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26.05.2004 · IWW-Abrufnummer 040832

Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 15.07.2003 – I 24 U 16/03

Wünscht der Anleger in einem Formularfragebogen des Anlagenberaters "nur sichere Anlage" und "keine Options- oder Warentermingeschäfte", so entbindet eine in weiteren Formularen vorgedruckte Ermächtigung, Wertpapiere aller Art zu kaufen und zu verkaufen, nicht von einer anlegergerechten Beratung.



Vorformulierte "Allgemeine Risikohinweise" genügen dem speziellen Anlegerbedürfnis nicht.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

I-24 U 16/03

Verkündet am 15. Juli 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die am 17. Juni 2003 geschlossene mündliche Verhandlung unter Mitwirkung seiner Richter Z, E und T

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16. Juli 2002 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf insoweit abgeändert, als die gegen die Beklagte gerichtete Klage abgewiesen worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.421,37 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Juli 2000 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im ersten Rechtszug zur Hälfte sowie die gesamten Kosten der Berufungsinstanz (I-24 U 16/03). Die Entscheidung über die übrigen Kosten erster Instanz bleibt dem Verfahren I-24 U 139/03 vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I. Das Rechtsmittel der Klägerin, das sich nach Abtrennung des gegen den Mitbeklagten Stolte gerichteten und unter dem Aktenzeichen 24 U 139/03 OLG Düsseldorf weitergeführten Verfahrens nur noch gegen die beklagte Anlagevermittlungs- und Vermögensberatungsgesellschaft richtet, hat Erfolg. Die Beklagte schuldet der Klägerin aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo [c.i.c.]) Schadensersatz in Höhe des Verlustes, den die Klägerin nach Kündigung des Depotvertrags in Höhe von (80.000,00 DM - 55.705,92 DM = 24.294,08 DM) 12.421,37 EUR erlitten hat.

1. Geht es wie im Streitfall um die Frage, ob ein erlittener Vermögensverlust im Anlagegeschäft auf einem schuldhaften Verhalten des beauftragten Vermögensverwalters beruht, sind zwei Pflichtenkreise des Beraters zu unterscheiden. Zum einen geht es um diejenigen Pflichten, die bei Vertragsschluss zu beachten sind. Deren schuldhafte Verletzung führt zur Haftung des Vermögensberaters aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der c.i.c.. Sie ist grundsätzlich auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtet. Es ist also der Vermögenszustand herzustellen, der geherrscht hätte, wenn es nicht zum Vertragsschluss gekommen wäre. Zum andern geht es um diejenigen Pflichten, die der Vermögensberater nach Vertragsschluss bei der Abwicklung des Beratungsvertrags zu beachten hat. Deren schuldhafte Verletzung führt zur Haftung des Vermögensberaters aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der positiven Vertrags-Verletzung (pVV). Sie ist grundsätzlich auf Ersatz des positiven Interesses gerichtet. Es ist also der Vermögenszustand herzustellen, der geherrscht hätte, wenn es nicht zu der Vertragsverletzung gekommen wäre. Das ist die Kon-stellation, die sich bei vertragsgemäßer Erfüllung der Leistungspflicht ergeben würde (vgl. zu allem Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 276 Rn. 65ff und 104ff m.w.N.).

2. Im Streitfall geht es der Klägerin ausschließlich um die Haftung der Beklagten aus c.i.c., also um den Ersatz des negativen Interesses. Sie behauptet nämlich die Verletzung von Aufklärungspflichten, die die Beklagte vor und bei Vertragsschluss zu erfüllen hatte und sie will vor allem so gestellt werden, wie sie gestanden hätte, wenn es nicht zum Vertragsschluss gekommen wäre. Dann nämlich hätte sie der Beklagten nicht 80.000,00 DM zur Verwaltung anvertraut und es wäre nicht zu den eingangs dargestellten und der Höhe nach unstreitigen Verlusten gekommen.

3. Im Streitfall hat das Landgericht die notwendige Trennung zwischen beiden Haftungsinstrumenten nicht beachtet, wenn es einerseits die Verletzung von Aufklärungspflichten prüft und andererseits Vortrag der Klägerin dazu vermisst, durch welche konkreten Geschäfte sie denn Vermögenseinbußen erlitten haben will. Geht es wie hier um den Ersatz des negativen Interesses, kommt es nicht darauf an, bei welchen einzelnen Geschäften Verluste aufgetreten sind. Maßgeblich ist allein, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Depotvertragskündigung per Saldo von ihrem Einsatz einen Betrag von 12.421,37 EUR verloren hatte. Der ist ihr zu ersetzen, wenn festgestellt werden kann, dass die Beklagte ihre vorvertraglichen Aufklärungspflichten schuldhaft verletzt hatte.

4. Der Senat kommt abweichend von der Beurteilung durch das Landgericht zu einer Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten. Als Vermögensberaterin ist sie verpflichtet, anleger- und anlagegerecht zu beraten (vgl. dazu grundlegend BGHZ 123, 126 [128f] und BGH MDR 2000, 1021; NJW 2002, 1868). Eine pflichtgerechte Beratung ist nur dann möglich, wenn der Vermögensberater sich zunächst darüber informiert, welchen Wissensstand der Anleger über Anlagegeschäfte im allgemeinen und über spezifische Anlagegeschäfte im besonderen hat, welche Anlageziele er verfolgt und welche Risikobereitschaft er auf sich nehmen will (anlegergerechte Beratung). Ohne diese Informationen kann die ferner geschuldete richtige, sorgfältige, verständliche, vollständige und zeitnahe Beratung über die allgemeinen und besonderen Risiken der Produkte, deren Aufnahme in das Depot der Anlageberater empfiehlt und die Gegenstand des Depotvertrags werden sollen (anlagegerechte Beratung), nicht erfolgen (BGHZ 123, 126, 128f; vgl. auch BGH MDR 1994, 792 und MDR 1996, 703).

a) Im Streitfall verfügte die Klägerin unstreitig über kein Wissen über Anlagegeschäfte. Sie hatte in dem von der Beklagten verwendeten (vorformulierten) Fragebogen ferner mitgeteilt, dass sie "nur sichere Anlage" wünsche und "keine Options- und Warentermingeschäfte", wobei sie ihr Interesse "an einem persönlichen Beratungsservice" zum Ausdruck brachte. Die Beklagte räumt ein, dass die Klägerin auch danach an diesem Ziel festhielt. Die Behauptung der Beklagten, der Depotvertrag vom 08. Februar 1996 entspreche den von der Klägerin zum Ausdruck gebrachten individuellen Zielen und Bedürfnissen, ist widerlegt. Unter Nr. 2 der vorformulierten Vertragsbedingungen in Verbindung mit der Zusatzvereinbarung vom 13. Februar 1996 und der so genannten "Limitierte Handlungsvollmacht" hat die Beklagte sich von der Klägerin ermächtigen lassen, mit den Depotmitteln "Wertpapiere aller Art" (inklusive Leerverkäufe (!)) und gegen "Margin" zu kaufen und zu verkaufen, wobei "ungedeckte Optionsgeschäfte" ausgeschlossen waren und "Options- und Margingeschäfte" der Zustimmung der Klägerin bedurften. Es liegt auf der Hand, dass diese weitgehende Ermächtigung dem zum Ausdruck gebrachten Willen der Klägerin, nur in sichere Anlagen investieren und keine Spekulationsgeschäfte abschließen zu wollen, nicht entspricht. Dabei kann offen bleiben, ob das Angebot der Beklagten (Investment in US-amerikanische Aktien auf dem US-amerikanischen Markt) überhaupt geeignet war, das Anlageziel der Klägerin zu verwirklichen (verneinendenfalls hätte die Beklagte in korrekter Erfüllung ihrer anlegergerechten Aufklärungspflicht der Klägerin mitteilen müssen, dass ihr Angebot für deren individuelle Bedürfnisse ungeeignet sei). Der Senat unterstellt zu Gunsten der Beklagten, dass das von der Klägerin gewünschte Anlageziel durch Produkte verwirklicht werden sollte, die zur Angebotspalette der Beklagten bzw. der Brokerhäuser gehörten, mit welchen sie zusammenarbeitet. Relativ sicher und relativ frei von Spekulation sind aber nur Standardwerte in breiter Streuung (vgl. dazu OLG Düsseldorf WM 1991, 94, 95f; vgl. auch BGH NJW 2002, 2556 sub II.1a). Dabei kam es der Klägerin ersichtlich gerade nicht darauf an, durch ständige Käufe und Verkäufe kurzfristige Spekulationsgewinne zu erzielen und entsprechende Verlustrisiken in Kauf zu nehmen.

b) Über die damit verbundenen allgemeinen und spezifischen Risiken und diejenigen der zahlreichen Segmente der Investmentpapiere, zu deren Handel mit Mitteln der Klägerin die Beklagte sich hat ermächtigen lassen, ist die Klägerin nicht aufgeklärt worden. Die in dem schon erwähnten Formular enthaltenen "Risikohinweise für Börsengeschäfte" sind als Risikoaufklärung ungeeignet. Sie sind es deshalb, weil die Klägerin aus ihrer Sicht in eine sichere Anlage investieren und gerade keine Spekulationsgeschäfte wollte. Sie durfte davon ausgehen, dass die in Rede stehenden Hinweise auf die Geschäfte, welche sie mit der Beklagten anstrebte, gar nicht passten. Die in Nr. 3 des Depotvertrags enthaltene Aufklärung ist unzureichend. Darin wird lediglich auf die Selbstverständlichkeit hingewiesen, dass die Beklagte nicht für den wirtschaftlichen Erfolg der Vermögensverwaltung einstehen will und "dass auch bei sorgfältiger Verwaltung Verluste nicht ausgeschlossen sind". Ohne Belang ist, dass die Klägerin jedem Options- und Margingeschäft zugestimmt haben soll. Darauf kann sich die Beklagte nicht berufen, weil die Zustimmung sie nur dann entlastet, wenn feststeht, dass die Klägerin zuvor in der erforderlichen Weise über die Risiken aufgeklärt worden ist. Denn nur dann hat die Klägern auch die Verantwortung für sich verwirklichende Risiken übernommen.

c) Die Aufklärungspflichtverletzung ist auch kausal für den eingetretenen Schaden geworden. Denn die Beklagte hat sich nicht darauf beschränkt, nur Standardwerte in breiter Streuung zu erwerben. Dabei kann offen bleiben, ob die Beklagte auch so genannte Penny-Stocks (Billigaktien) und nur an der NASDAQ gehandelte Werte erworben hat, wie die Klägerin behauptet und für welche spezifische Risiken gelten, über welche besonders aufzuklären ist (vgl. BGH NJW 1991, 1108 und 2002, 1868). Maßgeblich ist, dass die Beklagte ohne die erforderliche Aufklärung der Klägerin ausweislich der An- und Verkaufsliste weitgehend nur Technologiewerte erworben hat (keine breite Streuung), dass sie auch hochspekulative Optionsgeschäfte getätigt hat (einschließlich "calls" und "puts") zu denen auch die gedeckten Optionsscheine gehören (BGH MDR 1999, 370) und dass ihre Handelsstrategie (Zahl der An- und Verkäufe) auf Spekulation orientiert gewesen ist statt auf eine von der Klägerin eigentlich gewollte konservative Anlagestrategie. Dass das Vorgehen der Beklagten von dem Vertragstext gedeckt ist, spielt keine Rolle, weil es hier nicht um Verstöße bei der Vertragsabwicklung geht, sondern darum, dass die Klägerin bei gehöriger Aufklärung darüber, wie die Beklagte das ihr anvertraute Vermögen zu verwalten gedenkt, vom Vertragsschluss abgesehen hätte. Dafür, dass sich die Klägerin so verhalten hätte, spricht eine Vermutung, die die Beklagte widerlegen muss und die sie nicht widerlegt hat (vgl. BGH MDR 1994, 367; 1996, 924; 1998, 1099).

II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Der Rechtsstreit gibt keinen Anlass, die Revision zuzulassen, § 542 Abs. 2 ZPO.

RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 611 BGB § 675 BGB § 276

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