Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

29.09.2009 · IWW-Abrufnummer 093278

Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 29.02.1996 – C-215/94

Bei dem Verfahren ging es um die Frage, ob die Aufgabe der Milcherzeugung durch einen Landwirt eine Dienstleistung nach Artikel 6 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie darstellt und ob die hierfür erhaltene Vergütung Entgelt im Sinne des Artikels 11 der 6. EG-Richtlinie ist. Der Bundesfinanzhof, der das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet hatte, neigte dazu, einen steuerbaren Leistungsaustausch anzunehmen.


Der EuGH hat entschieden, daß die Verpflichtung zur Aufgabe der Milcherzeugung, die ein Landwirt zum Erhalt einer öffentlichen Vergütung eingeht, keine Dienstleistung darstellt. Die erhaltene Vergütung ist demnach nicht umsatzsteuerpflichtig. Der EuGH begründet dies im wesentlichen damit, daß es im vorliegenden Fall keinen Verbrauch der Leistung im Sinne des gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems gegeben habe.


EuGH

Urteil vom 29.02.1996

C-215/94

Gründe

Urteil des Gerichtshofes
(Fünfte Kammer)

"Mehrwertsteuer - Begriff der Dienstleistung - Endgültige Aufgabe der Milcherzeugung - Aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1336/86 erhaltende Vergütung"

In der Rechtssache C-215/94

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Bundesfinanzhof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Jürgen Mohr[1]
gegen
Finanzamt Bad Segeberg
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie des Rates (77/388/EWG) vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Abl. L 145, S. 1)

erläßt

Der Gerichtshof
(Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward, der Richter J.-P. Puissochet, J. C. Moitinho de Almeida, C. Gulmann (Berichterstatter) und L. Sevón,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat Ernst Röder und Oberregierungsrat Bernd Kloke, Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,
der französischen Regierung, vertreten durch Catherine de Salins, stellvertretende Direktorin in der Direktion für Rechtsfragen des Außenministeriums, und Jean-Louis Falconi, Sekretär für Auswärtige Angelegenheiten in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
der italienischen Regierung, vertreten durch Umberto Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico des Außenministeriums, und Maurizio Fiorilli, Avvocato dello Stato, als Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Jürgen Grunwald, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Jürgen Mohr, vertreten durch Steuerberater Ronald Hansen, Hamburg, des Finanzamts Bad Segeberg, vertreten durch Ministerialrat Rolf Karl Krauß, Ministerium für Finanzen und Energie des Landes Schleswig-Holstein, Kiel, als Bevollmächtigten, der deutschen Regierung, vertreten durch Bernd Kloke, der französischen Regierung, vertreten durch Frédéric Pascal, Chargé de mission in der Direktion für Rechtsfragen des Außenministeriums, als Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten durch Jürgen Grunwald, in der Sitzung vom 12. Oktober 1995,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. November 1995,

folgendes Urteil

Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 21. April 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Juli 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie des Rates (77/388/EWG) vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Abl. L 145, S. 1, im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Jürgen Mohr (im folgenden: Kläger) und dem Finanzamt Bad Segeberg (im folgenden: Beklagter).

Der Kläger war Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes, in dem er Milchvieh hielt. Im März 1987 stellte er beim Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft einen Antrag auf Gewährung einer Vergütung aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1336/86 des Rates vom 6. Mai 1986 zur Festsetzung einer Vergütung bei der endgültigen Aufgabe der Milcherzeugung (Abl. L 119, S. 21). In seinem Antrag verpflichtete er sich zur Aufgabe der Milcherzeugung und verzichtete darauf, einen Anspruch auf eine Milchreferenzmenge im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation geltend zu machen.

Am 23. September 1987 gab das Bundesamt seinem Antrag statt und gewährte ihm eine Vergütung in Höhe von 385 980 DM, die in einem Betrag gezahlt wurde. In der Folge verkaufte der Kläger sein Vieh, wandelte seinen Betrieb in einem Reiterhof um und stellte damit seine gesamte Milcherzeugung im Laufe desselben Jahres ein.

In seiner Umsatzsteuererklärung für 1987 gab der Kläger den Betrag, den er als Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung erhalten hatte, nicht an.

Der Beklagte sah diese Vergütung als Entgelt für eine steuerbare Leistung, nämlich die Aufgabe der Milcherzeugung, an und unterwarf sie der Umsatzsteuer.

Nachdem der Kläger den Bescheid des Beklagten vergeblich vor dem Finanzgericht angefochten hatte, rief er den Bundesfinanzhof an.

Der Bundesfinanzhof hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen, und hat dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Erbringt ein steuerpflichtiger Landwirt, der die Milcherzeugung endgültig aufgibt, eine Dienstleistung im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie vom 17. Mai 1977 (77/338/EWG) zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern, und
2. ist die hierfür erhaltene Vergütung aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1336/86 des Rates vom 6. Mai 1986 eine Geldleistung, die nach Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie zu versteuern ist?

Diese beiden Fragen des vorlegenden Gerichts gehen im wesentlichen dahin, ob die Artikel 6 Absatz 1 und 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie dahin auszulegen sind, daß die Verpflichtung zur Aufgabe der Milcherzeugung, die ein Landwirt im Rahmen der Verordnung Nr. 1336/86 eingeht, eine Dienstleistung darstellt, mit der Folge, daß die hierfür erhaltene Vergütung umsatzsteuerpflichtig ist.

Gemäß Artikel 2 Nr. 1 der Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer "Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt".

Artikel 6 Absatz 1 bestimmt:

"Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstandes im Sinne des Artikels 5 ist.
Diese Leistung kann unter anderem bestehen
...
in der Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen oder eine Handlung oder einen Zustand zu dulden;
..."

Nach Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a ist die Besteuerungsgrundlage "bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen ... alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen".

Wie der Generalanwalt in den Nummern 12 bis 19 seiner Schlußanträge festgestellt hat, gehört die Verordnung Nr. 1336/86 zu einer Reihe von Maßnahmen, die die Kommission zur Begrenzung der Milcherzeugung erlassen hat.

Nach der dritten Begründungserwägung dieser Verordnung sollte, um die aus der Herabsetzung der Garantiemengen folgende Verringerung der Lieferungen und Direktverkäufe zu erleichtern, in einer Gemeinschaftsregelung über die Finanzierung einer Aufgabe der Milcherzeugung vorgesehen werden, daß ein Erzeuger, der sich zur endgültigen Aufgabe der gesamten Milcherzeugung verpflichtet, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf Antrag eine Vergütung erhält.

Artikel 1 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung sieht daher vor: "Erzeugern ..., die sich zur endgültigen Aufgabe der Milcherzeugung verpflichten, wird auf Antrag eine Vergütung nach den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen ... gewährt". Nach Artikel 2 Absatz 2 sind die Mitgliedstaaten im Rahmen der im Anhang II festgesetzten Beträge "ermächtigt, eine Vergütung von höchstens 4 ECU jährlich je 100 kg Milch oder Milchäquivalent ... zu zahlen". Gemäß Artikel 2 Absatz 3 können die Mitgliedstaaten zur Finanzierung der Maßnahme durch Erhöhung der Vergütung beitragen.

Die deutsche und die italienische Regierung vertreten die Auffassung, ein Milcherzeuger, der sich zur endgültigen Aufgabe seiner Erzeugung verpflichte, erbringe eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne der Artikel 2 und 6 Absatz 1 der Richtlinie.

Die beiden Regierungen machen in diesem Zusammenhang geltend, die Zahlung der Vergütung und die Verpflichtung zur Aufgabe der Milcherzeugung hingen voneinander ab und begründeten damit den unmittelbaren Zusammenhang zwischender erbrachten Dienstleistung und ihrer Gegenleistung, den der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verlange (Urteile vom 5. Februar 1981 in der Rechtssache 154/80, Coöperatieve Aardappelenbewaarplaats, Slg. 1981, 445, und vom 3. März 1994 in der Rechtssache C-16/93, Tolsma, Slg. 1994, I-743). Die Leistung bestehe in einer Verpflichtung im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie, eine Handlung - die weitere Milcherzeugung - zu unterlassen, und die gezahlte Vergütung habe den Charkter eines Entgelts, das als Gegenleistung für diese Verpflichtung gezahlt werde und damit die Besteuerungsgrundlage im Sinne von Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie darstelle.

Dieser Auslegung der Richtlinie ist nicht zu folgen.

Gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Ersten Richtinie des Rates (67/227/EWG) vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (Abl. 1967, Nr. 71, S. 1301) ist die Mehrwertsteuer eine allgemeine Verbrauchsteuer auf Gegenstände und Dienstleistungen.

In einem Fall wie dem vorliegenden gibt es aber keinen Verbrauch im Sinne des gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems.

Wie der Generalanwalt in Nummer 27 seiner Schlußanträge ausführt, erwirbt die Gemeinschaft dadurch, daß sie den Landwirten, die sich zur Aufgabe ihrer Milcherzeugung verpflichten, einen Ausgleich gewährt, keine Gegenstände und empfängt auch keine Dienstleistungen zur eigenen Verwendung, sondern sie handelt im allgemeinen Interesse an der Förderung des ordnungsgemäßen Funktionierens des Milchmarktes der Gemeinschaft.

Unter diesen Umständen bringt die Verpflichtung des Landwirts zur Aufgabe seiner Milchproduktion weder der Gemeinschaft noch den zuständigen nationalen Stellen Vorteile, aufgrund deren sie als Empfänger einer Dienstleistung angesehen werden könnten. Die streitige Verpflichtung stellt daher keine Dienstleistung im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie dar.

Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie dahin auszulegen sind, daß die Verpflichtung zur Aufgabe der Milcherzeugung, die ein Landwirt im Rahmen der Verordnung Nr. 1336/86 eingeht, keine Dienstleistung darstellt. Die dafür erhaltene Vergütung ist folglich nicht umsatzsteuerpflichtig.

Kosten

Die Auslagen der deutschen, der französischen und der italienischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen
hat Der Gerichtshof (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 21. April 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie des Rates (77/388/EWG) vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage - sind dahin auszulegen, daß die Verpflichtung zur Aufgabe der Milcherzeugung, die ein Landwirt im Rahmen der Verordnung (EWG) Nr. 1336/86 des Rates vom 6. Mai 1986 zur Festsetzung einer Vergütung bei der endgültigen Aufgabe der Milcherzeugung eingeht, keine Dienstleistung darstellt. Die dafür erhaltene Vergütung ist folglich nicht umsatzsteuerpflichtig.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg


Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr