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17.09.2003 · IWW-Abrufnummer 031887

Finanzgericht Brandenburg: Urteil vom 23.10.2002 – 2 K 514/01

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


FINANZGERICHT DES LANDES BRANDENBURG

AZ.: 2 K 514/01

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit XXX

wegen Einkommensteuer 1998

hat das Finanzgericht des Landes Brandenburg - 2. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung am 23. Oktober 2002 durch XXX

für Recht erkannt:

Der Bescheid über Einkommensteuer 1998 vom 31. März 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 22. Januar und 23. April 2001 wird abgeändert. Dem Beklagten wird aufgegeben, die geänderte Steuerfestsetzung nach Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen, ferner den Klägern das Ergebnis dieser Berechnung unverzüglich mitzuteilen und den Bescheid mit dem geänderten Inhalt nach Rechtskraft dieses Urteils neu bekannt zu geben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist für die Kläger wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

G r ü n d e :

Der Kläger erlitt während seines Wehrdienstes im Jahr 1977 einen von einem Dritten schuldhaft verursachten Verkehrsunfall. Der Kläger ist seitdem querschnittsgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Zur Abgeltung sämtlicher Schadensersatzansprüche des Klägers ? mit Ausnahme der Ersatzansprüche wegen vermehrter Bedürfnisse infolge der Behinderung ? bot die X..-Versicherungs AG dem Kläger im Jahr 1994 eine Zahlung eines Schadensersatzes von DM 220 000,- an. In der Folgezeit kam es zu weiteren Verhandlungen, bei denen jedoch nur die Höhe der Schadensersatzleistungen streitig war. Sodann vereinbarten die X..-Versicherungs AG und der Kläger am 16. Januar 1995 die Zahlung eines Schadensersatzes von zunächst DM 100 000,-. Nach Maßgabe dieses Vergleichs ? auf die Abfindungserklärung wird im Übrigen Bezug genommen ? wurden mit dieser Schadensersatzsumme der Verdienstausfall sowie die vermehrten Bedürfnisse des Klägers bis zum 31. Dezember 1994 abgegolten. Für den Verdienstausfall und die vermehrten Bedürfnisse des Klägers bis zum 31. Dezember 1997 schlossen die X..-Versicherungs AG und der Kläger am 18. November 1995 einen weiteren Vergleich ? auf die Abfindungserklärung wird gleichermaßen Bezug genommen ? und vereinbarten die Zahlung von DM 225 000,-. Beiden Vergleichen lag die Überlegung zugrunde, dass der Kläger vorbehaltlich einer abschließenden Regelung zumindest hinsichtlich einer Teilsumme eine zügige Schadensersatzleistung erhalten sollte. Die Gesamtsumme von DM 325 000,- wurde an den Kläger im Jahr 1995 ausgezahlt. Nach entsprechenden Mitteilungen des Klägers vom 8. Januar und 6. Februar 1996 setzte sich der Gesamtabfindungsbetrag von DM 325 000,- aus einem Schadensersatz für den Verdienstausfall von achtzig vom Hundert und einem Schadensersatz für vermehrte Bedürfnisse von zwanzig vom Hundert zusammen. Dementsprechend erklärte der Kläger in der Steuererklärung für das Jahr 1995 bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit eine Entschädigungsleistung von DM 260 000,-. Der Beklagte folgte der Einkommensteuererklärung im Wesentlichen und setzte die Einkommensteuer 1995 mit Bescheid vom 10. April 1996 auf DM 48 455,- fest. Dabei unterwarf der Beklagte die Entschädigung von DM 260 000,- einem ermäßigten Steuersatz (§ 34 Abs. 1 Einkommensteuergesetz ? EStG ?).

Am 24. September 1998 schlossen die X..-Versicherungs AG und der Kläger einen abschließenden Vergleich für die Zeit nach dem 31. Dezember 1997 und vereinbarten insoweit die Zahlung eines Schadensersatzes von DM 1 300 000,-. In der Einkommensteuererklärung 1998 erklärte der Kläger in diesem Zusammenhang bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit eine Entschädigung von 80% von DM 1 300 000,- = DM 1 040 000,-. Aufgrund der Einkommensteuererklärung 1998 vertrat der Beklagte nunmehr die Ansicht, die Voraussetzungen für eine ermäßigte Besteuerung der Entschädigungsleistungen lägen nicht vor. Denn die Zahlung des Schadensersatzes sei nicht in einer Summe erfolgt; es liege daher keine Zusammenballung von Einnahmen vor. Der Beklagte unterwarf deshalb bei der Veranlagung die Entschädigungsleistung von DM 1 300 000,- nicht dem ermäßigten Steuersatz und setzte die Einkommensteuer 1998 auf DM 655 452,- fest.

Im Rahmen des nachfolgenden Einspruchsverfahrens änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 1998 und setzte zunächst eine Entschädigungszahlung von DM 1 040 000,-, dann ? auf der Grundlage eines Schreibens der X..-Versicherungs AG vom 7. April 2000 ? einen Betrag von DM 850 000,- bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit an. Den Einspruch des Klägers wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 22. Januar 2001 als unbegründet zurück.

Zur Begründung ihrer Klage (vom 23. Februar 2001) tragen die Kläger vor, die verschiedenen Schadensersatzleistungen der X..-Versicherungs AG beträfen bestimmte Zeiträume, für die der Verdienstausfallschaden abgegolten worden sei. Daher liege insoweit jeweils eine Entschädigung im Sinne von § 34 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 24 Nr. 1 EStG vor und sei deshalb der ermäßigte Steuersatz anzuwenden. Es sei nicht auf das schadensauslösende Ereignis abzustellen. Vielmehr sei entscheidend, für welchen Zeitraum die Zahlung erfolgt sei. Im Übrigen sei aufgrund der besonderen Konstellation des Streitfalls aus Billigkeitsgründen der ermäßigte Steuersatz des § 34 Abs. 1 EStG anzuwenden.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid über Einkommensteuer 1998 vom 31. März 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 22. Januar und 23. April 2001 dahingehend zu ändern, dass die Schadensersatzleistung in Höhe von DM 850 000,- dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG unterworfen wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, es liege keine Zusammenballung von Einkünften vor. Denn es handele sich ? bezogen auf das Schadensereignis ? um eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG, die in mehreren Veranlagungszeiträumen ausgezahlt worden sei.

Der Beklagte hat mit Einspruchsentscheidung vom 23. April 2001 den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.

Der Senat hat die Verfahren wegen Einkommensteuer 1995 (2 K 516/01) und 1998 (2 K 514/01) zur gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung verbunden und das Verfahren wegen Einkommensteuer 1995 erneut abgetrennt.

Die Klage der Klägerin ist zulässig. Denn die vor der Entscheidung über den Einspruch von der Klägerin erhobenen Klage ist aufgrund des nachfolgenden Erlasses der Einspruchsentscheidung in die Zulässigkeit ?hineingewachsen? (siehe hierzu: Gräber-von Groll, FGO, 5. Auflage 2002, § 44 FGO, Randnummer 27, m.w.N.). Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung ? FGO ?). Die Schadensersatzleistungen der X..-Versicherungs AG sind dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG zu unterwerfen.

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die Einkommensteuer auf außerordentliche Einkünfte im Sinne von § 34 Abs. 2 EStG nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Zu den außerordentlichen Einkünften gehören nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG auch Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG. Bei den streitigen Schadensersatzleistungen handelt es sich in Höhe von DM 260 000,- (80% von DM 325 000,- [DM 100 000,- + DM 225 000,-]) und DM 850 000,- um Entschädigungen, die von der X..-Versicherungs AG als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind. Mithin liegen nach § 34 Abs. 1 EStG grundsätzlich begünstigte Einnahmen vor.

Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG setzt weiter voraus, dass es sich bei den fraglichen Einkünften um außerordentliche Einkünfte handelt (§ 34 Abs. 2 EStG). Außerordentliche Einkünfte im Sinne dieser Vorschrift sind gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG bezweckt nämlich, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung der Entschädigung ergeben. Dementsprechend begründet eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchstabe a) EStG grundsätzlich nur dann außerordentliche Einkünfte, wenn sie für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf ? im Streitfall also bei Fortsetzung der Erwerbstätigkeit ? auf mehrere Jahre verteilt hätten, vollständig in einem Veranlagungszeitraum gezahlt wird oder, sofern sie nur Einnahmen eines Jahres ersetzt, im Jahr der Zahlung mit weiteren Einkünften zusammenfällt und der Steuerpflichtige im Jahr der entgangenen Einnahmen keine weiteren (nennenswerten) Einnahmen gehabt hat (vergleiche zum Beispiel: Bundesfinanzhof ? BFH ?, Urteil vom 14. August 2001 - XI R 22/00, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ? BFH/NV ? 2002, 402; Urteil vom 16. Juli 1997 - XI R 13/97, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ? BFHE ? 183, 535, Bundessteuerblatt ? BStBl. ? II 1997, 753, m.w.N.; Weber-Grellet, Neue BFH-Rechtsprechung zu Abfindungen und Entschädigungen, Deutsches Steuerrecht 1996, 1993 [1999 f.]).

Hiernach sind an sich die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1 und 2, 24 Nr. 1 EStG nicht erfüllt. Denn die X..-Versicherungs AG hat an den Kläger sowohl im Jahr 1995 als auch im Jahr 1998 Leistungen erbracht. Unter Heranziehung der jüngeren Entscheidungen des BFH (Urteil vom 14. August 2001 ? XI R 22/00, a.a.O., mit Anmerkung Zugmaier in: Finanzrundschau ? FR ? 2002, 344; Urteil vom 6. März 2002 ? XI R 16/01, FR 2002, 1130) ist allerdings nach Auffassung des Senats im Streitfall ausnahmsweise die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes des § 34 Abs. 1 EStG geboten (siehe hierzu auch: BFH, Urteil vom 21. April 1993 ? XI R 67/92, BFH/NV 1994, 224; Urteil vom 1. Februar 1957 ? VI 87/55 U, BFHE 64, 271, BStBl. III 1957, 104). Ein solcher Ausnahmetatbestand wurde von der Rechtsprechung insbesondere angenommen, wenn die Zahlung der Entschädigung von vornherein in einer Summe vorgesehen war und nur wegen ihrer ungewöhnlichen Höhe und der besonderen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen auf zwei Jahre verteilt wurde oder wenn der Entschädigungsempfänger dringend auf den baldigen Bezug einer Vorauszahlung angewiesen war (vergleiche: BFH, Urteil vom 2. September 1992 ? XI R 63/89, BFH/NV 1993, 23, m.w.N.).

Zwar war im Streitfall die Zahlung der Entschädigung nicht von vornherein in einer Summe als Einmalbetrag festgesetzt. Jedoch beruhten die Vergleiche vom 16. Januar und 18. November 1995 und die entsprechenden Zahlungen im Jahr 1995 nur auf dem Umstand, dass dem Kläger achtzehn Jahre nach dem Schadensereignis alsbald zumindest ein Teilbetrag ausgezahlt werden sollte. Hätte der Kläger dagegen darauf bestanden, die Höhe des Schadensersatzanspruches nur aufgrund einer Gesamtvereinbarung zu regeln, hätte sich ? wie die abschließende Vereinbarung verdeutlicht ? die Leistung des Schadensersatzes um (mindestens) weitere rund drei Jahre verzögert. Darüber hinaus war zwischen der X..-Versicherungs AG und dem Kläger unstreitig, dass ein Schadenseratzanspruch dem Grunde nach bestand. Dieser Schadensersatzanspruch sollte auch ? wie das ursprüngliche Vergleichsangebot zeigt ? in einer Summe gezahlt werden. Zur Überzeugung des Senats werden aber die Anforderungen, die an die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG gestellt werden, dann überspannt, wenn von vornherein feststeht, dass eine Entschädigung zu leisten ist und die Zahlung in zwei Veranlagungszeiträumen nur deshalb erfolgt, weil der Entschädigungsempfänger im Hinblick auf das fast zwei Jahrzehnte zurückliegende Schadensereignis zumindest auf eine Teilsumme angewiesen ist und nur noch die Höhe der abschließenden Schadensersatzsumme geklärt werden musste. Anderenfalls hätten die Schadensersatzleistungen nur dann dem ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 1 EStG unterworfen werden können, wenn der Kläger entweder auf weitere Verhandlungen mit der X..-Versicherungs AG ? und damit auf einen wesentlichen Teil des tatsächlich bestehenden Schadensersatzanspruchs ? verzichtet oder weitere drei Jahre auf eine abschließende Regelung gewartet hätte. Damit würde aber der Gedanke der besonderen sozialen Fürsorgepflicht, der die X..-Versicherungs AG mit ihren Zahlungen des Jahres 1995 nachgekommen ist, in unzumutbarer Weise ins Gegenteil verkehrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Zwar beruht die Entscheidung des Senats im Wesentlichen auf den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Tatsachen. Jedoch hätte das Verfahren selbst dann nicht vermieden werden können, wenn diese Tatsachen bereits früher geltend gemacht worden wären. Denn der Beklagte hat gleichwohl seine Rechtsauffassung aufrechterhalten.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen.

RechtsgebietEinkommensteuerVorschriften§ 34 EStG

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