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  • 01.05.2007 | Pflichtteil

    § 2315 BGB: Anrechnung von Schenkungen

    von RAin / StBin Dr. Carmen Griesel, Düsseldorf

    Durch eine Pflichtteilsanrechnung kann der Erblasser zwar nicht die gesetzlich vorgesehenen Zahlungen an Pflichtteilsberechtigte vermeiden. Er kann aber seine Erben wesentlich dadurch entlasten, dass er diese Zahlungen bereits zu Lebzeiten vornimmt. Dadurch reduziert sich die Pflichtteils- und die daraus resultierende Liquiditätsbelastung der Erben im Erbfall auf die Differenz zwischen dem Wert des lebzeitig empfangenen Vermögenswertes und dem Pflichtteilsanspruch. 

     

    Voraussetzung einer Anrechnung auf den Pflichtteil ist, dass der Erblasser spätestens bei der Schenkung eine entsprechende Anordnung trifft. Eine nachträgliche Anrechnungsbestimmung – z.B. im Rahmen der letztwilligen Verfügung des Erblassers – ist unwirksam (ErbBstg 06, 128 f.). Zulässig können solche nachträglichen Bestimmungen nur dann sein, wenn der Erblasser sich die Anrechnung bei der Zuwendung ausdrücklich vorbehalten hat oder die strengen Voraussetzungen für eine Pflichtteilsentziehung (§ 2333 BGB) erfüllt sind und der Erblasser als weniger einschneidende Maßnahme in diesem Fall die Anrechnung auf den Pflichtteil anordnet.  

     

    Auch eine stillschweigende Erklärung über die Pflichtteilsanrechnung genügt, wenn sie für den Empfänger klar erkennbar war. Um spätere Streitigkeiten zu vermeiden, sollte jedoch stets eine ausdrückliche Abrede – am besten im notariellen Schenkungsvertrag – dokumentiert werden. Nicht ausreichend ist die oftmals anzutreffende Formulierung, dass der Beschenkte sich die Zuwendung auf seinen Erbteil anrechnen lassen muss. Im Regelfall umfasst dies nicht gleichzeitig eine Anrechnung auf den Pflichtteil. Dies muss vielmehr explizit geregelt werden. 

     

    Alle freigebigen Zuwendungen an Pflichtteilsberechtigte kann der Erblasser mit einer Anrechnungsbestimmung versehen. Die Anrechnung kann auch unter einer Bedingung erfolgen. Nicht zulässig ist aber eine Anrechnung bei Vermögensübertragungen an den Empfänger, zu denen der Erblasser rechtlich – z.B. aufgrund eines schuldrechtlichen Vertrages oder als Unterhaltsschuldner – verpflichtet ist. Denn insoweit fehlt es an der Freigebigkeit der Zuwendung.  

     

    Die Schenkung muss zudem gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten selbst – und nicht z.B. gegenüber seinem Ehegatten oder anderen Familien­angehörigen – erfolgen. Tilgt der Erblasser jedoch z.B. Schulden des Pflichtteilsberechtigten durch unmittelbare Zahlung an die Gläubiger (abgekürzter Zahlungsweg), genügt dies grundsätzlich für die erforderliche Zuwendung an den Pflichtteilsberechtigten. Die Rechtsprechung erkennt im übrigen Pflichtteilsanrechnungsbestimmungen gegenüber Minderjährigen ohne weiteres an. Denn die Anrechnung beinhaltet keinen rechtlichen Nachteil im Sinne von § 107 BGB, so dass eine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters nicht erforderlich ist. 

     

    Praxishinweis

    Eine Anrechnungsbestimmung wirkt gemäß § 2315 Abs. 3 BGB und § 2051 Abs. 1 BGB auch für Abkömmlinge des Pflichtteilsberechtigten, es sei denn, der Erblasser ordnet Gegenteiliges an. 

     

    Der Wert, mit dem die Schenkung auf den Pflichtteil angerechnet wird, bestimmt sich nach dem Zeitpunkt des Empfangs der Zuwendung (§ 2315 Abs. 2 S. 2 BGB). Nachträgliche Wertveränderungen zugunsten wie zulasten des Pflichtteilsberechtigten bleiben daher unberücksichtigt. Lediglich der Kaufkraftschwund macht es erforderlich, den Wert des Schenkungsgegenstandes mithilfe des Lebenshaltungskostenindexes auf den Erbfall hochzurechnen. Dies bedeutet, dass der Wert im Zuwendungszeitpunkt durch die Indexzahl des Zuwendungsjahres zu dividieren und mit der Preisindexzahl des Todesjahres zu multiplizieren ist. Nicht erforderlich ist, dass der Zuwendungsgegenstand im Erbfall noch vorhanden ist. 

     

    Praxishinweis

    Zwar kann der Erblasser den Wertansatz oder die Bewertungsmethode des Schenkungsgegenstandes im Rahmen der Pflichtteilsanrechnung bestimmen. Aufgrund des besonderen Schutzes des Pflichtteilsberechtigten vor einer unzulässigen Verkürzung seines Anspruchs darf der Erblasser jedoch nur einen niedrigeren Wertansatz und damit eine geringere Anrechnung auf den Pflichtteil vorsehen. Für einen überhöhten Wertansatz und die damit verbundene Reduzierung des Pflichtteils bedarf es eines notariellen Erb- bzw. Pflichtteilsverzichts. 

     

    Die nach der Anrechnung noch auszuzahlende Differenz berechnet sich für jeden Pflichtteilsberechtigten getrennt. Es wird folglich kein für alle Beteiligten einheitlicher fiktiver Nachlass gebildet. Es ist vielmehr bei jedem von einer Anrechnung betroffenen Pflichtteilsberechtigten der Wert des ihm zu Lebzeiten Zugewendeten individuell zum Nachlass hinzuzurechnen (§ 2315 Abs. 2 S. 1 BGB). 

     

    Beispiel 1

    Erblasser E hinterlässt einen Nachlass im Wert von 100.000 EUR. Von seinen beiden Kindern A und B hat er B zum Alleinerben eingesetzt. Bereits zu Lebzeiten hat A eine Zuwendung über 30.000 EUR versehen mit einer Anrechnungsbestimmung auf den Pflichtteil von E erhalten. 

     

    Der Pflichtteilsanspruch des A im Todesfall berechnet sich wie folgt: 

    Pflichtteilsquote  

    ½ von ½ (gesetzliche Erbquote) = ¼  

    Fiktiver Nachlass 

    100.000 EUR + 30.000 EUR = 130.000 EUR 

    Pflichtteilsanspruch 

    (130.000 EUR x ¼) ./. 30.000 EUR = 2.500 EUR 

     

    Hätte A zu Lebzeiten einen Betrag von 40.000 EUR erhalten, stünde ihm beim Tod des E kein Anspruch mehr zu: (140.000 EUR x ¼) ./. 40.000 EUR = - 5.000 EUR => Pflichtteilsanspruch „0“ 

     

    Übersteigt der zugewendete Wert den Pflichtteil, muss der Pflichtteilsberechtigte A keinen Ausgleich für diesen Mehrempfang – vorliegend 5.000 EUR – leisten. Soweit es sich bei diesem Mehrbetrag um eine Schenkung handelt, kommt für andere Pflichtteilsberechtigte aber eine Pflichtteils­ergänzung (§§ 2325, 2329 BGB) in Betracht, sofern deren Voraus­setzungen erfüllt sind (ErbBstg 06, 128 f.). Hätte E folglich statt B einen familienfremden Dritten als Alleinerben eingesetzt, könnte B neben seinem Pflichtteil von ¼ von 100.000 EUR zusätzlich eine Pflichtteilsergänzung bezüglich der 5.000 EUR Mehrempfang durch A verlangen. 

     

    Praxishinweis

    Bei Zuwendungen an den Ehegatten kann der Erblasser nicht eine doppelte Anrechnung – auf den Zugewinnausgleichsanspruch (§ 1380 BGB) und den Pflichtteil – vorsehen. Hier ist nur eine alternative Berücksichtigung zulässig. Übersteigt der Wert des Zugewendeten den Zugewinn, kann der Restbetrag auf den Pflichtteil angerechnet werden. Im Zweifel erfolgt eine Anrechnung auf den Pflichtteil. 

     

    Ordnet der Erblasser für ausgleichspflichtige lebzeitige Zuwendungen i.S. des §§ 2316, 2050 BGB zwischen mehreren Abkömmlingen (z.B. Ausstattungen, Zuschüsse oder solche, bei denen der Erblasser eine Ausgleichs­pflicht ausdrücklich angeordnet hat) gleichzeitig die Anrechnung auf den Pflichtteil an, gilt Folgendes: Zunächst wird der ausgleichspflichtige Erbteil nach den Regelungen des § 2316 Abs. 1 BGB unter Abzug des Zuwendungsgegenstandes ermittelt. Von dem daran anknüpfenden Pflichtteilsanspruch wird der Wert des Zugewendeten nur mit seinem hälftigen Betrag in Abzug gebracht. Diese Berechnungsweise lässt sich an folgendem Beispiel verdeutlichen: 

     

    Beispiel 2

    Erblasser E hinterlässt seinen beiden Kindern A und B 100.000 EUR. Bereits zu Lebzeiten hat A eine Zuwendung über 30.000 EUR versehen mit einer Anrechnungsbestimmung auf den Pflichtteil erhalten. Die lebzeitige Zuwendung an A ist bei Einsetzung eines familienfremden Dritten als Alleinerben gleichzeitig eine ausgleichspflichtige Zuwendung (§ 2316 Abs. 1 BGB, § 2050 BGB). 

     

    1.Ausgleichspflichtiger Erbteil

    (130.000 EUR x ½) – 30.000 EUR = 35.000 EUR 

    2.Ausgleichspflichtteil

    35.000 EUR x ½ = 17.500 EUR 

    3.Verbleibender Pflichtteilsanspruch

    17.500 – (30.000 : 2) = 2.500 EUR 

     

    Die identische Höhe des Pflichtteilsanspruchs unabhängig vom Bestehen einer Ausgleichsverpflichtung (jeweils 2.500 EUR) verdeutlicht, dass durch die letztgenannte Berechnung eine ungerechtfertigte doppelte Anrechnung vermieden wird. Erbschaftsteuerlich handelt es sich bei dem, was der Pflichtteilsberechtigte aufgrund der Anrechnung erlangt, um einen Erwerb von Todes wegen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). 

    Quelle: Ausgabe 05 / 2007 | Seite 142 | ID 86665

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