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14.02.2011

Hessisches Landesarbeitsgericht: Urteil vom 24.08.2010 – 12 Sa 940/09

Ist eine Betriebsvereinbarung zum betrieblichen Vorschlagswesen so ausgestaltet, dass die Entscheidung über die Prämienberechtigung (Grund u. Höhe) einer paritätisch besetzten und mehrheitlich entscheidenden Ideenkommission übertragen ist, hat vor einer gerichtlichen Entscheidung zunächst die Kommission ihre Entscheidung zu treffen. Erst die dabei getroffenen Feststellungen und Bewertungen können einer beschränkten gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden. (BAG 20.01.2004 - 9 AZR 393/03 - NZA 2004, 995).

Das bedeutet gleichzeitig, dass eine Klage zur Durchsetzung eines Prämienanspruchs aus einer derart ausgestatteten Betriebsvereinbarung, die ohne Ausschöpfung des betrieblichen Verfahrens sofort bei den Arbeitsgerichten anhängig gemacht wird, als (derzeit) unzulässig abzuweisen ist.


Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 17.02.2009, Az.: 6 Ca 124/08, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Prämie für eine Verbesserungsidee auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung Ideenmanagement.

Die Beklagte ist ein großer deutscher Automobilhersteller. Die Klägerin ist seit 1982 im Werk der Beklagten in A tätig und dort als Disponentin in der Abteilung Originalteile Launch Management Electrics eingesetzt.

Zum Umgang mit Verbesserungsideen besteht bei der Beklagten eine Gesamtbetriebsvereinbarung Ideenmanagement vom 16.06.1999 (GBV Nr.1/99), die sowohl die materiellen Voraussetzungen für Prämienansprüche gegen die Beklagte als auch ein Verfahren für die Gewährung und die Bestimmung der Höhe der Prämien regelt. Nach Ziff. 6.2.1 GBV beträgt die Höchstprämie für Verbesserungsideen mit berechenbaren Vorteilen 51.129,00 Euro (früher 100.000,00 DM). Nach Ziff. 7 GBV entscheidet über die Prämienberechtigung der Ideengeber eine paritätisch besetzte Ideenkommission. Nach Ziff. 8 GBV kann der Ideengeber gegen die Entscheidung der Ideenkommission innerhalb von drei Monaten beim Unternehmensbereich Ideenmanagement Einspruch erheben. Für die weiteren Regelungen wird auf die zur Akte gereichte Kopie der Gesamtbetriebsvereinbarung Bezug genommen (Bl. 7 - 20 d. A.).

Die Klägerin reichte bei der Beklagten unter Verwendung des Ideenblattes 14-02-081311 (Bl. 6 d. A.) am 16.10.2002 eine Verbesserungsidee ein. Diese bestand in dem Vorschlag, Bremsflüssigkeit an den Großhandel statt wie bisher in 57-Liter-Fässern in den für andere Produkte schon verwendeten 60-Liter-Fässern zu verkaufen, weil diese dann mit 57 Liter statt mit 50 Liter Bremsflüssigkeit gefüllt werden könnten.

Die Beklagte nahm den Vorschlag zunächst in der Weise auf, dass sie ab November 2003 die bisher verwendeten Fässer statt mit 50 Litern mit 52 Litern befüllte. Die Beklagte zahlte der Klägerin dafür nach einer Entscheidung der Ideenkommission am 24.03.2004 eine Prämie in Höhe von 1.160,00 Euro.

In der zweiten Jahreshälfte 2006 entschied die Beklagte schließlich, die Transportfässer für die Bremsflüssigkeit auszutauschen und künftig nicht mehr Fässer mit einem Fassungsvermögen von 57 Litern, sondern von 63 Litern zu verwenden, die dann mit 60 Litern befüllt werden könnten. Zwischen den Parteien besteht Streit darüber, ob diese Maßnahme auf der Idee der Klägerin aus dem Jahre 2002 basiert oder - wie die Beklagte behauptet, auf eine unabhängige Anregung des Konzernlabors in Wolfsburg vom 12.07. 2006 zurückgeht. Die Umsetzung der Idee erfolgte am 29.06.2006 durch Anlegen einer neuen Teilenummer.

Die Klägerin legte darauf am 18.09.2006 Einspruch gegen die im Jahre 2004 für sie festgelegte Prämie ein und forderte eine weitere Prämienzahlung, weil die Einführung der größeren Fässer auf ihre Idee aus dem Jahre 2002 zurückzuführen sei. In dem sich anschließenden Schriftverkehr lehnte die Beklagte eine weitere Prämienzahlung ab. Die Ideenkommission wurde mit dem "Einspruch" der Klägerin nicht befasst.

Am 11.03.2008 hat die Klägerin beim Arbeitsgericht zunächst Klage auf Feststellung, dass ihr eine weitere Prämienzahlung zusteht, sowie auf Auszahlung der Prämie nach Ermittlung der sich daraus ergebenden Jahreseinsparung eingereicht. Nach Abschluss eines Zwischenvergleichs über den Antrag 1) und Erteilung einer Auskunft seitens der Beklagten hat die Klägerin beantragt, ihr - unter Anrechnung auf die bereits im Jahr 2004 bezahlte Prämie - die Höchstprämie der Prämiengruppe A (Verbesserungsidee mit berechenbaren Vorteilen) zu zahlen.

Für den weiteren unstreitigen Sachverhalt, den jeweiligen Vortrag und die Anträge der Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen (Bl. 86 - 87 d. A.).

Das Arbeitsgericht Kassel hat mit Urteil vom 17.02.2009 - Az. 6 Ca 124/08 - der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte - unter Anrechnung des bereits gezahlten Betrages - zur Zahlung einer A-Prämie nach der bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung in Höhe von weiteren € 8.8.53,89 brutto nebst Zinsen verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Für die Begründung der Entscheidung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 87 - 89 d.A.).

Die Klägerin hat gegen das ihr am 16.04.2009 zugestellte Urteil am 15.05. 2009 Berufung eingelegt und diese am 15.06.2009 begründet.

Die Klägerin ist mit den Annahmen des erstinstanzlichen Gerichts zur Höhe der Prämie nicht einverstanden, und zwar sowohl hinsichtlich der Anzahl der jährlich verkauften Fässer als auch hinsichtlich des Umstands, dass die Beklagte für denselben Preis wie früher und unveränderter Anzahl der verkauften Fässer pro Fass 7 Liter mehr Bremsflüssigkeit bekommt und weiter verkaufen könne. Die Klägerin behauptet dazu, dass die Beklagte jährlich 60.000 Fässer Bremsflüssigkeit verkaufe. Dabei spare sie nicht nur für beim Kauf jedes der billigeren neuen Fässer einen Betrag von insgesamt 14.000,00 Euro, sondern bekomme bei unverändert gebliebener Zahl der ge- und verkauften Fässer sowie gleichgebliebenem Preis für Bremsflüssigkeit pro Fass noch 8 Liter mehr geliefert, die sie weiterverkaufen könne. Das führe zu einer weiteren jährlichen Einsparung von 1,2 Mio Euro. Nach Ziff. 6.2.1 führten Einsparungen dieser Größenordnung zum Anspruch auf die Höchstprämie von 51.129,00 Euro, auf die sich die Klägerin die bereits im Jahre 2004 erhaltene Zahlung und den rechtskräftig vom Arbeitsgericht Kassel ausgeurteilten Betrag anrechnen lässt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 17.02.2009, Az.: 6 Ca 124/08 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 41.115,11 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 20.03.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass die Einführung größerer Fässer für Bremsflüssigkeit im Jahre 2006 nicht auf den Verbesserungsvorschlag der Klägerin aus dem Jahre 2002 zurückgehe, sondern auf eine Anregung des Konzernlabors im Werk B. Das Ergebnis einer Prüfung zusammen mit Mitarbeitern aus den Abteilungen Beschaffung, Anlagenplanung und Werkstattausrüstung habe am 12.07.2006 zu der Empfehlung geführt, künftig nur noch größere Fässer mit einem Fassungsvermögen von 63 Litern zu verwenden und mit 60 Litern zu füllen. Die Beklagte behauptet weiter, dass die Einführung der größeren Fässer zu einer Einsparung in Höhe von lediglich 30.138,92 Euro geführt habe, zusammengesetzt aus Kostenreduzierungen bei der Fracht und im Handling. Zu weiteren Einspareffekten sei es schon wegen der gestiegenen Preise für die größeren Fässer nicht gekommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 17.02.2009 ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 3 b ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 1 u. 3 ZPO).

In der Sache bleibt die Berufung jedoch ohne Erfolg. Der Klägerin steht (derzeit) kein Anspruch auf weitere Zahlung einer Prämie nach Ziff. 6.2.1 (Prämiengruppe A, Verbesserungsidee mit berechenbaren Vorteilen) zu.

Der Anspruch scheitert bereits daran, dass das Gericht nach der Ausgestaltung der Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 1/99 derzeit, d.h, bevor die Ideenkommission über den Anspruch der Klägerin entschieden hat, nicht befugt ist, anstelle der Ideenkommission eine Entscheidung über Grund und Höhe einer der Klägerin eventuell zustehenden Prämie zu treffen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 20.01.2004 - 9 AZR 393/03 - NZA 2004, 995) zu gleichgelagerten Fällen dürfen die Betriebsparteien zur verbindlichen Beurteilung eingereichter Verbesserungsvorschläge paritätische Kommissionen einrichten. Die mit Mehrheit getroffenen tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen dieser Kommissionen sind nur beschränkt gerichtlich überprüfbar: Inhaltlich ist zu überprüfen, ob das Ergebnis offensichtlich unrichtig ist. Verfahrensmäßig ist zu überprüfen, ob die Feststellungen grob unbillig zustande gekommen sind oder ob Verstöße gegen die zu Grunde liegende Betriebsvereinbarung das Ergebnis beeinflusst haben können. Daraus folgt auch, dass bei Bestehen einer durch Betriebsvereinbarung eingerichteten paritätischen Kommission, die durch Mehrheitsbeschluss entscheidet, die Gerichte einer Entscheidung über den Prämienanspruch durch die Kommission nicht vorgreifen können; denn damit würde der Kommission die Ausübung der ihr wirksam und verbindlich von den Betriebsparteien eingeräumten Kompetenzen unmöglich.

Die Gesamtbetriebsvereinbarung erfüllt die in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Voraussetzungen für die Entscheidungsbefugnis der eingerichteten Kommission zur Entscheidung über betriebliche Verbesserungsvorschläge. Nach Ziff. 7 GBV und der Anlage 1 zur GBV ist die Ideenkommission paritätisch aus Beauftragten des Unternehmens und Vertretern des Gesamtbetriebsrats besetzt. Eine Entscheidung ist nur getroffen, wenn beide Seiten übereinstimmen. Dabei darf jede Seite nur ein einheitliches Votum abgeben. Der Vorsitzende hat kein Stimmrecht. Bei dieser Ausgestaltung der Entscheidungsfindung können Entscheidungen nur zustande kommen, wenn alle Mitglieder der Kommission ihr zustimmen. Damit ist den Prinzipien der Parität und Ausgewogenheit im höchsten Maße Genüge getan.

Unstreitig ist die Frage, ob der Klägerin eine weitere Prämie zusteht, nachdem die Beklagte im September 2006 größere Fässer für Bremsflüssigkeit eingeführt hat, der Kommission nicht zur Behandlung vorgelegt worden. Das ist zunächst durch die Parteien nachzuholen. Die Befassung der Kommission scheitert erkennbar auch nicht an zwingenden Verfahrenshindernissen. Weder können, da zu dieser Frage noch keine Entscheidung getroffen wurde, Einspruchsfristen abgelaufen sein, noch ist die Schutzfrist der Ziff. 4.7 GBV von drei Jahren abgelaufen.

Die Klägerin hat gem. §§ 64 Abs.6 ArbGG, 97 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG waren nicht ersichtlich.

VorschriftenBetrVG § 77

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