenen Verordnung über Beihilfen in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen (Beihilfenverordnung NRW) vom 5. November 2009 - BVO NRW -.

Die Frage der Angemessenheit in Bezug auf Aufwendungen für ärztliche bzw. zahnärztliche Leistungen beurteilt sich grundsätzlich abschließend nach Maßgabe der für die Abrechnung dieser Leistungen einschlägigen Gebührenordnungen für Ärzte (GOÄ) und für Zahnärzte (GOZ). Die Beihilfefähigkeit setzt deshalb im Grundsatz voraus, dass der Arzt oder Zahnarzt die Rechnungsbeträge auf der Grundlage der Gebührenordnung zu Recht in Rechnung gestellt hat. Ob das der Fall ist, ist gerichtlich voll überprüfbar.

Aufwendungen für eine wissenschaftlich nicht anerkannte Heilbehandlung sind von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BVO NRW). Allerdings können ausnahmsweise auf Grund des Gutachtens eines Amts- oder Vertrauens(zahn)arztes auch Aufwendungen für noch nicht anerkannte Heilbehandlungen vom Finanzministerium für beihilfefähig erklärt werden, wenn zuvor wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlungen ohne Erfolg angewendet worden sind. Das Finanzministerium kann zudem allgemein bestimmen, zu welchen und unter welchen Voraussetzungen zu noch nicht wissenschaftlich anerkannten Heilbehandlungen Beihilfen gezahlt werden können (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 und 4 BVO NRW).

Soweit hier ein Betrag von (265,38 € + 1.305,84 € =) 1.571,22 € nicht als beihilfefähig anerkannt worden ist, hat der Beklagte zu Recht darauf verwiesen, dass es sich dabei um Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Heilbehandlungen handelt.

Die vermutlich auf eine craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) zurückzuführenden erheblichen Beschwerden der Ehefrau des Klägers sind hier bislang mit einer sog. COPA (Craniomandibuläre-Orthopädische-Positionierungs-Apparatur) - Schiene behandelt worden. Zu dieser Behandlungsmethode heißt es im Internet (www.praxisniestegge.de/ganzheitlichezahnmedizin/kiefergelenkundhaltungsstoerungen/copakonzept):

"... Die Einstellung der Unterkieferposition über den Konstruktionsbiss ist das entscheidende therapeutische Vorgehen bei der Behandlung mit Aufbissschienen (COPA nach Gelb). Der Konstruktionsbiss muss nach der gesamt-orthopädischen, oral-orthopädischen, radiologischen und Applied Kinesiology-Diagnostik überprüft werden. Vor der Erstellung des Konstruktionsbisses, der an Modellen vorbereitet wurde, müssen vorhandene strukturelle Störungen wie z.B. Beckenfehler korrigiert und Triggerpunkte in der Muskulatur ausgeschaltet werden (Physiotherapeut).Mit Hilfe dieses Konstruktionsbisses wird im Artikulator nach arbiträrer oder individueller elektronischer Gesichtsbogenübertragung und nach kinesiologischer oder bioenergetischer Materialverträglichkeitstestung die COPA-Schiene hergestellt.

Hierzu wird im Labor die Schiene zuerst mit den entsprechenden Kauflächen und einer Eckzahnführung aufgewachst. Die Okklusionsüberprüfung mit Ok-klusionsfolie erfolgt im Liegen, Sitzen, Stehen und nach dem Gehen. Die Schiene wird sowohl manuell - medizinisch als auch mit AK (Applied Kinesiology) überprüft.

Die Indikation zur COPA ist nach einer gesamt-orthopädischen, oral-orthopädischen, radiologischen und Applied Kinesiology - Diagnostik zu stellen. Führt die Therapie mit einer COPA-Behandlung zur gewünschten Verbesserung der ursprünglichen Beschwerden, so ist diese Therapie und die eventuell durchgeführte Begleittherapie solange durchzuführen, bis ein stabiles Behandlungsergebnis erzielt wurde. Dies dauert in der Regel ca. vier bis sechs Monate. In den meisten Fällen ist im Anschluss an die COPA-Behandlung eine definitive orthodontische und/oder prothetische Versorgung oder Erneuerung alter Kronen und Brücken notwendig, da die Schiene die vorher induzierten Fehlkontakte und Fehlstellungen aufzeigt. Die orthodontische und/oder prothetische Behandlung erfolgt in der festgelegten orthopädischen Kondyleneinstellung.

In einigen Fällen, in denen es durch Copa-Behandlung zu lediglich geringen Okklusionsveränderungen gekommen ist, reicht das nächtliche Tragen der COPA. Eine sorgfältig durchgeführte Einschleiftherapie ist gegebenenfalls ausreichend. Die Aufbissschiene wird im Modellgussverfahren mit einem Sublingualbügel und seitlichem individuell aufgewachsten Kunststoffaufbiss hergestellt. Das Material wird hinsichtlich seiner Verträglichkeit mittels AK- Test überprüft.

Die Schiene muss nach jeder Behandlung überprüft und evtl. durch Einschleifmaßnahmen korrigiert werden, da sich die Okklusion durch craniosacrale Veränderungen, Veränderungen der Aktivität innerhalb der Muskelketten und durch Haltungsänderungen ständig geringfügig ändert. ..."

Die Ehefrau des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung vom 24. Juli 2013 bestätigt, dass ihre Behandlung im Wesentlichen diesem Muster entsprach. Die COPA-Schiene sei nach den Kinesiologie-Behandlungen durch den Osteopathen immer wieder neu angepasst worden, bis sie die Beschwerden optimal ausgeräumt habe. Nach dem Behandlungsplan müsste sich jetzt eine kieferorthopädische Behandlung anschließen, bei der die Zähne endgültig in die durch die Schiene simulierte Stellung gebracht würden.

Bei dieser Form der Behandlung der CMD mit der speziellen COPA-Aufbissschiene, bei deren Anpassung ergänzend Elemente der Applied-Kinesiology- Behandlung und -Diagnostik zur Anwendung kommen, handelt es sich aber nicht um eine wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlung.

Wissenschaftlich anerkannt ist ein Heilmittel nach der Rechtsprechung des 6. Senats des OVG NRW, wenn es von den Wissenschaftlern, die in dem durch die zu behandelnde Krankheit und die Art des Heilmittels gekennzeichneten Fachbereich tätig sind, aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse als für eine Behandlung der Krankheit wirksam angesehen wird. Die Überzeugung von der Wirksamkeit muss allerdings nicht in jedem Falle in der Fachwelt uneingeschränkt und einhellig geteilt werden. Das würde der Vielfalt wissenschaftlich begründeter Standpunkte und Erkenntnisse und der darauf gestützten Behandlungsmethoden nicht gerecht werden. Das Merkmal der wissenschaftlichen Anerkennung setzt aber doch eine weitgehende Zustimmung der im Fachbereich tätigen Wissenschaftler voraus und ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn eine größere Anzahl namhafter Autoren oder wichtige wissenschaftliche Gremien die Behandlung mit dem Heilmittel aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse als nicht wirksam ansehen. Wissenschaftlich anerkannt in diesem Sinne können durchaus verschiedene Methoden und Mittel sein; dies gilt auch dann, wenn eine Methode oder ein Mittel bevorzugt angewandt wird. Entscheidend kann in diesem Zusammenhang nur sein, ob auch die Außenseitermethode von der herrschenden wissenschaftlichen Meinung als wirksam und geeignet angesehen wird. "Wissenschaftlich anerkannt" ist ein Mittel nicht schon dann, wenn nur eine - wenn auch gewichtige - Minderheit die Art der Behandlung für wirksam hält. Solange dieser Standpunkt nicht von der überwiegenden Mehrheit der in dem betreffenden Fachbereich tätigen Wissenschaftler vertreten wird, kann von einer wissenschaftlichen Anerkennung nicht gesprochen werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. März 1995 - 6 A 3871/93 -, juris, Rdn. 3 und 8, mit Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 15. März 1984 - 2 C 2.83 -, juris, und weiteren Nachweisen.

Entsprechend urteilt auch das BVerwG in späteren Entscheidungen (vgl. Urteil vom 29. Juni 1995 - 2 C 15.94 -, juris, Rdn. 16):

"Um "anerkannt" zu sein, muss einer Behandlungsmethode von dritter Seite - also von anderen als dem/den Urheber(n) - attestiert werden, zur Heilung einer Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet zu sein und wirksam eingesetzt werden zu können. Um "wissenschaftlich" anerkannt zu sein, müssen Beurteilungen von solchen Personen vorliegen, die an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen als Wissenschaftler in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätig sind. Um "allgemein" anerkannt zu sein, muss die Therapieform zwar nicht ausnahmslos, aber doch überwiegend in den fachlichen Beurteilungen als geeignet und wirksam eingeschätzt werden. Somit ist eine Behandlungsmethode dann "wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt", wenn eine Einschätzung ihrer Wirksamkeit und Geeignetheit durch die in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätigen Wissenschaftler nicht vorliegt oder wenn die überwiegende Mehrheit der mit der Methode befassten Wissenschaftler die Erfolgsaussichten als ausgeschlossen oder jedenfalls gering beurteilt."

Bei Zweifeln, ob eine Heilbehandlung wissenschaftlich anerkannt ist, ist das Gutachten eines Amts- oder Vertrauensarztes einzuholen oder die vorgesetzte Behörde um eine Entscheidung zu bitten.

Vgl. Mohr/Sabolewski, Beihilfenrecht Nordrhein-Westfalen, Loseblattkommentar (Stand Juli 2013), § 4 Anm. 3 (B 58/18 b).

Die zuständige Amtszahnärztin im Gesundheitsamt H. hat in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 15. Oktober 2013 nochmals bestätigt, dass eine COPA-Schiene in Verbindung mit "Applied Kinesiology" als diagnostische Methode und als therapeutische Maßnahme wissenschaftlich nicht anerkannt sei. Das Gericht sieht keinen Grund, dieser Einschätzung nicht zu folgen, die sich überdies mit einer gutachterlichen Stellungnahme der Bielefelder Amtszahnärztin aus dem Jahr 2006 deckt. Es ist nicht ersichtlich, dass die hier umstrittene Behandlungsmethode seit dem wissenschaftliche Anerkennung erfahren hat.

Vgl. etwa die Auflistung der wissenschaftlich anerkannten Heilmetholden bei Mohr/Sabolewski, Beihilfenrecht Nordrhein-Westfalen, Loseblattkommentar (Stand Juli 2013), § 4 Anm. 3 (B 58/21), die die COPA-Behandlung bzw. "Applied Kinesiology" nicht umfasst.

Die vom Kläger geäußerten Zweifel hinsichtlich der Fachkompetenz der zuständigen Amtszahnärztin sind unsubstantiiert und für das Gericht nicht nachvollziehbar. Frau Dr. G. hat ausdrücklich erklärt, dass sie nach (erneuter) Durchsicht der Fachliteratur keine wissenschaftliche Bestätigung der Wirksamkeit der Anwendung der COPA-/Kinesiology-Methode hat finden können. Dem steht nicht entgegen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei eigenen Recherchen "eine Vielzahl von Beiträgen und Adressen von Ärzten und Organisationen" gefunden hat, die sich offenbar zu der COPA-/Kinesiology-Methode verhalten. Damit ist nicht dargelegt, dass die Therapieform von solchen Personen, die an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen als Wissenschaftler in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätig sind, jedenfalls überwiegend in den fachlichen Beurteilungen als geeignet und wirksam eingeschätzt wird. Von daher erübrigte sich auch die vom Kläger angeregte Einholung einer Sachverständigenauskunft.

Der Ausschluss wissenschaftlich nicht anerkannter Heilbehandlungen von der Beihilfefähigkeit ist im Übrigen rechtmäßig. Diese Regelung hält sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung, ist nicht fürsorgepflichtwidrig und auch nicht willkürlich. Auch gegenüber der abweichenden Rechtslage im Bund begegnet die Regelung keinen grundsätzlichen Bedenken.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 24. November 1976 - VI A 84/73 -, RiA 1977, 159, und vom 25. Mai 1994 - 6 A 2192/88 -, juris (Kurztext).

Die Voraussetzungen der Sätze 3 und 4 von § 4 Abs. 1 Nr. 1 BVO NRW für die Beihilfefähigkeit einer wissenschaftlich noch nicht anerkannten Heilbehandlung im Ausnahmefall liegen hier nicht vor. Weder ist hinreichend dargelegt, dass zuvor wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlungen ohne Erfolg angewandt worden sind (etwa die von der Amtszahnärztin erwähnte "einfache" Aufbissschiene, die nach Abschnitt H des Gebührenverzeichnisses für zahnärztliche Leistungen abgerechnet werden kann, oder eine prothetische Rekonstruktion der Kauflächen nach gnathologischen Gesichtspunkten), noch gibt es ein entsprechendes befürwortendes Gutachten eines Amts- oder Vertrauens(zahn)arztes. Ebenso wenig gibt es eine allgemeine Bestimmung des Finanzministeriums zur Beihilfengewährung bei einer COPA-Behandlung.

Auch wenn man die Behandlung mit der COPA-Schiene nicht als eigenständige Therapie betrachtet sondern als eine eine kieferorthopädische Behandlung vorbereitende Maßnahme, sind die dafür gemachten Aufwendungen nicht beihilfefähig. Aufwendungen für kieferorthopädische Leistungen sind nach § 4 Abs. 2 a BVO NRW nur dann beihilfefähig, wenn die behandelte Person bei Behandlungsbeginn das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die Altersbegrenzung gilt allerdings nicht bei schweren Kieferanomalien, die eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erfordern. Eine entsprechende "schwere" Kieferanomalie liegt bei der Ehefrau unstreitig nicht vor. Von seinem ursprünglichen Vortrag, wegen der zahlreichen Folgebeschwerden, unter denen seine Ehefrau leide, sei von einer schweren Kieferanomalie auszugehen, ist der Kläger nach der letzten Stellungnahme der behandelnden Ärztin vom 9. September 2013 abgerückt. Dies entspricht im Übrigen auch dem Gutachten der Amtszahnärztin, die nach dem Ergebnis ihrer Untersuchung ebenfalls davon ausgeht, dass eine schwere Kieferanomalie nicht vorliegt. Die Beihilfefähigkeit auch vorbereitender Maßnahmen für kieferorthopädische Leistungen ist damit wegen des Alters der Ehefrau des Klägers ausgeschlossen. Dieser Ausschluss verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Februar 2013 - 1 A 1291/11 -, juris, m.w.N.

Schließlich hat der Kläger auch in Bezug auf den übrigen nicht als beihilfefähig anerkannten Betrag vom insgesamt 67,58 € keinen Anspruch auf weitere Beihilfe. Der Beklagte hat die Aufwendungen

- in Höhe von 41,96 € für eine Schädel-Übersicht in zwei Ebenen,

- in Höhe von 16,08 € für eine "Konsiliarische Erörterung zwischen zwei oder mehr Ärzten",

- in Höhe von 5,17 € für eine Lasertherapie,

- in Höhe von (2 x 12,72 € =) 25,44 € für zwei "Utilin Ampulle 0,5 ml gemäß § 10 GOÄ"

zu Recht nicht bzw. nur zum Teil (Schädelaufnahme) als beihilfefähig anerkannt. Das Gericht folgt insoweit der Begründung des Beklagten in seinem Schriftsatz von Ende Juni 2013, dass die Schädelaufnahme nur nach GOÄ 5095 und nicht nach GOÄ 5090 abgerechnet werden kann, weil der Kopf der Patientin nur in einer Ebene geröntgt und dargestellt wird, nicht dargelegt ist, welcher zweite Arzt hinzugezogen wurde und warum, die Lasertherapie wissenschaftlich nicht anerkannt sei und die Utilin-Ampullen zu 009 GOZ gehörten und überdies nicht notwendig seien. Der Kläger hat diese Ansätze überdies nicht explizit gerügt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über deren vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

RechtsgebieteLBG NRW, LVG NRW, BVO NRW, GOÄVorschriften§ 77 Abs. 3 LBG NRW; § 77 Abs. 8 LVG NRW; § 4 Abs. 1 Nr. 1 S. 3, 4 BVO NRW; § 4 Abs. 2a BVO NRW; § 10 GOÄ

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