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26.09.2006 · IWW-Abrufnummer 062860

Bundesgerichtshof: Beschluss vom 27.07.2006 – VII ZB 16/06

Die Streitverkündung gegenüber einem gerichtlichen Sachverständigen zur Vorbereitung von Haftungsansprüchen gegen diesen aus angeblich fehlerhafter, im selben Rechtsstreit erbrachter Gutachterleistungen ist unzulässig.



Der Streitverkündungsschriftsatz ist nicht zuzustellen.


BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

VII ZB 16/06

vom
27. Juli 2006

in dem Rechtsbeschwerdeverfahren

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Juli 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Dr. Haß, Dr. Kuffer, Bauner und die Richterin Safari Chabestari

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 29. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Bezahlung restlichen Werklohns. Die Beklagten machen u.a. geltend, die Werkleistungen seien teilweise nicht vertragsgerecht erbracht worden.

Der Sachverständige H. hat im Auftrag des Landgerichts unter dem 13. September 2004 ein schriftliches Gutachten erstattet, der Sachverständige B. als Mitgutachter ein solches unter dem 21. Juni 2005.

Die Beklagten behaupten, Gutachten und Mitgutachten seien teilweise grob fahrlässig unrichtig. Mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2005 haben sie den beiden Sachverständigen den Streit verkündet. Sie machen geltend, bei einer den Gutachten folgenden rechtskräftigen Entscheidung zu ihrem Nachteil stünden ihnen Schadensersatzansprüche gemäß § 839 a BGB gegen die Sachverständigen zu.

Das Landgericht hat die Zustellung der Streitverkündungsschriftsätze abgelehnt, da die Streitverkündung rechtsmissbräuchlich sei. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstreben die Beklagten die Zustellung der Streitverkündungsschriftsätze an die Sachverständigen H. und B.

II.

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht führt aus, die Streitverkündungsschriftsätze seien den Sachverständigen zu Recht nicht zugestellt worden, weil die Streitverkündung vorliegend eine nicht hinnehmbare, letztlich missbräuchliche Einflussnahme auf das Gerichtsverfahren darstelle und die für die Gerichtsgutachtertätigkeit unverzichtbare Unparteilichkeit untergrabe. Ziel der Beklagten sei es, die erforderliche weitere Sachaufklärung durch die gerichtlich eingesetzten Gutachter zu unterbinden. Denn die Streitverkündung gegenüber den gerichtlichen Sachverständigen habe, wie dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten unzweifelhaft bewusst sei, bei einem Beitritt zwingend den Verlust der Unparteilichkeit des Sachverständigen zur Folge, während für den Streitverkünder die Interventionswirkung des § 68 ZPO nicht zu erzielen sei.

2. Die Rechtsbeschwerde ist demgegenüber der Auffassung, der Partei müsse Gelegenheit gegeben werden, die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für einen ihr gemäß § 839 a BGB zustehenden Anspruch zu schaffen. Werde ihr die Möglichkeit der Streitverkündung versagt, beraube man sie eines ganz wesentlichen Mittels, welches dem Sachverständigen vor Augen führe, dass eine Partei erwäge, wegen eines falschen Gutachtens gegen ihn vorzugehen. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb die Streitverkündung zum Schutz des Sachverständigen zu unterbleiben habe. Bei einem nach seiner pflichtgemäßen Beurteilung richtigen Gutachten habe der Sachverständige nichts zu befürchten. Habe das Gutachten Mängel, sei es seine Aufgabe, das Gutachten richtig zu stellen.

3. Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die Streitverkündung an den gerichtlichen Sachverständigen unzulässig und die Zustellung der Streitverkündungsschriftsätze als rechtsmissbräuchlich zu verweigern ist.

a) In Rechtsprechung (OLG Koblenz, Beschluss vom 28. September 2005 - 12 W 251/05, BauR 2006, 144) und Literatur (Böckermann MDR 2002, 1348; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 72 Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 72 Rdn. 5; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 72 Rdn. 3; Rickert/König NJW 2005, 1829; Kamphausen, BauR 2006, 142; differenzierend: Ulrich, BauR 2006, 724; Weise, NJW-Spezial 2006, 165) wird teilweise angenommen, eine Streitverkündung an den gerichtlichen Sachverständigen komme während eines anhängigen Rechtsstreits nicht in Betracht. Der gerichtliche Sachverständige sei als zur Unparteilichkeit verpflichteter Helfer des Gerichts kein außenstehender Dritter im Sinne des § 72 ZPO, sondern - wie der Richter - selbst Prozessbeteiligter. Die Streitverkündung an den gerichtlichen Sachverständigen sei damit generell unzulässig.

b) Der Senat hat diese Frage bisher offengelassen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Februar 2005 - VII ZB 22/04, BauR 2005, 899 = ZfBR 2005, 449), jedoch bereits im Urteil vom 12. Januar 2006 (VII ZR 207/04, BauR 2006, 716 = NZBau 2006, 239 = ZfBR 2006, 341) auf erhebliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der Streitverkündung gegenüber einem Sachverständigen in einem derartigen Fall hingewiesen. Er schließt sich nunmehr der oben a) dargestellten Rechtsauffassung an.

Die Streitverkündung gegenüber einem gerichtlichen Sachverständigen zur Vorbereitung von Haftungsansprüchen gegen diesen aus angeblich fehlerhafter, im selben Rechtsstreit erbrachter Gutachterleistungen ist bereits deshalb allgemein unzulässig, weil der Sachverständige in diesem Verfahren nicht als Dritter im Sinne des § 72 Abs. 1 ZPO behandelt werden kann. Er steht als neutraler, vom Gericht bestellter "Gehilfe des Richters" ähnlich dem Richter nicht außerhalb des Prozesses. Wie dieser ist er, um in Erfüllung seiner prozessrechtlichen Aufgabe dem Richter die notwendige Sachkunde für die Entscheidung des Rechtsstreits zu vermitteln, zur Unparteilichkeit verpflichtet und unterliegt gemäß § 406 ZPO einer vergleichbaren Regelung über die Ablehnung wegen Befangenheit.

Mit dieser verfahrensrechtlichen Stellung des Sachverständigen, insbesondere der unabdingbaren Gewährleistung seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, wäre es unvereinbar, ihn als Dritten im Sinne des § 72 Abs. 1 ZPO zu behandeln und ihn aus Gründen in die Rolle eines Streitverkündungsempfängers zu versetzen, die ihren Ursprung gerade in seiner Aufgabenerfüllung im Rahmen desselben Rechtsstreits haben. Ein Beitritt nach § 74 ZPO, der ihm dann nicht verwehrt werden dürfte, müsste ihn zwangsläufig an die Seite einer Prozesspartei stellen und damit seine verfahrensrechtliche Position entgegen der im Prozessrecht vorgesehenen Aufgabenverteilung völlig verändern. Er wäre nunmehr der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 406 ZPO ausgesetzt und könnte auf diese Weise von einer Prozesspartei nach Belieben aus dem Rechtsstreit entfernt werden. Damit wäre die Entscheidung, ob ein Sachverständiger weiter im Verfahren verbleiben soll, in die Hand der Partei gegeben und das Recht des Gerichts beeinträchtigt, den Sachverständigen pflichtgemäß auszuwählen.

Diesem aus der verfahrensrechtlichen Stellung des Sachverständigen folgenden Verständnis des § 72 Abs. 1 ZPO dahin, dass er nicht als Dritter im Sinne dieser Regelung anzusehen ist, stehen auch keine höherrangigen schutzwürdigen Interessen der Prozesspartei entgegen, die eine andere Auslegung gebieten könnten. Soweit sie in besonderen Fallkonstellationen möglicherweise ein Interesse an einer Interventionswirkung nach § 68 ZPO haben sollte, das jedenfalls nicht den Hauptstreitpunkt über Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Sachverständigengutachtens betreffen kann (vgl. dazu Rickert/König, NJW 2005, 1829), kann dies nicht dazu führen, entgegen den dargestellten verfahrensrechtlichen Grundregeln den Rechtsstreit den Gefahren auszusetzen, die aus einer faktischen Parteidisposition über den Sachverständigen resultieren würden. Vielmehr stellt sich eine Streitverkündung an den Sachverständigen regelmäßig als rechtsmissbräuchlicher Versuch dar, einen Sachverständigen, mit dessen Begutachtung die Partei nicht einverstanden ist, aus dem Rechtsstreit zu entfernen, statt die Bedenken, die gegen die gutachterliche Stellungnahme bestehen mögen, mit den insoweit vorgesehenen prozessualen Mitteln zur Geltung zu bringen.

c) Die Zustellung einer Streitverkündungsschrift, die eine aus den dargelegten Gründen generell unzulässige Streitverkündung an den Sachverständigen bewirken soll, ist vom Gericht zu verweigern. Dies folgt daraus, dass eine Zustellung der Streitverkündungsschrift in derartigen Fällen bereits die Gefahren für einen ordnungsgemäßen Fortgang des Rechtsstreits heraufbeschwören würde, derentwegen die Streitverkündung selbst als unzulässig zu erachten ist. Im Falle einer Zustellung würde der Sachverständige, auch wenn die Streitverkündung als solche unzulässig ist, sich veranlasst sehen können, den Beitritt zum Rechtsstreit zu erklären und damit seine Befangenheit herbeizuführen. Damit wäre der Erfolg des regelmäßig rechtsmissbräuchlichen Vorgehens der Partei erreicht. Dem muss dadurch begegnet werden, dass es schon nicht zur Zustellung der Streitverkündungsschrift kommt.

RechtsgebietZPOVorschriftenZPO § 72 Abs. 1

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