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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer/Innergemeinschaftlicher Handel

    Reihengeschäfte: Richtige Zuordnung der Warenbewegung in einem EU-Abhol-Fall

    von Diplom-Finanzwirt Rüdiger Weimann, Dozent, Lehrbeauftragter und freier Gutachter in Umsatzsteuerfragen, Dortmund

    | Bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften ist die Frage, welche von mehreren Lieferungen über ein Fahrzeug in einen anderen EU-Mitgliedstaat in Abholfällen als bewegte Lieferung steuerfrei ist, anhand der objektiven Umstände zu prüfen. Nicht entscheidend sind nach Ansicht des BFH die Erklärungen der Beteiligten. Die Erklärungen des Erwerbers können allerdings bei der Prüfung, ob der Lieferant Vertrauensschutz genießt, eine Rolle spielen. Erfahren Sie, wie Sie in der Praxis reagieren sollten, um Umsatzsteuernachzahlungen zu vermeiden. |

    Die beiden Urteilsfälle des BFH

    Der BFH hatte - auf das Wesentliche verkürzt dargestellt - bei den folgenden beiden Reihengeschäften über die Frage zu entscheiden, welche Warenbewegung die bewegte und damit steuerfrei ist:

     

    • Sachverhalt 1 vor dem BFH

    Die amerikanische Firma B mit einer festen Niederlassung in Portugal bestellte bei der deutschen A-GmbH zwei Maschinen. Als A die B aufforderte, ihre USt-IdNr. mitzuteilen, teilte B lediglich die USt-IdNr. einer finnischen Limited (C) mit, an die B die Maschinen weiterverkauft habe. Eine von B beauftragte Spedition holte die Maschinen bei A ab und verschiffte sie zu C nach Finnland. Das Finanzamt behandelte die Lieferungen der A nicht als steuerfrei, weil B keine USt-IdNr. eines Mitgliedstaats der EU verwendet hatte.

     

    Im ersten Fall hat der BFH zu seiner Entscheidung die vier folgenden Leitsätze verfasst (BFH, Urteil vom 25.2.2015, Az. XI R 15/14, Abruf-Nr. 176097).

     

    • 1. Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und gelangt dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer (Reihengeschäft), ist die Beförderung oder Versendung des Gegenstands nur einer der Lieferungen zuzuordnen.

     

    • 2. Bei einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft mit drei Beteiligten (A, B und C) und zwei Lieferungen (A an B sowie B an C) setzt die erforderliche Zuordnung der (einen) innergemeinschaftlichen Beförderung oder Versendung des Gegenstands zu einer der beiden Lieferungen eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere die Feststellung voraus, ob der Ersterwerber (B) dem Zweiterwerber (C) die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, im Inland übertragen hat.

     

    • 3. Dabei kommt es auf die objektiven Umstände an; hiervon abweichende Absichtsbekundungen können im Rahmen der Prüfung des Vertrauensschutzes von Bedeutung sein.

     

    • 4. Verbleiben nach der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung durch das FG, bei der insbesondere der Ersterwerber (B) zur Sachverhaltsaufklärung herangezogen werden kann, nicht behebbare Zweifel daran, dass der Ersterwerber (B) dem Zweiterwerber (C) die Verfügungsmacht noch im Inland übertragen hat, ist die Warenbewegung der ersten Lieferung (A an B) zuzuordnen.

     

    • Sachverhalt 2 vor dem BFH

    Ein deutsches Autohaus (A) verkaufte insgesamt 20 neue Fahrzeuge an ein Unternehmen B in Großbritannien. B veräußerte die Fahrzeuge an ein Unternehmen C, das an einem anderen Ort in Großritannien ansässig ist. Die Fahrzeuge wurden von einer Spedition bei A abgeholt und nach Großbritannien gebracht. Auftraggeber der Spedition war C. Empfängerin der Fahrzeuge war ebenfalls laut der CMR-Frachtbriefe und der „certificates of shipment“ jeweils C. Das Finanzamt versagte der A die Steuerfreiheit der Kfz-Lieferungen, weil es sich bei B nach Auskunft der britischen Finanzbehörden um einen „missing trader“ gehandelt habe.

     

    Die Quintessenz der zweiten Entscheidung hat der BFH in folgenden Leitsatz gepackt (BFH, Urteil vom 25.2.2015, Az. XI R 30/13, Abruf-Nr. 176098):

     

    Befördert oder versendet bei einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft mit drei Beteiligten (A, B und C) und zwei Lieferungen (A an B sowie B an C) der letzte Abnehmer (C) den Gegenstand der Lieferung, ist die Beförderung oder Versendung der ersten Lieferung (A an B) zuzuordnen, es sei denn, der erste Abnehmer (B) hat dem letzten Abnehmer (C) die Befugnis, über den Gegenstand der Lieferung wie ein Eigentümer zu verfügen, bereits im Inland übertragen.

    Bewertung der BFH-Entscheidungen

    Die beiden BFH-Entscheidungen führen - im Zusammenspiel mit der EuGH-(Vorab-)Entscheidung zum ersten BFH-Fall - dazu, dass Sie als deutscher Kfz-Händler Reihengeschäfte kaum noch rechtssicher abwickeln können:

     

    • Zwar wird der Grundsatz bestätigt, dass im Zweifel die erste Lieferung von A an B im Reihengeschäft die bewegte Lieferung ist.
    • Das gilt jedoch nicht, wenn aufgrund der objektiven Umstände bewiesen ist, dass der erste Abnehmer (B) dem zweiten Abnehmer (C) schon die Verfügungsmacht über die Ware erteilt hat, als diese noch in Deutschland bei A war. Dann ist die zweite Lieferung die bewegte.
    • Und was die Sache völlig unwägbar macht, ist folgender Umstand: Selbst wenn der zweite Abnehmer (C) eine Spedition beauftragt, die Ware beim ersten Lieferanten (A) abzuholen, ist es nicht ausgeschlossen, dass dem zweiten Erwerber (C) die Verfügungsmacht vom ersten Erwerber (B) erst erteilt worden ist, nachdem die Ware Deutschland verlassen hatte.

     

    Damit kommt es für die Zuordnung der Warenbewegung allein auf die objektiven Umstände an. Bloße Absichtsbekundungen der Beteiligten bleiben unberücksichtigt.

     

    PRAXISHINWEIS | Ein positiver Aspekt der ersten BFH-Entscheidung ist: Nach Auffassung des BFH kann sich A (erster Lieferant) von B (erster Abnehmer) versichern lassen, dass B die Befugnis, über den Gegenstand der Lieferung wie ein Eigentümer zu verfügen (Verfügungsmacht), nicht auf einen Dritten übertragen wird, bevor der Gegenstand der Lieferung das Inland verlassen hat. Verstößt B gegen diese Versicherung, kommt für A die Gewährung von Vertrauensschutz in Betracht, und B schuldet gegebenenfalls die deutsche Umsatzsteuer.

     

    Empfehlungen zum Vorgehen in der Praxis

    Angesichts der Unwägbarkeiten, wann der erste Abnehmer (B) dem zweiten (C) die Verfügungsmacht erteilt hat, sollten Sie in der Praxis Ihre EU-Geschäfte - soweit möglich - absichern:

     

    • Nehmen Sie in den Kaufvertrag eine der folgenden Musterklauseln auf. Dadurch muss sich Ihr Kunde eindeutig äußern!
    • Fordern Sie bei einer Nettoabrechnung unbedingt eine Nachzahlungsvereinbarung von Ihrem Kunden ein. Rechnen Sie im Zweifel brutto ab.

     

    Musterformulierung / Weitere Übereignung noch in Deutschland

    Der Vertragspartner zu § XX (Käufer) informiert den Vertragspartner zu § XX (Verkäufer), dahingehend, dass er die Befugnis, über die Kaufsache (§ XX) wie ein Eigentümer zu verfügen (Verfügungsmacht), bereits in Deutschland auf einen Dritten übertragen wird. Aus diesem Grunde erklärt sich der Käufer mit einer Bruttoabrechnung (inklusive deutscher Umsatzsteuer) einverstanden.

     

     

    Musterformulierung / Keine weitere Übereignung in Deutschland

    Der Vertragspartner zu § XX (Käufer) informiert den Vertragspartner zu § XX (Verkäufer) dahingehend, dass er die Befugnis, über die Kaufsache (§ XX) wie ein Eigentümer zu verfügen (Verfügungsmacht), nicht auf einen Dritten übertragen wird, bevor der Gegenstand der Lieferung die Bundesrepublik Deutschland verlassen hat.

     

    Sollte dies unzutreffend sein oder von der deutschen Finanzverwaltung anders beurteilt werden, wird der Käufer dem Verkäufer die gegen ihn festgesetzte Umsatzsteuer mit Nebenleistungen (Zinsen) nachzahlen.

     

    Sollte der Käufer sich nach Abschluss dieses Vertrages umentscheiden, wird er den Verkäufer umgehend informieren und dann mit einer Bruttoabrechnung (inklusive deutscher Umsatzsteuer) einverstanden sein.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2015 | Seite 5 | ID 43342788