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08.02.2012

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 14.09.2011 – 3 Sa 43/11

Der kündigende Arbeitgeber trägt im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast die Beweislast für die Umstände, die einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen sollen.


Tenor:

1. Die Berufung des beklagten Vereins gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg vom 22.12.2010 - 2 Ca 225/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen diese Entscheidung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Bestand eines Arbeitsverhältnisses.

Die 56-jährige Klägerin ist bei dem beklagten Verein seit dem 01.03.1996 als "Fachkraft in der Sozialpsychiatrie" mit einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt zirka 1.960,00 Euro beschäftigt. Die Klägerin ist mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert.

Mit Schreiben vom 21.01.2010 beantragte der beklagte Verein die Zustimmung zur außerordentlichen sowie zur vorsorglichen ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin bei dem Integrationsamt. Mit Schreiben vom 05.02.2010 wies das Integrationsamt den beklagten Verein auf die Fiktionswirkung hinsichtlich der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung gemäß § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX in Ermangelung einer diesbezüglichen Entscheidung hin. Mit Schreiben vom 25.03.2010 erteilte das Integragtionsamt die Zustimmung zur vorsorglichen ordentlichen Kündigung.

Mit Schreiben vom 08.02.2010 - der Klägerin zugegangen am 10.02.2010 - kündigte der beklagte Verein das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos und hilfsweise ordentlich.

Mit Schreiben vom 25.02.2010 - der Klägerin zugegangen am 26.02.2010 - kündigte der beklagte Verein das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin erneut ordentlich unter Hinweis auf betriebsbedingte Gründe.

Gegen die Entscheidungen des Integrationsamtes legte die Klägerin jeweils Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2010 (Aktenzeichen W 24-10) versagte der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt Mecklenburg-Vorpommern - rechtskräftig - die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2010 (Aktenzeichen W 17-10) versagte der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung. Gegen die zuletzt genannte Entscheidung des Widerspruchsausschusses hat der beklagte Verein Klage vor dem Verwaltungsgericht Greifswald -Aktenzeichen 5 A 1522/10- erhoben.

Gegen die ihr gegenüber ausgesprochenen Kündigungen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 03.03.2010 bei dem Arbeitsgericht Neubrandenburg eingegangenen Kündigungsschutzklage.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 08.02.2010 - zugegangen am 10.02.2010 - und auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 25.02.2010 - zugegangen am 26.02.2010 - weder fristlos noch ordentlich beendet worden ist, sondern über den 10.02.2010 fortbesteht.

Der beklagte Verein hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 22.12.2010 hat das Arbeitsgericht Neubrandenburg der Kündigungsschutzklage vollumfänglich stattgegeben und ausgeführt, hinsichtlich der vorsorglich erklärten ordentlichen Kündigung vom 08.02.2010 fehle es im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an der erforderlichen Zustimmung des Integrationsamtes. Dies treffe auch für die ordentliche Kündigung vom 25.02.2010 zu. Diesbezüglich sei durch die einseitige "Rücknahme" der Kündigung durch den beklagten Verein kündigungsrechtlich keine Gestaltung erfolgt. Das Rechtsschutzinteresse der Klägerin bleibe mithin bestehen.

Die außerordentliche Kündigung vom 08.02.2010 habe das Arbeitsverhältnis in Ermangelung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ebenfalls nicht rechtswirksam beendet. Angesichts der atmosphärischen Störungen könne der Klägerin nicht vorgeworfen werden, die Teilnahme an Personalgesprächen ohne Anwesenheit einer Vertrauensperson abgelehnt zu haben. Eine beharrliche Arbeitsverweigerung sei ebenfalls nicht zu erkennen. Ebenso sei die unterbliebene Abarbeitung der Arbeitsaufträge bis zum 13.01.2010 für sich genommen nicht geeignet, um darauf eine fristlose Kündigung im Sinne des § 626 BGB stützen zu können.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 10.02.2011 bei dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern eingegangene Berufung des beklagten Vereins. Die Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg an den beklagten Verein datiert auf den 17.03.2011. Die Berufungsbegründung ist sodann bei dem Landesarbeitsgericht am 11.05.2011 eingegangen.

Der beklagte Verein vertritt auch in der Berufungsinstanz die Auffassung, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin auf der Grundlage der fristlosen Kündigung vom 08.02.2010 rechtswirksam beendet zu haben. Die Klägerin habe am 13.01.2010 die Einrichtung vor Ablauf der Öffnungszeit verlassen. Nach dem gescheiterten Personalgespräch am 14.01.2010 habe die Klägerin die Arbeit nicht wieder aufgenommen und sich somit wiederholt eine Arbeitsverweigerung zu Schulden kommen lassen.

Am 14.01.2010 zunächst gegen zirka 13:00 Uhr und sodann gegen zirka 15:00 Uhr habe sie arbeitsvertragswidrig die Teilnahme an Personalgesprächen verweigert. Die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, weitere Personen zu Personalgesprächen mitzubringen. Vielmehr sei die Klägerin auf entsprechende Anweisung des Arbeitgebers verpflichtet, alleine an entsprechenden Personalgesprächen mitzuwirken. Auch sei der Arbeitgeber nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer vorher die Themen der Besprechung mitzuteilen.

Die Klägerin sei am 14.01.2010 gegen zirka 15:00 Uhr zu dem angewiesenen Personalgespräch mit der ihr unterstellten Mitarbeiterin Frau R. - soweit unstreitig - erschienen und habe damit arbeitsvertragswidrig die Ursache dafür gesetzt, dass die Mitarbeiterin R. ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung nicht nachgekommen sei.

Zudem seien am 13.01.2010 Schlechtleistungen durch die Klägerin in der Weise festgestellt worden, dass diese den Aufgabenstellungen vom 04.01.2010 nicht nachgekommen sei. Die geforderten Weiterbildungsnachweise seien nicht vorgelegt worden. Die vom Kommunalen Sozialverband geforderte Dokumentation zum Beschwerdemanagement sei nicht angefertigt worden. Dies gelte ebenfalls für die am 04.01.2010 geforderte Desinfektionsdokumentation. Die Wochen-, Monats- und Jahresplanung habe am 13.01.2010 trotz der Anforderung vom 04.01.2010 nicht vorgelegen.

Aufgrund der - unstreitigen - Rücknahme der ordentlichen Kündigung vom 25.02.2010 in der Güteverhandlung vom 23.04.2010 habe die Notwendigkeit bestanden, die Erledigung des Rechtsstreites festzustellen, nicht aber die Stattgabe der Kündigungsschutzklage erfolgen dürfen.

Ob hinsichtlich der vorsorglichen fristgemäßen Kündigung vom 08.02.2010 die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer fristlosen Kündigung zugleich auch die Zustimmung zu einer vorsorglichen fristgemäßen Kündigung (als milderes Mittel) beinhalte, sei eine Rechtsfrage, die zur Entscheidung gestellt werde.

Der beklagte Verein beantragt,

die Klage in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg vom 22.12.2010 - Aktenzeichen 2 Ca 225/10 - abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des beklagten Vereins kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Klägerin bestreitet, der Arbeit am 13.01.2010 und am 14.01.2010 pflichtwidrig ferngeblieben zu sein. Sie sei als - insoweit unstreitig - Leiterin der Einrichtung für die Erstellung der Dienstpläne verantwortlich. Nach dem Dienstplan für den 13.01.2010 sei für sie ein Arbeitsende für 15:00 Uhr vorgesehen gewesen. Die Vertretung sei mit den Kolleginnen Frau M. und Frau K. abgesprochen gewesen. Eine Arbeitsverweigerung am 14.01.2010 sei nicht nachvollziehbar, da nach dem von dem beklagten Verein selbst kurzfristig geänderten Dienstplan die Arbeitszeit der Klägerin vor 15:00 Uhr geendet habe.

Angesichts der wiederholten Vorwürfe gegen ihre Person habe von ihr nicht erwartet werden können, ohne Hinzuziehung einer Vertrauensperson an Personalgesprächen unbekannten Inhalts teilzunehmen.

Die an sie gestellten Arbeitsaufforderungen vom 04.01.2010 habe sie im wesentlichen erfüllt. Selbst wenn man hier jedoch dem Vortrag des beklagten Vereins folgen wolle, so wäre ihr eine Bearbeitung im Rahmen der - insoweit unstreitig - gesetzten Nachfrist bis zum 15.01.2010 gar nicht möglich gewesen, da der beklagte Verein der Klägerin - insoweit ebenfalls unstreitig - den ihr zur Verfügung stehenden PC am 14.01.2010 entzogen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat der Klage im Ergebnis zutreffend stattgegeben.

I. Die Berufung des beklagten Vereins ist zulässig.

Dem steht die Berufungseinlegung vor Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils in Anwendung des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nicht entgegen. Die Berufungsbegründungsfrist beginnt sodann mit Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils (BAG vom 28.02.2008, NZA 2008, Seite 660), und ist damit vorliegend von dem beklagten Verein eingehalten worden.

II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

1. Die Entscheidung des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg ist hinsichtlich der fristgemäßen Kündigung vom 25.02.2010 rechtlich nicht zu beanstanden.

Entgegen der Auffassung des beklagten Vereins bleibt das Rechtsschutzinteresse eines Arbeitnehmers an dem Kündigungsschutzantrag nach § 4 KSchG im Falle einer einseitigen Rücknahme der Kündigung durch den Arbeitgeber bestehen, da die Gestaltungswirkung einer Kündigung als empfangsbedürftige Willenserklärung nach Zugang nicht mehr beseitigt und damit rechtswirksam nicht zurückgenommen werden kann (BAG vom 19.08.1982, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 9).

2. Die vorsorgliche ordentliche Kündigung vom 08.02.2010 ist in Ermangelung der erforderlichen Zustimmung des Integrationsamtes rechtsunwirksam (§ 85 SGB IX).

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2010 hat der Widerspruchsausschuss bei dem Integrationsamt Mecklenburg-Vorpommern (Aktenzeichen W 24/10) die Zustimmung zur vorsorglichen ordentlichen Kündigung vom 08.02.2010 versagt. Dagegen ist eine Klage durch den beklagten Verein bei dem Verwaltungsgericht nicht erhoben worden, so dass der benannte Widerspruchsbescheid damit in Rechtskraft erwachsen ist.

3. Die fristlose Kündigung vom 08.02.2010 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ebenfalls nicht rechtswirksam beendet.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann.

Dies setzt in einem ersten Schritt voraus, dass die festgestellte Pflichtverletzung bzw. die gegebenen Pflichtverletzungen "an sich" geeignet sein müssen, um darauf - ohne weitere Betrachtung des Einzelfalles - eine fristlose Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB stützen zu können (BAG vom 26.03.2009 - 2 AZR 953/07 - juris). Sodann ist unter Zugrundelegung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (Ultima-Ratio-Prinzip) zu berücksichtigen, dass eine außerordentliche Kündigung nur dann rechtswirksam ausgesprochen werden kann, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen des konkreten Falles möglichen und angemessenen milderen Mittel, die geeignet sind, dass in der bisherigen Form nicht mehr tragbare Arbeitsverhältnis fortzusetzen, erschöpft sind (BAG vom 12.07.2007, NZA 2008, Seite 173). Schließlich setzt eine außerordentliche Kündigung eine umfassende Interessenabwägung voraus. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Die außerordentliche Kündigung ist demnach nur wirksam, wenn die Interessen des Kündigenden gegenüber denen der anderen Partei überwiegen (BAG vom 06.11.2008 - 2 AZR 701/07 - juris).

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Voraussetzungen erweist sich die fristlose Kündigung vom 08.02.2010 als rechtsunwirksam.

a) Um überprüfen zu können, welche von dem beklagten Verein vorgetragenen Sachverhalte im vorgenannten Sinne "an sich" als Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB geeignet sind, ist zu ermitteln, welche konkreten Pflichtverletzungen zu Lasten der Klägerin unter Berücksichtigung des Vortrages der Parteien vorliegend feststellbar sind.

aa) Danach kann der Klägerin eine Arbeitsverweigerung weder für den 13.01.2010 noch für den 14.01.2010 unterstellt werden. Zwar behauptet der beklagte Verein, die Klägerin habe an beiden Tagen die Arbeitsleistung vor dem Ende ihrer persönlichen Arbeitszeit verweigert. Jedoch ist die Klägerin dem substantiiert mit ihrem Vortrag entgegengetreten, dass sie den Arbeitsplatz jeweils nach den sich aus den Dienstplänen für sie ergebenden Arbeitszeitbeendigungszeitpunkten verlassen habe. Dem ist der beklagte Verein substantiell nicht entgegengetreten. Auch fehlt es insoweit an jedweden Beweisantritten durch den darlegungs- und beweispflichtigen beklagten Verein, was im Ergebnis zu seinen Lasten geht.

Denn insoweit ist anerkannt, dass die von dem Gekündigten gemachten Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe vom Kündigenden im Rahmen einer gestuften Darlegungslast zu widerlegen sind. Wenn der Gekündigte - wie hier - die tatsächlichen Grundlagen der Rechtfertigung substantiiert dargelegt hat, muss der Kündigende darauf substantiiert erwidern und notwendigenfalls Beweis führen, wobei es ausreicht, die von dem Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen zu widerlegen (zutreffend BAG vom 18.09.2008 - 2 AZR 1039/06 - juris).

Dem beklagten Verein wäre es vorliegend auch ohne weiteres möglich gewesen, durch eigene Erkenntnis sowie durch Befragung z. B. der Mitarbeiterinnen Frau M. und Frau K. zu dem dienstplanmäßigen Einsatz der Klägerin für den 13.01.2010 und den 14.01.2010 vorzutragen und entsprechend Beweis anzutreten. Dies gilt umso mehr, als nach dem unstreitigen Vortrag beider Parteien bei dem beklagten Verein ganz offensichtlich mit Dienstplänen gearbeitet worden ist.

Auch eines richterlichen Hinweisen nach § 139 ZPO bedurfte es insoweit nicht. Denn zum einen hat die Klägerin schriftsätzlich wiederholt auf den insoweit unzureichenden Vortrag des beklagten Vereins hingewiesen. Zum anderen ist der beklagte Verein trotz der entsprechenden Hinweise der Kammer auf die entsprechende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes bei seiner Rechtsauffassung verblieben, für die Widerlegung von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen nicht darlegungs- und beweispflichtig zu sein.

bb) Die zweimalige Ablehnung der Klägerin am 14.01.2010 zur alleinigen Teilnahme an den jeweils vom beklagten Verein angesetzten Personalgesprächen stellt unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes keine Pflichtverletzung dar.

Zwar ist dem beklagten Verein zuzugeben, dass ein Arbeitnehmer selbstverständlich verpflichtet ist, an Personalgesprächen teilzunehmen. Ob ein solches Gespräch in jedem Fall das Recht für einen Arbeitnehmer zur Hinzuziehung einer Vertrauensperson begründet, kann vorliegend dahinstehen. Ein solches Recht ist aber jedenfalls dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer - wie hier - aufgrund erheblicher Vorwürfe in der Vergangenheit und tiefgreifenden Störungen in der Arbeitsatmosphäre damit rechnen und befürchten muss, dass derartige Personalgespräche mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auch die Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnissen zum Gegenstand haben. Dies gilt umso mehr, wenn - wie hier - die Besprechungsinhalte vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht bekannt gegeben werden (Arbeitsgericht Münster vom 06.07.1988, DB 1988, Seite 1756; LAG Rheinland-Pfalz vom 18.09.1996, NZA 1997, Seite 826).

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände war die Klägerin demnach zur alleinigen Teilnahme an den angesetzten Personalgesprächen ohne Hinzuziehung einer Vertrauensperson arbeitsvertraglich nicht verpflichtet.

cc) Als arbeitsvertragliche Pflichtverletzung durch die Klägerin ist der Umstand zu werten, dass sie am 14.01.2010 gegen zirka 15:00 Uhr die ihr unterstellte Mitarbeiterin Frau R. zu der angesetzten externen Personalbesprechung mitgenommen hat. Dabei kommt es entgegen der Ansicht der Klägerin nicht darauf an, ob Frau R. sie freiwillig begleitet hat. Die Klägerin als Vorgesetzte der Frau R. hätte andere Möglichkeiten gehabt, eine andere Person ihres Vertrauens hinzuziehen. Es ist keine Berechtigung der Klägerin ersichtlich, als unmittelbare Vorgesetzte die Unterbrechung der Arbeitsleistung durch Frau R. zum Zwecke der Verfolgung eigener Interessen in Kauf zu nehmen.

Dieser verhaltensbedingte Vorwurf ist nach Auffassung der Kammer auch "an sich" geeignet, einen Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen zu können. Denn auch aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers stellt es eine Pflichtverletzung von nicht unerheblicher Tragweite dar, wenn ein Mitarbeiter in gehobener Position einen wiederum unterstellten Mitarbeiter zum Zweck der Verfolgung persönlicher Interessen in Kenntnis des Umstandes in Anspruch nimmt, dass dieser in dem in Betracht kommenden Zeitraum zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet ist.

dd) Gleiches gilt für den Umstand, dass die Klägerin nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien die ihr am 04.01.2010 übertragenen Arbeitsaufgaben nicht auftragsgemäß bis zum 13.01.2010 erledigt hat. Zwar ist es durchaus zweifelhaft, ob dieser Vorgang allein für sich genommen "an sich" einen Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen kann. Darauf kommt es vorliegend jedoch nicht an. Denn jedenfalls ist dieser Umstand in der Gesamtschau gemeinsam mit der unter cc) festgestellten Pflichtverletzung als Kündigungsgrund "an sich" geeignet.

b) Die festgestellten Pflichtverletzungen der Klägerin reichen in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (Ultima-Ratio-Prinzip) nicht aus, um damit die fristlose Kündigung vom 08.02.2011 rechtfertigen zu können.

Eine außerordentliche Kündigung ist nur dann zulässig, wenn alle anderen nach den jeweiligen Umständen des konkreten Falles möglichen und angemessenen milderen Mittel, die geeignet sind, das in der bisherigen Form nicht mehr tragbare Arbeitsverhältnis fortzusetzen erschöpft sind. Insbesondere kommt eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB nur dann in Betracht, wenn die Kündigung selbst zu der vorliegenden Störung des Arbeitsverhältnisses in einem angemessenen Verhältnis steht, es sich mithin um die unausweichlich letzte Maßnahme für den Kündigungsberechtigten handelt (BAG vom 19.04.2007, NZA-RR 2007, Seite 571).

Den genannten Voraussetzungen hält die hier im Streit befindliche außerordentliche Kündigung vom 08.02.2010 nicht stand.

Bei der Bewertung der Tragweite der oben unter II. 3. a) cc) festgestellten Pflichtverletzung kann nach Ansicht der Kammer nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die Klägerin spätestens angesichts der Vorgänge am 14.01.2010 um die Wegnahme ihres PC durch den beklagten Verein bezüglich des für 15:00 Uhr anberaumten Personalgespräches in einer erheblichen Drucksituation befunden haben muss. Vor diesem Hintergrund ist die festgestellte Pflichtverletzung in Form der Duldung der unterbliebenen Arbeitsleistung durch die ihr unterstellte Mitarbeiterin Frau R. nicht auf eine leichtfertige Pflichtverletzung oder gar eine Schädigungsabsicht der Klägerin zu Lasten des beklagten Vereins zurückzuführen, sondern ist vordergründig als Maßnahme zum Zwecke des Selbstschutzes zu bewerten. Dieser Umstand ändert zwar nichts an der Tatsache der Pflichtverletzung selbst. Jedoch wiegt die Verfehlung zur Überzeugung der Kammer bei Weitem nicht so schwer, als dem beklagten Verein als milderes Mittel nicht jedenfalls das Zuwarten der Kündigungsfrist im Rahmen einer ordentlichen Kündigung zumutbar gewesen wäre.

Gleiches gilt für die von dem beklagten Verein behaupteten Schlechtleistungen [II. 3. a) dd)] bereits deshalb, weil dieser ausweislich des Protokolls zur Besprechung vom 13.01.2010 (Blatt 35 Rückseite, Band I d. A.) eine weitere Frist zur Bearbeitung bis zum 15.01.2010 setzte. Denn damit hat der beklagte Verein deutlich gemacht, dass jedenfalls ausschließlich aus Gründen der behaupteten Schlechtleistungen weder eine außerordentliche noch eine ordentliche Kündigung erfolgen sollte.

Mithin wäre es dem beklagten Verein auch bei der Gesamtbetrachtung der unter II. 1. a) cc) und dd) festgestellten Fehlverhalten der Klägerin zumutbar gewesen, darauf - wenn überhaupt - mit einer fristgemäßen Kündigung als milderes Mittel angemessen zu reagieren.

4. Ob die außerordentliche Kündigung vom 08.02.2010 auch vor dem Hintergrund der nicht rechtskräftigen und die Zustimmung zur Kündigung ablehnenden Entscheidung des Widerspruchsausschusses als rechtsunwirksam zu qualifizieren ist (vgl. insoweit LAG Köln vom 11.10.2002, 11 Sa 431/03, juris), kann vorliegend aus den vorgenannten Gründen dahinstehen.

Nach alledem ist wie erkannt zu entscheiden.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) sind nicht ersichtlich.

VorschriftenBGB § 626 Abs. 1

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